Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammentreffen von Knappschaftsrente und Verletztenrente. Rentenruhen
Orientierungssatz
Nach § 75 Abs 1 S 1 RKG ruht eine knappschaftliche Rente, die mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusammentrifft, insoweit, als sie ohne Leistungszuschlag und ohne Kinderzuschuß zusammen mit der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl 100 vH des Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Verletztenrente zugrunde liegt, als auch 100 vH der für ihre Berechnung maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage übersteigt. Diese Vorschrift soll verhindern, daß das Renteneinkommen eines Versicherten höher ist, als sein Erwerbseinkommen war. (vgl BSG 1969-07-31 4 RJ 105/69 = SozR Nr 14 zu RVO § 1278).
Normenkette
RKG § 75 Abs. 1 S. 1; RVO § 1278 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.11.1969) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 15.10.1968) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. November 1969 dahin abgeändert, daß dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vom 1. Juli 1965 bis zum 31. August 1966 unter Anwendung der Ruhensbestimmung des § 75 Abs. 1 Reichsknappschaftsgesetz zu zahlen ist.
Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Unter den Beteiligten ist streitig, ob die zunächst als Verletztengeld (§ 560 Reichsversicherungsordnung - RVO -) gewährten Barleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, die auf eine rückwirkend gewährte Verletztenrente (§ 562 Abs. 1 RVO) angerechnet wurden, bei einer danach rückwirkend gewährten Knappschaftsrente das Ruhen der Knappschaftsrente nach § 75 Abs. 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) bedingen können.
Der Kläger erlitt am 10. Juni 1965 einen Arbeitsunfall, der eine Querschnittslähmung zur Folge hatte. Zunächst erhielt er von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BG) bis zum 8. August 1966 Verletztengeld, das von der Knappschaftszahlstelle aufgrund eines Abkommens mit der Bergbau-BG ausgezahlt wurde. Ab August 1966 zahlte die BG Vorschüsse auf die zu erwartende Vollrente. Mit Bescheid vom 3. November 1966 gewährte die BG dem Kläger vom 11. Juni 1965 an zunächst die vorläufige Vollrente und stellte dann mit Bescheid vom 27. April 1967 die vorläufige Vollrente als Dauerrente fest. Auf die Rentennachzahlung rechnete die BG das für die Zeit bis zum 8. August 1966 gezahlte Verletztengeld und die von ihr gezahlten Vorschüsse an.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 2. Februar 1967 den Anspruch des Klägers auf Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Juni 1965 an. Im Hinblick auf das bis zum 8. August 1966 gezahlte Verletztengeld und die ab August 1966 gezahlten Vorschüsse auf die Verletztenrente stellte die Beklagte ab 1. Juli 1965 ein teilweises Ruhen der knappschaftlichen Versichertenrente nach § 75 Abs. 1 RKG fest und zahlte diese Rente nur gekürzt aus. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er vertrat die Ansicht, daß die Knappschaftsrente für die Zeit vom 1. Juni 1965 bis zum 31. August 1966 ungekürzt gezahlt werden müsse, weil die Ruhensbestimmungen erst auf die Rentenzahlungen ab September 1966 angewendet werden könnten. Der erste Vorschuß auf die Unfallrente sei erst im August 1966 gezahlt worden. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 1968 zurückgewiesen. Es wurde festgestellt, daß die Beklagte bei Anwendung der Ruhensbestimmungen das für die einzelnen Monate gezahlte Verletztengeld oder die gezahlten Vorschüsse höchstens in Höhe des Betrages berücksichtigen dürfe, der bei der endgültigen Abrechnung durch die BG für diese Monate als Verletztenrente gezahlt wurde. Darauf erfolgte eine entsprechende Umrechnung durch die Beklagte, die zu einer Nachzahlung an den Kläger führte.
Die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 15. Oktober 1968 mit der Maßgabe abgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, bei der Ermittlung der Ruhensbeträge nach § 75 RKG bei Vorschußzahlungen durch die Bergbau-BG nur die tatsächlichen Beträge der Unfallrente, nicht aber die höheren Beträge der Vorschußzahlungen zugrunde zu legen.
Da die Beklagte nach der erfolgten Umrechnung bei der Anwendung der Ruhensvorschriften keine über die monatlichen Beträge der Verletztenrente hinausgehenden Beträge mehr angerechnet hatte, war sie durch das Urteil des SG nicht beschwert. Im übrigen vertrat das SG die Ansicht, das dem Kläger gezahlte Verletztengeld sei als Vorschußleistung auf die mit rückwirkender Kraft gewährte Verletztenrente anzusehen und unterliege daher - ebenso wie die Verletztenrente - den Ruhensbestimmungen des § 75 RKG. Gegen das Urteil hat das SG die Berufung zugelassen.
Auf die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 4. November 1969 die Beklagte unter Abänderung bzw. Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide der Beklagten verurteilt, dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juli 1965 bis zum 31. August 1966 ohne Anwendung der Ruhensbestimmungen des § 75 RKG zu zahlen. Dem Kläger sei der erste Vorschuß auf die Verletztenrente im Monat August 1966 gezahlt worden. Daher sei ein Ruhen der Knappschaftsrente erstmalig im September 1966 eingetreten. Daß die Bergbau-BG dem Kläger nachträglich auch für den Zeitraum vom 11. Juni 1965 bis zum 8. August 1966 Verletztenrente gewährt habe, könne zu keinem anderen Ergebnis führen; denn hierdurch sei der nach § 75 Abs. 4 RKG für den erstmaligen Eintritt des Ruhens allein maßgebende Zeitpunkt der ersten Vorschußzahlung auf die Verletztenrente nicht vorverlegt worden. Die Zahlung des Verletztengeldes könne nicht in eine Vorschußzahlung auf die Verletztenrente umgedeutet werden. Eine solche Umdeutung sei auch deshalb nicht möglich, weil der Sinn und Zweck beider Leistungen verschieden sei. Das Verletztengeld werde dem Verletzten für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung gewährt, soweit er während dieser Zeit kein Arbeitsentgelt erhalte, es solle also den Ausfall an Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit ausgleichen. Demgegenüber werde die Unfallrente als Ersatz für die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt. Da die Gewährung der Verletztenrente die Zahlung von Verletztengeld ausschließe, könne das eine nicht beliebig an die Stelle des anderen gesetzt werden. Der Gesetzgeber habe auch nicht schlechthin jede Doppelleistung verhindern wollen. Aus § 75 Abs. 4 RKG ergebe sich, daß Doppelleistungen für die Zeit bis zur tatsächlichen Zahlung der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bewußt in Kauf genommen worden seien, denn eine rückwirkende Feststellung der Rente aus der Unfallversicherung habe für die zurückliegende Zeit keinen Einfluß auf die Knappschaftsrente. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Zur Begründung der von ihr eingelegten Revision vertritt die Beklagte die Ansicht, die zunächst als Verletztengeld gewährten Barleistungen der Unfallversicherung seien - wie auch der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits entschieden habe - bei rückwirkender Gewährung von Verletztenrente für die Anwendung des § 75 Abs. 1 RKG wie Vorauszahlungen auf die Verletztenrente anzusehen und müßten daher gegebenenfalls auch das Ruhen eines Teils der Versichertenrente bedingen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. November 1969 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dortmund vom 15. Oktober 1968 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Knappschaftsrente ist dem Kläger auch für die Zeit vom 1. Juli 1965 bis zum 31. August 1966 nur unter Anwendung der Ruhensbestimmung des § 75 Abs. 1 RKG zu zahlen.
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 RKG ruht eine knappschaftliche Rente, die mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusammentrifft, insoweit, als sie ohne Leistungszuschlag und ohne Kinderzuschuß zusammen mit der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl 100 v.H. des Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Verletztenrente zugrunde liegt, als auch 100 v.H. der für ihre Berechnung maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage übersteigt. Diese Vorschrift soll verhindern, daß das Renteneinkommen eines Versicherten höher ist, als sein Erwerbseinkommen war.
Im vorliegenden Fall ist dem Kläger mit Bescheid der BG vom 3. November 1966 die Vollrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung rückwirkend vom 11. Juni 1965 an bewilligt worden, nachdem ihm die BG zunächst bis August 1966 Verletztengeld und ab August 1966 Vorschüsse auf die zu erwartende Rente gezahlt hat. Verletztengeld und Vorschüsse wurden auf die Vollrente angerechnet. Mit Bescheid vom 2. Februar 1967 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Juni 1965 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 Satz 1 RKG sind erfüllt. Da dem Kläger mit Bescheid der BG vom 3. November 1966 die Vollrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung rückwirkend vom 11. Juni 1965 an und mit Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 1967 die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend vom 1. Juni 1965 an bewilligt worden ist, traf die knappschaftliche Rente ab 11. Juni 1965 mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen.
Nach § 75 Abs. 4 RKG ist die Knappschaftsrente unverkürzt bis zum Ende des Monats zu gewähren, in dem die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum ersten Mal ausgezahlt wird. Diese Regelung soll verhindern, daß das Ruhen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen des gleichzeitigen Anspruchs auf eine Unfallrente bereits eintritt, ehe der Versicherte in den Genuß einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung gekommen ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob deshalb dann, wenn - wie im vorliegenden Falle - ein Versicherter bereits in den Genuß einer ausgezahlten Verletztenrente gekommen ist, ehe ihm die Knappschaftsrente gezahlt wird, § 75 Abs. 4 RKG gar nicht zur Anwendung kommen kann, weil diese Vorschrift umgekehrt voraussetzt, daß die Zahlung der Verletztenrente auf eine schon laufend gezahlte Knappschaftsrente trifft; denn selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgt, ist im vorliegenden Falle die erste Auszahlung des Verletztengeldes wie die erste Auszahlung der Verletztenrente im Sinne des § 75 Abs. 4 RKG zu werten. Für die Verwirklichung des Grundgedankens dieser Vorschrift - keine Kürzung der Knappschaftsrente, ehe der Versicherte in den Genuß der Verletztenrente gekommen ist - ist es bedeutungslos, ob vom Unfallversicherungsträger zum ersten Mal die festgesetzte Verletztenrente oder ein Vorschuß auf die Verletztenrente oder ein Verletztengeld ausgezahlt wird, welches später mit der Verletztenrente verrechnet wird. In allen drei Fällen ist die Interessenlage im wesentlichen gleich. Hinsichtlich der Vorschüsse auf Verletztenrente hat daher das BSG auch bereits entschieden, daß ihre Zahlung bei der Anwendung des § 75 Abs. 4 RKG der Rentenzahlung grundsätzlich gleichsteht (SozR Nr. 6 zu § 1278 RVO und Nr. 3 zu § 75 RKG). In dem Falle, daß vom Unfallversicherungsträger zum ersten Mal ein Verletztengeld gezahlt wird, welches später mit der Verletztenrente verrechnet wird, kann daher die Knappschaftsrente ebenfalls unverkürzt nur bis zum Ende des Monats gewährt werden, in dem das Verletztengeld zum ersten Mal ausgezahlt worden ist. Dieses ist dem Kläger aber zum ersten Mal im Juni 1965 zugeflossen, so daß seine Knappschaftsrente ab 1. Juli 1965 unter Anwendung der Ruhensbestimmungen des § 75 Abs. 1 RKG zu zahlen war. Der Senat kommt damit zum gleichen Ergebnis wie der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 31. Juli 1969 (SozR Nr. 14 zu § 1278 RVO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen