Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der im Jahr 1938 geborene Kläger und seine Ehefrau schlossen im Jahr 1967 mit dem Kreisjugendamt E… einen "Verpflegungsvertrag"; danach wurde ihnen das Kind W… M…,geboren am 9. Januar 1967, nichteheliches Kind der Versicherten G… L… geborene M… (der Beigeladenen zu 3.), in Pflege und Erziehung auf unbestimmte Zeit bzw. bis zur Volksschulentlassung übergeben (§ 1), für die Dauer der Unterbringung wurde ein zunächst auf 150,- DM festgesetztes Pflegegeld gezahlt (§ 2). Die Versicherte befindet sich wegen geistiger Gebrechen in einem Heim und bezieht seit 1969 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Der Kläger bezog für W… M… zunächst Kindergeld. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 31. August 1973 der Versicherten einen Kinderzuschuß für W… M… bewilligt und die Auszahlung an das Kreisjugendamt E… angeordnet hatte, entzog die Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger ab März 1974 das Kindergeld; der Entziehungsbescheid ist aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Januar 1982 10/8b RKg 18/80 - bindend geworden. Für die Zeit vom 1. Januar 1979 bis zum 31. März 1981 erhielt der Kläger entsprechend den erhöhten Kindergeldsätzen und der Neufassung des § 8 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) von der BA den Unterschiedsbetrag zwischen dem Kindergeld für das dritte Kind (= 200,- DM) und dem Kinderzuschuß (= 152,90 DM) ausgezahlt.
Im Januar 1976 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, den Kinderzuschuß an ihn auszuzahlen. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 8. Dezember 1977 den Antrag ab, weil der Unterhalt des Kindes allein von dem - inzwischen zuständig gewordenen - Landkreis B…- H… (dem Beigeladenen zu 2.) als dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestritten werde. Der Landkreis zahlte dem Kläger ab 1. Januar 1977 ein Pflegegeld von 500,- DM monatlich.
Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat mit Urteil vom 30. November 1978 den Bescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kinderzuschuß vom 20. Januar bis zum 31. Dezember 1976 in voller Höhe und ab 1. Januar 1977 in der 50,- DM übersteigenden Höhe an den Kläger auszuzahlen. Auf die Berufung der Beklagten und des beigeladenen Landkreises hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 9. April 1981 die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Es erscheine fraglich, ob der Kläger überhaupt dem Kind Unterhalt gewähre. Aber selbst wenn er einen erheblichen Teilbetrag des Unterhalts trage, sei die Entscheidung der Beklagten, den Kinderzuschuß nicht ihm, sondern weiterhin dem Landkreis auszuzahlen, nicht ermessensfehlerhaft.
Mit der Revision trägt der Kläger vor, der angefochtene Bescheid verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) und sei auch sozialpolitisch bedenklich. Er beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 2. gegen das Urteil des SG Freiburg vom 30. November 1978 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auszahlung des Kinderzuschusses jedenfalls in dem vom SG zugesprochenen Umfang.
Das Auszahlungsbegehren des Klägers ist nach § 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) - in Kraft seit 1. Januar 1976 - gerechtfertigt. Danach können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe auch an die Person oder Stelle ausgezahlt werden, die dem unterhaltsberechtigten Ehegatten oder den unterhaltsberechtigten Kindern Unterhalt gewährt, wenn der Leistungsberechtigte ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (§ 48 Abs. 1 SGB I); diese Regelung gilt entsprechend, wenn für Kinder, denen gegenüber der Leistungsberechtigte nicht kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist, Geldleistungen erbracht werden und der Leistungsberechtigte diese Kinder nicht unterhält (§ 48 Abs. 2 SGB I).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Versicherte bezieht von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit einschließlich eines Kinderzuschusses als laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind. Es kann dahinstehen, ob wegen der Zweckbestimmung des Kinderzuschusses (§ 1262 Reichsversicherungsordnung -RVO-), der vollständigen Verwendung für den Unterhalt des Kindes, eine Unterhaltspflicht der Versicherten jedenfalls in Höhe dieses Rentenbestandteils anzunehmen ist (vgl. zum Kindergeld: BSG, Urteil vom 29. Januar 1980 - 3 RK 101/78 - BSGE 49, 243, 345 f. = SozR 2200 § 205 Nr. 32 sowie Urteil vom 22. Oktober 1980 - 3 RK 54/78 - SozR 2200 § 205 Nr. 35) - Fall des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I - oder ob wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit der Versicherten (§ 1603 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch) eine kraft Gesetzes bestehende Unterhaltspflicht zu verneinen ist (Fall des § 48 Abs. 2 SGB I). Denn auch unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 SGB I kann der Kinderzuschuß der gesetzlichen Rentenversicherung demjenigen ausgezahlt werden, der für den Unterhalt des Kindes tatsächlich aufkommt (Urteil des erkennenden Senats vom 17. September 1981 - 4 RJ 105/80 - SozR 1200 § 48 Nr. 3), so daß in jedem Falle die Auszahlung an die Versicherte, die das Kind nicht unterhält, unterbleiben und nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I an denjenigen erfolgen kann, der dem Kind Unterhalt gewährt.
Diese Voraussetzungen für die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I eröffnete Auszahlungsmöglichkeit sind allerdings zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der Rechtsstreit wird vielmehr um die Frage geführt, ob der Kläger dem Kind i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I Unterhalt gewährt, weil dann die Rente, jedenfalls in Höhe des Kinderzuschusses, an ihn ausgezahlt werden kann. Nach Auffassung des Senats liegt auch diese Voraussetzung vor.
Der Begriff des Gewährens von Unterhalt ist in § 48 SGB I nicht näher definiert; er wird vielmehr vorausgesetzt. Entsprechend der mit der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I verfolgten Zielsetzung, die Auszahlung der zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmten laufenden Geldleistungen an denjenigen zu ermöglichen, der an Stelle des gesetzlich Unterhaltspflichtigen für den Unterhalt des Unterhaltsberechtigten aufkommt, bedeutet das Gewähren von Unterhalt i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I die tatsächliche Sicherstellung der Lebensbedürfnisse des Unterhaltsberechtigten durch persönliche und sächliche Zuwendungen.
Der Kläger hat dem Kind W… M… Unterhalt in dem vorbezeichneten Sinne gewährt. Er und seine Ehefrau haben das Kind zur Pflege und Erziehung in ihren Haushalt aufgenommen, es beköstigt und betreut und damit den Lebensbedürfnissen des Kindes Rechnung getragen. Daß der Kläger und seine Ehefrau für die Pflege- und Erziehungstätigkeit des ihnen anvertrauten Pflegekindes aufgrund des "Verpflegungsvertrages" ein Pflegegeld erhalten, ändert nach Auffassung des Senats nichts an dieser Beurteilung.
Die Pflegegeldzahlungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (zuletzt 500,- DM monatlich) lassen sich nicht als Unterhaltsgewährung i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I qualifizieren. Die Auszahlungen haben nach dem "Verpflegungsvertrag" allein an die Pflegeeltern als Gläubiger des Auszahlungsanspruchs zu erfolgen. Das Pflegegeld dient zwar zum Teil auch dir pauschalen Abgeltung der den Pflegeeltern infolge der Unterhaltsgewährung an das Kind entstehenden Aufwendungen; es ist aber nicht in dem Sinne zweckgebunden, daß die Pflegeeltern gleichsam nur im Auftrag des Jugendhilfeträgers handelten und jeweils über die Verwendung des Geldes Rechnung legen müßten. Das Pflegekind ist vielmehr - wenn auch unter der Aufsicht des Jugendamtes (§ 31 Jugendwohlfahrtsgesetz -JWG-) - zur eigenverantwortlichen Pflege und Erziehung bei den Pflegeeltern untergebracht und soll von ihnen - das ist das Ziel des Pflegevertrages - nicht anders als die leiblichen Kinder aufgezogen werden. Daß das Pflegegeld andererseits von den Pflegeeltern für den Unterhalt des Kindes verwendet werden kann, vermag nichts daran zu ändern, daß die Pflegeeltern im Rahmen des Pflegekindschaftsverhältnisses, das durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band gekennzeichnet ist (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 6 BKGG), für die Sicherstellung der Lebensbedürfnisse des Kindes sorgen. Darauf kommt es aber für die nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I eröffnete Auszahlungsmöglichkeit an.
Daß die Auszahlung zweckgebundener, für den Unterhalt des Kindes zu verwendender Sozialleistungen an die Pflegeeltern zu erfolgen hat, davon geht auch der Beigeladene zu 2) selbst aus. Nach Ziff. 2.2 der ab 1. November 1976 anzuwendenden "Grundsätze für die finanziellen Leistungen an Pflegefamilien" des Landesjugendamtes wird der monatlich als Teil des Pflegegeldes zu gewährende Grundbedarfssatz um einen Pauschalbetrag von 50,- DM gekürzt "zur Abgeltung der Sozialleistungen, welche die Pflegefamilie für den aufgenommenen jungen Menschen erhält (Kindergeld, Kinderzuschuß zur Rente, Kinderzulage zur Unfallrente)". Daraus erhellt, daß auch nach Auffassung des Beigeladenen zu 2) die Pflegefamilie der richtige Zahlungsempfänger für derartige Sozialleistungen ist.
Dementsprechend war auch anfänglich das nach dem BKGG zu gewährende Kindergeld an den Kläger gezahlt worden. Erst nach Bewilligung des Kinderzuschusses war diese Sozialleistung im Hinblick auf das Kumulierungsverbot des § 8 Abs. 1 BKGG zu Recht (BSG, Urteil vom 20. Januar 1982 - 10/8b RKg 18/80 -) entzogen worden. Den Kinderzuschuß nunmehr (auch) nicht an die Pflegefamilie auszuzahlen, hieße aber, den Jugendhilfeträger, der bei Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie den ihm vom JWG auferlegten Verpflichtungen nachkommt, finanziell zu entlasten, ohne daß der Kinderzuschuß noch unmittelbar dem Kind zugute käme, ein Ergebnis, das im Widerspruch zu der Zweckbestimmung des Kinderzuschusses stünde und das der Beigeladene zu 2) selbst in seinen Verwaltungsvorschriften nicht vorgesehen hat.
Das SG hat auch zu Recht die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides nicht (nur) verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, sondern zur Auszahlung eines wesentlichen Teiles des Kinderzuschusses an den Kläger verurteilt. Der Senat braucht allerdings nicht - wie das Gericht 1. Instanz - anzunehmen, daß nur diese eine Entscheidung ermessensfehlerfrei sei; er ist vielmehr der Auffassung, daß die Beklagte mit dem Bescheid vom 31. August 1973 (Auszahlung des Kinderzuschusses an das Kreisjugendamt E… ) ihr Ermessen bereits dahingehend ausgeübt hatte, den Kinderzuschuß an denjenigen auszuzahlen, der dem Kind Unterhalt gewährt. Die in diesem Rechtsstreit zu beantwortende Frage, an wen - als Unterhalt Gewährenden - der Kinderzuschuß auszuzahlen ist, betrifft allein die außerhalb des Ermessensbereichs der Beklagten liegende Tatbestandsseite der Rechtsnorm des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB I und damit eine von den Gerichten voll überprüfbare Tat- und Rechtsfrage. Da die Beklagte rechtsirrig den Kinderzuschuß an den Beigeladenen zu 2. ausgezahlt hat, war die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung hinsichtlich des Zahlungsempfängers zu korrigieren. Denn nach richtiger Rechtsauffassung bestreiten der Kläger und seine Ehefrau den Unterhalt des Kindes.
Soweit das SG angeordnet hat, daß der Kinderzuschuß ab 1. Januar 1977 nur in der 50,- DM übersteigenden Höhe an den Kläger auszuzahlen sei, ist das erstinstanzliche Urteil vom Kläger nicht angefochten worden. Die dieses Urteil bestätigende Entscheidung des erkennenden Senats steht damit im Einklang mit den von dem Beigeladenen zu 2) unter Ziff. 2 2 aufgestellten Grundsätzen über die finanziellen Leistungen an Pflegefamilien.
Auf die Revision des Klägers war das Urteil des LSG aufzuheben; die Berufungen gegen das Urteil des SG waren als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen