Leitsatz (amtlich)
1. Die Klage einer KK als Einzugsstelle gegen einen Träger der RV auf Feststellung, daß sie nicht zur Erhebung von Beiträgen zur RV für bestimmte Zahlungen eines Arbeitgebers an seine versicherten Arbeitnehmer verpflichtet ist, ist als Feststellungsklage nach SGG § 55 Abs 1 Nr 1 zulässig.
Das gilt auch dann, wenn der Träger der RV eine entgegenstehende "Erklärung" iS des RVO § 1399 Abs 4 abgegeben hat.
2. Sind zinslose Darlehen, die ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern zur Beseitigung von Härten aus Anlaß der Umstellung des Lohnabrechnungsverfahrens gewährt, nicht lohnsteuerpflichtig, so sind sie auch nicht Entgelt iS der Sozialversicherung.
Eine solche Darlehnsgewährung stellt keinen Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts dar (StAnpG § 6 Abs 1).
Normenkette
RVO § 160 Abs. 1 Fassung: 1941-07-01, § 1399 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; StAnpG § 6 Abs. 1 Fassung: 1934-10-16; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; RFM/RAMErl 1944-09-10
Tenor
Die Revision der beklagten Landesversicherungsanstalt gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. Juli 1960 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der beigeladenen Hamburger Hochbahn AG. die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die beigeladene Hamburger Hochbahn AG. (HHA) hatte bis März 1956 die Löhne an ihre Arbeiter in der Weise gezahlt, daß sie jeweils am Ende des Monats Abschlagszahlungen auf den in diesem Monat verdienten Lohn zahlte und am 15. des folgenden Monats den restlichen Spitzenbetrag auszahlte. Auf Grund einer Abrede im einschlägigen Manteltarifvertrag vom 8. März 1956, wonach das Arbeitsentgelt monatlich nachträglich spätestens am 15. des nächsten Monats ausgezahlt werden sollte, zahlte die HHA - erstmalig am 15. Mai 1956 für April 1956 - den vollen Lohn jeweils am 15. des folgenden Monats. Die bisher jeweils am Ende des Monats gewährten Abschlagszahlungen fielen weg.
Zum Ausgleich für die mit der Umstellung der Lohnabrechnung verbundenen Härten erklärte sich die HHA bereit, auf Antrag zinslose Darlehen - bei Vollbeschäftigten bis 250 DM, bei Minderbeschäftigten bis 125 DM - zu gewähren. Sie hat aus diesem Anlaß Darlehen in Höhe von 1869555 DM auf Grund schriftlicher Verträge gegeben. Hierin wurde vereinbart, daß die Darlehnsschuld beim Ausscheiden aus dem Dienst der HHA fällig und der geschuldete Betrag von dem dann noch zu zahlenden Lohn einbehalten wird. Der Darlehnsnehmer war berechtigt, das Darlehn vorzeitig in monatlichen Raten zurückzuzahlen. - In gleicher Weise ist die HHA auch neu eintretenden Arbeitnehmern gegenüber verfahren.
Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) stellte diesen Sachverhalt bei einer Betriebsprüfung der HHA fest. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1958 forderte sie die klagende Betriebskrankenkasse der HHA (BKK) auf, die Ende April 1956 an die Arbeiter der HHA gewährten zinslosen Darlehen von insgesamt 1869555 DM als Lohnzahlungen zu behandeln, hiervon Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von der HHA einzuziehen und anteilmäßig an die beteiligten Versicherungsträger abzuführen.
Die BKK erhob gegen die LVA Klage vor dem Sozialgericht (SG) mit dem Antrag,
den Bescheid der beklagten LVA vom 19. Dezember 1958 aufzuheben und festzustellen, daß die anläßlich der Umstellung des Lohnabrechnungsverfahrens Ende April 1956 von der beigeladenen HHA gezahlten Darlehensbeträge kein Arbeitsentgelt darstellen und daher auch nicht der Beitragszahlung unterliegen.
Sie hält es für unzulässig, daß die LVA einer Krankenkasse als Einzugsstelle Weisungen in Gestalt von Verwaltungsakten erteilt. Der Bescheid vom 19. Dezember 1958 könne nicht als eine "Erklärung" i. S. von § 1399 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) angesehen werden. Die von der HHA gewährten Darlehen seien, wie sich insbesondere aus der Rückzahlungsverpflichtung ergebe, keine verdeckte Lohnzahlung gewesen. Deshalb seien die gezahlten Beträge nicht lohnsteuerpflichtig gewesen; die Finanzbehörden hätten diese Auffassung gutgeheißen. Nach dem Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 - Gem. Erlaß - (AN 1944, 281) seien diese Zahlungen daher auch nicht beitragspflichtig gewesen.
Die beklagte LVA hat vor dem SG vorgetragen, ihr Bescheid vom 19. Dezember 1958 stelle eine "Erklärung" i. S. des § 1399 Abs. 4 RVO dar. Ob die bei Umstellung des Lohnabrechnungsverfahrens an die Arbeitnehmer gewährten "Darlehen" nicht in Wahrheit beitragspflichtiges Entgelt darstellten, sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, zumal sich die Fälle der Darlehnsgewährung unter den bezeichneten Umständen mehrten.
Das SG hat dem Klageantrag stattgegeben (Urteil vom 4. November 1959).
Gegen dieses Urteil hat die beklagte LVA Berufung eingelegt mit dem Antrag,
1. das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
2. im Wege der Widerklage festzustellen, dass die von der beigeladenen HHA anläßlich der Umstellung ihres Lohnabrechnungsverfahrens Ende April 1956 gewährten "Darlehen" als Arbeitsentgelt anzusehen seien.
Sie hat vorgetragen, ihre Erklärung vor dem SG über den Bescheid vom 19. Dezember 1958 sei dahin zu verstehen gewesen, daß "eine Verpflichtung durch Verwaltungsakt der Klägerin gegenüber nicht weiterhin erfolgen solle". Damit sei der angefochtene Bescheid nicht mehr Prozeßgegenstand gewesen; das SG hätte den Bescheid nicht mehr aufheben dürfen. - Da die Frage, ob die Darlehensgewährungen aus Anlaß einer Umstellung des Lohnabrechnungsverfahrens beitragspflichtigen Arbeitsentgelt darstellten, grundsätzliche Bedeutung habe, sei sie, die beklagte LVA, zu einer "Erklärung" i. S. des § 1399 Abs. 4 RVO berechtigt und die klagende BKK zur Beachtung dieser Erklärung verpflichtet gewesen. Auf jeden Fall müsse der Streit darüber, wie die Darlehnsgewährung beitragsrechtlich zu beurteilen sei, unter den Beteiligten im Wege der Feststellungsklage ausgetragen werden können. - In der Sache selbst habe das SG verkannt, daß die Arbeitnehmer mit den "Darlehen" nur das bekommen hätten, worauf sie ohnehin als verdienten Lohn Anspruch gehabt hätten. Die Darlehen seien in Wahrheit nur Abschlagszahlungen gewesen.
Die klagende BKK und die beigeladene HHA haben beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die Auffassung des SG für richtig, daß die Ende April 1956 gewährten Darlehen nicht Entgelt für geleistete Dienste darstellen; dafür sei Lohn am 15. Mai 1956 gezahlt worden. Die HHA habe aus sozialen Gründen eine Kredithilfe gewährt, wie aus anderem Anlaß - z. B. Wohnungsbau - auch Darlehen von Arbeitgebern zu günstigen Bedingungen gewährt würden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG geändert, soweit es den Bescheid der beklagten LVA vom 19. Dezember 1958 aufgehoben hat, und im übrigen die Berufung zurückgewiesen sowie die Widerklage abgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 12. Juli 1960). Das LSG ist davon ausgegangen, die beklagte LVA habe mit ihrem Vorbringen, ihr Bescheid vom 19. Dezember 1956 sei als Erklärung i. S. des § 1399 Abs. 4 RVO anzusehen, den Verwaltungsakt zurückgenommen, so daß das SG ihn nicht mehr hätte aufheben können. Der Bescheid könne als Erklärung nach § 1399 Abs. 4 RVO umgedeutet werden. Diese habe Bedeutung für das Innenverhältnis und begründe ein Rechtsverhältnis i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), das im Rahmen einer Feststellungsklage richterlicher Nachprüfung unterliege. - Die von der HHA gewährten Darlehen seien kein Entgelt i. S. des § 160 RVO. Der Gem. Erlaß komme allerdings nicht zur Anwendung, da er nur für die positiven Fälle, daß Lohnsteuerpflicht gegeben sei, nicht aber auch im umgekehrten Falle gelte. Im vorliegenden Falle fehle es an dem für das Vorliegen von Arbeitsentgelt wesentlichen Merkmal, daß eine Gegenleistung für geleistete Dienste vorliege. Die Ende April 1956 von der HHA an ihre Arbeitnehmer geleisteten Zahlungen seien Ausfluß echter Darlehnsverträge gewesen; kennzeichnend dafür sei die Verpflichtung der Arbeitnehmer, das Darlehn zurückzuzahlen.
Hiergegen hat die beklagte LVA Revision eingelegt mit dem Antrag,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie verweist zunächst darauf, daß die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht an die Auffassung der Finanzbehörden über die Lohnsteuerpflicht von Bezügen gebunden seien. Das LSG habe § 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) übersehen, wonach die Steuerpflicht nicht durch Mißbrauch von Formen oder Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts umgangen werden könne. Mißbrauch der Gestaltungsmöglichkeit in diesem Sinne liege vor, wenn die für das Rechtsgeschäft gewählte Rechtsform ungewöhnlich sei und Gleichheit des wirtschaftlichen Erfolges mit der Normalform vorliege. Beide Merkmale seien hier gegeben:
Die "Darlehen" hätten den alleinigen Zweck, die Arbeitnehmer so zu stellen, als wenn sie Lohn in Gestalt von Abschlagszahlungen erhalten hätten. Man habe "eine ungewöhnliche und unnatürliche Rechtsform" gewählt, um die Lohnsteuerpflicht für die verkappte Lohnzahlung auf unbestimmte Dauer hinauszuschieben.
Die klagende BKK hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung greift der Gem. Erlaß auch im vorliegenden Falle durch. Da die im Rahmen von Darlehnsverträgen geleisteten Zahlungen der HHA keine Einnahmen seien, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zuflössen, seien sie nicht Entgelt im lohnsteuerrechtlichen und daher auch nicht im beitragsrechtlichen Sinne. - Ein Mißbrauch der Gestaltungsmöglichkeit i. S. des § 6 des StAnpG liege nicht vor. Die HHA habe sich zu einer sozialen Hilfsmaßnahme entschlossen, von der die Arbeitnehmer Ende April 1956 - und auch später bei Neueinstellungen - individuell nach ihrem Willensentschluß hätten Gebrauch machen können.
Die beigeladene HHA hat erklärt, daß sie von einer Stellungnahme absehen wolle.
Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist allein noch das Begehren der klagenden BKK festzustellen, daß sie nicht zur Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen für die als Darlehnsgewährung bezeichneten Zahlungen Ende April 1956 verpflichtet ist.
Der ursprünglich von der klagenden BKK auch noch gestellte Antrag auf Aufhebung des Bescheids der beklagten LVA vom 19. Dezember 1958 hat sich nach Auffassung des LSG dadurch erledigt, daß die LVA diesen Bescheid nicht mehr als Verwaltungsakt, sondern als "Erklärung" nach § 1399 Abs. 4 RVO aufrechterhalten wissen will. Das LSG hat dieser Auffassung dadurch Ausdruck verliehen, daß es das Urteil des SG insoweit geändert hat, als es die Aufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 1958 ausgesprochen hat. Die von dieser Entscheidung des LSG beschwerte BKK hat kein Rechtsmittel eingelegt, so daß der Antrag auf Aufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 1958 seine Erledigung gefunden hat.
Die von der beklagten LVA im Berufungsverfahren erhobene Widerklage, mit der sie das negative Feststellungsbegehren der BKK im umgekehrten Sinn als positiv gefaßten Feststellungsantrag aufgegriffen hatte, ist vom LSG abgewiesen worden. Die LVA hat gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt. Sie hat sich vielmehr in ihrem Revisionsantrag darauf beschränkt, neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils Klageabweisung zu beantragen.
Die Feststellungsklage der BKK ist zulässig.
Zwischen der klagenden BKK und der beklagten LVA besteht ein öffentliches Rechtsverhältnis (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1399 RVO Anm. 2): Die BKK ist verpflichtet, in eigenem Namen für die LVA bei Pflichtversicherten, die dem Lohnabzug unterliegen, die Beiträge zur Rentenversicherung einzuziehen und an diese abzuführen (vgl. im einzelnen §§ 1433 ff. RVO). Sofern die Einzugsstelle im Rahmen dieser Verpflichtung über die Versicherungspflicht und die Beitragspflicht durch Verwaltungsakt - also "nach außen" gegenüber dem Arbeitgeber und dem Versicherten - entscheidet, bindet diese Entscheidung auch die hiervon als Dritte mitbetroffenen Versicherungsträger (BSG 15, 118). Der mitbetroffene Versicherungsträger hat die Möglichkeit, die Bindungswirkung des Verwaltungsakts der Einzugsstelle durch Anfechtung auszuräumen, wie in der genannten Entscheidung näher dargelegt ist (aaO S. 125). Wenn jedoch - wie im vorliegenden Fall - für einen Verwaltungsakt, der über Versicherungspflicht oder Beitragspflicht im konkreten Fall entscheidet, kein Raum ist, weil sich die Einzugsstelle und die beteiligten Arbeitgeber und Versicherten über die Beurteilung der Rechtslage einig sind und die Einzugsstelle daher keinen Anlaß hat, Entscheidungen durch Verwaltungsakt zu treffen, so kann der Streit zwischen Einzugsstelle und mitbetroffenem Versicherungsträger nicht auf dem Weg der Anfechtungsklage bereinigt werden. Diese Streitfrage betrifft dann ausschließlich das gleichrangig geordnete Innenverhältnis zwischen Einzugsstelle und dem forderungsberechtigten Versicherungsträger. Als Auswirkung des Rechtsverhältnisses zwischen Einzugsstelle und beitragsberechtigtem Versicherungsträger kann der Streit darüber, ob die Verpflichtung der Einzugsstelle dem anderen Versicherungsträger gegenüber auch die Pflicht zur Einziehung und Abführung der in Rede stehenden Beiträge umfaßt, Gegenstand der Feststellung i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG sein. Das berechtigte Interesse der Einzugsstelle an der baldigen Feststellung ist gegeben, weil ein anderer Weg zur Klärung des näheren Inhalts der Verpflichtung der Einzugsstelle nicht besteht und die Einzugsstelle überdies Gefahr läuft, u. U. zum Schadensersatz herangezogen zu werden (vgl. § 1436 RVO).
Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht nicht entgegen, daß die beklagte LVA möglicherweise eine "Erklärung" i. S. des § 1399 Abs. 4 RVO abgegeben hat, die das Gegenteil von dem zum Ausdruck bringt, was die BKK festgestellt wissen will. Der Bescheid der beklagten LVA vom 19. Dezember 1958 stellt jedenfalls dem Rechtsschein nach einen Verwaltungsakt dar, der einen konkreten Sachverhalt - den Beitragseinzug aus Anlaß der Darlehnsgewährungen der HHA in Höhe von 1869555 DM Ende April 1956 - regelte. Nachdem die beklagte LVA zu ihrem Bescheid vom 19. Dezember 1958 erklärt hatte, daß "eine Verpflichtung durch Verwaltungsakt der Klägerin gegenüber nicht weiterhin erfolgen solle" und "der angefochtene Bescheid nicht mehr Prozeßgegenstand" sei, hat das LSG ihn zwar als Verwaltungsakt zurückgenommen erachtet, andererseits jedoch - in eine "Erklärung" nach § 1399 Abs. 4 RVO umgedeutet - als fortbestehend angesehen. Der Senat kann die Frage, ob der Bescheid vom 19. Dezember 1958 als "Erklärung" nach § 1399 Abs. 4 RVO aufrechterhalten werden kann, auf sich beruhen lassen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Bescheid vom 19. Dezember 1958 noch als Grundsatzerklärung i. S. des § 1399 Abs. 4 RVO fortwirkt, könnte auch das Vorliegen einer solchen "Erklärung" nicht einer Feststellungsklage entgegenstehen, die ein mit der "Erklärung" in Widerspruch stehendes Ziel verfolgt. Die Bedeutung einer solchen Erklärung ist begrenzt (BSG 15, 118, 124). Ihr kann kein größeres Gewicht als dem Gesetz selbst zuerkannt werden (so zutreffend Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Komm. zur RVO, 6. Aufl., § 1399 Anm. 18). Sie beeinträchtigt insbesondere nicht die Rechtswirksamkeit eines mit ihr nicht übereinstimmenden Verwaltungsakts der Einzugsstelle und hat vor allem Bedeutung für die Beurteilung der Verpflichtung der Einzugsstelle zum Schadensersatz, wenn diese entgegen der "Erklärung" verfahren ist und ihre Beurteilung der Rechtslage sich als verfehlt herausstellt (vgl. BSG 15, 124). Gerade deshalb ist die Feststellungsklage das gegebene Mittel, den bei einem bestimmten Sachverhalt zweifelhaften Umfang der Verpflichtung einer Einzugsstelle rechtzeitig zu klären (so auch Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, RVO § 1399 Anm. II 2; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Komm. zur RVO § 1399 Anm. 18).
3. Die Revision der beklagten LVA ist nicht begründet. Zu. Recht haben die Vorinstanzen die fraglichen Zahlungen der HHA an ihre Arbeitnehmer als Darlehen - und nicht als beitragspflichtigen Entgelt - angesehen.
Unzutreffend ist allerdings die Auffassung des LSG, der Gem. Erlaß käme im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, weil er nur für die Fälle gelte, in denen - positiv - Lohnsteuerpflicht der Bezüge besteht, nicht aber auch umgekehrt. Der Gem. Erlaß (Abschn. 1) stellt für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich auf den Betrag ab, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Damit ist-in negativer Abgrenzung - zum Ausdruck gebracht, daß von Bezügen, für die keine Lohnsteuer zu berechnen ist, auch keine Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten sind. Überdies hat der Reichsarbeitsminister mit Erlaß vom 24. Oktober 1944 (AN S. 302) ausdrücklich bestimmt, daß Bezüge, die nach dem Gem. Erlaß bei der Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Ansatz bleiben, nicht als Entgelt i. S. der Sozialversicherung anzusehen sind. Demnach hängt die Frage, ob die als Darlehen bezeichneten Zahlungen der HHA an ihre Arbeitnehmer beitragspflichtigen Entgelt darstellen, davon ab, ob diese Zahlungen lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn sind.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der für den vorliegenden Fall maßgebenden Lohnsteuerdurchführungsverordnung idF vom 27. August 1955 - LStDV 1955 - (BGBl I 542) sind Arbeitslohn alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis zufließen. Grundsätzlich ist in diesem Sinne Arbeitslohn alles, was nach der Verkehrsauffassung als Ertrag aus nichtselbständiger Arbeit dem Arbeitnehmer zufließt (Reichsfinanzhof, Urt. v. 24. Oktober 1934, RStBl 1935 I 335). Es muß sich demnach um eine Gegenleistung des Arbeitgebers für Dienste des Arbeitnehmers handeln.
Die Gegenleistung der HHA für die im April 1956 geleisteten Dienste ihrer Arbeitnehmer war jedoch die Lohnzahlung am 15. Mai 1956. Wären die Zahlungen Ende April 1956 wie in den früheren Lohnzahlungsperioden Abschlagszahlungen auf den im April 1956 verdienten Lohn gewesen, so wären sie allerdings auf die Restzahlung Mitte Mai 1956 anzurechnen gewesen; bei der Abschlagszahlung hätte auch die Lohnsteuer einbehalten werden müssen (§ 30 Abs. 1 Satz 2 LStDV 1955). Im vorliegenden Fall findet die Verrechnung mit Lohn - wenn überhaupt, falls nämlich das Darlehn nicht früher zurückgezahlt wird - erst beim Ausscheiden aus dem Dienst statt. Die Zahlungen der HHA Ende April 1956 stehen somit nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der vorangegangenen Arbeitsleistung ihrer Arbeitnehmer. Vielmehr besteht nur ein mittelbarer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis insofern, als die HHA die Vergünstigung der Darlehnsgewährung nur ihren Arbeitnehmern in Wahrnehmung ihrer allgemeinen Treu- und Fürsorgepflicht gewährt, ähnlich den Darlehen, die nicht selten von Arbeitgebern aus anderen Gründen - z. B. Wohnungsbeschaffung gewährt werden. Die Gegenleistung für die Zahlungen der HHA Ende April 1956 sind nicht Arbeitsleistungen, sondern Rückzahlungen, ratenweise im Laufe des Arbeitsverhältnisses oder spätestens am Ende des Dienstverhältnisses im Wege der Verrechnung. Die genannten Zahlungen sind somit keine verkappten Abschlagszahlungen, sondern das, wofür die HHA sie ausgibt: Darlehen, demnach keine "Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis ... zufließen" (§ 2 Abs. 1 Satz 2 LStDV 1955).
Allenfalls könnten zum Arbeitslohn die Zinsersparnisse gerechnet werden, die die Arbeitnehmer der HHA dadurch machen, daß ihnen die Darlehen zinslos gewährt werden. Doch sind solche Zinsvergünstigungen nur unter bestimmten Voraussetzungen lohnsteuerpflichtig, die hier nicht vorliegen (vgl. Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 6 der Lohnsteuer-Richtlinien 1955 (BStBl. I S. 419), jetzt Abschn. II Abs. 2 Nr. 5 der Lohnsteuer-Richtlinien 1963; vgl. dazu Hartmann/Böttcher/Charlier, Komm. zum Lohnsteuerrecht, Stand: September 1964, LStDV § 3 Anm. 13).
Zu Unrecht nimmt die beklagte LVA an, die HHA und die beteiligten Versicherten hätten "durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts" (§ 6 Abs. 1 StAnpG vom 16. Oktober 1943; RGBl I 925) die Lohnsteuerpflicht umgangen. Wäre dem so, würde allerdings die Lohnsteuer so zu erheben sein, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben gewesen wäre (§ 6 Abs. 2 StAnpG). Die Anwendung der Umgehungsvorschrift setzt voraus, daß die Beteiligten den Steuertatbestand verwirklicht hätten, "wenn sie ihr wirtschaftliches Ziel ohne die Absicht der Steuerumgehung auf dem normalen Weg angesteuert hätten" (Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung mit Nebengesetzen, 9. Aufl. Bd. I, § 6 StAnpG Anm. 2). Es muß eine Rechtsgestaltung gewählt worden sein, die dem erstrebten wirtschaftlichen Erfolg nicht gemäß ist.
Die Ausgangssituation, von der aus zu prüfen ist, ob die gewählte Rechtsgestaltung - hier: Darlehen - dem erstrebten wirtschaftlichen Erfolg adäquat ist, war folgende: Die Lohntarifpartner waren dahin übereingekommen, daß den Arbeitgebern gestattet sein sollte, die Löhne erst am 15. des Nachmonats auszuzahlen (offenbar deshalb, um den Arbeitgebern die lästigen Abschlagszahlungen und die Errechnung der Spitzenbeträge zu ersparen). In dieser - für die HHA vorgegebenen - Lage, deren hervorstechendes Merkmal der Wegfall der bisher am Ende des Monats gezahlten Abschlagszahlungen war, kam als sachgemäßes Mittel zur Beseitigung der sich hieraus ergebenden Härten praktisch nur die Gewährung von Darlehen in Frage. Deshalb kann schon aus diesem Grunde § 6 StAnpG auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden. Im übrigen ist gerade in einem solchen Fall, in dem es um die Anwendung weitgespannter, unbestimmter Rechtsbegriffe des Steuerrechts geht, die Auffassung der zuständigen Steuerbehörden von besonderer Indizwirkung (vgl. hierzu BSG 3, 30, 40 f.).
Da somit die von der HHA gewährten Darlehen nicht lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen, sind sie auch nicht beitragspflichtiger Entgelt. Die Revision der beklagten LVA war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen