Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Berufung

 

Orientierungssatz

1. Die Unzulässigkeit der Berufung hat das Revisionsgericht bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten (vgl BSG 1956-02-29 10 RV 75/55 = BSGE 2, 225, 226 f, BSG 1980-07-09 9 RV 30/79).

2. Für die Berufungsfähigkeit eines Urteils ist nicht die Klageart maßgebend, sondern das sachliche Begehren, das je nach der Verfahrenslage mit einer Anfechtungs- oder Leistungs- oder Verpflichtungsklage (SGG § 54) oder mit einer Feststellungsklage (SGG § 55) geltend gemacht wird, dh dasjenige, was als Ziel des Prozesses in der Sache durchgesetzt werden soll (ständige Rechtsprechung des BSG 1976-02-04 9 BV 342/75 = SozR 1500 § 148 Nr 1).

 

Normenkette

SGG § 158 Abs 1 Fassung: 1953-09-03, § 54 Fassung: 1953-09-03, § 55 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 06.04.1979; Aktenzeichen L 8 V 372/77)

SG Mannheim (Entscheidung vom 30.11.1976; Aktenzeichen S 10 V 1/76)

 

Tatbestand

Die Klägerin bezieht im Rahmen der Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Ausgleichsrente und Schadensausgleich. Das Versorgungsamt berücksichtigte bei deren Berechnung ua Einnahmen aus einem Mietwohngrundstück der Klägerin in München. Da die Aufwendungen für das Haus stets die daraus entstandenen Mieteinnahmen überstiegen, ergab sich seit 1971 kein anrechenbares Einkommen. Im notariellen Übergabevertrag vom 19. Dezember 1974 hat die Klägerin das Grundstück ihrer Tochter M zum 1. Januar 1975 unentgeltlich übertragen; dies teilte sie dem Versorgungsamt mit. Die Klägerin begründete die Übereignung damit, daß sie selbst nicht mehr in der Lage sei, das Objekt zu halten; die Erhaltungskosten überstiegen seit mehr als zehn Jahren die Mieteinkünfte. Mit Bescheid vom 21. August 1975 stellte der Beklagte die vom Einkommen abhängigen Versorgungsleistungen für das Jahr 1974 endgültig und für das Jahr 1975 vorläufig fest. Dabei legte er dem Bruttoeinkommen der Klägerin weiterhin Einnahmen aus dem Grundstück zugrunde, weil die Veräußerung keinen "verständigen Grund" nach § 1 Abs 2 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG (DV) erkennen lasse. Der Widerspruch war erfolglos (Bescheid vom 2. Dezember 1975). Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten, bei der vorläufigen Feststellung des Schadensausgleichs und der Ausgleichsrente ab 1. Januar 1975 Einnahmen aus dem Hausgrundstück nicht mehr zugrunde zu legen. Auf den zusätzlich von der Klägerin erst im Laufe des Gerichtsverfahrens erhobenen Antrag stellte es außerdem fest, daß bei diesen Versorgungsleistungen auch künftig nicht das Münchner Grundeigentum berücksichtigt werden dürfe. Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte mit Bescheid vom 30. März 1977 die Versorgungsleistungen für die Jahre 1975 und 1976 endgültig und für die Zeit ab 1. Januar 1977 vorläufig festgesetzt und dabei als Überschuß aus dem Münchner Haus null DM angesetzt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zur Feststellungsklage als unbegründet zurückgewiesen und im übrigen als unzulässig verworfen (Urteil vom 6. April 1979): Hinsichtlich der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei die Berufung unzulässig, weil es sich um die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse handele und es außerdem um die Höhe der Ausgleichsrente gehe (§ 148 Nrn 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Die Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr 2 SGG statthaft. Die Feststellungsklage sei begründet, weil die Klägerin ihr Grundstück aus verständigem Grund veräußert habe. Ob die unentgeltliche Veräußerung des Hauses berechtigt gewesen sei, könne der Senat nicht entscheiden, weil ein Bescheid über die Anrechnung eines fiktiven Zinsertrages auf die Ausgleichsrente nicht ergangen sei. - Das LSG hat die Revision hinsichtlich der Feststellungsklage zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er hat nachträglich eingeräumt, daß die Klägerin den Hausbesitz aus verständigem Grund an die Tochter übergeben habe. Sie hätte aber das Grundstück nicht unentgeltlich übertragen dürfen; vielmehr hätte sie sich ohne besonderen finanziellen Aufwand eine Leibrente als Gegenleistung für die Übereignung ausbedingen können. Mit der unentgeltlichen Veräußerung dieses Vermögensteils habe die Klägerin eine Verfügung getroffen, die dem Vorrang der Verwertung des erzielbaren Eigeneinkommens widerspreche und deshalb versorgungsrechtlich als nicht vorgenommen angesehen werden müsse.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts und des

Landessozialgerichts abzuändern und die

Feststellungsklage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die zugelassene Revision kann sich auf die Feststellung eines zeitlich abtrennbaren Anspruchs im prozessualen Sinn (BSGE 2, 135, 136) beschränken (BSGE 3, 135, 138 f; BVerwGE 43, 147, 148). Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß der Beklagte im Laufe des Revisionsverfahrens der Auffassung der Klägerin und der Vorinstanzen zugestimmt hat, das Hausgrundstück sei aus verständigem Grund auf die Tochter übertragen worden. Damit hat der Revisionskläger nicht etwa seine notwendige Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) insgesamt zurückgenommen, sondern nur einen Teil derselben aufgegeben. Weiterhin strebt er mit dem Rechtsmittel eine Klärung der Rechtsfrage an, ob er auf die einkommensabhängigen Leistungen einen fiktiven Zinsbetrag oder eine Leibrente oder einen Sachbezug anrechnen darf. Dies kann im Ergebnis die Höhe der Ausgleichsrente und des Schadensausgleichs berühren, während die Klägerin die Leistungen um keinerlei Einkünfte aus dem Vermögensgegenstand Hausgrundstück gekürzt haben will.

Die Revision hat aber keinen Erfolg.

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend der Berufung, soweit sie die Feststellungsklage betraf, nicht stattgegeben. Allerdings hat es zu Unrecht ein Sachurteil erlassen. Das Gericht hätte vielmehr auch insoweit das Rechtsmittel als unzulässig verwerfen müssen (§ 158 Abs 1 SGG), was im Tenor des Revisionsurteils zum Ausdruck kommt. Die Unzulässigkeit hat das Revisionsgericht bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten (BSGE 2, 225, 226 f; BSG 9 RV 30/79 vom 9. Juli 1980). Auch die auf das Feststellungsurteil bezogene Berufung war nach § 148 Nrn 3 und 4 SGG ausgeschlossen; denn sie betraf die künftigen Neufeststellungen der Ausgleichsrente und des Schadensausgleichs wegen Änderung der Verhältnisse (§ 62 Abs 1 BVG) sowie die künftige Höhe der Ausgleichsrente, und zwar zeitlich anschließend an die mit der Anfechtungsklage angegriffene und rechtskräftig erledigte Neufestsetzung von 1975. Für die Berufungsfähigkeit eines Urteils ist nicht die Klageart maßgebend, sondern das sachliche Begehren, das je nach der Verfahrenslage mit einer Anfechtungs- oder Leistungs- oder Verpflichtungsklage (§ 54 SGG) oder mit einer Feststellungsklage (§ 55 SGG) geltend gemacht wird, dh dasjenige, was als Ziel des Prozesses in der Sache durchgesetzt werden soll (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-, zB BSGE 18, 266, 267 = SozR Nr 22 zu § 144 SGG; SozR Nrn 14 und 20 zu § 146 SGG; SozR 1500 § 148 Nr 1). In der Sache geht es aber auch bei der vom SG ausgesprochenen Feststellung darum, ob die Verwaltung - abweichend von den vorausgegangenen rechtsverbindlichen Feststellungen - überhaupt Einnahmen der Klägerin aus dem übertragenen Hausgrundstück auf die Ausgleichsrente und auf den Schadensausgleich anrechnen darf.

Die die Feststellungsklage betreffende Berufung war auch nicht nach § 150 Nr 2 SGG zulässig. Zutreffend hat das LSG über die Frage, ob das angefochtene Urteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhte, nach der sachlich-rechtlichen Auffassung des SG entschieden (BSGE 2, 84, 87). Es hat daher das Vordergericht nicht für verpflichtet gehalten, den Zustand des Gebäudes im Jahr 1974 und die anschließenden Sanierungsmaßnahmen zu ermitteln (§ 103 SGG), nachdem das Grundstück schon 1974 übertragen worden war. Diese Beurteilung des Verfahrens hat das Berufungsgericht zwar auf die Entscheidung über die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage beschränkt; gleiches gilt aber für die Feststellungsklage.

Da die Berufung insgesamt als unzulässig zu behandeln ist, kann die Frage, ob die Feststellungsklage überhaupt zulässig war, vom Rechtsmittelgericht nicht überprüft werden.

Auf die Revision, die auf das Feststellungsverfahren beschränkt ist, ist nicht mehr zu kontrollieren, ob das LSG über den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 30. März 1977, der in dieses Verfahren einbezogen war (§ 153 Abs 1, § 96 SGG; BSGE 4, 24, 26; 18, 231), aber im Ergebnis das Einkommen aus dem übertragenen Hausgrundstück mit null DM ansetzt, sachlich hätte entscheiden müssen. Im übrigen ist die Klägerin durch diesen Bescheid nicht beschwert.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651475

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