Leitsatz (redaktionell)
Der besondere Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach RVO § 1531 (hier: auf Kinderzuschuß aus der Rente des Arbeiterrentenversicherungsträgers) geht dem Forderungsübergang nach RVO § 183 Abs 3 S 2 unter dem Gesichtspunkt der Spezialität vor.
Orientierungssatz
Zu der Frage, ob aus einer nachzuzahlenden Rente der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Ersatz aus dem Kinderzuschuß nach RVO § 1531 vor dem Anspruch der KK nach RVO § 183 Abs 3 S 2 zu befriedigen ist.
Normenkette
RVO § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. April 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob aus einer nachzuzahlenden Rente der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Ersatz aus dem Kinderzuschuß nach § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vor dem Anspruch der Krankenkasse nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO zu befriedigen ist.
Der beigeladene Landschaftsverband W unterstützte den außerehelichen Sohn des Beigeladenen zu 1) - des Versicherten - gemäß § 52 Nr. 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vom 1. Februar 1965 an mit laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 84,- DM monatlich.
Der Versicherte erhielt vom Landkreis Grafschaft S im Auftrag des Landes Niedersachsen- Niedersächsisches Landessozialamt -, als überörtlicher Sozialhilfeträger vom 1. November 1965 bis zum 15. Februar 1966 Ernährungszulage aus der Tbc-Hilfe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 BSHG in Höhe von insgesamt 175,- DM.
Die beklagte Innungskrankenkasse gewährte dem Versicherten für die Zeit vom 19. März 1965 bis zum 15. Februar 1966 Krankengeld. Die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) H bewilligte ihm durch Bescheid vom 31. Januar 1966 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Mai 1965 an. Die laufende Rentenzahlung begann am 1. April 1966. Die Rente betrug vom 1. Mai 1965 an 186,70 DM, vom 1. Juli 1965 an 282,- DM und vom 1. Januar 1966 an 305,50 DM monatlich. In den monatlichen Rentenbeträgen waren Kinderzuschüsse für den außerehelichen Sohn des Versicherten bis 31. Dezember 1965 im Betrage vom 56,- DM und vom 1. Januar 1966 an in Höhe von 60,70 DM enthalten.
Die bis zum 31. März 1966 nachzuzahlende Rente betrug 2.981,90 DM. Hierauf erhoben die beigeladenen Sozialhilfeträger in Höhe von 1.176,- DM sowie von 175,- DM und die Beklagte in Höhe von 2.534,50 DM Anspruch. Die Klägerin sah die Forderungen der beiden Sozialhilfeträger als vorrangig an und überwies zur Befriedigung der geltend gemachten Ersatzansprüche an den Beigeladenen zu 3) (Landschaftsverband W) 924,- DM und an den Beigeladenen zu 2) (Niedersächsisches Landessozialamt) 175,- DM. An die Beklagte zahlte die Klägerin anstelle des geltend gemachten Betrages von 2.534,50 DM den Restbetrag von 1.628,50 DM ("Ergänzungsbescheid" vom 16. März 1966).
Die Beklagte verlangte von der Klägerin auch die Zahlung des noch offenstehenden Betrages, da er aus der nachzuzahlenden Rente gemäß § 183 Abs. 3 RVO vor dem Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 RVO zu befriedigen sei. Die Klägerin hat, da eine Einigung nicht zu erzielen war, Klage erhoben mit dem Antrag, festzustellen, daß der Beklagten aus der Rentennachzahlung weitere Leistungen, als mit dem Bescheid vom 16. März 1966 erbracht worden sind, nicht zustehen.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Urteil vom 20. Oktober 1967 festgestellt, daß der Beklagten aus der abgerechneten Rentennachzahlung insoweit kein Anspruch zusteht, als er den Betrag von 270,60 DM übersteigt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Nach Auffassung des SG sind die von den beigeladenen Sozialhilfeträgern geltend gemachten Erstattungsansprüche grundsätzlich vor der Forderung der Beklagten zu befriedigen. Die Klägerin habe aber in Verkennung des § 1531 Satz 2 RVO insgesamt 270,60 DM zu viel an den Landschaftsverband W ausgezahlt.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil des SG Hannover vom 20. Oktober 1967 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der beigeladene Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen, |
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die Klägerin seinen Ersatzanspruch in Höhe von 924,- DM zu befriedigen hat. |
Die Klägerin und das beigeladene Niedersächsische Landessozialamt haben beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der beigeladene Versicherte hat keinen Antrag gestellt.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat in dem Urteil vom 30. April 1969 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Hannover vom 20. Oktober 1967 abgeändert und festgestellt, daß die Beklagte einen weiteren Ersatzanspruch in Höhe von 175,- DM hat. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des beigeladenen Landschaftsverbandes W zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten, ein Leistungsanspruch nach der RVO könne immer nur mit der Beschränkung übergeleitet werden, die sich durch einen bereits entstandenen oder etwa künftig entstehenden Ersatzanspruch kraft Gesetzes ergebe. Der Anspruch des Sozialhilfeträgers aus § 1531 RVO bestehe deshalb auch dann fort, wenn der Anspruch des Versicherten nach § 183 Abs. 3 RVO auf den Träger der Krankenversicherung übergegangen sei. Er sei somit in jedem Falle vorab zu befriedigen. Die von den beigeladenen Sozialhilfeträgern erbrachten Leistungen seien als "Unterstützung eines Hilfsbedürftigen" i.S. des § 1531 RVO anzusehen. Da die übrigen Voraussetzungen des § 1531 RVO erfüllt seien, seien die Ersatzansprüche der beiden Sozialhilfeträger vor dem Anspruch der Beklagten zu befriedigen.
Zutreffend berufe sich die Beklagte jedoch auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. April 1968 (SozR Nr. 21 zu § 1531 RVO). Von dem Landkreis Grafschaft S seien mit der Tbc-Hilfe für die Zeit vom 1. November 1965 bis 15. Februar 1966 in einem Betrag von 175,- DM Aufwendungen gemacht worden, zu denen der Träger der Rentenversicherung gegenüber dem Versicherten nicht verpflichtet gewesen sei. Die Klägerin sei daher nicht berechtigt gewesen, an den Landkreis der Grafschaft S 175,- DM zu leisten, weil dieser mit den Aufzahlungen zum Krankengeld nur eine ihm selbst obliegende Leistungspflicht erfüllt habe.
Wie das SG richtig entschieden habe, entfielen auf den Ersatzanspruch des Landschaftsverbandes W statt der geltend gemachten 924,- DM lediglich 653,40 DM. Die von diesem Verband erbrachten Sozialhilfeleistungen habe nicht der Versicherte, sondern sein außerehelicher Sohn erhalten, der nach § 52 Nr. 4 BSHG einen eigenen Leistungsanspruch besessen habe. Der Versicherte habe andererseits "mit Rücksicht auf diesen Angehörigen" gegenüber der Klägerin einen Anspruch auf Zahlung eines Kinderzuschusses zur Rente gehabt. Dem Landschaftsverband W habe ein Ersatzanspruch aus der von der Klägerin gewährten Rentennachzahlung gemäß § 1531 Satz 2 RVO nur in Höhe dieses Kinderzuschusses zugestanden. Den vom Landschaftsverband W geltend gemachten Unterhaltsbetrag von monatlich 84,- DM habe die Klägerin jedoch in voller Höhe ausgezahlt, so daß diesem Verband in der hier in Betracht kommenden Zeit von Mai 1965 bis Februar 1966 insgesamt 270,60 DM (8 x 28,- DM und 2 x 23,30 DM) zu Unrecht zugeflossen seien. Das Feststellungsbegehren des Landschaftsverbandes W habe deshalb keinen Erfolg haben können.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie verbleibt bei ihrer Auffassung, daß der gesetzliche Forderungsübergang nach § 183 RVO gegenüber dem Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 RVO den Vorrang haben müsse. Der Rentenanspruch des Versicherten sei von Anbeginn mit dem Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe "belastet", in gleicher Weise aber auch mit dem gesetzlichen Forderungsübergang zugunsten der Krankenkasse. Ein gesetzlicher Forderungsübergang habe aber stärkere Wirkungen als ein nur obligatorischer Ersatzanspruch, der dem Sozialhilfeträger nach § 1531 RVO zustehe, weil er weder nach bürgerlichem Recht noch nach öffentlichem Recht eine unmittelbare Drittwirkung gegenüber der Krankenkasse habe. Zudem habe der Landschaftsverband W es auch unterlassen, die Barleistungen aus der Krankenversicherung, die der Versicherte vom 19. März 1965 an bezogen habe, nach § 119 RVO zu pfänden. Die Unterhaltsleistungen hätten dem Landschaftsverband W aus dem Krankengeld erstattet werden können, so daß die Vorrangigkeit der Ansprüche aus § 1531 RVO und § 183 RVO nicht aufgetreten wäre Es erscheine daher ungerechtfertigt, der beklagten Innungskrankenkasse infolge des Unterlassens des Landschaftsverbandes W die Möglichkeit zu nehmen, den Ersatz des vollen Krankengeldes aus der Rente zu erhalten.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Hannover vom 20. Oktober 1967 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 1) - der Versicherte - ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Der Beigeladene zu 2) - Land Niedersachsen, vertreten durch das Landessozialamt - und der Beigeladene zu 3) - Landschaftsverband W - haben keine Anträge gestellt.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Auf die allein von der beklagten Innungskrankenkasse eingelegte Revision ist in dem Revisionsverfahren nur noch darüber zu entscheiden, ob das LSG zu Recht der Befriedigung des Ersatzanspruchs des Landschaftsverbandes W nach § 1531 RVO aus der Rentennachzahlung den Vorrang gegenüber dem Anspruch der beklagten Innungskrankenkasse aus § 183 Abs. 3 RVO eingeräumt hat; denn nur insoweit hat der Landschaftsverband W aus der Rentennachzahlung etwas zu Lasten der beklagten Innungskrankenkasse erhalten. Der Auffassung des LSG ist im Ergebnis zuzustimmen.
Der Landschaftsverband W hat dem außerehelichen Sohn des Versicherten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 84,- DM monatlich für die Zeit von Mai 1965 bis März 1966, also insgesamt für 11 Monate gezahlt. Hieraus ergibt sich der vom Landschaftsverband W erhobene Ersatzanspruch von 924,- DM.
Für die hier in Frage stehende Zeit vom Mai 1965, dem Beginn der Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, bis Februar 1966, in der die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt des Sozialhilfeträgers mit der Zahlung von Krankengeld durch die Beklagte zusammenfällt, hat der Landschaftsverband W den außerehelichen Sohn des Versicherten somit mit insgesamt 10 x 84,- DM, also mit einem Betrage von 840,- DM unterstützt. Nach Auffassung des LSG steht dem Landschaftsverband W aus der Rentennachzahlung aber nur der in der Rente enthaltene Kinderzuschuß zur Befriedigung seines Ersatzanspruchs nach § 1531 Satz 2 RVO zu. In der nachzuzahlenden Rente waren für die Zeit von Mai bis Dezember 1965 Kinderzuschüsse von 8 x 56,- DM, insgesamt 448,- DM, und für die Zeit vom Januar 1966 bis Februar 1966 Kinderzuschüsse von 2 x 60,70 DM, also insgesamt 121,40 DM enthalten. Das LSG hat dem Landschaftsverband W somit nur den Ersatzanspruch in Höhe des Gesamtbetrages dieser Kinderzuschüsse von 569,40 DM zugebilligt. Da die Klägerin dem Landschaftsverband für diese Zeit aber 840,- DM aus der Rentennachzahlung überwiesen hatte, hat er den Betrag von 270,60 DM zu viel und zu Unrecht erhalten.
Die hier getroffene Entscheidung des LSG stimmt mit der Rechtsprechung des BSG überein. Der 3. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 30. Januar 1970 (BSG 30, 253 ff) bereits ausgesprochen, wenn ein Sozialhilfeträger einen Angehörigen eines Rentenberechtigten unterstützt, dem Kinderzuschuß - als Teilbetrag der Rente - zu gewähren ist, so geht der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Ersatz aus dem Kinderzuschuß (§ 1531 Satz 2 i.V.m. Satz 1, § 1536 RVO) dem Übergang der Rente auf die Krankenkasse nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO vor. Er hat außerdem zu § 183 RVO entschieden, daß der Ersatzanspruch der Familienausgleichskasse (FAK) nach § 1541 a RVO aF betr. den Kinderzuschuß aus der Rentenversicherung insoweit dem nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO auf die Krankenkasse übergegangenen Anspruch vorging (SozR Nr. 45 zu § 183 RVO). Der 3. Senat hat in diesen beiden Entscheidungen seine Rechtsauffassung, weshalb der Anspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 RVO aus dem Kinderzuschuß vor dem der Krankenkasse aus dem Forderungsübergang nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO vorrangig zu befriedigen ist, eingehend begründet. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.
Die von der Revision vorgebrachten Gründe vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Der 3. Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß von dem Mittel, mit dem Ersatzansprüche durchzusetzen sind - gesetzlicher Forderungsübergang einerseits, selbständiger Ersatzanspruch andererseits - auf die Stärke und Rangstelle dieser Berechtigungen nicht geschlossen werden kann. Er hat ebenfalls ausgeführt, daß hier zwei Anspruchsberechtigungen gegenüberstehen, die beide unmittelbar kraft Gesetzes entstanden sind, und daß in solchen Fällen grundsätzlich Gleichrangigkeit angenommen werden müsse, wenn es sich tatsächlich um gleichberechtigte Forderungsübergänge handele. Der besondere Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 Abs. 2 i.V.m. Satz 1 RVO gehe aber dem Forderungsübergang nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO unter dem Gesichtspunkt der Spezialität vor, so daß gleichberechtigte Forderungsübergänge nicht vorlägen.
Soweit die Revision sich darauf beruft, der Landschaftsverband W habe es vorwerfbar unterlassen, vom 19. März 1965 ab die Barleistungen des Versicherten aus der Krankenversicherung nach § 119 RVO zu pfänden, so kann auch dieser Gesichtspunkt nicht dazu führen, die Rechtslage anders zu beurteilen; denn auch eine derartige Unterlassung kann den besonderen Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nicht berühren, nach § 1531 Satz 2 RVO wegen seiner Aufwendungen aus den Kinderzuschüssen, die in einer nachzuzahlenden Rente enthalten sind, im Range vor dem Anspruch der Krankenkasse nach § 183 Abs. 2 RVO Befriedigung zu erhalten.
Die Revision der Beklagten muß aus diesen Gründen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen