Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschiedenenwitwenrente. Höhe der Unterhaltsleistung
Orientierungssatz
Unterhaltsleistung oder Unterhaltsanspruch müssen wenigstens 25 vH des Regelsatzes der Sozialhilfe betragen (Anschluß an BSG 1982-05-12 5b/5 RJ 30/80 = BSGE 53, 257 und 1982-09-07 1 RA 87/80 = SozR 2200 § 1265 Nr 65); insoweit kommt es auf Einkommen und Vermögen des geschiedenen Ehegatten nicht an.
Normenkette
AVG § 42 S 1 Fassung: 1976-06-14; RVO § 1265 S 1 Fassung: 1976-06-14
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.07.1981; Aktenzeichen L 6 An 745/80) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 25.02.1980; Aktenzeichen S 9 An 2372/77) |
Tatbestand
Streitig ist eine sogenannte Geschiedenenrente.
Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des am 12. Juni 1977 verstorbenen Versicherten Eberhard C. Dieser war mit der Klägerin in zweiter Ehe, mit der Beigeladenen bis zu seinem Tod in vierter Ehe verheiratet. Er zahlte der Klägerin - insbesondere im letzten Jahr vor seinem Tod - einen Unterhalt von monatlich 75,-- DM.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährte der Beigeladenen Witwenrente für die Zeit ab 1. Juli 1977. Der Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente blieb im Verwaltungsverfahren und nach Beiladung der Witwe in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg (Bescheid vom 30. November 1977; Urteil des Sozialgerichts -SG- Freiburg vom 25. Februar 1980; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 28. Juli 1981). Das LSG hat einen Anspruch auf Unterhalt für das letzte Jahr vor dem Tode des Versicherten verneint und die tatsächliche Zahlung von 75,-- DM nicht als tatsächliche Unterhaltsgewährung anerkannt. Von einer Unterhaltsleistung könne nur die Rede sein, wenn deren Betrag in etwa 25 vH des Mindestbedarfs im Sinne des Sozialhilferechts erreiche. Der Regelsatz der Sozialhilfe habe in Baden-Württemberg monatlich 267,-- DM bis einschließlich Juni 1976 und danach 283,-- DM und damit im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten im Mittelwert 280,-- DM monatlich betragen. Daneben hat das LSG der damaligen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgend den Wohnungswert berücksichtigt und diesen auf monatlich 470,-- DM festgestellt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG). Das BSG habe nach Erlaß des Berufungsurteils mit Urteil vom 12. Mai 1982 - 5b/5 RJ 30/80 - unter Aufgabe seiner entgegenstehenden Rechtsprechung entschieden, daß bei der Ermittlung von 25 vH des notwendigen Mindestbedarfs nur der Regelsatz der Sozialhilfe, nicht aber die Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen seien. Die vom LSG festgestellte Zahlung von monatlich 75,-- DM sei mehr als 25 vH des vom LSG auf 283,-- DM monatlich im Durchschnitt festgestellten Regelsatzes.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und des Bescheides der Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente ab 1. Juli 1977 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, auch nach dem von der Klägerin angeführten Urteil des 5. Senats des BSG verbleibe es dabei, daß eine Zahlung als Unterhaltsleistung nur anzuerkennen sei, wenn sie die Lebensführung des Unterhaltsberechtigten merklich verbessert habe. Soweit die Zahlung 25 vH des Mindestbedarfs überschreite, sei sie insoweit in Beziehung zu setzen zu den Einkünften des Berechtigten. Gemessen an den Einkünften der Klägerin von monatlich 1.280,-- DM sei die Zahlung von monatlich 75,-- DM für die Lebensführung von untergeordneter Bedeutung gewesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
1. Auf die Revision der Klägerin war die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides und der vorinstanzlichen Urteile zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente ab Juli 1977 zu gewähren, weil als Voraussetzung hierfür § 42 Satz 1 AVG jedenfalls in seiner letzten Alternative erfüllt ist. Der Versicherte hat der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode monatlich 75,-- DM gezahlt. Gegen diese Feststellung des LSG sind keine Revisionsrügen erhoben; die Zahlung ist im übrigen unstreitig. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen war diese Zahlung auch eine für die Anwendung des § 42 Satz 1 AVG ausreichende Unterhaltsleistung.
2. Nach § 42 Satz 1 AVG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 steht der Klägerin Hinterbliebenenrente ua zu, wenn ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat. Eine Zahlung kann als Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift nur anerkannt werden, wenn sie zumindest 25 vH des Mindestbedarfs im Sinne des Sozialhilferechts ausmacht. Der Berechnung dieses Mindestbedarfs sind bislang die Regelsätze nach § 22 Abs 1 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sowie die Kosten der Unterkunft zugrundegelegt worden (Urteil des 4. Senats BSGE 40, 79, 81 und danach ständige Rechtsprechung; Urteil des erkennenden Senats SozR 2200 § 1265 Nr 56 auf Blatt 187).
Der 5. Senat hat nach Erlaß des Berufungsurteils mit Urteil vom 12. Mai 1982 - 5b/5 RJ 30/80 - entschieden, daß er an der Rechtsprechung, daß auch die Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind, nicht festhalte, nachdem die noch mit Streitsachen aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung befaßten Senate des BSG - unter ihnen auch der erkennende Senat - auf Anfrage mitgeteilt hätten, daß sie ebenfalls an der bisherigen Rechtsauffassung nicht festhielten. Der 1. Senat hat sich mit Urteil vom 7. September 1982 - 1 RA 87/80 - der Entscheidung des 5. Senats angeschlossen. Beide Senate meinen, die Kriterien, daß die Zuwendungen des Versicherten wirtschaftlich ins Gewicht fielen, mehr als nur einen geringfügigen Teil des Unterhalts ausmachten und die Lebensführung der geschiedenen Frau merklich verbesserten, würden grundsätzlich auch durch einen Unterhaltsanspruch bzw eine tatsächliche Unterhaltsleistung in Höhe von mindestens 25 vH des Regelsatzes der Sozialhilfe ohne Kosten der Unterkunft erfüllt. Dem folgt auch der erkennende Senat.
Abweichend von der Rechtsprechung des 4., 1. und 11. Senats, nach der die Zahlung wenigstens 25 vH des Mindestbedarfs als starre Untergrenze erreichen muß (BSGE 40, 79, 81; SozR 2200 § 1265 Nr 45 Seite 151 mwN; SozR aaO Nr 56), hatte der 5. Senat im Hinblick auf die unterschiedliche Höhe der Kosten für Unterkunft im Einzelfall eine geringfügige Unterschreitung der Grenze von 25 vH als unschädlich angesehen (BSGE 50, 210, 212; SozR aaO Nr 55 Seite 185). Der 5. Senat hat diese Ansicht jedoch im Urteil vom 12. Mai 1982 ausdrücklich aufgegeben; beide Senate, der 5. Senat im angeführten Urteil vom 12. Mai 1982 und der 1. Senat im angeführten Urteil vom 7. September 1982, haben übereinstimmend zum Ausdruck gebracht, daß die Unterhaltsleistung stets wenigstens 25 vH der zeitlichen und örtlichen Regelsätze der Sozialhilfe betragen müsse, so daß auch bei nur geringfügiger Unterschreitung dieses Prozentsatzes die Verpflichtung bzw Leistung des Versicherten nicht als "Unterhalt" angesehen werden könne. Auch dem ist beizutreten.
Die Beigeladene verkennt nicht, daß die vom LSG festgestellte Zahlung von 75,-- DM monatlich 25 vH des Regelsatzes von im Monatsdurchschnitt 280,-- DM überschreitet und damit nach dem Maßstab des Mindestbedarfs Unterhalt ist.
3. Die Beigeladene meint aber, daß den in beiden Urteilen neben der Mindesthöhe von 25 vH des Regelsatzes der Sozialhilfe genannten Kriterien, daß die Zuwendungen des Versicherten wirtschaftlich ins Gewicht fallen, mehr als nur einen geringfügigen Teil des Unterhalts ausmachen und die Lebensführung der geschiedenen Frau merklich verbessern, eine eigenständige, an den sonstigen Mitteln der geschiedenen Ehefrau zu messende Bedeutung zukomme.
Dem ist entgegenzuhalten, daß schon nach den beiden genannten Urteilen des 5. und 1. Senats diese mehr oder minder unbestimmten Kriterien auf die feste Größe von 25 vH des Regelsatzes der Sozialhilfe konkretisiert wird.
Im übrigen entspricht es fester Rechtsprechung, daß die individuellen Besonderheiten des geschiedenen Ehegatten, insbesondere sein Einkommen und seine Vermögensverhältnisse nur für den Unterhaltsanspruch bedeutsam sind, nicht aber bei der Bestimmung der für die Annahme einer Unterhaltsleistung geltenden Mindesthöhe. Der 11. Senat hat zwar in einem Urteil vom 19. Juni 1969 - 11 RA 138/68 - (FEVS 17, 116) beiläufig erwogen, ob auch ein den Mindestbedarf übersteigender Unterhaltsbetrag bei besonders hohen Einkünften der geschiedenen Ehefrau als geringfügig angesehen werden könne, er hat sodann aber im Urteil vom 13. August 1981 (SozR 2200 § 1265 Nr 56 auf Seite 187) entschieden, es sei in der Rechtsprechung des BSG bereits geklärt, daß es auf das Verhältnis des Unterhaltsbetrages zu den sonstigen Einkünften nicht ankomme, die Frage der Geringfügigkeit des Unterhalts vielmehr allein nach dem Verhältnis zum notwendigen Mindestbedarf zu beurteilen sei (Hinweis auf SozR 2200 § 1265 Nr 34). In der letztgenannten Entscheidung des 1. Senats vom 30. Mai 1978 (aaO Nr 34 auf Seite 104) heißt es, ob ein Unterhaltsbetrag geringfügig sei, dürfe nicht aufgrund eines Vergleiches mit den sonstigen Einkünften der geschiedenen Ehefrau beurteilt werden. Die Hinterbliebenenrente sei keine individuell zweckgerichtete und bemessene Leistung und weder dem Grunde noch ihrer Höhe nach von den persönlichen Verhältnissen und Bedürfnissen des jeweiligen Anspruchsstellers abhängig; sie habe aufgrund ihrer Unterhaltsersatzfunktion den Zweck, einen mit dem Tode des Versicherten nicht im konkreten Einzelfall, sondern typischerweise verbundenen Verlust eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsleistung auszugleichen; damit könne auch die wirtschaftliche Bedeutung dieses Verlustes nur typisierend - am Maßstab des örtlich und zeitlich notwendigen Mindestbedarfs - festgestellt werden. Gegen eine Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse hat sich auch der 4. Senat ausgesprochen (SozR aaO Nrn 5 und 16). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie steht mit den nunmehr anders zu beurteilenden Kosten der Unterkunft nicht in Zusammenhang; Einwände gegen ihre Begründung sind von der Beigeladenen nicht erhoben und auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen