Leitsatz (amtlich)
Der Bescheid, durch welchen der Versicherungsträger eine Rente unter dem Vorbehalt gewährt, daß der Versicherte in der Zeit von dem - zurückliegenden - Rentenbeginn bis zum Erlaß des Bescheids keine Erwerbstätigkeit verrichtet hat, ist rechtswidrig.
Der Versicherte kann nur die Aufhebung des ganzen Bescheides, nicht aber lediglich die Aufhebung dieses Vorbehalts verlangen.
Normenkette
RVO § 1631 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 14. Februar 1967 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der frühere Kläger F B (B.) beantragte am 31. Januar 1964 bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er war vom 19. November 1963 bis zum 11. März 1964 arbeitsunfähig krank und nahm danach seine frühere Tätigkeit als Modell-Lagerverwalter wieder auf, ohne dies der Beklagten anzuzeigen.
Mit Bescheid vom 9. Februar 1965 gewährte die Beklagte B. die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Januar 1964 an mit dem Zusatz:
Dieser Bescheid gilt nur, wenn Sie nicht inzwischen wieder eine zumutbare Arbeit oder eine knappschaftlich versicherte Tätigkeit aufgenommen haben oder unmittelbar nach Abschluß des Krankenscheines aufnehmen.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete B. ua damit, daß dieser Vermerk unzulässig sei. Bei den danach von der Beklagten angestellten Ermittlungen erfuhr sie noch vor der Auszahlung der aufgelaufenen Rente von der Tätigkeit des Antragstellers. Der ärztliche Berater der Beklagten kam - nunmehr unter Auswertung der Unterlagen der Betriebskrankenkasse - zu dem Ergebnis, daß B. bis zu Beginn des Jahres 1965 nicht auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet habe und deshalb während dieser Zeit nicht erwerbsunfähig gewesen sei.
Mit Bescheid vom 20. Januar 1966 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 9. Februar 1965 auf und gewährte mit Bescheid vom gleichen Tage Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Januar 1965 an.
Nach erfolglosem Widerspruch gegen beide Bescheide begehrte B. vor dem Sozialgericht (SG) Aufhebung des Bescheides vom 20. Januar 1966 und Auszahlung der Rente.
Das SG hob den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 1966 auf, wies die weitergehende Klage aber ab. Es führte dazu aus, der erste Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 1965 habe B. die Rente zuerkannt und sei gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für die Beklagte bindend geworden. Der Zusatz, mit dem der Bescheid erteilt sei, stelle eine unzulässig Einschränkung dar und sei deshalb unbeachtlich. Nachdem der aufhebende Bescheid der Beklagten beseitigt sei, bestehe allerdings für die Leistungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis.
Das SG hat die Berufung zugelassen.
Mit der Sprungrevision rügt die Beklagte die falsche rechtliche Würdigung des Vorbehalts im Rentenbescheid, indem sie geltend macht, der Versicherte solle nur darauf hingewiesen werden, daß ihm die Rente nicht zustehe, wenn die Voraussetzungen des Vorbehalts vorlägen. Auch solle er an seine Mitteilungspflicht aus § 24 der Satzung erinnert werden, die Ausfluß des Vertrauensschutzes sei. Diesen Schutz verliere er, wenn er seiner Verpflichtung nicht nachkomme. Ein unter diesen Umständen erschlichener Rentenbescheid könne von der Bindungswirkung des § 77 SGG nicht erfaßt werden.
Schließlich stehe die regelmäßige Ausübung der letzten Berufstätigkeit der Annahme von Erwerbsunfähigkeit in jedem Falle entgegen.
B. ist während des Revisionsverfahrens am 30. Januar 1969 verstorben. Die Witwe hat mit Schreiben vom 13. März 1969 das Verfahren als Sonderrechtsnachfolgerin (§ 88 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -) aufgenommen (§§ 68 RKG, 239 der Reichsversicherungsordnung). Sie lebte mit dem Verstorbenen in häuslicher Gemeinschaft.
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat erklärten die Beteiligten übereinstimmend, im Streit sei allein noch die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 9. Februar 1965 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 1966, soweit er die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1964 betreffe.
Sie erklärten den Rechtsstreit im übrigen für erledigt. Der Kläger stellte klar, sein Klageantrag sei darauf gerichtet, den Bescheid vom 9. Februar 1965 dahingehend zu ändern, daß der Zusatz entfalle.
Die Beklagte verpflichtet sich, bei Klageabweisung einen der materiellen Rechtslage entsprechenden Bescheid zu erteilen.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
II
Die Sprungrevision der Beklagten ist begründet.
Nach den Erklärungen der Beteiligten vor dem erkennenden Senat war nur noch zu entscheiden, ob die Klägerin verlangen kann, daß der streitige Vorbehalt im Rentenbescheid vom 9. Februar 1965 für sich alleine aufgehoben wird (soweit er das Jahr 1964 betrifft). Das ist entgegen der Ansicht des SG nicht der Fall.
Der angefochtene Bescheid ist zwar wegen dieses Vorbehaltes insgesamt rechtswidrig. Doch kann die Klägerin seine Aufhebung nur insgesamt, nicht jedoch allein die Aufhebung dieses Vorbehalts verlangen.
Vorbehalte dieser Art, durch welche die Gültigkeit der Rentenfeststellung davon abhängig gemacht wird, ob der Versicherte noch gearbeitet hat oder ob das nicht der Fall ist, dürfen allenfalls solchen Bescheiden hinzugefügt werden, die Ermessensleistungen betreffen. Besteht unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen jedoch Anspruch auf die Leistung, dann ist ein solcher Zusatz fehlerhaft, und daher rechtswidrig (vgl. dazu Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 9. Aufl., S. 210); die Verwaltung umgeht damit ihre Verpflichtung zu uneingeschränkter Leistung (vgl. Jung, DVBl 57, 708 ff - 709 -). Die Beklagte hätte daher nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entweder einen ablehnenden oder aber einen zusprechenden Bescheid erteilen müssen, eine andere Möglichkeit läßt das Gesetz nicht zu. Da im Verwaltungsverfahren der Grundsatz der objektiven Beweislast gilt, kann darüber hinaus auch nur die eine oder die andere Entscheidung inhaltlich richtig sein; der vorliegende Bescheid ist daher auch insofern rechtswidrig.
Gleichwohl kann dem Klageantrag nicht entsprochen werden. Der Vorbehalt läßt sich nicht aus dem Bescheid herauslösen. Der gesamte Bescheid kann nur als Einheit betrachtet werden, da die Verwaltungsbehörde den Verwaltungsakt ohne den fehlerhaften Teil nicht erlassen haben würde. Andernfalls würde man der Verwaltung einen Verwaltungsakt aufnötigen, den sie so nicht erlassen wollte. Einschränkende Vorbehalte lassen in diesen Fällen schon vermuten, daß die Verwaltung die Leistung nicht uneingeschränkt gewähren will. Derartige Verwaltungsakte teilen deshalb das rechtliche Schicksal solcher Vorbehalte (vgl. Forsthoff, 9. Aufl., Bd. 1 S. 242). Nach dem objektiven Erklärungsinhalt des angefochtenen Bescheids wollte sich die Beklagte im vorliegenden Fall jedenfalls nicht schlechthin zur Gewährung einer Rente verpflichten. Der Rentenbescheid sollte vielmehr nur gelten, wenn B. nicht wieder gearbeitet hatte. Für den hier vorliegenden Fall der tatsächlichen Arbeitsverrichtung sollte er also nicht gelten. Bliebe der Bescheid ohne den Zusatz bestehen, so würde die Beklagte entgegen ihrem erklärten Willen uneingeschränkt zur Leistung verpflichtet. Die auf die isolierte Aufhebung des in dem angefochtenen Bescheid vom 9. Februar 1965 enthaltenen Vorbehalts gerichtete Klage ist daher unbegründet. Sie wäre nur begründet, wenn die Aufhebung des ganzen Bescheides vom 9. Februar 1965 verlangt worden wäre. Eine solche Klage hat die Klägerin aber bewußt nicht erhoben, weil sie damit ihr eigentliches Klageziel, die uneingeschränkte Gewährung der Rente für das Jahr 1964, nicht erreichen konnte. B. hatte während dieser Zeit tatsächlich gearbeitet, so daß er bei einer Aufhebung des ganzen Bescheids und völlig neuer Rentenfeststellung mit einer Ablehnung seines Anspruchs auf Rente für das Jahr 1964 hätte rechnen müssen.
Nunmehr wird die Beklagte gemäß ihrer in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärung, bei Klageabweisung einen neuen Bescheid für das Jahr 1964 erlassen zu wollen, einen solchen - entsprechend der materiellen Rechtslage - zu erteilen haben, weil der angefochtene Bescheid nach dem Inhalt dieses Vorbehalts für das Jahr 1964 keine Regelung enthält, da B., wie bereits ausgeführt, während dieser Zeit tatsächlich gearbeitet hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen