Leitsatz (redaktionell)

Die Vergünstigung nach BVG § 60a Abs 2 aF kann nur dann beansprucht werden, wenn bis zum Zeitpunkt der endgültigen Berechnung die Ausgleichsrente vorläufig gezahlt worden und die Überzahlung im Feststellungszeitraum eingetreten ist, dh in dem Zeitraum, in dem überhaupt nur eine vorläufige Zahlung möglich war.

War das anrechenbare Einkommen so hoch, daß vom 1960-06-01 an keine Ausgleichsrente mehr zu zahlen war, dann war dieses gemäß BVG § 60a Abs 1 S 7 aF vom 1960-06-01 an als endgültig festgestellt anzusehen und konnte daher nicht mehr nach BVG § 60a Abs 1 aF unter Berücksichtigung der Freibeträge nach Abs 2 dieser Vorschrift abgerechnet werden.

 

Normenkette

BVG § 60a Abs. 1 S. 7 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 8. Dezember 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin bezieht Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Kriegsopferversorgung. Die Witwenausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mußte wegen der in der gesetzlichen Rentenversicherung eingetretenen Erhöhungen verschiedentlich neu berechnet werden. Sie wurde durch Neufeststellungsbescheid nach § 62 BVG vom 1. April 1957 mit Wirkung vom 1. Mai 1957 an auf 2,- DM festgesetzt. Mit Bescheid vom 23. Januar 1961 stellte das Versorgungsamt (VersorgA) die Witwenbezüge gemäß Art. IV des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (1. Neuordnungsgesetz - 1. NOG -) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) vom 1. Juni 1960 an neu fest, und zwar endgültig. Dabei ergab sich, daß der Klägerin von diesem Zeitpunkt an keine Ausgleichsrente mehr zustand, weil das anrechenbare sonstige Einkommen die Höchstgrenzen überstieg. Gleichzeitig wurde ohne Berücksichtigung der in § 60 a Abs. 2 BVG aF (Fassung des 1. NOG) vorgesehenen Freibeträge für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. März 1961 eine Überzahlung von insgesamt 20,- DM festgestellt und zu deren Tilgung angeordnet, daß von den laufenden Bezügen monatlich 5,- DM einbehalten werden. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 8. Dezember 1961 den Bescheid vom 23. Januar 1961 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1961 aufgehoben, soweit er die Erstattung der zuviel gezahlten Versorgungsbezüge betraf. Das SG war der Auffassung, im vorliegenden Falle sei § 60 a Abs. 2 BVG aF anzuwenden und danach gelte nur der Betrag als überzahlt, der bei einer Dauer von zehn Monaten 50,- DM übersteige, da nach der erwähnten Vorschrift bei der Feststellung der Überzahlung ein Betrag von 5,- DM für jeden Monat außer Betracht zu lassen sei. Zwar setze diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach voraus, daß die endgültig festgestellte Ausgleichsrente niedriger sei als die vorläufig gezahlte; niedriger in diesem Sinne sei sie aber auch dann, wenn überhaupt keine Ausgleichsrente mehr zu zahlen sei. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 8. März 1962 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 4. April 1962, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 6. April 1962, Sprungrevision eingelegt und dem Schriftsatz eine Zustimmungserklärung der Klägerin beigefügt. Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 8. Dezember 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Revision mit einem beim BSG am 12. April 1962 eingegangenen Schriftsatz vom 10. April 1962 begründet. In seiner Revisionsbegründung rügt er eine Verletzung des § 60 a BVG aF durch das SG. Er meint, Abs. 2 dieser Vorschrift könne nicht angewandt werden, wenn überhaupt keine Ausgleichsrente mehr zu zahlen sei. Im übrigen habe es sich im vorliegenden Falle auch deswegen um die endgültige Feststellung der Ausgleichsrente nach § 60 a Abs. 4 BVG aF gehandelt, weil bei der festgestellten Höhe des anrechenbaren Einkommens die Zahlung einer Ausgleichsrente nicht mehr zu erwarten war.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen und diesem die Erstattung der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Sie hält die Begründung des angefochtenen Urteils für zutreffend.

Die Sprungrevision ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Berufung ist vom SG nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden und der Beklagte hat die schriftliche Einwilligungserklärung der Klägerin der Revisionsschrift beigefügt (§ 161 SGG). Die Sprungrevision ist somit zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat verkannt, daß eine Berücksichtigung der in § 60 a Abs. 2 BVG aF bestimmten Freibeträge nur möglich war, wenn sich die Überzahlung bei der nach Abs. 1 dieser Vorschrift vorgenommenen endgültigen Feststellung einer während des Feststellungszeitraums vorläufig gezahlten Ausgleichsrente ergab. Um eine solche Feststellung hat es sich bei dem angefochtenen Bescheid aber nicht gehandelt.

Nach § 60 a Abs. 1 BVG in der zur Zeit der Erteilung des angefochtenen Bescheides gültigen alten Fassung durch das 1. NOG wird die Ausgleichsrente in der Regel für die Dauer von zwölf Monaten vorläufig festgesetzt, während dieses Feststellungszeitraums vorläufig gezahlt und nach Ablauf des Feststellungszeitraums endgültig festgestellt (§ 60 a Abs. 1 Satz 1, 2 und 6 BVG aF). Im Falle einer die Zahlung einer Ausgleichsrente für mindestens drei zusammenhängende Monate ausschließenden Erhöhung des Einkommens endet der Feststellungszeitraum mit dem dieser Einkommenserhöhung vorangehenden Monat (§ 60 a Abs. 1 Satz 7 BVG aF). Ist die endgültig festgestellte Ausgleichsrente niedriger als die im Feststellungszeitraum vorläufig gezahlte, so gilt nur der Betrag als überzahlt, der bei einem Zeitraum von zwölf Monaten den Betrag von 60.- DM bei einem kürzeren oder längeren Feststellungszeitraum einen der Anzahl der Monate entsprechenden Betrag übersteigt (§ 60 a Abs. 2 BVG aF). Diese Vergünstigung kann also nur dann beansprucht werden, wenn bis zum Zeitpunkt der endgültigen Berechnung die Ausgleichsrente vorläufig gezahlt worden und die Überzahlung im Feststellungszeitraum eingetreten ist, d. h. in dem Zeitraum, in dem überhaupt nur eine vorläufige Zahlung möglich war. Im vorliegenden Fall ist der Klägerin nach Inkrafttreten des 1. NOG die nach altem Recht festgestellte Ausgleichsrente zunächst ohne besondere Bestimmung der Versorgungsbehörde weitergezahlt worden. Grundlage dieser Zahlung war der Neufeststellungsbescheid gemäß § 62 BVG vom 1. April 1957, in dem die Ausgleichsrente unter Berücksichtigung einer von der Bundesbahnversicherungsanstalt gewährten Rente von Mai 1957 an auf 2.- DM monatlich festgesetzt worden war. Diese Regelung hat bestanden, bis die Ausgleichsrente in dem Bescheid vom 23. Januar 1961 nach den Vorschriften des 1. NOG vom 1. Juni 1960 an endgültig festgestellt und vom gleichen Zeitpunkt an entzogen wurde, weil die Höhe des sonstigen Einkommens die weitere Zahlung nicht mehr zuließ. Gleichzeitig wurde die Erstattung der in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum 31. März 1961 tatsächlich zuviel gezahlten Beträge von monatlich 2.- DM insgesamt 20.- DM angeordnet. Dieser Betrag kann also nach § 60 a Abs. 2 BVG aF nur dann nicht als Überzahlung gelten, wenn er für eine während des Feststellungszeitraums vorläufig festgesetzte Ausgleichsrente gezahlt worden wäre, die dann in dem Bescheid vom 23. Januar 1961 gem. § 60 a Abs. 1 Satz 6 BVG aF endgültig festgestellt und abgerechnet wurde. Das trifft jedoch nicht zu. Der erkennende Senat hat zwar in seinem Urteil vom 13. April 1961 - 10 RV 171/61 - (BSG 14, 148 = SozR BVG § 60 a Nr. 60) entschieden, daß eine nach altem Recht festgestellte und nach Inkrafttreten des 1. NOG weitergezahlte Ausgleichsrente wie eine vorläufig gezahlte Ausgleichsrente abzurechnen ist. Jedoch ist diese Entscheidung für den Fall getroffen, daß nicht eine ausdrückliche Vorschrift des Neuordnungsrechts, wie hier der Satz 7 des Abs. 1 des § 60 a BVG aF, die Bildung eines "Feststellungszeitraums", d. h. eines Zeitraums für die vorläufige Feststellung und Zahlung einer Rente, ausschließt. So ist im Urteil vom 6. Oktober 1964 - 10 RV 1059/62 - ausgesprochen, daß eine nach dem Inkrafttreten des 1. NOG weitergezahlte Rente, die an sich wie eine vorläufig gezahlte Rente zu behandeln wäre, gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 7 BVG aF zu einer endgültig festgestellten wird, wenn das Einkommen so hoch ist, daß es die Zahlung der Ausgleichsrente für mindestens drei zusammenhängende Monate ausschließt. In der zuletzt genannten Entscheidung ist eine solche Einkommenserhöhung zwar erst nach Inkrafttreten des § 60 a BVG aF eingetreten, während sie im vorliegenden Falle zu dieser Zeit bereits bestanden hat. Dieser Umstand hat aber keine Bedeutung bei der Beurteilung der Frage, ob die Ausgleichsrente als vorläufig oder endgültig festgestellt angesehen werden muß. Vom 1. Juni 1960 an ist diese Frage nach § 60 a Abs. 1 Satz 7 BVG aF zu beurteilen. Sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift für den 1. Juni 1960 vorhanden, so müssen auch die daran geknüpften Rechtsfolgen mit diesem Zeitpunkt eintreten. Ist also das Einkommen vom 1. Juni 1960 an, für die Dauer der folgenden drei Monate so hoch gewesen, daß es die Zahlung einer Ausgleichsrente ausschloß, so war die Bildung eines Feststellungszeitraumes für die Zeit vom 1. Juni 1960 an unterbunden, und damit die Möglichkeit entfallen, die von diesem Zeitpunkt an gezahlte Rente als vorläufig gezahlte Rente anzusehen und als solche endgültig abzurechnen. Vielmehr war, wie der erkennende Senat in einer weiteren Entscheidung (v. 6.10.1964 - 10 RV 1059/62 -) ausgeführt hat, mit diesem Zeitpunkt die bisher gezahlte Rente in eine endgültig festgesetzte Rente umgewandelt worden. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts ist das anrechenbare Einkommen der Klägerin so hoch gewesen, daß vom 1. Juni 1960 an keine Ausgleichsrente mehr zu zahlen war. Diese war daher gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 7 BVG aF vom 1. Juni 1960 an als endgültig festgestellt anzusehen und konnte daher nicht mehr nach § 60 a Abs. 1 BVG aF unter Berücksichtigung der Freibeträge nach Absatz 2 dieser Vorschrift abgerechnet werden. Das SG hat demnach § 60 a BVG aF nicht richtig angewandt, und die für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum 31. März 1961 in Höhe von 20.- DM gewährte Ausgleichsrente zu Unrecht als nicht überzahlt angesehen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.

Bei dieser Überzahlung der Ausgleichsrente ist nunmehr erheblich geworden, ob die Beklagte auch deren Erstattung fordern kann. Maßgebend hierfür ist § 47 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG). Danach sind zu Unrecht empfangene Leistungen zu erstatten, im Falle einer auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruhenden Überzahlung jedoch nur, soweit der Empfänger beim Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand oder soweit die Rückforderung wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse vertretbar ist (§ 47 Abs. 2 VerwVG). Da im vorliegenden Fall die Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse der Klägerin beruht (Bescheid vom 23. 1.1961), sind noch Feststellungen darüber zu treffen, ob die erwähnten Voraussetzungen für den Anspruch des Beklagten auf Erstattung der Überzahlung gemäß § 47 Abs. 2 VerwVG vorliegen. Das SG hatte dazu keine Feststellungen getroffen, so daß die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen werden mußte.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380431

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