Leitsatz (amtlich)
Leistungen nach dem AFG, die zur Ausführung eines nicht rechtskräftigen Urteils vorläufig erbracht werden, können nach rechtskräftiger Abweisung der Klage unabhängig von den Voraussetzungen des AFG § 152 Abs 1 und 2 zurückgefordert werden; dies gilt auch, soweit der Leistungsträger auf Grund des nicht rechtskräftigen Urteils Leistungen für die Zeit vor Erlaß des Urteils gewährt hat.
Normenkette
SGG § 165 Abs 2 Fassung: 1953-09-03, § 198 Abs 2 Fassung: 1953-09-03, § 199 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 717; AFG § 151 Fassung: 1969-06-25, § 152 Abs 1 Fassung: 1969-06-25, § 152 Abs 2 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.05.1979; Aktenzeichen L 12 Ar 133/78) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 24.05.1978; Aktenzeichen S 16 Ar 192/76) |
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Unterhaltsgeld (Uhg), Fahrkosten und Zuschüssen für Lernmittel und Arbeitskleidung.
Die Klägerin besuchte vom 1. Oktober 1969 bis 30. September 1971 eine Lehranstalt für pharmazeutisch-technische Assistenten. Ihren Antrag, den Lehrgangsbesuch zu fördern, lehnte die Beklagte ab. Durch Urteil vom 24. September 1970 verurteilte das Sozialgericht (SG) Duisburg die Beklagte, der Klägerin "die Beihilfe zur beruflichen Fortbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren". Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Anschließend gewährte die Beklagte mit zwei Bescheiden vom 22. Dezember 1970 Uhg und Zuschüsse für Lernmittel und Arbeitskleidung für die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis 30. September 1971; der letztgenannte Bescheid enthielt den Hinweis, daß die gewährten Leistungen zurückzuzahlen seien, falls die Berufung der Beklagten Erfolg habe. Mit Bescheiden vom 21. Januar und 4. Februar 1971 gewährte die Beklagte der Klägerin auch Fahrkosten und höheres Uhg; diese beiden Bescheide enthielten keinen besonderen Hinweis. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) das Urteil des SG und wies die Klage ab (Urteil vom 4. November 1971). Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg (Urteil des Senats vom 19. März 1974 - 7 RAr 3/72 -).
Mit Bescheid vom 10. August 1976 forderte die Beklagte die gewährten Leistungen in Höhe von 10.136,-- DM zurück. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1976; Urteil des SG vom 24. Mai 1978). Die Berufung der Klägerin hat das LSG durch Urteil vom 9. Mai 1979 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt, die Beklagte sei berechtigt, die in vorläufiger Ausführung eines nicht rechtskräftigen Urteils erbrachten Leistungen zurückzufordern, nachdem das Urteil beseitigt sei; es könne offenbleiben, ob dies aus § 717 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) oder aus einem ungeschriebenen, allgemeinen Rechtsgrundsatz folge. Soweit Leistungen für die Zeit nach dem 24. September 1970 erbracht seien, habe die Beklagte eine nach § 154 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mögliche Zwangsvollstreckung des Urteils abgewendet. Die Leistungsgewährung sei eine vorläufige Regelung des Streitverhältnisses zugunsten der Klägerin, aber unter Wahrung der Rechte der Beklagten gewesen. Der Bestand dieser vorläufigen Regelung sei vom Bestand des Urteils abhängig gewesen. Nachdem dieses Urteil rechtskräftig beseitigt worden sei, habe die Beklagte die Leistungen zurückverlangen können. Das gelte auch, soweit die Leistungen die Zeit bis zum 24. September 1970 betroffen hätten; auch insoweit habe die Beklagte nur eine vorläufige Regelung getroffen, deren Rechtsgrundlage mit dem Vorbehalt einer rückwirkenden Beseitigung belastet gewesen sei. Dies sei der Klägerin bekannt gewesen. Nachdem die Beklagte Berufung eingelegt habe, habe die Klägerin nicht darauf vertrauen dürfen, die Leistungen behalten zu können. Zudem hätten die ersten beiden Bescheide, die als Einheit anzusehen seien, einen entsprechenden Vorbehalt enthalten. Der Anspruch sei nicht verjährt. Er sei nicht schon 1971 mit dem Berufungsurteil, sondern erst 1974 mit der Verkündung des Revisionsurteils entstanden. Die Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse und die Entreicherungseinrede seien bei Rückzahlungsverpflichtungen auf dem Gebiet des Arbeitsförderungsrechts im allgemeinen ausgeschlossen.
Die Klägerin rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung der §§ 151, 152 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), § 717 Abs 2 ZPO und des § 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch 1 (SGB 1). Sie macht geltend, es könne nicht dahingestellt bleiben, ob sich der Rückforderungsanspruch auf § 717 Abs 2 ZPO stützen lasse. An dem nach § 717 Abs 2 ZPO erforderlichen Zusammenhang zwischen vorläufiger Vollstreckbarkeit und entstandenem Schaden fehle es, soweit die Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis 24. September 1970 Leistungen erbracht habe. Für diesen Zeitraum habe die Berufung der Beklagten aufschiebende Wirkung gehabt. Im Sozialrecht richte sich die Rückzahlungspflicht nach dem Leistungsrecht, wenn dieses Vorschriften über die Erstattung zu Unrecht empfangener Leistungen enthalte. Demnach könnten nach § 151 Abs 1 AFG Ausführungsbescheide grundsätzlich aufgehoben werden, wenn das leistungsbewilligende Urteil keinen Bestand gehabt habe; das gleiche gelte für Verwaltungsakte, die eine vorläufige Regelung getroffen hätten. Das Rückforderungsbegehren der Beklagten scheitere jedoch daran, daß die in § 152 Abs 1 AFG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Insbesondere habe die Klägerin bei Empfang der Urteilsleistung weder gewußt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht gewußt, daß die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorgelegen hätten. Vielmehr sei davon auszugehen, daß ein Versicherter, der ein für ihn günstiges Urteil erstritten habe, der Überzeugung sei und auch sein dürfe, daß ihm ein Anspruch auf die Leistung zustehe. Schließlich sei das Rückforderungsbegehren deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte bisher nicht geprüft habe, ob die durchgeführte Maßnahme als Umschulung zu fördern sei. Dies stelle einen Verstoß gegen § 2 Abs 2 SGB 1 dar. Es stehe daher noch nicht bindend fest, daß die Förderungsleistungen zu Unrecht gezahlt seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 9. Mai 1979, das Urteil
des SG vom 24. Mai 1978 sowie den Bescheid
der Beklagten vom 10. August 1976 idF des
Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 1976
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, in dem Urteil vom 19. März 1974 habe der erkennende Senat rechtskräftig entschieden, daß die Maßnahme auch nicht als Umschulung zu fördern sei.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klägerin ist verpflichtet, die aufgrund des sozialgerichtlichen Urteils vorbehaltlich der - später nicht erfolgten - Bestätigung dieses Urteils erhaltenen Geldleistungen zurückzuerstatten.
Die Klägerin hat das von der Beklagten gezahlte Uhg, die Fahrkosten sowie die Zuschüsse für Lernmittel und Arbeitskleidung letztlich zu Unrecht erhalten. Rechtsgrundlage der Leistungen war das nicht rechtskräftige Urteil des SG. Diese Rechtsgrundlage war nicht endgültig. Sie entfiel mit dem die Klage abweisenden Urteil des LSG; seit dem Urteil des Senats vom 19. März 1974 steht fest, daß die Rechtsgrundlage entfallen bleibt. Mit dem Urteil des SG sind auch die Bescheide der Beklagten, mit denen sie das Urteil des SG zur vorläufigen Regelung des Streitverhältnisses zugunsten der Klägerin ausführte, hinfällig geworden, ohne daß es ihrer Aufhebung durch das Gericht oder der Rücknahme durch die Beklagte bedurft hätte (vgl BSGE 9, 169, 170; BSG Breithaupt 1966, 614, 615; Bay LSG ABA 1963, 243). Der Klägerin ist der Einwand verwehrt, ihr stehe nach materiellem Recht ein Anspruch auf Förderung des Besuchs der Lehranstalt als Umschulungsmaßnahme zu. Die Klage, mit der die Klägerin diesen materiellen Anspruch durchzusetzen versucht hat, hatte im Ergebnis keinen Erfolg; damit steht zwischen den Beteiligten gem § 141 SGG rechtskräftig fest, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Förderung hatte. Wie der Senat in seinem Urteil vom 19. März 1974 zudem ausgeführt hat, war die Maßnahme auch nicht als Umschulung förderbar. Die Leistungen sind daher zu Unrecht gezahlt worden.
Zu Unrecht gezahlte Leistungen können nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes im öffentlichen Recht nur zurückgefordert werden, wenn und soweit dies Gesetz oder Recht erlauben. Leistungen nach dem AFG, die die Beklagte aufgrund eigener Entscheidung oder ohne Entscheidung zu Unrecht gewährt, können, wie die Revision zutreffend vorträgt, im allgemeinen nur zurückgefordert werden, wenn die Voraussetzungen des § 152 Abs 1 und 2 AFG vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) gegeben sind. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. So hat der Senat schon die Rückforderung unrechtmäßig gewährter Leistungen unabhängig von den Voraussetzungen des § 152 AFG aufgrund eines rechtmäßigen Rückforderungsvorbehalts zugelassen (BSGE 37, 155, 158 ff = SozR 4600 § 143 f Nr 1; BSGE 42, 184, 189 ff = SozR 4100 § 152 Nr 3; BSGE 45, 38 = SozR 4100 § 40 Nr 17). Ebenso ist - unabhängig von § 152 Abs 1 und 2 AFG - die Rückforderung von Leistungen zulässig, die die Beklagte nach eingelegtem Rechtsmittel unter Hinweis auf eine Rückzahlungspflicht beim Erfolg dieses Rechtsmittels in vorzeitiger Ausführung eines noch nicht rechtskräftigen Urteils gewährt hat, nachdem der Rechtsstreit rechtskräftig zu ihren Gunsten entschieden ist. Dies folgt aus dem ungeschriebenen Rechtssatz, der die Empfänger solcher vorläufiger Leistungen auf allen in § 51 SGG aufgeführten Rechtsgebieten zur Rückzahlung verpflichtet, wenn das Urteil auf dem die Leistung beruht, letztlich keinen Bestand hat (BSGE 33, 118); die Regelung des AFG stehen der Anwendung dieses ungeschriebenen Rechtssatzes im Arbeitsförderungsrecht nicht entgegen.
Sowohl das öffentliche als auch das private Recht sind von dem in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich ausgestalteten Grundsatz durchzogen, daß Leistungen, die ohne Rechtsgrund bewirkt worden sind, zurückzuerstatten sind; vor allem gilt dies für Leistungen, die unter Vorbehalt erbracht werden. Im Bereich des öffentlichen Rechts fordert insbesondere das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung den allgemein, aber mit vielerlei Einschränkungen herrschenden Grundsatz, daß zu Unrecht empfangene Leistungen zurückzuerstatten sind. Den Rechtsgebieten, die der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen sind, ist dieses Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht fremd. Vielfach setzen besondere Vorschriften des Sozialverwaltungsrechts, die den Anspruch auf Rückerstattung zu Unrecht empfangener Leistungen insbesondere aus Gründen des Vertrauensschutzes einschränken oder in das Ermessen des Leistungsträgers stellen, grundsätzlich ein Rückforderungsrecht voraus (§§ 628, 1301 Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 80 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-, § 93 Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-, § 47 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopfer -VwVfG-KOV-). Wo nicht besondere Vorschriften gelten, wird auf den allgemeinen Grundsatz, daß zu Unrecht geleistete Zahlungen der öffentlichen Hand zu erstatten sind, zurückgegriffen (BSGE 32, 52, 54; BSG SozR 2200 § 1301 Nr 9). Dies gilt auch im Arbeitsförderungsrecht; § 152 Abs 1 und 2 AFG schränken das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs lediglich in seinem Anwendungsbereich ein.
Zu Unrecht geleistete Zahlungen sind insbesondere zurückzuerstatten, soweit sie aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Urteils erbracht worden sind. Die ZPO gewährte in ihrer ursprünglichen Fassung für den Fall der Aufhebung oder Abänderung des vorläufig vollstreckbaren Urteils dem Beklagten nur einen Anspruch auf Erstattung des Gezahlten oder Geleisteten; ob dem Beklagten auch Schadensersatz zu leisten war, richtete sich nach Landesrecht (vgl Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl, § 717 RdNr 7). Die ZPO-Novelle von 1898 verschmolz Erstattung und Schadensersatz. Seitdem geht die ZPO davon aus, daß ein Gläubiger, der vor Rechtskraft vollstreckt, dies grundsätzlich auf eigene Gefahr tut. Dem Beklagten ist daher im Rahmen eines eigenständigen materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs nicht nur das Geleistete zurückzugewähren, sondern auch jeder weitere Schaden zu ersetzen (§ 717 Abs 2 Satz 1 ZPO). Soweit § 717 Abs 3 Satz 1 ZPO dem letztlich obsiegenden Beklagten ausnahmsweise diesen (und jeden anderen) Schadensersatzanspruch versagt, bleibt ihm die Rückerstattung des Gezahlten oder Geleisteten (§ 717 Abs 3 Satz 2 ZPO). Diese Regelung gilt entsprechend auch im Arbeitsgerichtsverfahren (§ 62 Abs 2 Arbeitsgerichtsgesetz -ArbGG-; vgl dazu Münzberg aaO RdNr 73 f und Grunsky, ArbGG, 3. Aufl, § 62 RdNr 9), im Verfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-, soweit Urteile für vorläufig vollstreckbar erklärt werden können (§ 167 VwGO; vgl dazu Baumbach/Lauterbach, ZPO, 38. Aufl, § 717 Anm 6; Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl, § 167 RdNr 19) und im Verfahren nach der Finanzgerichtsordnung (FGO) bei Vollstreckung gegen die öffentliche Hand (§ 151 FGO; Görg/Müller, FGO, § 151 RdNr 815 und Leise/Paleit, FGO, § 151 Anm 5).
Der demnach in allen vergleichbaren anderen Prozeßordnungen geltende Satz, daß Leistungen, die aufgrund eines noch nicht rechtskräftigen Urteils erbracht worden sind, jedenfalls nach endgültiger Aufhebung des Urteils zurückzugewähren sind, gilt auch für die Sozialgerichtsbarkeit. In der Sozialgerichtsbarkeit sind zwar die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit der ZPO nicht anzuwenden (§ 198 Abs 2 SGG), doch kann aus gerichtlichen Entscheidungen, soweit kein Aufschub eintritt, vollstreckt werden (§ 199 Abs 1 Nr 1 SGG). Aufschub bewirkt die Berufung eines Leistungsträgers, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlaß des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen (§ 154 Abs 2 SGG). Die demnach mögliche Vollstreckbarkeit nicht rechtskräftiger Urteile hinsichtlich solcher Beträge, die für die Zeit ab Erlaß des Urteils gezahlt werden sollen, stellt keinen endgültigen Rechtsgrund für die Leistung dar. Zwar sieht das SGG nicht ausdrücklich die Rückerstattung des vollstreckten oder zur Abwendung der Vollstreckung gezahlten Betrages nach Aufhebung des Urteils vor, doch setzt das Gesetz einen solchen Anspruch voraus. Dies folgt aus § 199 Abs 2 SGG. Nach dieser Vorschrift kann nämlich ua die Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung des vollstreckenden Gläubigers abhängig zu machen, ist nur dann sinnvoll, wenn eine Rückforderung des vollstreckten Betrages in Betracht kommt. Eine solche Rückerstattung von Leistungen aufgrund eines nicht rechtskräftigen Urteils ist auch in den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Rechtsgebieten teilweise ausdrücklich vorgesehen. So setzen §§ 628, 1301 RVO, § 80 AVG und § 93 Abs 2 RKG ein Rückforderungsrecht voraus, wenn dort bestimmt ist, daß der Versicherungsträger eine Leistung nicht zurückfordern muß (und in bestimmten Fällen nicht zurückfordern darf), die er vor rechtskräftiger Entscheidung zahlen mußte oder zu Unrecht gezahlt hat. Auch vor der Reform der Renten- und Unfallversicherung von 1957 und 1963 hat es entsprechende Vorschriften gegeben, die letztlich auf die vorläufige Urteilsausführung nach § 1710 RVO aF zurückgehen. Für den Bereich der Kriegsopferversorgung (KOV) hat das Bundessozialgericht ebenfalls in ständiger, allerdings unterschiedlich begründeter Rechtsprechung angenommen, daß "Urteilsrenten" der KOV grundsätzlich zurückgefordert werden können, wenn auch die Rückforderung im Einzelfall den Einschränkungen des § 47 Abs 4 VwVfG-KOV unterliegt (BSGE 27, 102; 33, 118; 39, 255 = SozR 1500 § 154 Nr 3; Breithaupt 1966, 514; 1971, 80). Der nur vorläufig befriedigte Kläger, der mit einer Änderung des für ihn günstigen Urteils zu rechnen hat, muß daher die Rückerstattung in Kauf nehmen.
Von dem Rechtsgrundsatz, nach dem - vorbehaltlich besonderer Einschränkungen in den einzelnen Rechtsmaterien - in allen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Streitigkeiten das, was aufgrund eines vorläufig ausgeführten Urteils erlangt wird, nach rechtskräftiger Aufhebung des Urteils zurückzuerstatten ist, ist das Arbeitsförderungsrecht nicht ausgeschlossen. Die Vorschriften der §§ 151, 152 AFG stehen diesem Rechtsgrundsatz nicht entgegen. Die Rückforderungsvorschriften des § 152 Abs 1 und 2 AFG gelten nur für Leistungen, die die Beklagte selbst bewilligt oder ohne Bewilligung ausgezahlt hat. Leistungsgrund ist in der ersten Fallgruppe der Bewilligungsbescheid. Er muß beseitigt sein, wenn ein Rückforderungsanspruch geltend gemacht werden soll. Ausdrücklich verlangt § 152 Abs 1 Satz 1 AFG unter Hinweis auf § 151 AFG die Aufhebung einer Entscheidung, dh in der Regel die Aufhebung eines vom Direktor des Arbeitsamtes erlassenen Bewilligungsbescheids (§ 146 AFG).
Leistungsgrund bei vorläufiger Ausführung eines Urteils ist aber das Urteil selbst. Mit dem Wegfall des nicht rechtskräftigen Urteils entfallen die zu seiner Ausführung ergangenen Bescheide von selbst, auch soweit sie auf dem Urteil basierende eigenständige Regelungen enthalten; einer Aufhebung der Bescheide nach § 151 AFG bedarf es nicht (vgl BSGE 9, 169, 170; BSG Breithaupt 1966, 614, 615). Schon deshalb kommt § 152 Abs 1 AFG nicht zur Anwendung (so schon Bay LSG ABA 1963, 243 zu § 185 AVAVG, dem die §§ 151, 152 AFG nachgebildet sind). Die Ausformung des dieser Vorschrift zugrundeliegenden Vertrauensschutzes ist auf die Rückerstattung von vorläufigen Urteilsleistungen auch nicht entsprechend anwendbar. Es trifft zwar zu, daß der Empfänger einer solchen Leistung jedenfalls bis zur Aufhebung des für ihn günstigen Urteils in der Regel weder weiß, noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht weiß, daß die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorliegen. Doch weiß der Empfänger einer Urteilsleistung, der wie die Klägerin zu Beginn der Zahlungen ausdrücklich auf eine Rückzahlungspflicht hingewiesen worden ist, daß das die Leistung gewährende Urteil keinen Bestand haben muß, das letzte Wort, ob ihm die Leistung überhaupt zusteht, daher noch nicht gesprochen ist. Das unterscheidet ihn maßgeblich von Leistungsempfängern, die aufgrund eines vorbehaltslosen, unrichtigen Bescheids Leistungen erhalten haben. Sie verdienen mehr an Vertrauensschutz, weil der Bescheid ihre Ansprüche abschließend feststellen sollte (BSGE 27, 102, 107; 33, 118, 121; BSG Breithaupt 1966, 614, 615). Die Rechtsprechung hat daher, soweit die RVO die Rückforderung einer "Urteilsrente" davon abhängig macht, daß der Empfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht zustand, nicht auf die subjektiven Erwartungen des Klägers über den Ausgang des Rechtsstreits abgestellt; sie hat die Rückforderung vielmehr für gerechtfertigt angesehen, wenn, wie das hier der Fall ist, der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistungen nur vorbehaltlich gewährt werden (BSG SozR RVO § 628 Nr 3 und SozR RVO § 1301 Nr 10; vgl auch BSG SozR RVO § 1301 Nr 18 und SozR 2200 § 1301 Nr 1). Besonderheiten des Arbeitsförderungsrechts, die anders als in den sonstigen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Rechtsgebieten die Rückforderung von Urteilsleistungen verbieten, sind nicht ersichtlich; ebenso wie die Empfänger von Leistungen aufgrund von Bewilligungsbescheiden, die zulässigerweise mit einem Vorbehalt versehen sind, sind daher auch Empfänger von Urteilsleistungen der Rückforderung ausgesetzt.
Dies gilt auch hinsichtlich der Leistungen, die die Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis 23. September 1970 erhalten hat. Insoweit unterlag das Urteil des SG wegen der aufschiebenden Wirkung der Berufung der Beklagten allerdings unter keinen Umständen der Vollstreckung. Die Beklagte hätte sich daher auf Leistungen ab 24. September 1970 beschränken können. Dies ändert jedoch nichts daran, daß auch die Gewährung der Leistungen für die Zeit vor dem 24. September 1970 zur Ausführung des vorher mit der Berufung angefochtenen Urteils erfolgte und damit von dem Bestand dieses Urteils abhängig war, wie dem Hinweis im Bescheid vom 22. Dezember 1970 zu entnehmen ist (vgl BSGE 9, 169, 170; 4, 253, 255). Die Erwägung, daß die nur vorläufig zu befriedigende Klägerin mit einer Aufhebung des für sie günstigen Urteils rechnen muß und das Risiko trägt, ob es endgültig bei der Ausführung des Urteils bleibt, rechtfertigt den Grundsatz, daß sie alles, was sie in Ausführung des zuerkennenden Urteils erlangt, zurückzuerstatten hat, einerlei ob formal eine Vollstreckung nach § 199 Abs 1 Nr 1 SGG hätte erfolgen können (vgl BSGE 39, 255, 259 = SozR 1500 § 154 Nr 3). Gegen den Erstattungsanspruch kann die Klägerin nicht einwenden, daß die Überzahlung insoweit von der Beklagten "verschuldet" sei, als dieser Teil des Urteils nicht hätte vollstreckt werden können. Zwar hat der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Einschränkungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in anderen Bereichen des Sozialverwaltungsrechts durchaus berücksichtigt, ob die Überzahlung vom Leistungsträger verschuldet worden ist. Hiervon ist im Bereich des AFG jedoch abgesehen worden. Der Senat hat daher schon zu § 152 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Nr 2 AFG ausgesprochen, daß ein Verschulden der Behörde keine Rolle spiele (SozR 4100 § 152 Nr 8; Urteil vom 2. Februar 1980 - 7 RAr 13/79). Das ist auch hier zu beachten. Es stellen sich daher nicht die Fragen, wann der Leistungsträger durch eine vorläufige, im Interesse des Empfängers stehende Leistungsgewährung, zu dem der Leistungsträger nicht hätte gezwungen werden können, schuldhaft eine Überzahlung herbeiführt (vgl BSGE 39, 86, 90 f = SozR 2200 § 628 Nr 1) und ob der Empfänger mit dem Einwand, insoweit habe der Leistungsträger von der vorläufigen Ausführung des Urteils absehen können, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (venire contra factum proprium) ausgeschlossen ist (vgl BSGE 39, 255, 259 = SozR 1500 § 154 Nr 3).
Der Rückforderung steht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, ferner nicht entgegen, daß die Klägerin die Leistungen verbraucht hat. Nach § 152 Abs 3 AFG wird die Rückzahlungspflicht nach den Abs 1 und 2 von § 152 AFG nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Der Wegfall der Bereicherung kann hiernach nicht geltend gemacht werden. Allerdings steht nicht unmittelbar eine Rückforderung nach § 152 AFG im Streit, sondern eine aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Wenn aber § 152 Abs 3 AFG den Entreicherungseinwand ausdrücklich ausschließt, so stellt das Gesetz (deklaratorisch) klar, daß auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch im Bereich des Arbeitsförderungsrechts die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 812 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die in anderen Rechtsgebieten teilweise zur Lückenausfüllung herangezogen werden, unanwendbar sind (BSGE 45, 38, 46 mwN = SozR 4100 § 40 Nr 17). Besondere Gründe, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, den Entreicherungseinwand im Falle der Rückforderung einer Urteilsleistung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Da die Leistungen zur Ausbildungsförderung wie auch die anderen Leistungen des AFG in aller Regel zur Unterhaltssicherung dienen und daher alsbald verbraucht werden, würde der Entreicherungseinwand fast immer dazu führen, daß der letztlich erfolglose Kläger die Leistung behalten könnte. Dies widerspräche der Vorläufigkeit der Ausführung des nicht rechtskräftigen Urteils. Ebensowenig beeinträchtigen die wirtschaftlichen Verhältnisse die Rückforderung nach dem AFG; sie lassen sich vielmehr nur im Rahmen des Einziehungsverfahrens berücksichtigen.
Daß der Rückforderungsanspruch nicht verwirkt ist, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Schließlich hat das LSG zutreffend dargelegt, daß der Rückforderungsanspruch erst mit dem Urteil des Senats vom 19. März 1974 entstanden ist und daher im August 1976 noch nicht verjährt war.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen