Leitsatz (amtlich)

Eine gesamtvertraglich vereinbarte Schreibgebühr für einen Brief ärztlichen Inhalts (Nr 15 BMÄ '78) ist keine Vergütung kassenärztlicher Leistungen iS des § 368n Abs 2 S 4 RVO.

 

Normenkette

BMÄ Nr 15 Fassung: 1981-10-30; RVO § 368n Abs 2 S 4; E-GO Nr 15; RVO § 368g Abs 4

 

Verfahrensgang

SG Kiel (Entscheidung vom 04.03.1987; Aktenzeichen S 8 Ka 15/86)

 

Tatbestand

Die klagende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) begehrt von der Beklagten (Bundesrepublik Deutschland) Zahlung von 154.886,40 DM als Vergütung von Schreibgebühren, die ihr ihre Mitglieder neben der Vergütung für einen Brief ärztlichen Inhalts für die Quartale I/1985 bis einschließlich I/1986 in Rechnung gestellt haben.

Die ärztliche Versorgung der Soldaten der Bundeswehr wurde durch eine Vereinbarung der Beklagten mit dem Hartmann-Bund, dem Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands eV, dem Marburger- Bund und der Bundesärztekammer vom 11. Mai 1977 (Bundeswehrvertrag 1977) geregelt. Nach § 3 dieser Vereinbarung waren die ärztlichen Leistungen grundsätzlich nach den einfachen Sätzen des Gebührenverzeichnisses zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vom 18. März 1965 (BGBl I 89) zu berechnen und dazu ein Zuschlag von 100 % zu zahlen. Durch § 368n Abs 2 Satz 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) wurde den KÄV'en die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung von Personen übertragen, die aufgrund dienstrechtlicher Vorschriften über die Gewährung von Heilfürsorge einen Anspruch auf unentgeltliche ärztliche Versorgung haben, soweit die Erfüllung dieses Anspruchs nicht auf andere Weise gewährleistet ist; die ärztlichen Leistungen sind so zu vergüten, wie die Ortskrankenkasse (OKK) am jeweiligen Niederlassungsort der Ärzte die kassenärztlichen Leistungen vergütet. Die OKK'en im Bereich der Klägerin vergüten aufgrund des Gesamtvertrages idF vom 30. August 1981 für ärztliche Briefe neben der Gebühr nach Nr 15 des Bewertungsmaßstabs für kassenärztliche Leistungen (BMÄ'78) eine Schreibgebühr von 3,60 DM. Diese Gebühr wurde den Mitgliedern der Klägerin bis Ende des Jahres 1984 auch im Rahmen der ärztlichen Versorgung von Soldaten der Bundeswehr und der Untersuchung von Wehrpflichtigen gezahlt. In der folgenden Zeit vergütete die Beklagte die Schreibgebühren nicht mehr. Sie stützte ihre Ablehnung insbesondere auf § 6 des zwischen ihr und der beigeladenen Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) am 7. Februar 1984 geschlossenen Vertrages zur Durchführung des den KÄV'en nach § 368n Abs 2 Sätze 4 und 5 RVO übertragenen Sicherstellungsauftrags (Bundeswehrvertrag 1984). Die Bestimmung lautet: (1) Die ärztlichen Leistungen werden gemäß § 368 Abs 2 Satz 4 RVO nach dem Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen (BMÄ) zu dem Punktwert vergütet, der für die Ortskrankenkassen des jeweiligen KV-Bereichs vertraglich gilt oder bei pauschalierter Abgeltung errechnet wird. (2) Abweichend von Absatz 1 beträgt der Punktwert aufgrund des Artikels 2 § 10 Abs 1 Satz 2 KVKG solange 0,129 DM, bis er durch den vertraglich vereinbarten Punktwert für Ortskrankenkassen überschritten wird. (3) Die für Ortskrankenkassen geltenden Vergütungsregelungen gelten auch für stationäre belegärztliche Leistungen im Rahmen allgemeiner Krankenhausleistungen sowie für Leistungen und Kosten, deren Vergütung bzw Erstattung im BMÄ nicht näher geregelt sind.

Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 27. März 1986 gegen die Forderung der Klägerin aus der Abrechnung für das Quartal IV/1985 (ambulant) die Aufrechnung mit einer Gegenforderung wegen unberechtigt berechneter Schreibgebühren in Höhe von (6.004,50 DM in den Quartalen II bis IV/1984 und) 91.663,20 DM in den Quartalen I bis III/1985. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1986 erklärte die Klägerin, die Beklagte habe im vierten Quartal 1985 30.355,20 DM und im ersten Quartal 1986 32.868,-- DM für Schreibgebühren nicht vergütet und insoweit eine Aufrechnung mit den Honorarforderungen der Klägerin vorgenommen. Nachdem ein im Bundeswehrvertrag 1984 vorgesehener Einigungsversuch zwischen der Beklagten und der beigeladenen KÄBV gescheitert war, erhob die Klägerin Klage.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 154.886,40 DM verurteilt. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin könne die Zahlung als Vergütung von Schreibgebühren verlangen. Anspruchsgrundlage sei § 6 Abs 3 des Bundeswehrvertrages 1984 iVm dem Gesamtvertrag. In Nr 15 BMÄ'78 sei die Vergütung von Schreibgebühren nicht näher geregelt.

Die Beklagte macht mit der Revision geltend, wegen der Übergangsvorschrift des Art 2 § 10 Satz 3 KVKG regele sich die Vergütung weiterhin nach § 3 des Bundeswehrvertrages 1977. Die Höhe der Vergütung nach dieser Bestimmung sei bis heute von der Vergütung der OKK'en für ärztliche Leistungen nicht erreicht. In § 6 des Bundeswehrvertrages 1984 hätten die Vertragspartner versucht, die Vergütung auf der Grundlage der GOÄ 1965 iVm § 3 des Bundeswehrvertrages 1977 unter Zugrundelegung aller bis zum 31. Dezember 1977 gezahlten Vergütungen und Auslagen auf den BMÄ'78 umzurechnen. Diese kostenneutrale Umrechnung habe den Punktwert von 0,129 gemäß § 6 Abs 2 des Bundeswehrvertrages 1984 ergeben gegenüber einem Punktwert im RVO-Kassenbereich von zur Zeit etwa 0,109 DM. Nach der GOÄ 1965 seien Schreibgebühren nicht erstattungsfähig gewesen. Sie seien im BMÄ'78 näher geregelt, nämlich dahin, daß sie neben der Gebühr nach Nr 15 nicht gesondert berechnet werden können; dies ergebe sich aus dem gesamten Regelungsgehalt des BMÄ'78.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 4. März 1987 - S 8 Ka 15/86 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere ergebe sich bereits aus der Fußnote zu Nr 17 BMÄ'78, daß für gutachtenähnliche ärztliche Äußerungen zwischen den Partnern Schreibgebühren vereinbart werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die streitige Forderung der Klägerin ist durch Aufrechnung erloschen. Der Beklagten steht die Gegenforderung in Höhe von 154.886,40 DM aus einem Erstattungsanspruch wegen unberechtigt berechneter Schreibgebühren zu. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schreibgebühren neben der Vergütung für einen Brief ärztlichen Inhalts im Sinn der Nr 15 GOÄ 1965 oder Nr 15 BMÄ'78. Nach Auffassung der Beklagten ergibt sich die von ihr für ärztliche Leistungen zu zahlende Vergütung aus der Übergangsvorschrift des Art 2 § 10 KVKG iVm § 3 des Bundeswehrvertrages 1977. Die danach anzuwendende GOÄ 1965 sieht (ebenso wie die GOÄ idF vom 12. November 1982 - BGBl I 1522 -) neben der Vergütung für einen Brief ärztlichen Inhalts (Nr 15) keinen Anspruch auf eine Schreibgebühr vor. Ob die Auffassung der Beklagten zutrifft und § 3 Bundeswehrvertrag 1977 iVm der GOÄ 1965 anwendbar ist, kann aber dahingestellt bleiben. Die Klägerin kann ihre Forderung nämlich auch nicht aus § 368n Abs 2 Satz 4 RVO oder aus § 6 Abs 3 des Bundeswehrvertrages 1984 - beide iVm dem Gesamtvertrag - herleiten. Die gesamtvertraglich vereinbarte Schreibgebühr für einen Brief ärztlichen Inhalts ist keine zusätzlich berechnungsfähige Vergütung kassenärztlicher Leistungen iS des § 368n Abs 2 Satz 4 RVO und das Schreiben von Briefen ärztlichen Inhalts auch keine Leistung, deren Vergütung im BMÄ nicht näher geregelt ist (§ 6 Abs 3 des Bundeswehrvertrages 1984).

Kassenärztliche Leistungen iS des § 368n Abs 2 Satz 4 RVO sind nur die im einheitlichen Bewertungsmaßstab bestimmten Leistungen. Wenn in den Bestimmungen der §§ 368 ff RVO auf die Vergütung kassenärztlicher Leistungen Bezug genommen wird, können nur die in diesem Unterabschnitt der RVO geregelten Leistungen und ihre Vergütung gemeint sein. Von den OKK'en wird nach Maßgabe des Gesamtvertrages eine Gesamtvergütung für die gesamte kassenärztliche Versorgung entrichtet (§ 368f Abs 1 RVO). Ihre Höhe wird im Gesamtvertrag mit Wirkung für die beteiligten Kassen vereinbart (§ 368f Abs 2 RVO). Als Bestandteil der Bundesmantelverträge, in denen der allgemeine Inhalt der Gesamtverträge geregelt wird, vereinbart die KÄBV mit den Bundesverbänden der Krankenkassen durch die Bewertungsausschüsse den einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (E-BMÄ). Dieser bestimmt den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander (§ 368g Abs 4 RVO). Den Punktwert, aus dem sich durch Multiplikation mit den Punktzahlen des E-BMÄ die Höhe der - wie im vorliegenden Fall - nach Einzelleistungen bemessenen Gesamtvergütung ergibt, vereinbaren die KÄV'en und die Landesverbände der Krankenkassen im Gesamtvertrag. Im Hinblick auf diesen Zusammenhang ist die Vergütung kassenärztlicher Leistungen iS des § 368n Abs 2 Satz 4 RVO als die auf dem E-BMÄ beruhende Vergütung für die darin inhaltlich bestimmten abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen zu verstehen. Die Bestimmung des § 368n Abs 2 Satz 4 RVO verweist weder auf die von den OKK'en tatsächlich gezahlten Vergütungen für Tätigkeiten des Arztes noch auf die von ihnen erstatteten Kosten oder Aufwendungen. Vielmehr muß die Vergütung für kassenärztliche Leistungen iS des § 368n Abs 2 Satz 4 RVO auf dem E-BMÄ beruhen. Soweit danach Kosten für bestimmte Gegenstände oder auch bestimmte Tätigkeiten in den Leistungsansätzen enthalten sind, sind sie mit der Gebühr für die einzelne Leistung abgegolten.

Eine gesonderte Berechnung von Schreibgebühren oder ihre gesamtvertragliche Vereinbarung sind im E-BMÄ nicht vorgesehen. Entgegen der Meinung des SG gehört die Gebühr für das Schreiben eines Briefes ärztlichen Inhalts (Nr 15 BMÄ'78) zu den allgemeinen Praxiskosten, die nach Nr 2 der allgemeinen Bestimmungen zum BMÄ'78 in den abrechnungsfähigen Leistungsansätzen enthalten sind. Wie der Senat entschieden hat, sind allgemeine Praxiskosten vor allem die Gehälter und Löhne des Praxispersonals; daher gehört zu den allgemeinen Praxiskosten auch der Zeitaufwand des Personals für das Verpacken und Beschriften einer Sendung, das Ausfüllen des Auftragszettels und die Aushändigung der Sendung an den Boten des Labors (Urteil vom 22. Juni 1983 - 6 RKa 8/82 -). Mit Schreibgebühren wird in erster Linie und im wesentlichen die Tätigkeit des Schreibens abgegolten. Die Kosten für das Papier können daneben vernachlässigt werden, während der Aufwand für Praxisräume und die beim Schreiben benutzte Einrichtung einschließlich der Schreibmaschine ohnehin den allgemeinen Praxiskosten zuzurechnen sind. Der Senat kann sich nicht der Meinung des SG anschließen, die Schreibgebühren könnten den einzelnen ärztlichen Leistungen zugerechnet werden und fielen deshalb nicht unter die allgemeinen Praxiskosten. Schreibarbeiten für die ärztliche Praxis werden in der Regel vom Praxispersonal erledigt. Die Ermittlung seines Zeitaufwandes für einen bestimmten Brief würde zumindest genaue Aufschreibungen voraussetzen. Vor allem aber müßte das Gehalt des einzelnen Angestellten nach betriebswirtschaftlichen Regeln auf die Zeiteinheit umgerechnet werden. Deshalb ist in § 4 Abs 10 des streitigen Gesamtvertrages die Schreibgebühr als Pauschale geregelt. Die Notwendigkeit einer aufwendigen Umrechnung des Gehalts auf die einzelne ärztliche Leistung spricht entgegen der Meinung des SG mehr für als gegen die Zugehörigkeit zu den allgemeinen Praxiskosten.

Diese Zugehörigkeit ergibt sich auch im Zusammenhang der Regelungen des E-BMÄ. Nach § 368g Abs 4 RVO bestimmen die Bewertungsmaßstäbe den Inhalt der abrechnungsfähigen ärztlichen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander. Tätigkeiten und Aufwendungen der Ärzte sind daher grundsätzlich nur dann abrechnungsfähige ärztliche Leistungen, wenn dies im BMÄ bestimmt ist. Insofern ist die Regelung, daß die allgemeinen Praxiskosten in den abrechnungsfähigen Leistungen enthalten sind, nur eine Klarstellung. Die Abrechnungsfähigkeit bestimmter Kosten ist in der folgenden Nr 3 der Allgemeinen Bestimmungen des E-BMÄ ausdrücklich geregelt. Dabei handelt es sich um Kosten für Arzneimittel, Verbandmittel und Materialien, die Kosten für Instrumente, Gegenstände und Stoffe, die der Kranke zur weiteren Verwendung behält oder die mit einer einmaligen Verwendung verbraucht sind, sowie Kosten für Einmalinfusionsbestecke und Einmalbiopsienadeln - ausgenommen die Kosten für Einmalspritzen, Einmalkatheter, Einmalhandschuhe, Einmalskalpelle, Einmalkanülen, Einmalinfusionsnadeln -. Der Aufwand für das Schreiben eines Briefes ärztlichen Inhalts fällt nicht unter Nr 3 der allgemeinen Bestimmungen des E-BMÄ. In Nr 4 dieser allgemeinen Bestimmungen sind weitere Kosten genannt, die in den abrechnungsfähigen Leistungsansätzen enthalten sind; es entspricht dem System, nach dem die Abrechnungsfähigkeit ärztlicher Leistungen im E-BMÄ ausdrücklich geregelt sein muß, daß in Nr 4 insbesondere die Versand- und Portokosten ausgenommen werden, so daß sie in den dort genannten Fällen erstattungsfähig sind. Das grundsätzliche Fehlen der Abrechnungsfähigkeit von Schreibgebühren wird bestätigt durch die Anlage zum Bundesmantelvertrag-Ärzte vom 17. April 1978 zu Nr 17 BMÄ'78. Danach können neben Gutachten nach den Nrn 16 b und 17 BMÄ'78 Schreibgebühren berechnet werden. Die Leistungen nach Nrn 16 b und 17 BMÄ'78 sind nur auf Verlangen der Krankenkasse zu erbringen. Dadurch wird deutlich, daß die ausdrücklich bestimmte Erstattung von Schreibgebühren in diesen Fällen gegenüber den anderen schriftlichen Äußerungen des Arztes nach Nrn 14 ff BMÄ'78 eine Ausnahme darstellt.

Zum selben Ergebnis - kein Anspruch auf Erstattung von Schreibgebühren neben Nr 15 BMÄ'78 - führt schließlich die Anwendung des § 6 Abs 3 des Bundeswehrvertrages 1984. Wenn dort Bezug genommen wird auf Leistungen und Kosten, deren Vergütung bzw Erstattung im BMÄ nicht näher geregelt sind, so sind damit Vergütungen und Kostenerstattungen gemeint, für die im BMÄ'78 keine Punktzahlen bestimmt worden sind, zB Kosten im Sinn der Allgemeinen Bestimmung Nr 3, Versand- und Portokosten nach Nr 4 der Allgemeinen Bestimmungen, Wegegebühren nach Nr 7 der allgemeinen vertraglichen Bestimmungen.

Die Revision ist deshalb begründet. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652761

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