Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger leistete seit Oktober 1990 Grundwehrdienst. Am 25. September 1991 hielt er sich nach Dienstschluß in der Kaserne auf, obwohl es ihm freigestellt war, dort oder zu Hause zu übernachten. An diesem Abend feierte er mit seinen Kameraden auf einer Stube im Kasernengebäude die bevorstehende Entlassung aus der Bundeswehr. Gegen 2.00 Uhr morgens lieferte er sich mit dem Gefreiten B. ein Scheingefecht mit Besenstielen, in dessen Verlauf ihm B. ohne Vorwarnung die abgebrochene Hälfte eines Besenstiels zuwarf. Der Kläger wurde im Gesicht getroffen und am rechten Auge verletzt. Als Folge dieser Verletzung ist er auf diesem Auge praktisch erblindet.
Der Beklagte lehnte es ab, eine Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und die Unfallfolgen zu entschädigen (Bescheid vom 19. März 1992; Widerspruchsbescheid vom 20. August 1992).
Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 12. Januar 1995 und Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 10. Juli 1996). Das LSG hat dazu ua ausgeführt: Weder das Feiern auf der Stube noch erheblicher Alkoholgenuß, auf den möglicherweise das schädigende Ereignis zurückzuführen sei, noch das Fechten mit Besenstielen einschließlich des Zuwerfens eines abgebrochenen Besenstiels könnten auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückgeführt werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 80, 81 Abs 1 SVG. Die Auswirkungen der für den Wehrdienst typischen „Kasernierung” mit ständigem engen Zusammenleben fremder Menschen seien nicht den Soldaten, sondern der Bundeswehr zuzurechnen. Junge Wehrpflichtige neigten zu Reaktionen und Verhalten, die ihnen im Zivilleben fremd seien, und brächten im Umgang miteinander nicht die Sorgfalt auf, die im Zivilleben üblich sei. Daß der Kläger zum Zeitpunkt der Schädigung unter Alkoholeinfluß gestanden habe, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen. In den Kantinen von Kasernen werde Alkohol in unkontrollierten Mengen abgegeben. Das Fechtspiel habe typische Merkmale von Kriegshandlungen (Angriff und Verteidigung) aufgewiesen. Es sei deshalb auch seiner Art nach auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen. Denn Zweck des Wehrdienstes sei es, Kampfhandlungen – im weitesten Sinne – zu üben und zu praktizieren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 1996, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. Januar 1995 und den Bescheid des Beklagten vom 19. März 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 1992 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, eine Wehrdienstbeschädigung mit der Folge „praktische Erblindung des rechten Auges” anzuerkennen und ab 1. November Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 vH zu gewähren.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Die Augenverletzung des Klägers ist keine Wehrdienstbeschädigung, für deren Folgen Versorgung entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) beansprucht werden könnte (§ 80 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes ≪SVG≫). Der Kläger ist weder durch eine Wehrdienstverrichtung noch durch einen Unfall während der Ausübung des Dienstes noch durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse geschädigt worden (§ 81 Abs 1 SVG wie § 1 Abs 1 BVG).
Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt liegen keine Anhaltspunkte für eine Wehrdienstbeschädigung durch eine Dienstverrichtung oder durch einen während des Dienstes erlittenen Unfall vor. Denn der Kläger hatte zum Unfallzeitpunkt dienstfrei und hätte die Kaserne als „Heimschläfer” über Nacht verlassen können. Er stand aber auch nicht als Teilnehmer bei der Abschiedsfeier unter Versorgungsschutz, weil es sich nicht um eine dienstliche Veranstaltung iS des § 81 Abs 3 Nr 3 SVG gehandelt hat. Nach der Rechtsprechung setzt der Versorgungsschutz eine „materielle Dienstbezogenheit” und eine „formelle” Organisation durch den Dienstherrn oder einen von ihm Beauftragten (vgl BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 14 und den Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 15. Mai 1981 über „Dienstliche Veranstaltungen geselliger Art” ≪VMBl 1981, 239≫) voraus. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt,. Die Soldaten nahmen am 25./26. September 1991 an einer privat organisierten Abschiedsfeier teil.
Zu Recht sind der Beklagte und die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß der Unfall des Klägers nicht auf wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen beruht. Wehrdiensteigentümlich sind Verhältnisse, die der Eigenart des Dienstes entsprechen und im allgemeinen eng mit dem Dienst verbunden sind. Der Tatbestand des § 81 Abs 1 SVG erfaßt damit alle nicht weiter bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes, die aus der besonderen Rechtsnatur dieses Verhältnisses und der damit verbundenen Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten folgen. Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse können sich auch außerhalb der Ausübung des Wehrdienstes in der Freizeit (Streit infolge Aggressionsstaus: BSG SozR Nr 80 zu § 1 BVG und SozR 3200 § 81 Nr 11; Besonderheiten des Kasernengebäudes: BSG SozR 3200 § 81 Nr 31; Verkehrsunfall in Bundeswehranlage: BSG SozR 3200 § 81 Nr 30; Zusammenleben auf engem Raum: BSG SozR 3200 § 81 Nr 21), während Dienstpausen und während privater Verrichtungen ergeben (BSG SozR 3200 § 81 Nr 31 mwN; BGH VersR 1993, 591, 592). Zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen sind ferner besondere Anforderungen an das Verhalten des Soldaten zu rechnen, wenn sie seine Eigenverantwortung einschränken und ihm zB zu einer bestimmten Gestaltung seiner Freizeit zwingen (Zwang zu kameradschaftlichem Verhalten: BSG SozR 3200 § 81 Nr 11 und Urteile vom 17. November 1981 – 9 RV 20/81 – Breithaupt 1982, 610 und vom 20. April 1983 – 9a RV 30/82 – HV-Info 1986, 1029; Zwang zum Kasernenaufenthalt auch während der Freizeit: BSG SozR 3200 § 81 Nr 19; Verpflichtung des Soldaten, sich gesund zu erhalten: BSG SozR 3200 § 81 Nr 15).
Entgegen der Auffassung der Revision konnte sich die Kasernierung junger Männer und das damit begründete Konfliktpotential hier nicht auswirken, weil der Kläger am 25. September 1991 nach Dienstschluß bis zum Dienstbeginn am nächsten Tag nicht dem Kasernierungszwang unterlag und über die Verwendung seiner Freizeit selbst frei entscheiden konnte. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von demjenigen, der dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. April 1985 (SozR 3200 § 81 Nr 21) zugrunde gelegen hat. Dort war der Versorgungsschutz bejaht worden, weil die Soldaten eine kurze Dienstpause praktisch nur zusammen auf der Stube verbringen konnten. Wehrdiensteigentümlich ist eine ausgelassene Abschiedsfeier kurz vor Ende des Wehrdienstes nicht. Dabei spielt es keine Rolle, wo die Feier stattfindet, ob in der Kaserne oder zB in einer Gaststätte. Solche Feiern werden auch im Zivilleben, zB von Schülern, Studenten, Sportkameraden oder Berufskollegen, veranstaltet. Daß mit dem Fechtspiel – wie der Kläger geltend macht – eine Verhaltensweise geübt und praktiziert worden sei, zu der Soldaten im Wehrdienst erzogen würden, ist ebensowenig geeignet, den Anspruch auf Versorgung zu begründen. Das Vorbereiten auf kriegerische Auseinandersetzungen im Rahmen der militärischen Ausbildung geschieht grundsätzlich während der Dienstzeit unter Anleitung von Vorgesetzten. Demgegenüber war das Fechten mit Besenstielen die Folge jugendlichen Leichtsinns und spielerischen Übermuts.
Schließlich war der Kläger auch nicht aufgrund wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse gezwungen, an der Abschiedsfeier teilzunehmen. Das wäre nur anzunehmen, wenn er sich bei Nichtteilnahme dem berechtigten Vorwurf unkameradschaftlichen Verhaltens ausgesetzt hätte (vgl dazu BSG, Urteil vom 28. Juni 1973 – 9 RV 689/72 – Breithaupt 1974, 699, 700). Der Begriff „berechtigt” ist vom Standpunkt eines vernünftig denkenden Soldaten und unter Beachtung der dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse zu beurteilen (BSGE 33, 239, 244 ff = SozR Nr 2 zu § 81 SVG; BSG, Urteil vom 17. November 1981 – 9 RV 20/81 – Breithaupt 1982, 610). Ein vernünftig denkender Soldat hätte dem Kläger ein Fortbleiben von der Abschiedsfeier nicht als Verletzung der Soldaten allgemein auferlegten Pflicht zu kameradschaftlichem Verhalten (§ 12 Soldatengesetz) vorgeworfen. Er hätte die Entscheidung des Klägers, den Abend lieber außerhalb der Kaserne zu verbringen, vielleicht bedauert, er hätte sie aber akzeptiert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen