Leitsatz (amtlich)
Vorschüsse auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung können bei Anwendung der Ruhensvorschrift des RKG § 75 (= RVO § 1278) für die Monate, für die sie gezahlt worden sind, allenfalls in Höhe der nachträglich für diese Monate festgestellten Verletztenrente berücksichtigt werden (Weiterentwicklung von BSG 1965-01-28 4 RJ 49/63 = BSGE 22, 233 = SozR Nr 6 zu § 1278 RVO ).
Normenkette
RKG § 75 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1278 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 15. November 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist das Ruhen der Knappschaftsrente wegen Bezugs einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Kläger erhält von der Beklagten ab 1. Juli 1964 eine Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Mit Schreiben vom 11. März 1966 - eingegangen am 15. März 1966 - teilte die Bergbau-Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, daß dem Kläger wahrscheinlich wegen des Vorliegens einer Berufskrankheit eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt werden würde. Der erste Vorschuß von 330,- DM sei am 11. März 1966 zur Zahlung angewiesen worden. Im Juli 1966 benachrichtigte die Bergbau-BG die Beklagte von der erfolgten endgültigen Anerkennung einer Berufskrankheit. Der Kläger erhalte ab 12. Oktober 1965 eine Rente, die für die Zeit von der Bewilligung bis zum 31. Januar 1966 auf 30 v.H. der Vollrente und ab Februar 1966 auf 40 v.H. der Vollrente festgesetzt worden sei. Die Rentenbezüge für die drei Monate des Jahres 1965 betrügen 145,10 DM, für Januar 1966 158,- DM und ab 1. Februar 1966 monatlich 210,60 DM. An Vorschüssen seien gezahlt: Im März 1966 300,- DM, im April 1966 200,- DM, im Mai 1966 200,- DM, im Juni 1966 zweimal je 200,- DM, insgesamt also 400,- DM und im Juli 1966 400,- DM.
In der Mitteilung der Bergbau-Berufsgenossenschaft an den Kläger über die erste Vorschußzahlung heißt es u.a.:
"... Auf die etwaige Rente weisen wir heute einen Vorschuß an .... Die Vorschußzahlung erfolgt ohne Anerkennung der Entschädigungspflicht dem Grunde nach. Sollte sich ergeben, daß der Rentenanspruch unbegründet ist oder eine Überzahlung vorliegt, behält sich die Berufsgenossenschaft die Rückforderung der evtl. zu Unrecht geleisteten Vorschüsse ausdrücklich vor ..."
Die Beklagte stellte fest, daß zwar bei monatlichen Rentenbezügen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 210,60 DM die Voraussetzungen für ein teilweises Ruhen der Knappschaftsrente nicht gegeben seinen, daß aber in den Monaten Juni und Juli 1966, in denen dem Kläger je 400,- DM Vorschuß gezahlt worden sind, ein teilweises Ruhen der Knappschaftsrente eingetreten sei, so daß 297,40 DM Rente zuviel gezahlt worden seien. Diese Überzahlung forderte sie mit Bescheid vom 18. August 1966 vom Kläger zurück; sie werde diesen Betrag ab 1. Oktober 1966 in 8 Raten von der laufenden Rente einbehalten. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 1966 zurückgewiesen.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Aachen die Beklagte mit Urteil vom 15. November 1967 verurteilt, dem Kläger den Betrag von 297,40 DM auszuzahlen. Es sei zwar richtig, daß die Gewährung eines Vorschusses auf die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hinsichtlich der Anwendung der Ruhensbestimmungen der Zahlung dieser Rente gleichstehe, jedoch könne die Beklagte für die Monate Juni und Juli 1966 nicht von dem als Vorschuß tatsächlich gezahlten Betrag von 400,- DM, sondern nur von dem später rückwirkend für diese Monate festgesetzten Betrag der Verletztenrente ausgehen. Nur wenn der Vorschuß der Höhe nach hinter der später bewilligten Rente zurückbleibe, seien für die Berechnung des ruhenden Teils der Versichertenrente die Vorschußbeträge zu berücksichtigen, um nachträgliche Korrekturen zu vermeiden. Das gelte aber nicht, wenn der Vorschuß höher als die später für die betreffenden Monate bewilligte Rente sei.
Das SG hat gegen das Urteil die Berufung zugelassen. Aus dem Sitzungsprotokoll vom 15. November 1967 ergibt sich, daß die Beteiligten übereinstimmend erklärt haben, daß sie unter Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung mit der Einlegung der Sprungrevision im Sinne des § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden sind.
Gegen das am 28. Dezember 1967 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Januar 1968 unter Beifügung einer Abschrift des Sitzungsprotokolls Sprungrevision eingelegt und diese in der Revisionsschrift auch begründet. Sie rügt die Verletzung des § 75 Abs. 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) und ist der Ansicht, daß bei Anwendung dieser Vorschrift auf die Knappschaftsrente des Klägers für die Monate Juni und Juli 1966 die in diesen Monaten von dem Träger der Unfallversicherung gezahlten Vorschüsse von je 400,- DM, nicht aber die in diesen Monaten dem Kläger tatsächlich zustehenden Rentenbezüge von je 210,60 DM zu berücksichtigen sind. Wenn bei der Prüfung der Ruhensauswirkung der Vorschuß an die Stelle der Verletztenrente trete, dann müsse das auch uneingeschränkt gelten. Es gehe nicht an, zu unterscheiden, ob der Vorschuß auf die Verletztenrente geringer oder höher als die endgültig zuerkannte Verletztenrente gewesen sei. Eine derartige unterschiedliche Behandlung sei nicht konsequent.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für richtig.
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat der Klage mit Recht stattgegeben. Die Ruhensvorschrift des § 75 RKG (= § 1278 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) ist von der Beklagten nicht richtig angewandt worden.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat, sind Vorschüsse auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei Anwendung der Ruhensvorschrift des § 75 RKG (= § 1278 RVO) grundsätzlich wie eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu behandeln, d.h. die Vorschüsse können ebenso wie die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu einem Ruhender Knappschaftsrente führen (BSG 22, 233 (235); SozR RKG § 75 Nr. 3). Dies kann jedoch nur insoweit gelten, als die Vorschußzahlungen durch die spätere - rückwirkende - Rentenfeststellung zu vorbehaltlosen Zahlungen werden. Vorschüsse werden allgemein im Hinblick auf eine später festgestellte Rente gezahlt, d.h. es wird die Rückforderung oder die Verrechnung mit später festgestellten Rententeilen vorbehalten. Nur wenn und insoweit später für den Monat, für welchen der Vorschuß gezahlt wurde, auch wirklich eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung festgestellt wird, können die gezahlten Vorschüsse Rentenbezügen gleichgestellt werden. Im vorliegenden Fall ist der Kläger bei der ersten Vorschußzahlung auch noch ausdrücklich auf das Rückforderungs- und Verrechnungsrecht hingewiesen worden. Bei Anwendung der Ruhensvorschrift des § 75 RKG (= § 1278 RVO) ist bei Vorschußzahlungen also zu prüfen, ob und inwieweit durch die spätere Rentenfeststellung der Vorschuß zu einer vorbehaltlosen Zahlung wird.
Entsprechen die für einen bestimmten Monat gezahlten Vorschüsse der später festgestellten Rente für die betreffenden Monate oder sind sie niedriger als diese, so entfällt der Vorbehalt, der mit der Vorschußzahlung verbunden ist, weil für den betreffenden Monat keine Zahlung zu Unrecht erfolgt ist. Es bestehen also keine Bedenken, die Vorschüsse in dieser Höhe einer echten Rentenzahlung gleichzubehandeln. Allerdings kann die entsprechende Anwendung des § 75 RKG (= § 1278 RVO) auf Rentenvorschüsse nur dazu führen, diese in ihrer tatsächlichen Höhe echten Rentenzahlungen gleichzustellen, wie bereits der 4. und der erkennende Senat in den o.a. Urteilen entschieden haben. Die über die Vorschüsse hinausgehenden Rentenansprüche und Rentenzahlungen können, da sie erst später rückwirkend festgestellt und ausgezahlt werden, nicht anders behandelt werden, wie Rentenzahlungen generell, die rückwirkend festgestellt und ausgezahlt werden, ohne daß vorher Vorschüsse gezahlt worden sind.
Stellt sich bei der späteren Rentenfeststellung dagegen heraus, daß kein Rentenanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht oder daß der für einen bestimmten Monat gezahlte Vorschuß höher ist als die auf diesen Monat entfallende Rente, wird der Vorbehalt, der mit jeder Vorschußzahlung verbunden ist, in der die Rente übersteigenden Höhe wirksam, d.h. es besteht insoweit entweder ein Rückforderungs- oder Verrechnungsanspruch. Im letzteren Fall kann der Teil des Vorschusses, der für den betreffenden Monat nicht anrechenbar ist, auf andere Monate verrechnet werden. Der überschießende Vorschußteil kann, da er für den betreffenden Monat nicht zu einer vorbehaltlosen Zahlung wird, bei der Anwendung der Ruhensvorschrift des § 75 RKG (= § 1278 RVO) für diesen Monat nicht wie eine echte Rentenzahlung behandelt werden.
Damit können im vorliegenden Fall die für die Monate Juni und Juli 1966 gezahlten Vorschüsse nur in der Höhe der nachträglich für diese Monate festgestellten Rente bei Anwendung dieser Ruhensvorschrift berücksichtigt werden. Da nur die knappschaftlichen Rentenansprüche für diese Monate streitig sind, bedurfte es keiner Entscheidung, ob die überschießenden Vorschüsse zu einem Ruhen in den Monaten führen könnten, auf die sie verrechnet worden sind.
Die Entscheidung des SG ist daher nicht zu beanstanden, so daß die Sprungrevision zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen