Entscheidungsstichwort (Thema)
Hochschulstudium ohne Abschluß keine Ausfallzeit. Keine Umdeutung in Fachschulstudium
Orientierungssatz
1. Nach § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b AVG ist es unerheblich, ob ein Studium Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt hat, die im späteren Berufsleben nützlich oder wertvoll waren. Mit der Anerkennung des Studiums als Ausfallzeit soll nicht so sehr dem zeitlichen Aufwand als vielmehr dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Ausbildung vor allem der beruflichen Qualifizierung dient. Als deren Nachweis und Kontrolle verlangt das Gesetz daher den Abschluß der Ausbildung und nicht die Bewährung im Beruf (siehe auch BVerfG vom 1980-12-09 1 BvR 1167/80 = SozR Nr 46 zu § 1259 RVO).
2. Ein (nicht abgeschlossenes) Hochschulstudium kann nicht umgedeutet werden in ein Fachschulstudium (hier: bei Fachschul-Katechet), das dann, wenn es durchgeführt und abgeschlossen worden wäre, zu einer (versicherten) Berufstätigkeit geführt hätte.
Normenkette
AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 18.02.1981; Aktenzeichen L 13 An 200/79) |
SG Augsburg (Entscheidung vom 19.07.1979; Aktenzeichen S 13 An 25/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Zeiten einer Hochschulausbildung als Ausfallzeit gem+ß § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).
Der 1915 geborene heimatvertriebene Kläger studierte ab Juni 1946 Theologie, bis Mai 1949 an der Hochschule E, von November 1949 bis März 1950 an der Hochschule R und von April 1950 bis September 1951 an der Universität M; Abschlußprüfungen des insgesamt neun Semester umfassenden Studiums legte er nicht ab. Im Januar 195ö wurde der Kläger in den einfachen Katecheten- (Religionslehrer-)dienst an Volksschulen im Bereich der Diözese A eingestellt, nachdem der bischöfliche Referent in einer Einzelentscheidung den Kläger aufgrund seines - wenn auch nicht abgeschlossenen - Studiums den Absolventen der mit einer staatlichen Prüfung abzuschließenden zweijährigen Fachschule für Katechese gleichgestellt hatte.
Im Verfahren zur Herstellung des Versicherungsverlaufs lehnte die Beklagte es ab, die Studienzeiten ab Januar 1947 als Ausfallzeit vorzumerken, weil der Kläger die Hochschulausbildung nicht abgeschlossen habe; bis zum 31. Dezember 1946 sind Ersatzzeiten der Flucht und Vertreibung anerkannt (Bescheid vom 25. Mai 1978, Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 1979).
Die wegen der Ausbildungszeiten ab 1947 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen, die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und im weiteren die Klage gegen den von der Beklagten im Verlauf des Berufungsverfahrens erlassenen Altersruhegeldbescheid vom 23. Dezember 1980, in dem die streitigen Zeiten unberücksichtigt geblieben sind, abgewiesen. Im Urteil vom 18. Februar 1981 hat das LSG ausgeführt: Gemäß § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG könne als Ausfallzeit nur eine abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildung anerkannt werden. Hierüber verfüge der Kläger nicht. Er habe sein Studium nicht mit der mündlichen und schriftlichen Prüfung, dem Synodale, abgeschlossen, das nach der Auskunft des Bischöflichen Ordinariats A vom 22. August 1977 (auch) damals erforderlich gewesen sei, um als Volltheologe zu gelten. Auf die Gründe für die mangelnde Abschlußprüfung komme es nicht an. Es sei nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber eine nicht abgeschlossene Hochschulausbildung bei besonderer Härte oder grober Unbilligkeit einer abgeschlossenen Hochschulausbildung gleichachte. Aber auch die verfügte Gleichstellung des Klägers mit den Absolventen eines katechetischen Instituts sei unmaßgeblich für eine Anerkennung der streitigen Zeit als Ausfallzeit; bei einem Hochschulstudium handele es sich nicht um eine an einer Fachschule verbrachte Ausbildungszeit mit dem dort erforderlichen Prüfungsabschluß. Ein Ausnahmefall iS von SozR Nr 61 zu § 1259 der Reichsversicherungsordnung (RVO) liege überdies nicht vor. Die Bischöfliche Finanzkammer A habe nämlich am 26. Mai 1979 mitgeteilt, die früher zweijährige und jetzt dreijährige Ausbildung der Katecheten an solchen Schulen schließe mit einer - staatlichen - Prüfung ab.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die
Beklagte unter Änderung des Bescheides vom
23. Dezember 1980 zu verurteilen, die Zeiten der
Hochschulausbildung vom 1. Januar 1947 bis
September 1951 als Ausfallzeit anzuerkennen.
Er hält § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG für verletzt. Zwar setze das Gesetz grundsätzlich den Abschluß eines Hochschulstudiums mit der entsprechenden Prüfung voraus, die er nicht abgelegt habe. Ausnahmen seien, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits bestätigt habe, jedoch nicht ausgeschlossen (Hinweis auf SozR Nr 61 zu § 1259 RVO). Könne danach ein Hochschulstudium dann als abgeschlossen angesehen werden, wenn zur fraglichen Zeit auf dem betreffenden Fachgebiet ein Studium möglich und anerkannt gewesen sei, ohne daß eine Abschlußprüfung vorgesehen war, so müsse das erst recht für eine - vorgesehene - Abschlußprüfung gelten, deren Ablegung für die Anerkennung und Ausübung des angestrebten Berufs nicht vorausgesetzt sei. Eine derartige Fallgestaltung liege bei ihm vor. Er sei nach dem unabgeschlossen gebliebenen Hochschulstudium so behandelt worden, als ob es des Abschlusses nicht bedurft hätte. Angesichts dieser Situation wäre es unverständlich und besonders hart, die Hochschulausbildung nicht als Ausfallzeit zu werten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Die Prüfung des Senats umfaßt sowohl den noch außerhalb eines Rentenverfahrens ergangenen Bescheid vom 25. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 1979, der dem vom Kläger mit der Berufung angefochtenen Urteil des SG ausschließlich zugrunde gelegen hat, als auch den erst während des Berufungsverfahrens erlassenen Altersruhegeldbescheid vom 23. Dezember 1980; dieser ist in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand dieses und des Revisionsverfahrens geworden (BSGE 47, 168, 170; 48, 100, 101; 49, 258, 259; SozR 1500 § 96 Nr 18; Urteil vom 16. Dezember 1981 - 11 RA 84/80 -). In beiden Bescheiden hat die Beklagte die vom Kläger ab Januar 1947 durchlaufenen Zeiten des Studiums zu Recht nicht als Ausfallzeit berücksichtigt.
Nach § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG idF des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) sind Ausfallzeiten Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung, zeitlich beschränkt auf vier Jahre bei der Fachschul- und auf fünf Jahre bei der Hochschulausbildung. Der Kläger hat seine Ausbildung iS dieser Vorschrift nicht "abgeschlossen", dh in der vom Gesetz vorausgesetzten Art und Weise beendet.
Wie das BSG schon wiederholt entschieden hat, ist unter einer "abgeschlossenen" Hochschulausbildung nicht die nur zeitmäßige, sondern vielmehr eine qualitative, dh erfolgreiche Beendigung des Studiums zu verstehen. Das Studium kann deshalb sowohl durch das Bestehen einer dafür vorgesehenen Hochschul- oder Staatsprüfung als auch durch eine Promotion abgeschlossen werden; dabei beendet schon der erste dieser möglichen Studienabschlüsse den als Ausfallzeit in Betracht kommenden Zeitraum (SozR Nrn 9, 59 und 61 zu § 1259 RVO; SozR 2200 § 1259 Nr 4). Von einer abgeschlossenen Hochschulausbildung kann sonach grundsätzlich nur dann gesprochen werden, wenn eine Abschlußprüfung - erfolgreich - abgelegt worden ist. Dazu hätte es im Falle des Hochschulstudiums der Theologie, um das es sich nach dem Sachverhalt hier allein handelt, des mündlichen und schriftlichen Abschlußexamens, des sogenannten Synodales, bedurft. Diese für Volltheologen vorgesehene Prüfung hat der Kläger, wie er in der Revisionsbegründung erneut vorgetragen hat, nicht abgelegt; er hat auch nicht promoviert.
Der erkennende Senat hat allerdings ein Hochschulstudium ausnahmsweise dann iS der einschlägigen Vorschriften als "abgeschlossen" angesehen (SozR Nr 61 zu § 1259 RVO), wenn zur fraglichen Zeit auf dem in Betracht kommenden Fachgebiet ein selbständiges Studium möglich und als ordnungsgemäßes Studium anerkannt gewesen ist, ohne daß eine Abschlußprüfung oder auch nur die Erteilung des Abschlußzeugnisses vorgesehen war; in einem solchen Fall sah er es als genügend an, wenn hinsichtlich des Studienverlaufs und der aufgewendeten Zeit gewisse Mindestbedingungen erfüllt waren. Eine hierunter einzuordnende Ausnahme liegt indessen beim Kläger nicht vor. Das Theologiestudium war, wie das LSG - bindend - festgestellt hat, schon bzw auch 1951 ein solches, für das ein Abschlußexamen vorgesehen war.
Auch vermittels der in SozR Nr 61 aaO im einzelnen dargelegten Gedanken kann der Fall des Klägers nicht im für ihn positiven Sinne gelöst werden. "Zur Vermeidung unbilliger Härten" hat der erkennende Senat in dieser Entscheidung ausschließlich zu dem Begriff "abgeschlossen" Stellung bezogen und dabei den möglichen Arten eines Hochschulabschlusses noch die dort erörterte weitere Abschlußart ohne eine Prüfung hinzugefügt. Damit ist nicht die Tür geöffnet für Fallgestaltungen, in denen ein mit Examen abschließbares Studium gleichwohl unabgeschlossen geblieben, jedoch benutzt worden ist, um mit Hilfe der durch das Studium erworbenen Kenntnisse zu einem (nicht akademischen) Beruf zu gelangen. Ein solcher Fall kann nicht, wie der Kläger meint, "erst recht" unter § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG fallen. In SozR 2200 § 1259 Nr 14 hat der Senat bereits ausgesprochen, daß mit der Ausnahme des examenslosen Abschlusses nicht zum Ausdruck gebracht worden ist, daß auch bei anderen Ausnahmekonstellationen auf einen Abschluß des Studiums durch Ablegen von Prüfungen verzichtet werden könnte; diese Rechtsprechung ist nicht auf Studiengänge anwendbar, die Abschlußprüfungen vorsehen, wenn der Betreffende einen solchen Abschluß - aus welchen Gründen immer - nicht erreicht hat. Ein derartiges Studium ist stets als nicht abgeschlossen anzusehen (SozR 2200 § 1259 Nr 14).
In der zuletzt genannten Entscheidung hat sich der erkennende Senat gerade auch mit den vom Kläger ins Feld geführten Gesichtspunkten "besondere Härte" und "grobe Unbilligkeit" befaßt und sie für nicht relevant gehalten im Rahmen des Gesetzes; dies trifft auch hier. Desweiteren ist in der Entscheidung aaO darauf hingewiesen, daß es nach § 36 Abs 1 Nr 4 AVG unerheblich sei, ob das Studium Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt habe, die im späteren Berufsleben nützlich oder wertvoll waren. Mit der Anerkennung des Studiums als Ausfallzeit wollte der Gesetzgeber nämlich nicht so sehr dem zeitlichen Aufwand als vielmehr dem Umstand Rechnung tragen, daß die Ausbildung vor allem der beruflichen Qualifizierung dient. Als deren Nachweis und Kontrolle verlangt das Gesetz daher den Abschluß der Ausbildung und nicht die Bewährung im Beruf (s auch SozR Nr 46 zu § 1259 RVO).
Die "Gleichstellung" des vom Kläger absolvierten Hochschulstudiums mit einer - durch staatliche Prüfung abgeschlossenen - Fachschulausbildung als Katechet durch die Entscheidung eines Referenten beim Bischöflichen Ordinariat in A vermag am Ergebnis nichts zu ändern. Die "Studienzeit" wird damit auch nicht als "Fachschulausbildung" anrechenbar. Zeiten einer Fachschulausbildung iS des Gesetzes sind nur diejenigen Ausbildungszeiten, die ein Fachschüler an einer Fachschule verbringt (BSG, Urteil vom 13. August 1981 - 11 RA 62/80 -). Darüber hinaus kann nach SozR 2200 § 1259 Nr 4 ein nicht abgeschlossenes Hochschulstudium einer Fachschulausbildung nicht deshalb zugerechnet werden, weil es etwa die Entscheidung über die Aufnahme in die Fachschule günstig beeinflußt hat. Aus diesem Gedanken läßt sich jedenfalls ableiten, daß ein (nicht abgeschlossenes) Hochschulstudium nicht umgedeutet werden kann in ein Fachschulstudium, das dann, wenn es durchgeführt und abgeschlossen worden wäre, zu einer (versicherten) Berufstätigkeit geführt hätte. In SozR 2200 § 1259 Nr 4 hält der Senat es allenfalls für möglich, eine abgeschlossene Hochschulausbildung zu einer Fachschulausbildung hinzuzurechnen, wenn die Fachschulausbildung nachweislich wegen des vorausgegangenen Hochschulstudiums abgekürzt worden ist. Ein nicht absolviertes Fachschulstudium kann dagegen in dieser Richtung keine rechtlichen Folgen zeitigen.
Nach alledem kann der Kläger die Anerkennung von Ausbildungszeiten als Ausfallzeit nicht begehren; die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen