Leitsatz (redaktionell)
Der neun Monate dauernde Besuch einer Tischler-Fachschule ist keine dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule gleichwertige Schulausbildung iS des DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 Abs 1.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 DV § 5 Abs 1 Fassung: 1964-07-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin bezieht gemäß Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) B vom 9. Januar 1953 Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach ihrem am 10. November 1944 gefallenen Ehemann, dem selbständigen Tischlermeister W M (M.). Dieser hatte nach dem Besuch der Volksschule 1925 die Gesellenprüfung abgelegt und während seiner Gesellenzeit vom 1. Oktober 1928 bis zum 29. Juni 1929 die Tischler-Fachschule in D besucht und dort die Werkmeister- und Technikerprüfung bestanden. In der Bescheinigung der Tischler-Innung H vom 16. Dezember 1965 ist er als "Tischlermeister" bezeichnet.
Am 1. Dezember 1964 beantragt die Klägerin die Bewilligung eines Schadensausgleichs nach § 40 a BVG (idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964, BGBl I, 85, - 2. NOG -). Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 29. Dezember 1966 mit der Begründung ab, das Vergleichseinkommen des verstorbenen Ehemannes sei als das eines selbständigen Tischlermeisters nach der Besoldungsgruppe A 9 Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zu ermitteln; eine Gegenüberstellung der Hälfte des so berechneten Durchschnittseinkommens mit den Einkünften der Klägerin ergebe ab 1. Januar 1964 nicht den von § 40 a Abs. 1 BVG idF 2. NOG geforderten Einkommensverlust von mindestens 50 DM monatlich. Nach erfolglosem Widerspruch verurteilte das Sozialgericht (SG) Detmold auf die Klage der Klägerin den Beklagten, unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Dezember 1966 idF des Widerspruchsbescheides vom 4. April 1967 einen Bescheid zu erteilen, durch den der Klägerin ab 1. Januar 1964 ein Schadensausgleich gewährt werde, bei dessen Berechnung das mutmaßliche Durchschnittseinkommen ihres Ehemannes nach dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 11 zuzüglich des Ortszuschlages nach Stufe 2 und Ortsklasse A zu ermitteln sei (Urteil vom 16. November 1967). Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein - Westfalen mit Urteil vom 24. Oktober 1968 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab; die Revision wurde zugelassen.
Das LSG vertrat die Auffassung, nach § 30 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 BVG in Verbindung mit den §§ 2, 5 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG - DVO - (vom 30. Juli 1964) sei das Durchschnittseinkommen des M. nur als das eines selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgelegter Meisterprüfung nach der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zu ermitteln und nicht als das eines selbständig Tätigen mit mindestens dem Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder mit gleichwertiger Schulausbildung bei abgeschlossener Berufsausbildung nach A 11 BBesG. M. habe von 1913 bis 1921 die Volksschule besucht, ab 1. April 1921 die Tischlerlehre durchgemacht, diese mit der Gesellenprüfung am 25. März 1925 abgeschlossen, ab 1. April 1925 als Tischlergeselle im Betrieb des Vaters und ab 1931 bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst am 7. Juli 1941 bzw. bis zu seinem Tode am 10. November 1944 als selbständiger Tischlermeister und Möbelfabrikant gearbeitet und während der Gesellenzeit vom 1. Oktober 1928 bis zum 29. Juni 1929 die Tischler-Fachschule in D besucht sowie dort die Werkmeister- und Technikerprüfung abgelegt. Der Besuch der Tischler-Fachschule in D durch M. könne aber dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule nicht gleichgesetzt werden, denn diesem sei eine anderweitige Schulausbildung nur dann gleichwertig, wenn sie ohne Einschränkung mit den gleichen Berechtigungen wie die Mittelschulbildung verbunden sei. Nach der Auskunft des Regierungspräsidenten in D vom 26. Mai 1966 sei die Tischler-Fachschule eine Fachschule, die nach einer Berufsausbildung weiterbilde; nach der Auskunft der Fachschule für Holzbetriebstechnik und Innenarchitektur in D, der Nachfolgerin der ehemaligen Tischler-Fachschule in D, vom 9. Juli 1965 seien seinerzeit, als noch der Volksschulabschluß zum Besuch der Schule berechtigte, in der Werkmeister- und Technikerausbildung alle Stoffgebiet durchgenommen worden, die für die Führung eines Betriebes erforderlich gewesen seien; die Unterrichtsstoffgebiete seien nach dieser Auskunft schon damals über die in der Meisterprüfung verlangten hinausgegangen, und die meisten Schüler hätten anschließend die Meisterprüfung vor der Handwerkskammer abgelegt. Danach lasse sich aber nur feststellen, daß die Schule im Jahre 1929 eine reine, überdies nur 9 Monate währende Fachausbildung geboten habe, die der Ergänzung der engeren Berufsausbildung zu einer erweiterten Berufsausbildung gedient und nicht an die gegenüber der Volksschule erweiterte allgemeine Ausbildung der Mittelschule herangereicht habe. Auch § 6 DVO könne nicht zur Anwendung kommen, da die Klägerin keine Anhaltspunkte dafür habe geben können, daß die wirtschaftliche Bedeutung der selbständigen Tätigkeit ihres Ehemannes in den Jahren 1942 bis 1944 oder 1938 bis 1940 durch die Vorschriften des § 5 DVO nicht ausreichend berücksichtigt werde.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 40 a in Verbindung mit § 30 Abs. 4 und 7 BVG idF des 2. NOG und der §§ 11, 2, 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964. Das LSG habe zu Unrecht den Besuch der Tischler-Fachschule durch M. in D vom 1. Oktober 1928 bis zum 29. Juni 1929 nicht als eine der Mittelschule gleichwertige Schulausbildung angesehen. Die im Abgangszeugnis dieser Schule aufgeführten Unterrichtsfächer in Verbindung mit der Auskunft des Direktors der jetzigen Fachschule für Holzbetriebstechnik und Innenarchitektur in Detmold vom 9. Juli 1965 seien ein Beweis dafür, daß die seinerzeitige Ausbildung sich nicht nur auf die fachlich bestimmten Anforderungen der Meisterprüfung beschränkt habe. Vielmehr habe dieser Schulbesuch dem M. alle für die sachkundige kaufmännische und technische Leitung eines Holzverarbeitungsbetriebes erforderlichen Kenntnisse vermittelt und zu einem Bildungsstand geführt, der auf dem Gebiet der Metallindustrie von den Ingenieuren gefordert werde. Der Fachschulbesuch habe somit eine besondere Qualifikation vermittelt, die M. über die Tätigkeit eines selbständigen Handwerksmeisters hinaus befähigt habe, höhere berufliche Funktionen zu bekleiden. Daß es sich bei der von M. absolvierten Fachschulausbildung nicht nur um eine fachliche Vorbereitung zur Meisterprüfung, sondern um eine ausgesprochen höhere Ausbildung gehandelt habe, werde auch dadurch bewiesen, daß gegenwärtig bereits für die Aufnahme in die Tischler-Fachschule die mittlere Reife erwünscht sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 1968 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16. November 1967 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sachlich ist sie aber nicht begründet.
Streitig ist, ob der Besuch der Tischler-Fachschule D, an der M. vom 1. Oktober 1928 bis zum 29. Juni 1929 ausgebildet worden ist, als dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule i. S. des § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl I, 574) gleichwertig anzusehen und deshalb der Berechnung des der Klägerin nach § 40 a BVG idF des 2. NOG zu gewährenden Schadensausgleichs ab 1. Januar 1964 das Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe A 11 BBesG zugrunde zu legen ist. Das war zu verneinen.
Wie der erkennende Senat bereits in seinen Urteil vom 8. Oktober 1969 (9 RV 164/69) und 5. Mai 1970 (9 RV 212/68) unter Hinweis auf das Urteil des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. November 1968 (SozR Nr. 3 zu § 5 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964) - vgl. auch sein weiteres Urteil vom 16. Juli 1968 (SozR Nr. 1 zu § 5 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961) - im einzelnen dargelegt hat, sollen, soweit nach § 5 Abs. 1 der DVO bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens aus selbständiger Tätigkeit als Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Berufserfolg der erfolgreiche Besuch einer Mittelschule oder ein gleichwertiger Schulbesuch bedeutsam ist, diejenigen aus dem Kreis der selbständig Tätigen herausgehoben werden, die durch eine "Schulausbildung" einen gegenüber der Volksschulausbildung höheren Grad der Allgemeinbildung erreicht haben. Eine andere Schulausbildung ist danach grundsätzlich nur dann als eine dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule gleichwertige Schulausbildung anzusehen, wenn sie der Hebung der Allgemeinbildung gedient und zu einem allgemeinen Bildungsstand geführt hat, der dem des Mittelschulabschlusses gleichwertig ist. Das bedeutet, daß eine Ausbildung, die im wesentlichen nur "Berufswissen oder Fachwissen" vermittelt, grundsätzlich nicht als eine dem Besuch einer Mittelschule gleichwertige Schulausbildung angesehen werden kann.
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an und legt man die von der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG zugrunde, so handelte es sich bei der Tischler-Fachschule in D um eine Fachschule, die nach einer Berufsausbildung weiterbildete und in der seinerzeit, als noch der Volksschulabschluß zum Besuch der Schule berechtigte, in der Werkmeister- und Technikerausbildung alle Stoffgebiete durchgenommen wurden, die für die Führung eines Betriebes erforderlich waren; die meisten Schüler legten anschließend die Meisterprüfung vor der Handwerkskammer ab. Wenn das LSG aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten den Schluß gezogen hat, die Schule habe im Jahre 1929 eine Fachausbildung geboten, die der Ergänzung der engeren Berufsausbildung zu einer erweiterten Berufsausbildung diente und nicht an die gegenüber der Volksschule erweiterte allgemeine Ausbildung der Mittelschule heranreichte, so ist diese Würdigung im Hinblick auf die vom 8. und 9. Senat des BSG ausgesprochenen Grundsätze nicht zu beanstanden.
Auch wenn, wie die Revision vorträgt, die im Abgangszeugnis der Tischler-Fachschule vom 29. Juni 1929 aufgeführten Unterrichtsfächer in Verbindung mit der Auskunft des Direktors der jetzigen Fachschule für Holzbetriebstechnik und Innenarchitektur - Tischler-Fachschule - in D vom 9. Juli 1965 beweisen sollten, daß die seinerzeitige Ausbildung sich nicht nur auf die fachlich bestimmten Anforderungen der Meisterprüfung beschränkte, sondern alle für die sachkundige kaufmännische und technische Leitung eines Holzverarbeitungsbetriebes erforderlichen Kenntnisse vermittelte, so kann damit noch nicht festgestellt werden, daß sie zu einem Bildungsstand geführt habe, der dem einer Mittelschule gleichwertig wäre oder der (heute) auf dem Gebiet der Metallindustrie von den Ingenieuren gefordert wird. Die im Abgangszeugnis vom 29. Juni 1929 aufgeführten Unterrichtsfächer "Projektionslehre und Schattenlehre, Fachzeichnen, Ornamentzeichnen, Oberflächenbehandlung, Kunstgeschichte und Stillehre, Rechnen (kaufm.- und Fachrechnen), Kalkulation, Gesetzeskunde (Gewerbeordnung, Versicherungs- und Steuerwesen, Wechselrecht und Scheckverkehr), Materialen- und Maschinenkunde, Schriftverkehr, einfache Buchführung und doppelte Buchführung" mögen einen Hinweis dafür geben, daß, wie das LSG festgestellt hat, die Unterrichtsstoffgebiete "über die in der Meisterprüfung verlangten hinausgingen", sie vermittelten aber im wesentlichen nur die Kenntnisse, die zur Führung eines selbständigen Tischler- oder Möbelherstellungsbetriebes erforderlich waren. Es hat sich deshalb nur um eine im wesentlichen "Berufswissen oder Fachwissen" vermittelnde Ausbildung gehandelt, nicht aber um eine solche, die zu einem allgemeinen Bildungsstand führte, der dem des Mittelschulabschlusses gleichwertig ist. Die Ausbildung hat sich nicht im wesentlichen auf allgemeinbildende Unterrichtsfächer wie z. B. Deutsch, Mathematik, Chemie und Physik (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 5. Mai 1970) erstreckt; sie dauerte überdies nur 9 Monate. Dem gewonnenen Ergebnis steht schließlich auch nicht entgegen, daß gegenwärtig bereits für die Aufnahme in die Tischler-Fachschule die mittlere Reife erwünscht ist. Denn abgesehen davon, daß dies nur "erwünscht" ist, sind für die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Falles allein die Gegebenheiten maßgebend, die im Jahre 1928/29 vorgelegen haben. Damals hatte die Schule, wie es in der Auskunft der Fachschule für Holzbetriebstechnik und Innenarchitektur vom 9. Juli 1965 heißt, "noch auf Volksschulbildung" aufgebaut.
Nach allem war als Einkommen des M. gemäß § 40 a Abs. 2 und 4 BVG in Verbindung mit § 5 DVO ab 1. Januar 1964 das für selbständig Tätige mit Volksschulabschluß und abgelegter Meisterprüfung in Betracht kommende Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zugrunde zu legen. § 40 a Abs. 2 und 4 BVG idF des 3. NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I, 750) und § 5 der DVO vom 28. Februar 1968 haben zu der hier strittigen Frage keine Änderung gebracht. Die Revision der Klägerin war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen