Entscheidungsstichwort (Thema)
Brille. Arbeitsgerät. Reparatur
Orientierungssatz
1. Die Verrichtungen im Zusammenhang mit der Reparatur einer außerhalb des Betriebes beschädigten Brille gehören zu den unversicherten eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit des Versicherten im Betrieb, die nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen.
2. Um Werkzeuge oder sonstige Hilfsmittel, deren sich ein Versicherter zur Verrichtung seiner Arbeit bedient, als Arbeitsgeräte iS des § 549 RVO qualifizieren zu können, genügt es nicht, daß sie im Verhältnis zur gesamten Verwendung in erheblichem Umfang auch betrieblich genutzt werden. Vielmehr ist grundsätzlich erforderlich, daß sie ihrer Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeiten im Unternehmen gebraucht werden (vgl BSG 13.12.1984 2 RU 33/83 = BSGE 57, 260, 261).
3. Eine Nah- und Fernbrille, die nach ihrer Zweckbestimmung nicht hauptsächlich für die berufliche Tätigkeit, sondern auch sonst im täglichen Leben gebraucht wird, ist kein Arbeitsgerät iS von § 549 RVO.
Normenkette
RVO §§ 549, 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 06.05.1986; Aktenzeichen L 2 U 22/84) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 01.03.1984; Aktenzeichen S 3 U 22/82) |
Tatbestand
Der Kläger erlitt am 24. September 1981 mit seinem Kraftfahrzeug einen Unfall, als er sich auf dem Weg von dem Ort der Tätigkeit (Firma Dr. F. in S.W.) zur Geschäftsstelle der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) in S. befand. Er beabsichtigte, bei der AOK einen Brillen-Reparaturschein zu beantragen. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses vom 24. September 1981 als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 21. Dezember 1981). Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und der Fahrt zur AOK. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, daß er zur Ausübung seiner versicherten Tätigkeit eine Nah- und Fernbrille benötige. Infolge Beschädigung der Brille während der Arbeit (Abbruch eines Bügels) sei er nicht mehr in der Lage gewesen, seine versicherte Tätigkeit weiter auszuüben. Zu seinen Aufgaben gehöre die Bedienung einer Glaszertrümmerungsanlage und eines Presscontainers für Kartonagen, die Beseitigung von Flüssigkeitsresten, Glasscherben, gestapelten Kartonagen und sonstigen Abfällen aus der Produktion und des Labors. Um die versicherten Tätigkeiten weiterzuführen, sei es dringend notwendig gewesen, sich bei der AOK eine Rezeptbescheinigung zu besorgen. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 26. Februar 1982). Die Fahrt des Klägers zur AOK habe nur dazu gedient, die persönlichen Voraussetzungen für seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Diese Vorsorgetätigkeiten fielen grundsätzlich in den eigenwirtschaftlichen Bereich. Die Tatsache, daß der Kläger die Brille auch zur Durchführung seiner betrieblichen Tätigkeit benötige, ändere daran nichts, zumal es sich nicht um eine Schutzbrille handele, sondern um eine gewöhnliche Nah-/Fernbrille. Da die Brille auch kein Arbeitsgerät iS des § 549 Reichsversicherungsordnung (RVO) sei, könnten Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gewährt werden.
Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hat nach Einholung einer Auskunft von dem Augenarzt Dr. F. vom 19. September 1983, Anhörung des Klägers sowie Vernehmung der Zeugen H., C. und K. (Protokolle vom 12. Januar und 1. März 1984) die Klage abgewiesen (Urteil vom 1. März 1984). Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland zurückgewiesen (Urteil vom 6. Mai 1986). Die Besorgung einer Ersatzbrille für eine im Betrieb verlorene oder beschädigte Brille gehöre grundsätzlich zu den eigenwirtschaftlichen, der gesetzlichen Unfallversicherung nicht unterliegenden Verrichtungen, und zwar auch dann, wenn die Brille zur Berufsarbeit benötigt werde. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die sofortige Beschaffung einer Ersatzbrille im betrieblichen Interesse gelegen habe. Aus der Auskunft des Augenarztes Dr. F. vom 19. September 1983 sei zu entnehmen, daß beim Kläger zwar eine beiderseitige Übersichtigkeit, aber keine wesentlichen Veränderungen vorlägen, die eine Herabsetzung des Sehvermögens bewirkten. Daraus müsse geschlossen werden, daß beim Kläger über die Behinderung durch normale Alterssichtigkeit hinaus keine Sehbehinderung vorgelegen habe. Auch die Richtigkeit der Darstellung des Klägers seine Tätigkeit betreffend unterstellt, sei daraus nicht zu entnehmen, daß er während der gesamten Schicht eine Lesebrille habe tragen müssen. Vielmehr deute alles darauf hin, daß er nur hin und wieder zB beim Lesen von Begleitpapieren, eine Lesebrille gebraucht habe. Hierzu hätte die beschädigte Brille, welcher nach den Angaben des Klägers nur ein Bügel gefehlt habe, genügt. Eine sofortige Beschaffung einer Ersatzbrille habe nicht im betrieblichen Interesse gelegen. Darüber hinaus habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, daß für die Beschaffung einer Ersatzbrille am Unfalltag ein betrieblicher Auftrag oder die betriebliche Genehmigung vorgelegen habe. Keiner der drei gehörten Zeugen habe auch nur bestätigt, daß der Kläger seine Brille am Unfalltag beschädigt gehabt habe. Unter diesen Umständen sei es auf die weiteren Beweisangebote des Klägers nicht mehr angekommen. Die Brille des Klägers sei auch kein Arbeitsgerät iS des § 549 RVO.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Sofern das Lesen zur Arbeitsverrichtung gehöre, sei die dafür benötigte Brille ein Arbeitsgerät. Dies könne nicht deshalb verneint werden, weil die Brille im übrigen auch ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei. Es habe zudem im betrieblichen Interesse gelegen, die in einzelne Teile atomisierte Brille zu ersetzen. Es sei nicht zumutbar, bei seiner Tätigkeit die Brille an dem einen noch vorhandenen Bügel zu halten. Das LSG hätte auch entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung am 6. Mai 1986 gestellten Beweisantrag die bereits vom SG gehörten Zeugen nochmals vernehmen müssen, um sich einen unmittelbaren Eindruck von den Zeugen zu machen. Er habe als Beweisantrag genannt, daß 1.) seine Brille am Unfalltag beschädigt worden sei und 2.) er zur Verrichtung seiner beruflichen Tätigkeit unbedingt auf die Brille angewiesen gewesen sei und seine betriebliche Tätigkeit - Sortieren des Mülls - es erforderlich gemacht habe, Zettel bzw auf pharmazeutischen Produkten zu lesen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des LSG für das Saarland vom 6. Mai 1986 und unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Dezember 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1982 die Beklagte zu verurteilen, wegen des Ereignisses vom 24. September 1981 Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß das Ereignis vom 24. September 1981 nicht den Tatbestand eines Arbeitsunfalls erfülle. Das Besorgen einer Ersatzbrille gehöre zu den unversicherten eigenwirtschaftlichen Verrichtungen. Die Brille sei auch kein Arbeitsgerät. Durch die Zeugen sei nicht einmal erwiesen, daß der Kläger die Brille während eines Arbeitsvorganges getragen habe und sie bei einer betrieblichen Tätigkeit zu Bruch gegangen sei. Ebensowenig habe durch die Beweisaufnahme bestätigt werden können, daß die Besorgung einer Ersatzbrille dem Kläger die sofortige Weiterarbeit ermöglicht und damit die Beschaffung im betrieblichen Interesse gelegen hätte. Die Beweisaufnahme habe lediglich den Nachweis erbracht, daß der Kläger den Betrieb vorzeitig verlassen habe, um sich bei der AOK einen Reparaturschein zu besorgen.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf ihre Schriftsätze vom 6. Oktober 1986 und 20. Oktober 1986 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der Kläger hat am 24. September 1981 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Kläger war aufgrund seiner Beschäftigung bei der Firma Dr. F. gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Der Versicherungsschutz beschränkt sich dabei zwar nicht nur auf Tätigkeiten, die unmittelbar dem Unternehmen dienen und auf die damit zusammenhängenden Wege auf der Betriebsstätte. Auch auf Wegen außerhalb der Betriebsstätte, die zur Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden und damit im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, kann Versicherungsschutz gegeben sein. Bei der Zurücklegung des Weges durch den Kläger vom Ort seiner Tätigkeit zur AOK in S. fehlte es jedoch an dem inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit im Unternehmen der Firma Dr. F..
Vom LSG ist nicht festgestellt worden, daß der Kläger seine Brille am Unfalltage im Betrieb beschädigt hat. Keiner der drei vom Kläger zum Beweis für eine Beschädigung der Brille im Betrieb benannten Zeugen hat bei der Vernehmung durch das SG diese in ihr Wissen gestellte Tatsache bestätigt. Das LSG brauchte sich auch durch den Beweisantrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 6. Mai 1986 nicht gedrängt zu fühlen, die drei Zeugen nochmals zu der Behauptung zu vernehmen, daß die Brille im Betrieb am Unfalltage beschädigt worden ist. Es ist vom Kläger nicht dargelegt, daß die Vernehmung der Zeugen durch das SG mangelhaft war und deshalb hätte wiederholt werden müssen. Das LSG hat die Glaubwürdigkeit der Zeugen und deren Aussagen auch nicht anders als das SG beurteilt. Schließlich war der Kläger mit seinem damaligen Prozeßbevollmächtigten bei der Vernehmung der Zeugen anwesend und konnte an die Zeugen Fragen stellen, wenn ihm das erforderlich erschienen wäre (vgl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung -ZPO- 45. Aufl, § 398 Anm 2).
Fehlt es aber bereits an der Tatsache der Beschädigung der Brille am Unfalltage im Betrieb, dann diente das Aufsuchen der AOK in S. auch nicht der Beseitigung einer während der Arbeit aufgetretenen Störung und dem betrieblichen Interesse an einer möglichst umgehenden Weiterarbeit. Die Verrichtungen im Zusammenhang mit der Reparatur der Brille gehörten vielmehr zu den unversicherten eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit des Klägers im Betrieb, die nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen. Das LSG brauchte sich deshalb auch nicht gedrängt zu fühlen, die vom SG gehörten Zeugen nochmals zu der Frage zu vernehmen, ob der Kläger zur Verrichtung seiner beruflichen Tätigkeit unbedingt auf die Brille angewiesen gewesen sei und was er mit der Brille dabei zu lesen gehabt habe.
Als Arbeitsunfall gilt nach § 549 RVO auch ein Unfall bei einer mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes. Die Brille des Klägers, um deren Reparatur es ging, war kein Arbeitsgerät. Die Auffassung des Klägers, daß dann, wenn das Lesen zur Arbeitsverrichtung des Versicherten gehört, die dafür benötigte Lesebrille ein Arbeitsgerät sei, wird vom Senat nicht geteilt. Um Werkzeuge oder sonstige Hilfsmittel, deren sich ein Versicherter zur Verrichtung seiner Arbeit bedient, als Arbeitsgeräte iS des § 549 RVO qualifizieren zu können, genügt es nicht, daß sie im Verhältnis zur gesamten Verwendung in erheblichem Umfang auch betrieblich genutzt werden. Vielmehr ist grundsätzlich erforderlich, daß sie ihrer Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeiten im Unternehmen gebraucht werden (BSGE 24, 243, 246; 41, 102, 106; 57, 260, 261; BSG SozR 2200 § 549 Nrn 1, 2, 6 und 7; § 550 Nr 32). Eine Nah- und Fernbrille, wie sie der Kläger benutzte, wird aber nach ihrer Zweckbestimmung nicht hauptsächlich für die berufliche Tätigkeit gebraucht, sondern auch sonst im täglichen Leben. Wie der Kläger im Schriftsatz vom 29. Juni 1984 vorgetragen hat, sei er weitsichtig; das Sehvermögen betrage beiderseits ohne Brille 50 %, im Nahbereich könne er ohne Brille nur Umrisse erkennen. Als "Reservebrille" besaß der Kläger lediglich eine Fernbrille (s Schriftsatz vom 20. September 1983).
Da der Kläger am 24. September 1981 keinen Arbeitsunfall erlitten hat, mußte die Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen