Leitsatz (amtlich)

Die für den Beginn der Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit erhebliche Frist von drei Monaten (RVO § 1290 Abs 2) endigt mit dem der Zahl nach gleichen Tage des drittfolgenden Monats, der dem Datum des Versicherungsfalls entspricht (RVO § 125); ihr Beginn wird nicht von dem Monatsersten bestimmt, der dem Versicherungsfall vorangeht oder folgt.

 

Normenkette

RVO § 1290 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 125 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 1962 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, wie die Dreimonatsfrist des § 1290 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu berechnen ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juni 1960 an bewilligt (Bescheid vom 28. Oktober 1960 und Ergänzungsbescheid vom 17. Oktober 1961). Der Kläger verlangt die Vorverlegung des Rentenbeginns auf den 1. April 1960. Er ist seit dem 1. März 1960 erwerbsunfähig. Die Versichertenrente hat er indessen erst am 23. Juni 1960 beantragt.

Die Beklagte beruft sich auf § 1290 Abs. 2 RVO, wonach die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit "vom Beginn des Antragsmonats an zu gewähren" ist, "wenn der Antrag später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit gestellt wird". Sie will darauf abstellen, daß am 1. März 1960 das die Frist in Lauf setzende Ereignis - der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit - eingetreten sei. Deshalb seien die drei Monate am 1. Juni, also vor der Antragstellung, abgelaufen gewesen. Der Kläger möchte dagegen § 1290 Abs. 2 RVO dahin verstanden wissen, daß der Zeitraum von drei Monaten nicht unmittelbar vom Eintritt des Versicherungsfalls, sondern erst vom ersten des darauffolgenden Monats an rechne. Das Wort Monat sei in Abs. 2 des § 1290 RVO - ebenso wie in Absatz 1 dieser Vorschrift - im Sinne von Kalendermonat gemeint.

Die beiden ersten Instanzen haben die Auffassung der Beklagten gebilligt und die Klage abgewiesen (Urteil des Sozialgerichts - SG - Dortmund vom 9. Mai 1961; Urteil des Landessozialgericht - LSG - NRW vom 23. Januar 1962). Der Kläger hat dagegen die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt. Er stellt die Auffassung der Vorinstanzen zur Nachprüfung und beantragt,

die angefochtene Entscheidung, das Urteil des SG Dortmund vom 9. Mai 1961 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1960 in der berichtigten Fassung vom 17. Oktober 1961 hinsichtlich des Beginns der Rente aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Versichertenrente vom 1. April 1960 an zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Die erste Rate auf die dem Kläger wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewährende Rente war nicht für die Zeit vor dem Antragsmonat - das ist der Juni 1960 - zu bewirken. Der Kläger kann die Rente nicht schon für eine Zeit vorher verlangen. Daß er die Anspruchsvoraussetzungen früher erfüllte (§ 1290 Abs. 1 RVO), hat auf den Beginn der Rente keinen Einfluß. Denn er hat den Antrag auf die Leistung (am 23. Juni 1960) nicht zeitig genug, sondern später als drei Monate nach dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (am 1. März 1960) gestellt (§ 1290 Abs. 2 RVO).

Dieses Ergebnis folgt schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch begegnet es keinen Bedenken anzunehmen, daß der Zeitraum von drei Monaten von dem Tage an berechnet wird, der auf das maßgebende Ereignis folgt (§ 124 Abs. 1 RVO). Dagegen ist es mit einem unvoreingenommenen Wortverständnis nicht zu vereinbaren, wenn die Berechnung der drei Monate auf Kalendermonate abgestellt würde und man die Frist des § 1290 Abs. 2 RVO erst mit dem Schluß des Monats beginnen ließe, in welchem die Berufsunfähigkeit oder die Erwerbsunfähigkeit eingetreten sind.

Der Kläger versucht, das von ihm erwünschte Auslegungsziel aus dem übrigen Inhalt des § 1290 RVO abzuleiten. Die nach Kalendermonaten bemessene Berechnungsart kann jedoch nicht aus Abs. 1 des § 1290 RVO gefolgert werden. Dort ist von dem "Monat" die Rede, in dem die Rentenvoraussetzungen erfüllt werden. In dieser Beziehung wird allerdings allgemein das Wort "Monat" in "Kalendermonat" umgedeutet, weil jede andere Zeitbestimmung von vornherein ausscheiden dürfte. Das Gesetz bezieht sich auch in Abs. 2 mit dem Ausdruck "Antragsmonat" wohl nur auf den betreffenden Kalendermonat. Die gleiche Vorstellung stellt sich aber nicht ebenso ungezwungen in Verbindung mit der Dreimonatsklausel des § 1290 Abs. 2 RVO ein. Der Grund, der in den beiden anderen Fällen für jene Auffassung spricht, trifft für die Berechnung der Frist von drei Monaten nicht ebenso zu. Die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers war hier vielmehr auf die Ausnahme von der Regel des Absatzes 1 gerichtet. So braucht es nicht auffällig zu sein, daß der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 1290 Abs. 2 RVO das nämliche Wort "Monat" mal in der einen und mal in einer anderen Bedeutung verwendet hat.

Es erscheint auch nicht ohne weiteres als aus sich heraus gerechtfertigt, wenn die Frist von drei Monaten erst mit dem Ersten des folgenden Kalendermonats begänne. Durch die Nichtanrechnung des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzungen erfüllt waren, ergäben sich in Wirklichkeit Zeiträume von unterschiedlicher Dauer. Die Frist würde jeweils um die Zeit von dem Tag der Tatbestandserfüllung an bis zum Ende des laufenden Monats verlängert.

Daß dies etwa die Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, wurde während der Gesetzesberatungen von keiner Seite berührt. In diesen Verhandlungen wurde lediglich der Umfang der Frist erörtert. Die Bundesregierung hatte ursprünglich vorgesehen, daß der Rentenbeginn schon dann mit dem Anfang des Antragsmonats zusammenfallen solle, wenn der Antrag "später als zwei Monate nach dem Eintritt der Invalidität oder der Erwerbsunfähigkeit gestellt" werde (Regierungsentwurf § 1294 Abs. 2, BT-Drucks. 2437/1953). Vom Bundestag wurde der Abänderungsvorschlag des Ausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks. 3080/1953) übernommen, der dem § 1290 Abs. 2 RVO seine jetzige Fassung gegeben hat und der dahin ging, "die Frist, innerhalb welcher ein Antrag ohne Rechtsverlust für den Berechtigten gestellt werden kann, von zwei auf drei Monate zu erhöhen". Hiernach bieten die Gesetzesmaterialien keinen Anhalt dafür, daß für die Frist des § 1290 Abs. 2 RVO Kalendermonate maßgebend sein sollten. Eine derartige Absicht, die im übrigen im Text des Gesetzes nicht genügend zum Ausdruck gekommen wäre, hat allem Anschein nach nicht bestanden.

Die von dem Kläger vertretene Ansicht läßt sich mithin weder aus dem Wortlaut und Sinn der Vorschrift noch aus ihrer Vorgeschichte begründen.

Schließlich werden Bedenken gegen die Richtigkeit der aufgezeigten Deutung des § 1290 Abs. 2 RVO durch die - das ganze Gebiet der RVO beherrschende - Auslegungsregel des § 125 Abs. 1 RVO behoben. Danach endigt "eine nach ... Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages ... des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder die Zeit fällt". Vornehmlich aus dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht zutreffend die Gewissheit geschöpft, daß im gegenwärtigen Rechtsstreit die Dreimonatsfrist am 1. Juni 1960 abgelaufen war, weil das "Ereignis", nämlich der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit, in den 1. März 1960 gefallen war.

Von der Verwaltungspraxis her könnte man versucht sein einzuwenden, die gegenteilige Auffassung zeichne sich durch eine Erleichterung in der Durchführung des Gesetzes aus; sie erspare die oft mühevolle und im Ergebnis doch häufig ungenaue Ermittlung des exakten Eintritts der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. Es würde ausreichen, den Monat, in den das Ereignis fiel, herauszufinden. Die Schwierigkeiten treten aber in etwa gleichem Maße bei der Ermittlung des Tages wie des Monats auf. Infolgedessen kann es nicht anerkannt werden, daß das vom Kläger gewollte Ergebnis einem unabweisbaren praktischen Bedürfnis entgegenkommt.

Aus diesen Gründen ist dem LSG beizupflichten und die Revision mit der aus § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes folgenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 188

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