Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderzuschuß der gesetzlichen Rentenversicherung bis zur vollen Höhe nach § 48 Abs. 2 für den tatsächlichen Unterhaltszahler des Kindes
Leitsatz (redaktionell)
Durch ein rechtkräftiges Unterhaltsurteil ist die gesetzliche Unterhaltspflicht i.S.d. § 48 SGB I bestimmt und gleichzeitig begrenzt, so daß für weitergehende Auszahlungsansprüche kein Raum bleibt. Soweit keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht, kann nach § 48 Abs. 2 SGB I der Kinderzuschuß der gesetzlichen Rentenversicherung bis zur vollen Höhe demjenigen ausgezahlt werden, der für den Unterhalt des Kindes tatsächlich aufkommt.
Normenkette
SGB I § 48 Abs. 2
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Auszahlung des dem Beigeladenen gewährten Kinderzuschusses für die Zeit vom 1. Dezember 1976 bis zum 31. März 1978.
Der Beigeladene bezieht von der Beklagten Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Gegenüber dem Kläger als seinen nichtehelichen Sohn ist er aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 1969 zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts in Höhe von 105,-- DM verpflichtet. Insoweit wurde der Rentenanspruch des Beigeladenen gegenüber der Beklagten gepfändet. Den Betrag zahlte die Beklagte nach der Rentenbewilligung laufend an den Kläger z.H.d. seines gesetzlichen Vertreters. Dieser beantragte im Oktober 1976 bei der Beklagten, zu seinen Händen den vollen Kinderzuschuß in Höhe von 152,90 DM monatlich zu zahlen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 29. Dezember 1996 ab. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch gab die Beklagte teilweise insofern statt, als sie die Auszahlung des vollen Kinderzuschusses vom kassentechnisch nächstmöglichen Zeitpunkt, nämlich ab 1. April 1978 vornahm, für die zurückliegende - hier streitige - Zeit die Auszahlung des vollen Kinderzuschusses ablehnte (Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1978).
Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Abeck hinsichtlich des streitigen Zeitraums stattgegeben und hinsichtlich der Zeit ab dem 1. April 1978 den Rechtsstreit auf Antrag des Beigeladenen an das SG Hamburg verwiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht - (LSG) durch Urteil vom 3.Juni 1980 das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und, die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung führt das LSG aus, die begehrte Zahlung des Kinderzuschusses in voller Höhe könne nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) gestützt werden, weil der Beigeladene im vollen Umfang seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kläger nachkomme. Seine Unterhaltspflicht werde durch das rechte kräftige Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 1969 bestimmt. Über dieses Urteil hinaus habe die Beklagte im Rahmen des § 48 SGB 1 kein eigenes Prüfungsermessen. Die Zahlung des Kinderzuschusses könne auch nicht auf § 48 Abs. 2 SGB I gestützt werden, weil der Beigeladene kraft Gesetzes dem Kläger gegenüber unterhaltspflichtig sei.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er trägt vor, die Beklagte zahle den Kinderzuschuß in voller Höhe ab 1. April 1978 aus. Es sei nicht einzusehen, warum dies nicht bereits ab 1. Dezember 1976 geschehen solle. Eine Erhöhung des Unterhaltes im Wege einer Abänderungsklage nach § 323 Zivilprozeßordnung (ZPO) sei gegen den Beigeladenen nicht. zu erzielen, da dieser nur eine monatliche Rente von 446, 40 DM einschließlich Kinderzuschuß beziehe. Auch sei der Beigeladene nicht zur Abtretung des vollen Kinderzuschusses bereit.
Der Kläger beantragt,das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 3. Juni1980 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Lübeck vom 28. August 1979 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und stützt sich darauf, daß hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung des Beigeladenen ein rechtskräftiges Urteil vorliege. Deshalb sei für eine weitergehende Abzweigung des Kinderzuschusses kein Raum.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig.
Das Jugendamt hat die Revision zu einem Zeitpunkt eingelegt - am 11. August 1980 - als der Kläger zwar noch nicht volljährig, aber bereits handlungsfähig i.S.d. § 36 SGB I war. Diese Prozeßhandlung ist zulässig, weil das Jugendamt, auch ohne gesetzlicher Vertreter des Klägers zu sein, nach Art. 12 § 7 des Nichtehelichen-Gesetzes vom 19. August 1969 die Obliegenheiten eines Pflegers nach § 1706 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wahrnehmen kam. Soweit das Jugendamt, die Aufgabe der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen des nichtehelichen Kindes gegenüber dem Vater wahrnimmt (vgl. § 1706 Nr. 2 BGB) - hier die Auszahlung des Kindergeldzuschusses an das Kind handelt es allerdings auch dann, wenn das Kind eine Prozeßvollmacht erteilt, nicht als ein, bloß gewillkürter Vertreter, sondern gleichzeitig aufgrund eigener Rechtsbefugnis (vgl. BSG Urteil vom 22. Oktober 1971 - 7 RAr 38/70 = BSGE 33, 175); in einem derartigen Falle kam dem Jugendamt das in § 166 Abs. 1 SGG eingeräumte Behördenprivileg nicht versagt werden (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 1973 - 3 RK 45/72 = SozR Nr. 45 zu § 166 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die Revision ist auch begründet.
Der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des dem Beigeladenen gewährten Kinderzuschusses in voller Höhe ergibt sich aus § 48 Ab S. 2 SGB I.
Dem LSG ist darin zu folgen, daß der Anspruch des Klägers nicht auf § 48 Abs. 1 SGB I gestützt werden kann. Diese für alle Geldleistungen geltende Vorschrift setzt voraus, daß der Leistungsberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Dies ist hier nicht der Fall. Die gesetzliche Unterhaltspflicht des Beigeladenen ist durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 1969 auf 105,-- DM monatlich bestimmt und damit gleichzeitig begrenzt worden. Dieser Verpflichtung kommt der Beigeladene nach. Ein Rechtssatz des Inhalts, daß unbeschadet eines rechtskräftigen Unterhaltsurteils die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung mindestens in Höhe des Kinderzuschusses besteht, läßt sich aus $ 48 Abs. 1 SGB 1 nicht ableiten. Diese Vorschrift stellt nicht auf Kinderzuschüsse bzw., Kinderzulagen ab, sondern gilt für alle laufenden Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, auch wenn sie ohne Rücksicht auf den Familienstand des Berechtigten gewährt werden. In diesem Rahmen würde es der Grundsatz der Rechtssicherheit wie auch der Gewaltenteilung widersprechen, wenn ein Sozialleistungsträger - hier, die Beklagte - berechtigt wäre, zugunsten eines Unterhaltsberechtigten über ein rechtskräftiges Urteil, das dieser gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten erstritten hat, hinauszugehen. Für die Abänderung eines rechtskräftigen Unterhaltsurteils zum Zwecke der Erhöhung des Unterhaltsbetrages gibt es das Verfahren der Abänderungsklage nach § 323 ZPO dieses Verfahren kann und soll durch § 48 Abs. 1 SGB 1 nicht ersetzt werden. Auch soll diese Vorschrift nicht die Möglichkeit eröffnen, das wirtschaftliche Ziel einer Abänderungsklage zu erreichen, wenn diese erfolglos geblieben ist. Liegt ein Unterhaltstitel in Form eines rechtskräftigen Urteils vor, so ist damit die gesetzliche Unterhaltspflicht i.S.d. § 48 Abs. 1 SGB I bestimmt und gleichzeitig begrenzt, so daß für weitergehende Auszahlungsansprüche nach dieser Vorschrift kein Raum mehr bleibt.
Indessen kann der Kläger seinen Anspruch auf § 48 Abs. 2 SGB I stützen. Diese Vorschrift setzt voraus, daß für Kinder, denen gegenüber der Leistungsberechtigte nicht Kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist, Geldleistungen erbracht werden und der Leistungsberechtigte diese Kinder nicht unterhält. Sie erweitert die Möglichkeiten der Auszahlung des Kinderzuschusses an Dritte insofern, als es nicht mehr auf das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht ankommt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß - wie das LSG meint - das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung schlechthin die Anwendung des § 48 Abs. 2 SGB I ausschließe. Das völlige Fehlen einer Unterhaltsverpflichtung kann im Hinblick auf die Zweckbestimmung des Kinderzuschusses (Unterhalt des Kindes zu keinen anderen rechtlichen Konsequenzen führen als das teilweise Fehlen einer Unterhaltsverpflichtung für den nicht von dieser Verpflichtung erfaßten Teil des Kinderzuschusses; hinsichtlich dieses Teiles besteht keine gesetzliche Unterhaltspflicht. Die Regelung des § 48 Abs. 2 SGB I ist auch in den Fällen anwendbar, in denen für ein Kind Geldleistungen zu dessen Unterhalt, erbracht werden, die nicht oder nicht mehr durch eine Unterhaltsverpflichtung gedeckt sind. Erhält demnach ein Rentenempfänger der nicht für ein Kind aufkommt für dieses einen Kinderzuschuß, so kann der Kinderzuschuß selbst dann bis zu seiner vollen Höhe an die Unterhalt gewährende Person oder Stelle ausgezahlt werden, wenn er höher ist als der gesetzliche Unterhaltsanspruch. Nur dadurch kann vermieden werden, daß sich der Rentenbezieher den wirtschaftlichen Nutzeffekt des Kinderzuschusses selbst zueignet.
Für den nichtehelichen Sohn des Beigeladenen werden von der Beklagten Geldleistungen in Form des Kinderzuschusses erbracht. Dieser ist zwar ein Bestandteil der Rente, er ist jedoch dazu bestimmt, wirtschaftlich im Ergebnis dem vom Rentenberechtigten zu unterhaltende Kind zu zufließen. Schon das Reichsversicherungsamt (RVA) hat in seiner grundsätzlichen Entscheidung vom 7. Januar 1914 (GE Nr. 1815 AN 1914 S. 431, 432) den Zweck des Kinderzuschusses dahin gekennzeichnet, "die Notlage der Kinder erwerbsunfähiger Personen zu vermindern und im Interesse der Wehrfähigkeit und der volkswirtschaftlichen Wohlfahrt Deutschlands die gesundheitliche Verkümmerung eines Teils der heranwachsenden Jugend zu verhüten. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es allerdings nach Ansicht des RVA nicht, die Gewährung des Kinderzuschusses davon abhängig zu machen, daß der Rentenempfänger den Unterhalt seiner Kinder bestreitet. Spätere gesetzliche Regelungen (z.B. § 1271 Abs. 6 Reichsversicherungsordnung -RVO- i.d.F. des Kindergeldergänzungsgesetzes vom 23. Dezember 1955 - BGBl. I S. 841 - sowie § 1262 Abs. 8 RVO i.d.F. vor Inkrafttreten des SGB I) sahen eine Abtretung des Kinderzuschusses an denjenigen vor, der das Kind überwiegend unterhält. Die vom Rentenempfänger vorzunehmende Abtretung konnte durch das Versicherungsamt ersetzt werden. Hieran wird deutlich, daß demjenigen der Kinderzuschuß zukommen soll, der durch, den Unterhalt des Kindes wirtschaftlich belastet ist. Dem Anspruch des Rentenberechtigten auf den Kinderzuschuß steht als Korrektiv die Möglichkeit gegenüber diesen Betrag an denjenigen auszuzahlen, der für den Unterhalt des Kindes tatsächlich aufkommt.
Diese Zuordnung des Kinderzuschusses zum Unterhalt des Kindes wirkt sich auch in der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Dort hat ein Kind Anspruch auf Familienhilfe (§ 205 Abs. 1 RVO), wenn der sonst sozialhilfebedürftige Versicherte für dieses Kind einen Kinderzuschuß erhält. In diesem Falle wird der Kinderzuschuß rechtlich als ein dem Kind vorbehaltener Unterhaltsbetrag behandelt, er kann deshalb vom Rentenbezieher trotz seiner Sozialhilfebedürftigkeit nicht für sich in Anspruch genommen werden (vgl. BSG Urteil vom 22. Oktober 1980 - 3 RK 54/78 - SozR 2200 § 205 Nr. 35). Insoweit haben das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKKG) wie der Kinderzuschuß der gesetzlichen Rentenversicherung dieselbe rechtliche und wirtschaftliche Funktion.
Nach § 48 Abs. 2 SGB 1 Steht allerdings die Auszahlung des Kinderzuschusses an einen Dritten im Ermessen des Versicherungsträgers. Auch die frühere Regelung des § 1262 Abs. 8 RVO a.F. gewährte dem Versicherungsamt bei der Entscheidung über die Ersetzung der Abtretungserklärung des Versicherten einen Ermessensspielraum, denn es bestand hierauf kein Rechtsanspruch. Das Ermessen hatte sich - ausschließlich oder wenigstens vornehmlich - am Wohl des Kindes zu orientieren (BSG vom 19. Juli 1963 - 1 RA 196/62 = BSGE 19, 241, 243 = SozR Nr. 7 zu § 1262 RVO; BSG vom 5. Dezember 1972 - 4 RJ 169/72 = SozR Nr. 32 zu § 1262 RVO). Wenn auch dabei nicht zu prüfen war, ob der Kinderzuschuß vom Rentenberechtigten seinem eigentlichen Verwendungszweck zugeführt wurde, so besagt das nicht, daß die tatsächliche Verwendung des Kinderzuschusses ohne jede Bedeutung gewesen wäre. Im allgemeinen wurde die Verwendung des Kinderzuschusses zum Unterhalt des Kindes vermutet. Erwies sich die Vermutung als unrichtig, so konnte sich die Notwendigkeit einer Abtretung nach § 1262 Abs. 8 RVO a.F. ergeben. An diesem Rechtszustand sollte sich durch die Neuregelung des SGB I nichts ändern. Das bringt die amtliche Begründung der Vorschrift deutlich zum Ausdruck. Es ging vielmehr darum, für alle Sozialleistungsbereiche eine einheitliche Regelung zur Auszahlung des Kinderzuschusses an einen Dritten zu treffen. Die neue Regelung wurde unter dem Leitgedanken konzipiert, daß die Kinder die wirtschaftlichen Nutznießer der ihretwegen gewährten Sozialleistungen sein sollten, auch wenn diese Leistungen rechtlich einer anderen Sozialleistung zugeordnet und damit an eine andere Person auszuzahlen waren (vgl. Amtliche Begründung in Bundestags-Drucksache VI 3764 zu § 47, Seite 26). Unter diesem Gesichtspunkt hat der Versicherungsträger sein Ermessen hinsichtlich der Auszahlung des Kinderzuschusses auszuüben.
Im vorliegenden Fall besteht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, daß für den Kläger Unterhalt in mindestens der Höhe des Kinderzuschusses aufgebracht worden ist. Unter diesen Umständen folgt aus der bereits dargestellten Zweckbestimmung des Kinderzuschusses, daß er auch in dieser - der vollen - Höhe zur Auszahlung gebracht werden muß. Da jedes andere Maß der Auszahlung gegen die Zweckbestimmung verstieße, würde sich jede andere Entscheidung der Beklagten als ein Fehlgebrauch des Ermessens erweisen und das SG war demzufolge nicht gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden.
Nach alledem war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und das sozialgerichtliche Urteil wiederherzustellen; die Verweisung des Rechtsstreits an das SG Hamburg konnte nicht aufrechterhalten werden, weil sich der Antrag des Beigeladenen nicht auf den Streitgegenstand dieses Verfahrens, sondern allenfalls auf eine andere von ihm anhängig gemachte Klage bezog.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen