Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Entscheidungsgründe bei unbestimmter Urteilsformel
Orientierungssatz
Ist eine Urteilsformel so unbestimmt, daß nicht zu erkennen ist, welche Leistungen (hier: Rente oder Übergangsgeld) für welchen Zeitraum zugesprochen wurden, und läßt sich dies auch nicht aus den Urteilsgründen entnehmen, fehlen dem Urteil die erforderlichen Entscheidungsgründe; es liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (vgl BSG vom 1981-06-23 7 RAr 31/80).
Normenkette
SGG § 136 Abs 1 Nr 6 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 14.04.1980; Aktenzeichen L 3 J 304/79) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 07.09.1979; Aktenzeichen S 3 J 503/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung des vorgezogenen Übergangsgeldes nach § 1241d Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit vom 1. Juni 1978 bis 31. März 1979.
Der im Jahre 1941 geborene Kläger hat den Beruf eines Stahlbauschlossers erlernt und war bis 1977 meist in Schlosserberufen beschäftigt. Wegen einer Erkrankung der Wirbelsäule beantragte er im Jahre 1977 die Gewährung berufsfördernder Maßnahmen und im Mai 1978 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit. Den Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 19. September 1978 ab. Während des Klageverfahrens gegen diesen Bescheid bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 2. April 1979 eine Umschulungsmaßnahme und gewährte für deren Dauer Übergangsgeld. Mit seiner Klage begehrte der Kläger "die gesetzlichen Leistungen aus der Rentenversicherung, nämlich Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Übergangsgeld vom 1. Juni 1978 an".
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte zur Gewährung der "gesetzlichen Leistungen aus der Rentenversicherung" vom 1. Juni 1978 an. Es ging davon aus, daß der Kläger berufsunfähig sei, weil er weder als Schlosser noch in berufsfremden Anlerntätigkeiten noch in qualifizierten ungelernten Tätigkeiten einsetzbar sei (Urteil vom 7. September 1979). Die Berufung der Beklagten wurde durch Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) vom 14. April 1980 als unzulässig verworfen mit der Begründung, das vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 RVO sei eine spezielle Leistung der Rentenversicherungsträger und habe rentenähnlichen Charakter, so daß sich die Statthaftigkeit der Berufung nach § 146 Sozialgerichtsgesetz (SGG) richte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Rechtsauffassung des LSG und trägt vor, das Übergangsgeld sei nicht rentenähnlich, sondern eine ergänzende Leistung bei medizinischen oder berufsfördernden Maßnahmen in mehreren Bereichen des Sozialrechts und werde grundsätzlich wie das Krankengeld berechnet. Es gebe nur ein Rechtsinstitut des Übergangsgeldes, so daß die vom LSG vorgenommene prozeßrechtliche Differenzierung nicht angebracht sei. Demzufolge hätte das LSG in der Sache selbst entscheiden müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 14. April 1980 aufzuheben
und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war. Zu Unrecht hat das LSG die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Das LSG hätte vielmehr in der Sache selbst entscheiden müssen.
Es bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung, daß die Berufung schon deswegen zulässig ist, weil das Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO nicht unter die Berufungsausschließungsgründe des § 146 SGG fällt (BSG, Urteil vom 27. April 1978 - 11 RA 39/77 = BSGE 46, 167). Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich vielmehr schon daraus, daß das sozialgerichtliche Verfahren an wesentlichen Mängeln litt, die die Beklagte im Berufungsverfahren auch gerügt hat (§ 150 Nr 2 SGG).
Der wesentliche Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens liegt darin, daß das SG sein Urteil nicht hinreichend begründet hat (vgl BSG vom 7. Dezember 1965 - 10 RV 405/65 = SozR Nr 9 zu § 136 SGG; BSG vom 9. Mai 1974 - 11 RA 252/73 = SozR 1500 § 136 Nr 1). Das SG hat die Beklagte "unter Annahme von Berufsunfähigkeit ab Mai 1978" verurteilt, dem Kläger "die gesetzlichen Leistungen aus der Rentenversicherung vom 1. Juni 1978 an zu gewähren". Diese Urteilsformel ist unbestimmt; aus ihr geht nicht hervor, welche Leistungen - Rente oder Übergangsgeld - dem Kläger für welchen Zeitraum zugesprochen worden ist. Der Klageantrag ist insoweit auch nicht eindeutig, weil er alternativ auf Rente oder Übergangsgeld abzielt. Angesichts der Unbestimmtheit der Urteilsformel sind auch die Entscheidungsgründe des Urteils zu unbestimmt, um im Wege der Auslegung Aufschluß darüber geben zu können, welche Leistung für welche Zeiträume die Beklagte dem Kläger zu gewähren hat. Zwar heißt es in den Entscheidungsgründen, daß die Beklagte dem Kläger vom 1. Juni 1978 bis 31. März 1979 Übergangsgeld zu gewähren hat und daß der Kläger ab 2. April 1979 Übergangsgeld bezieht. Daraus läßt sich jedoch weder ersehen, welcher Anspruch dem Kläger für den 1. April 1979 zusteht, noch ob für ihn ein Rentenanspruch für einen anderen Zeitraum begründet sein könnte. Nach dem Urteil des SG muß die Beklagte auf Dauer Leistungen gewähren, ohne daß aus dem Urteil eindeutig hervorgeht, für welche Zeiträume nach Erlaß dieses Urteils welche Leistungen (Übergangsgeld oder Rente) aus welchen Gründen in Betracht kommen. Insbesondere wird nicht deutlich, ob dem Kläger nach Ablauf des Übergangsgeldes ein Anspruch auf (Dauer-)Rente wegen Berufsunfähigkeit zustehen soll, denn das SG hält den Kläger für berufsunfähig und sieht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als gegeben an. Auf diese Mängel hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung mit Recht hingewiesen. Insoweit fehlen dem Urteil des SG die erforderlichen Entscheidungsgründe. Dieser Umstand ist im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen und muß zur Aufhebung eines Urteils führen (so Urteil des BSG vom 23. Juni 1981 - 7 RAr 31/80 -).
Da die Berufung wegen des von der Beklagten gerügten Verfahrensmangels zulässig war, hätte das LSG die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen und in der Sache selbst entscheiden müssen. Zu diesem Zweck war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen