Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.06.1994) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 1994 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe der Regelaltersrente des Klägers.
Er wurde im Januar 1927 geboren, befand sich vom 15. Februar 1943 bis zum 26. August 1946 (43 Monate) im Kriegsdienst bzw in Gefangenschaft, entrichtete von Oktober 1947 bis zum 30. April 1957 Pflichtbeiträge und von Oktober 1960 bis Ende 1991 als Architekt freiwillige Beiträge, dabei in der Zeit bis zum 31. Dezember 1983 mit vielen unbelegten Kalendermonaten.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erteilte dem Kläger am 20. August 1991 antragsgemäß eine sog Rentenauskunft nach § 104 Abs 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Darin teilte sie ua mit, die Höhe der Rentenanwartschaft betrage (bezogen auf einen fiktiven Versicherungsfall vom 20. August 1991) monatlich 1.097,40 DM. Ihr lägen 221 Monate Beitragszeiten, 43 Monate Ersatzzeiten und 13 Monate an Ausfallzeiten sowie eine jährliche Leistung aus der Höherversicherung von 30,84 DM zugrunde. Zugleich machte die BfA darauf aufmerksam, diese Rentenanwartschaft sei nach den gegenwärtig geltenden Bestimmungen des AVG errechnet worden; die Auskunft sei nicht rechtsverbindlich; die am 1. Januar 1992 in Kraft tretende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und deren mögliche Auswirkungen auf die Rentenhöhe seien hierbei noch nicht berücksichtigt.
Auf den Antrag des Klägers vom 8. November 1991 gewährte ihm die BfA mit dem streitigen Bescheid vom 23. Dezember 1991 eine Regelaltersrente ab 1. Februar 1992 in Höhe von 782,97 DM (abzüglich des Beitragsanteils des Klägers zu seiner Krankenversicherung in Höhe von 47,76 DM). Die Entscheidung über den Rentenanspruch beruhte auf den Bestimmungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Hierbei berücksichtigte sie die Zeiten vom 1. Oktober 1947 bis zum 30. September 1951 als Pflichtbeitragszeiten für Berufsausbildung, die Zeiten vom 1. Oktober 1951 bis zum 30. April 1957 als Pflichtbeitragszeiten und die Zeiten vom 1. Oktober 1960 bis zum 31. Dezember 1991 – abgesehen von den Versicherungslücken – als freiwillige Beitragszeiten; aus diesen 233 Monaten Beitragszeiten ergab sich für die Grundbewertung die Summe der Entgeltpunkte in Höhe von 16,7421 Punkten. Ferner berücksichtigte sie die Zeit vom 15. Februar 1943 bis zum 26. August 1946 als Ersatzzeit wegen militärischen Dienstes sowie eine pauschale Anrechnungszeit für Zeiten vor dem 1. Januar 1957 von 13 Monaten. Nach Abzug dieser beitragsfreien Zeiten (56 Monate) sowie der sog Pauschalzeit (iS von § 263 Abs 2 SGB VI) aus allen Beitragszeiten (36 vH aus 233 Beitragsmonaten = 84 Monate) verblieben 449 belegungsfähige Kalendermonate. Daraus ergab sich der Durchschnittswert für die Grundbewertung von 0,0373 Punkten. Hieraus errechnete sich der Gesamtleistungswert für die 56 Monate an beitragsfreien Zeiten von insgesamt 2,0888 Punkten. Die Summe aller Entgeltpunkte betrug daher 18,8309 Punkte.
Die BfA wies den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser auf eine „Rentenminderung” von etwa 30 vH hinwies, durch Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 1992 zurück. Die 43 Monate an Ersatzzeiten und die pauschale Anrechnungszeit von 13 Monaten hätten wegen der Lücken im Versicherungsverlauf zwischen Mai 1957 und Dezember 1983 nach neuem Recht nicht mehr mit einem Monatsdurchschnitt von 13,11 Werteinheiten (altes Recht)/0,1311 Entgeltpunkten (neues Recht), sondern lediglich noch mit einem Monatsdurchschnitt von 0,0373 Entgeltpunkten (= 3,73 Werteinheiten) abgegolten werden können. Das SGB VI sehe auch keine unterschiedliche Bewertung der beitragsfreien Zeiten für Zeiten vor und nach 1965 mehr vor. Deswegen seien auch die Mindestwerte für Pflichtbeitragszeiten für Berufsausbildung (iS von § 70 Abs 3 SGB VI) in den ersten (früher fünf, jetzt vier) Jahren der Beschäftigung anders zu bewerten gewesen. Daher seien den ersten 48 Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung vor Vollendung des 25. Lebensjahres 0,90 Entgeltpunkte pro Kalenderjahr (monatlich 0,0750 Entgeltpunkte) zuzuordnen gewesen. Demgegenüber seien nach dem alten Recht die Pflichtbeiträge der ersten fünf Jahre noch mit dem Monatsdurchschnitt von 13,11 Werteinheiten (0,1311 Entgeltpunkten monatlich) bewertet worden.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage durch Urteil vom 5. August 1993 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 10. Juni 1994 zurückgewiesen. Das Berufungsgericht ist folgender Ansicht: Die BfA habe die §§ 63 ff SGB VI zu Recht angewandt, weil der Anspruch auf Regelaltersrente erst im Jahre 1992 entstanden sei (§§ 300 ff SGB VI). Die Beteiligten gingen zu Recht davon aus, daß die BfA die neuen Rechtsvorschriften richtig angewandt habe. Aus der Rentenauskunft vom 20. August 1991 könne der Kläger keinen Anspruch herleiten, weil es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Die neuen gesetzlichen Bestimmungen seien auch nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG) liege nicht vor. Die hier eigentumsgeschützte Anwartschaft des Klägers sei wegen der Solidarität der Versicherten von vornherein nicht änderungsfest gewesen. Der Gesetzgeber habe einen relativ weiten Gestaltungsspielraum, soweit für den Eingriff legitimierende Gründe gegeben seien. Das neue Recht der Gesamtleistungsbewertung habe die Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller stärken sollen. Infolge der ungünstigen Bevölkerungsentwicklung, des früheren Rentenbezugsalters, des späteren Eintrittsalters der Versicherten in die Rentenversicherung und der steigenden Lebenserwartung habe die gesetzliche Rentenversicherung kurzfristig finanziell entlastet werden müssen. Deswegen sei ein „Selbstregulierungsmechanismus” von Bundeszuschuß, Beitrag und Rentenanpassung geschaffen worden. Der Gesetzgeber habe ua die im alten Recht vorgesehenen Anrechnungsvoraussetzungen für beitragsfreie Zeiten zum Teil – die Versicherten begünstigend – beseitigt und die Bewertung solcher Zeiten stärker an das individuelle Beitragsniveau angeglichen. Dabei habe er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Er habe die Anrechnung der beitragslosen Zeiten nicht völlig beseitigt, sondern systemkonform anders geregelt. Dies gelte auch für die Ersatzzeiten. Obwohl die Rente des Klägers um fast 30 vH niedriger sei, als er sie nach altem Recht erwartet habe, rechtfertige das öffentliche Interesse an der Rentenreform das Zurücktreten des Vertrauensschutzes des Klägers. Auf die Rentenauskunft habe er schon deswegen nicht vertrauen dürfen, weil er ausdrücklich auf die anstehende Rechtsänderung und mögliche nachteilige Auswirkungen hingewiesen worden sei. Das Sozialstaatsprinzip sei nicht verletzt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, weil die Beklagte weder falsche Auskunft erteilt noch ihre Fürsorgepflicht verletzt habe.
Zur Begründung der – vom LSG zugelassenen – Revision trägt der Kläger vor, die Anwendung des ab Januar 1992 gültigen Rechts verletzte Art 14 Abs 1, 3 Abs 1 GG und das Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG. Er habe eine eigentumsgeschützte Rentenanwartschaft erworben, die bei einer Vollendung des 65. Lebensjahres vor dem 31. Dezember 1991 zu einer Altersrente von monatlich 1.097,40 DM geführt haben würde; diese hätte ihm auch nach dem 1. Januar 1992 ungekürzt weitergezahlt werden müssen (§ 307 SGB VI). Weil er sein 65. Lebensjahr aber 20 Tage nach dem 31. Dezember 1991 vollendet habe, werde ihm jetzt eine niedrigere Rente gewährt, obwohl er bereits am 8. November 1991 den Anspruch geltend gemacht habe. Dies belaste ihn übermäßig und sei für ihn unzumutbar. Die Rechtsprechung zur Stichtagsproblematik könne ihm nicht entgegengehalten werden. Es sei unverhältnismäßig und unzumutbar, wenn in den Übergangsvorschriften keine Ausnahme für besonders lange Anwartschaftszeiten oder bei Erfüllung der Voraussetzungen der Altersrente nach dem AVG kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahres vorgesehen seien. Das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG sei verletzt, weil er ohne sachlichen Grund gegenüber den Versicherten benachteiligt werde, die drei Wochen früher geboren worden seien. Die Herabwertung der Ersatzzeiten verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip. Die Versicherten mit Ersatzzeiten seien gehindert worden, Beitragszeiten zurückzulegen. Er habe Kriegsdienst in jungen Jahren leisten müssen und sei als Schwerkriegsbeschädigter aus der Gefangenschaft entlassen worden. Die Solidarität der Versichertengemeinschaft sei nicht nur mit den lebensälteren Kriegsteilnehmern, sondern auch gerade mit den jüngeren verlangt. Es gehe nicht an, daß die jüngeren Kriegsteilnehmer nach für sie ungünstigeren Bestimmungen entschädigt würden als die älteren, die schon vor dem 1. Januar 1992 Rente hätten beanspruchen können. Insoweit fehle eine Übergangsvorschrift, die dieser Altersgruppe die volle Anrechnung der Ersatzzeiten wie nach altem Recht ermögliche.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 1994 und des SG Düsseldorf vom 5. August 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23. Dezember 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 1992 zu verurteilen, die Regelaltersrente des Klägers in der Höhe zu zahlen, die sich unter Anwendung des bis zum 31. Dezember 1991 gültigen Rentenberechnungsrechtes ergibt.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, die streitigen Rentenberechnungsvorschriften des SGB VI seien verfassungsgemäß. Für seine mit Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen belegten Monate erhalte der Kläger Rente in derselben Höhe, wie sie sich nach dem AVG ergeben hätte. Hinsichtlich der Ersatzzeiten sei in § 263 Abs 5 SGB VI eine dem Vertrauensschutz dienende Übergangsregelung geschaffen worden. Diese greife zugunsten des Klägers nur deswegen nicht ein, weil er nur 43, nicht aber die dort geforderten 48 Kalendermonate an Ersatzzeiten zurückgelegt habe. Die Voraussetzung von mindestens vier Jahren Ersatzzeiten wegen Krieges oder Verfolgung diene zum Ausschluß von Bagatellfällen und zur Begrenzung des zusätzlichen Verwaltungsaufwandes (Hinweis auf BT-Drucks 12/7688 S 9).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Ihm steht kein Anspruch auf eine höhere Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach den bis zum 31. Dezember 1991 geltenden rentenrechtlichen Bestimmungen des AVG zu.
A.1. Der Kläger kann den Anspruch auf eine höhere Rente nach diesen Bestimmungen nicht auf die ihm gemäß § 104 Abs 4 AVG erteilte Rentenauskunft vom 20. August 1991 stützen, nach der ihm – zum damaligen Zeitpunkt – auf der Grundlage des damals geltenden Rechts eine Rentenanwartschaft in Höhe von 1.097,40 DM zugestanden hätte.
Eine Auskunft über die Höhe der bisher erworbenen Anwartschaft auf Altersruhegeld (Abs 4 Satz 1 aaO), auf deren Erteilung ein Versicherter, der das 55. Lebensjahr vollendet hatte, Anspruch hatte, war nicht rechtsverbindlich (Abs 4 Satz 3 aaO); ihr sollte mithin kraft Gesetzes keine Bindungswirkung zukommen. Das dem Kläger zugesandte Auskunftsschreiben der Beklagten vom 20. August 1991 ist kein (rechtswidriger, aber) bindender Verwaltungsakt, also keine Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen (§ 31 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫). Gegenstand der Auskunft war allein, worauf die Beklagte in ihrem Schreiben ausdrücklich hingewiesen hatte, eine Information über die Höhe der Rentenanwartschaft nach dem damals maßgeblichen Recht des AVG. Die Mitteilung hatte keine unmittelbare Rechtswirkung nach außen; sie sollte – auch für jeden objektiven Erklärungsempfänger erkennbar – die Rechtsstellung des Klägers nicht verändern (vgl hierzu BSGE 49, 258, 260 f = SozR 2200 § 1251 Nr 75 S 195 f; BSGE 50, 294, 296 f = SozR 2200 § 1325 Nr 3 S 1 f; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl, S 177, 213, 389), ihm insbesondere keinen rechtswidrigen verwaltungsaktlichen Anspruch gewähren. Mit anderen Worten: Mit der Auskunft verpflichtete die Beklagte sich nicht gegenüber dem Kläger, ihm bei Erreichen des Rentenalters eine Regelaltersrente – unabhängig von gesetzlichen Änderungen – zumindest in Höhe des im Auskunftsschreiben mitgeteilten Betrages zu bewilligen.
2. Dem Kläger steht (da Vertrag oder Verwaltungsakt als spezielle Anspruchsgrundlagen ausscheiden) allein ein gesetzlicher Anspruch auf die ihm mit Bescheid vom 23. Dezember 1991 bewilligte Regelaltersrente ab 1. Februar 1992 in Höhe von 782,97 DM zu. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit – insoweit liegen auch keine Anhaltspunkte vor –, daß die Beklagte die Vorschriften (§§ 70 ff) des SGB VI – sollten sie Anwendung finden und gültig sein – zutreffend der Berechnung der Regelaltersrente zugrunde gelegt hat.
Die Bestimmungen des SGB VI finden hier Anwendung. Nach § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 1. Januar 1992 an anzuwenden; die Ausnahmevorschrift des Abs 2 aaO findet bereits deshalb keine Anwendung, weil der Kläger erst im Januar 1992 das 65. Lebensjahr vollendet hat, also der Versicherungsfall (iS des AVG) bzw der Leistungsfall (iS des SGB VI) erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts eingetreten ist (dazu näher BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3).
B. Die von dem Kläger beanstandeten, zur Rentenberechnung von der Beklagten herangezogenen Vorschriften des SGB VI sind gültig; sie verstoßen nicht gegen das GG.
1. Art 14 Abs 1 GG ist nicht verletzt.
Das Rentenreformgesetz (RRG) 1992 enthält eine die immanenten Strukturen des Rentenversicherungsrechts folgerichtig entwickelnde neue Inhaltsbestimmung des Renteneigentums, die bestehende Ansprüche (dazu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3) nicht eingeschränkt hat und insoweit sowie im Blick auf zukünftige Versicherte verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Jedoch hat sie in bezug auf Versicherte, die am 31. Dezember 1991 zwar noch keinen Anspruch, aber schon eine als Eigentum geschützte Rentenanwartschaft erlangt hatten, in vermögenswerte Positionen eingegriffen, dies aber nur dann, wenn – wie hier – die Anwendung des neuen Rechts eine geringere Bewertung der beitragsfreien Zeiten (§ 71 Abs 1 SGB VI; pauschale Anrechnungs- und Ersatzzeit) oder auch der „ersten 48 Kalendermonate” mit Mindestwerten für Pflichtbeitragszeiten der Berufsausbildung als Zeiten einer versicherten Beschäftigung (§ 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI) zur Folge hatte. Die Änderung der Bewertung dieser Zeiten im SGB VI ist jedoch eine zulässige Neubestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums (zu § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI ebenso: 13. Senat, Urteil vom 23. Mai 1995 – 13/4 RA 13/94; siehe auch Urteile des Senats vom 18. April 1996 – 4 RA 36/94, zur Veröffentlichung vorgesehen, sowie 4 RA 51/94 und 4 RA 120/94).
1.1. Der Kläger hatte am 31. Dezember 1991 eine vermögenswerte Rechtsposition in Form einer Anwartschaft (nicht: eines Anspruchs) auf Altersruhegeld nach § 25 Abs 5 AVG; diese war ihm nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts als privatnützig zugeordnet; sie diente der Sicherung seiner Existenz und beruhte auf nicht unerheblichen (233 Monate) Beitragsleistungen; sie unterlag mithin dem Schutz des Art 14 Abs 1 GG.
Gegenstand der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG sind Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in ihrem Gesamtbestand, wie sie sich aus dem funktionalen Zusammenwirken der verschiedenen Elemente nach der jeweiligen Gesetzeslage ergeben (vgl hierzu BVerfGE 53, 257, 293 = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 2 ff; BVerfGE 58, 81, 109 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 10), nicht hingegen einzelne Anspruchs- bzw Berechnungselemente, wie die Bewertung von Anrechnungs- und Ersatzzeiten (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 58, 81, 109 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 10). Rentenversicherungsrechtliche Anwartschaften in dem og Sinne sind solche Rechtspositionen des Versicherten, die bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen, etwa der Wartezeit und des Eintritts des Versicherungs- bzw Leistungsfalls, zum Vollrecht erstarken können (vgl BVerfGE 53, 257, 289 f = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 2). Offenbleiben kann hier, welche Voraussetzungen im einzelnen vorliegen müssen, damit eine Rentenanwartschaft entsteht (vgl zu den Voraussetzungen: Urteil des Senats vom 13. Oktober 1992 – 4 RA 10/92; dort Anspruch auf Arbeitslosenruhegeld nach § 25 Abs 2 AVG in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung; die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung angenommen, Beschluß vom 11. August 1993 – 1 BvR 10/93). Denn der auf den zurückgelegten Beitragszeiten beruhende Teil der Rechtsposition des damals 64-jährigen Klägers hatte jedenfalls zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des RRG 1992, zum 1. Januar 1992, eine solche Nähe zum Vollrecht erreicht, daß es zur Entstehung des Anspruchs auf Regelaltersrente lediglich noch des Erreichens der Altersgrenze bedurfte.
1.1.1. Von der Eigentumsgarantie umfaßt wurde am 31. Dezember 1991 die Anwartschaft des Klägers auf Altersruhegeld nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden rentenrechtlichen Bestimmungen in Höhe von etwa 1.097,40 DM (Stand: August 1991). Dieser Betrag beruhte – wovon auch die Beteiligten ausgehen -wesentlich auf der für ihn günstigeren Regelung der Bewertung der beitragsfreien Zeiten nach damaligem Recht sowie auf der für ihn ebenfalls günstigeren Regelung der Bewertung der „ersten fünf Kalenderjahre seit dem Eintritt in die Versicherung” (wie eine Ausfallzeit: § 32 Abs 4 Buchst a AVG iVm § 32a Abs 2 AVG = § 1255 Abs 4 Buchst a Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ iVm § 1255a Abs 2 RVO). Diese vor dem 1. Januar 1965 liegenden Zeiten waren mit Werteinheiten belegt, die sich im Grundsatz aus dem – um die „ersten fünf Jahre” bereinigten – Werteinheitendurchschnitt aller vom 1. Oktober 1947 bis 30. April 1957 entrichteten Beiträge (= 13,11 Werteinheiten) ergeben hatten. Mit diesen Regelungen wurden Versicherte um so mehr begünstigt, je mehr sie – wie der Kläger von Mai 1957 bis Dezember 1983 – viele Monate mit beitragslosen Zeiten zurückgelegt und nur während einer kurzen Zeit ihres „aktiven Versicherungslebens” Beiträge gezahlt hatten. Lücken im Versicherungsverlauf (dh Monate ohne Versicherungszeiten) haben nach altem Recht, welches dies als atypische Gestaltung ansah, den errechneten Durchschnittswert nicht mehr beeinflußt; sie wirkten sich bei der Rentenberechnung und damit auf die Rentenhöhe nicht aus.
1.2. In diese Rechtsposition hat der Gesetzgeber durch Änderung der Bewertung der beitragsfreien Zeiten und der Pflichtbeitragszeiten für Berufsausbildung, also der mit Pflichtbeiträgen belegten „ersten 48 (früher: 60) Kalendermonate” mit dem RRG 1992 eingegriffen.
Während die Anzahl der bei der Berechnung der Rente zu berücksichtigenden rentenerheblichen Zeiten (§ 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI = Ersatzzeit; § 253 SGB VI = pauschale Anrechnungszeit; § 55 SGB VI = Beitragszeit) in etwa gleichblieb, hat das RRG 1992 durch die Einführung der Gesamtleistungsbewertung diejenigen Versicherten hinsichtlich der Bewertung der beitragsfreien Ersatz- und Anrechnungszeiten gegenüber dem zuvor geltenden Recht schlechter gestellt, die – wie der Kläger – Lücken im Versicherungsverlauf haben. Ungünstiger ist das neue Recht auch für die Versicherten, bei denen – wie beim Kläger – die „ersten fünf Kalenderjahre seit dem Eintritt in die Versicherung” ebenfalls mit dem – hier günstigeren – Werteinheitendurchschnitt unter Außerachtlassung der tatsächlich entrichteten Pflichtbeiträge berechnet worden waren.
Nach den Bestimmungen des SGB VI werden die beitragsfreien Zeiten mit dem Durchschnittswert an Entgeltpunkten bewertet, der sich aus der Gesamtleistung aller im belegungsfähigen Zeitraum entrichteten Beiträge ergibt (§ 72 Abs 1 SGB VI); diesen Zeiten wird ein Wert in Form von durchschnittlichen Entgeltpunkten zugeordnet, der sich aus rentenrechtlichen Zeiten mit eigenem Wert sowie aus der Anzahl der gesamten belegungsfähigen Monate (Gesamtzeitraum ab dem 16. Lebensjahr bis einen Monat vor Beginn der Altersrente abzgl nicht belegungsfähiger Monate) errechnet (§§ 71 ff SGB VI). Die Summe an Entgeltpunkten aus Beitragszeiten wird mithin zur Errechnung des Durchschnittswertes nicht durch die Anzahl der Kalendermonate, in denen Pflichtbeiträge entrichtet worden waren, geteilt, sondern durch die Anzahl der og belegungsfähigen Monate (§ 72 SGB VI). Die echten Lücken fließen somit in den Divisor der Durchschnittsbewertung ein. Hierdurch senkt sich der den beitragsfreien Zeiten zugrunde zu legende Entgeltpunktedurchschnitt, in der Sprache des neuen Rechts formuliert: die beitragsfreien Zeiten (56 Monate) wurden nicht mehr mit 0,1311 Entgeltpunkten, sondern nur noch mit 0,0373 Entgeltpunkten bewertet (nach altem Recht: statt 13,11 Werteinheiten monatlich nur noch 3,73 Werteinheiten). Damit wird deutlich, daß die im Vergleich zum Rechtszustand vor dem 1. Januar 1992 erheblich geringere Rentenanwartschaft des Klägers verursacht wird durch seine erheblichen Versicherungslücken, die zu einer für ihn ungünstigeren Gesamtleistungsbewertung führen, sowie durch die infolgedessen mit einem Mindestdurchschnittswert von (nicht mehr 0,1311 Entgeltpunkten für 60 Monate, sondern) 0,075 Entgeltpunkten pro Kalendermonat belegten 48 Monate, die nunmehr jedenfalls als Pflichtbeitragszeiten für eine Berufsausbildung gelten (§ 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI, „die ersten 48 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung”).
Erkennbar ist nach alledem, daß die Schlechterstellung des Klägers nach dem RRG 1992 hervorgerufen wird allein durch seine erheblichen (Versicherungs- und) Beitragslücken während der Zeit von Mai 1957 bis Dezember 1983 und durch die geringe Höhe der freiwilligen Beiträge; denn Gegenstand der Rentenberechnung ist nunmehr nicht nur die „aktive” Versicherungszeit, in der der Kläger Beiträge entrichtet hatte, sondern auch der – die Rente mindernde – lange Zeitraum ab Mai 1957, in der keine oder nur geringe Beiträge gezahlt wurden.
1.3. Diese gesetzliche Modifikation einzelner, nicht auf eigenen Beiträgen des Versicherten beruhender Elemente der Anwartschaft auf Regelaltersrente ist eine zulässige neue Inhaltsbestimmung des Eigentums, da der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die Belange der Allgemeinheit überwiegen das Bestandsinteresse der ungünstig betroffenen Anwartschaftsberechtigten. Auch das Interesse des Klägers an einer für seine Lebensplanung – auch in bezug auf seine Alterssicherung – erforderlichen Verläßlichkeit und Berechenbarkeit des Rentenversicherungsrechts tritt insoweit zurück.
1.3.1. Für die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers sind Eigenart und Funktion des Eigentumsobjekts von maßgeblicher Bedeutung; dies führt zu einer gewissen Stufung des Schutzes (vgl hierzu BVerfGE 70, 101, 111 = SozR 2200 § 1260c Nr 17; BVerfGE 58, 81, 112 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 10 f; BVerfGE 53, 257, 292 = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 4). Je höher der einem Anspruch zugrundeliegende Anteil eigener Leistung ist, desto stärker tritt der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug hervor (BVerfGE 53, 257, 292 f = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 4); insoweit sind der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers enge Grenzen gezogen; sie ist weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Ordnung steht. Jedoch befinden sich gerade (Rentenansprüche und) Rentenanwartschaften in einem ausgeprägten sozialen Bezug; sie sind Bestandteil eines Leistungssystems, dem eine für das rechtliche und politische System besonders bedeutsame soziale Funktion zukommt. Die Berechtigung des einzelnen Versicherten ist eingefügt in einen Gesamtzusammenhang, der auf dem Gedanken der Solidargemeinschaft (solidarische Daseinsvorsorge) und des sog Generationenvertrages beruht. Denn die im Berufsleben stehende Generation bringt durch Beiträge (und Steuern) nahezu vollständig die Mittel für die Erfüllung der Ansprüche der nicht mehr erwerbstätigen Generation auf; dafür verspricht ihr der Staat für die Zukunft einen vergleichbaren Versicherungsschutz nach Maßgabe des jeweiligen Rentenrechts; die im Berufsleben stehende Generation erwartet mithin „mit Recht” letztlich, daß der Staat dieses Versprechen mit Hilfe der Beiträge (und Steuern) der folgenden Generation erfüllen kann und eine in diesem Sinne „äquivalente” Gegenleistung für die jetzt abverlangten Beiträge sicherstellen wird. Hierauf beruht im wesentlichen der Gesichtspunkt der sog Gesamtäquivalenz von Leistung und Gegenleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der soziale Bezug wird ferner darin deutlich, daß Leistungen der Rentenversicherung ua für beitragsfreie Zeiten durch staatliche Zuschüsse, also aus Mitteln der Allgemeinheit, (mit-)finanziert werden.
Regelungen, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen, sind im Hinblick auf den og ausgeprägten sozialen Bezug grundsätzlich im Rahmen von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zulässig. Er ermöglicht mithin eine Beschränkung der Rentenansprüche und -anwartschaften zum Zwecke des Allgemeinwohls – jedoch – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (so BVerfGE 53, 257, 293 = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 4 f; BVerfGE 58, 81, 120 f = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 18). Das Wohl der Allgemeinheit ist somit sowohl Grund als auch die Grenze einer Beschränkung des Eigentums (vgl BVerfGE 70, 101, 111 = SozR 2200 § 1260c Nr 17 S 64). Der Gesetzgeber hat die Pflicht, das Gemeinwohlinteresse und das Interesse des Inhabers der Rechtsposition in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen, gegeneinander abzuwägen und einen gerechten Ausgleich der Belange beizuführen.
1.3.2. Legitimierende Gründe für die Änderung der Bewertung sowohl der beitragsfreien Zeiten als auch der ersten fünf Jahre mit Pflichtbeitragszeiten durch das RRG 1992 waren einmal die Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung sowie zum anderen die Stärkung des og Äquivalenzprinzips. Beide Gründe liegen im öffentlichen Interesse; sie rechtfertigen den Eingriff, da sie der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung dienen (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 53, 257, 293 = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 5). Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs im einzelnen ergibt (vgl BT-Drucks 11/4121 S 135 ff), hatten der steigende Belastungsquotient, das ungünstige Zahlenverhältnis zwischen Rentnern und Beitragszahlern infolge der steigenden Lebenserwartung einerseits und der sinkenden Geburtenzahl andererseits, das spätere Eintrittsalter in das Erwerbsleben sowie eine deutliche Vorverlagerung des Rentenbeginns zu erheblichen finanziellen Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung geführt. Nach den Ausführungen im Regierungsentwurf (aaO) hätte sich – nach dem damaligen Erkenntnisstand des Gesetzgebers und seiner damaligen Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung – der Beitragssatz ohne die Reform bis zum Jahre 2000 auf 22 vH und bis zum Jahre 2010 auf 24,5 vH erhöht. Die im Rahmen eines Gesamtpaketes vorgesehenen Maßnahmen, zu denen ua die Erhöhung des Bundeszuschusses, die Veränderung des Beitragssatzes, eine Rentenanpassung auf der Grundlage der Bruttolöhne des Vorjahres und eine am Versicherungsprinzip orientierte Neuordnung der beitragsfreien Zeiten sowie eine Neubewertung der ersten vier (statt zuvor fünf) Pflichtbeitragsjahre zählten, sollten zur finanziellen Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung beitragen. Zugleich wurde das sog Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung durch Einführung der Gesamtleistungsbewertung betont und eine größere Beitragsgerechtigkeit herbeigeführt (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 70, 101, 113 = SozR 2200 § 1260c Nr 17 S 65). Das Prinzip der Solidarität der abhängig beschäftigten Pflichtversicherten wurde also gestärkt, indem die Versicherten, die während ihres gesamten Erwerbs- und Versicherungslebens der Gemeinschaft durch Entrichtung einkommensbezogener Pflichtbeiträge solidarisch verbunden gewesen waren und damit auch Schwankungen in den Leistungen des gesetzlichen Versicherungssystems nicht ausweichen konnten (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 75, 78, 103 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 465; BT-Drucks 11/4124 S 138), durch die Gesamtleistungsbewertung begünstigt wurden. Gleichzeitig wurden damit die Besserstellungen derjenigen abgebaut, die der Versichertengemeinschaft nur für kurze Zeit aktiv angehört und mithin Lücken im Versicherungsverlauf oder nur geringe Beiträge gezahlt hatten; allein deren Anwartschaften wurden gekürzt. Insgesamt gesehen wurden somit die beitragsfreien Zeiten lediglich in ein angemessenes und ausgewogenes Verhältnis zur Dauer der aktiven Versicherungszeit und zur Höhe der Beiträge gebracht. Ferner berücksichtigte die Änderung der Bewertung der ersten Pflichtbeitragsjahre durch Einführung von Mindestwerten zugunsten der Versichertengemeinschaft – pauschalierend – die Tatsache, daß in den ersten Jahren einer versicherungspflichtigen Tätigkeit in der Regel das erzielte Entgelt nicht dem Durchschnittseinkommen aus der gesamten Versicherungszeit entspricht, sondern niedriger liegt.
1.3.3. Die mithin im öffentlichen Interesse liegenden Gesetzänderungen waren unter dem Gesichtspunkt des Sparzieles und einer Betonung des Versicherungsprinzips geeignet und auch erforderlich. Dabei ist zu berücksichtigen, daß jede Strukturveränderung schon bei den Neuzugängen (dh neuen „Versicherungs- bzw Leistungsfällen”; nicht erst bei Neueintritten in die Versicherung) einsetzen muß, damit der Erfolg der Entlastung sich sogleich und sodann in den folgenden Jahren immer stärker auswirkt (vgl BT-Drucks 11/4124 S 146). Es ist nicht erkennbar, daß die angestrebten Einsparungen mit weniger eingreifenden Mitteln hätten erreicht werden können. Im übrigen liegt es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob und auf welche Weise er Einsparungen vornimmt (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 76, 220, 241 = SozR 4100 § 242b Nr 3 S 14 f).
1.3.4. Obgleich die neuen Regelungen den Kläger deutlich belasten und zu einer Renten- bzw Anwartschaftskürzung von etwa 30 vH geführt haben, sind sie – gemessen an der Bedeutung des gesetzlichen Zieles einer möglichst rasch greifenden Verbesserung der Finanzlage verbunden mit einer Stärkung des sog Äquivalenzprinzips – verhältnismäßig und für den Kläger auch zumutbar. Dies gilt für die Bewertung sowohl der Ersatzzeiten als auch der – pauschalen – Anrechnungszeit und der Bewertung – hier – der ersten 48 Monate mit Pflichtbeiträgen gemäß § 70 Abs 3 Satz 2 SGB VI.
In diesem Zusammenhang ist einmal zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber beitragslose/beitragsfreie Zeiten ebenso wie die – günstige – Berechnung der ersten vier (statt fünf) Jahre mit Pflichtbeiträgen nicht gänzlich beseitigt, sondern lediglich auf Durchschnittswerte (bzw auf einen Mindestwert) reduziert hat. In typischen Fällen – bei normalem Versicherungsverlauf – wird der Versicherte mit Durchschnittsbeiträgen und ohne Versicherungslücken mit zunehmender Versicherungsdauer auch bei der Bewertung der beitragsfreien Zeiten jedenfalls nicht deutlich schlechter gestellt. Eine derartige typisierende Regelung entspricht der Verhältnismäßigkeit, weil sie den typischen Durchschnittsrentenbezieher (s oben) nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.
Darüber hinaus ist die neue Regelung für den Kläger auch zumutbar. Dies gilt einmal unter Berücksichtigung seines individuellen Versicherungslebens (s unten). Zum anderen kann ein Versicherter im Hinblick auf die Erhaltung der Funktions-und Leistungsfähigkeit des Systems nicht erwarten und darf mithin auch nicht darauf vertrauen, daß bei einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die zu Einbußen der Einnahmen der Versichertengemeinschaft führen, die gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen während seines gesamten Versicherungslebens bis zum Eintritt des Leistungsfalls unverändert fortbestehen; der Versicherte muß sowohl was die Chancen als auch die Risiken anbelangt mit Änderungen der Vorschriften rechnen (vgl hierzu BVerfGE 58, 81, 122 f, 132 = SozR 2200 § 1555a Nr 7 S 19, 25; BVerfGE 64, 87, 105 = SozR 5121 Art 1 § 1 Nr 1 S 7).
Dies gilt im Falle des Klägers um so mehr, als er bei Entrichtung seines letzten Pflichtbeitrags im April 1957 noch nicht mit der in der Rentenauskunft vom 20. August 1991 zugrunde gelegten Bewertung der streitigen Zeiten sicher rechnen konnte: Bis zum Jahre 1957 waren bestimmte Ersatzzeiten allein für die Erfüllung der Wartezeit von Bedeutung (vgl § 31 AVG iVm § 1263 RVO jeweils in der damals geltenden Fassung); Ausfallzeiten wurden bis zu diesem Zeitpunkt nicht angerechnet. Erst durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Arbeiter (bzw Angestellten) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 45), also bis kurz vor dem Zeitpunkt, in dem der Kläger seinen letzten Pflichtbeitrag entrichtete, waren Ersatz-und Ausfallzeiten – allerdings – allein durch Anrechnung bei den Versicherungsjahren unter bestimmten weiteren Voraussetzungen (vgl §§ 28, 35 iVm § 36 AVG = §§ 1251, 1258 iVm § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO jeweils in der og Fassung) und eine für die Versicherten günstigere „Bewertung” der ersten fünf Kalenderjahre zu berücksichtigen (vgl § 32 Abs 4 AVG = § 1255 Abs 4 RVO jeweils in der og Fassung). Die bis zum 31. Dezember 1991 geltende Bewertung der Ersatz-und Ausfallzeiten sowie der ersten fünf Kalenderjahre nach Eintritt in die Versicherung als Ausfallzeiten wurde erstmals durch das Erste Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (BGBl I S 476) eingeführt (vgl § 32 Abs 4 Buchst a AVG = § 1255 Abs 4 Buchst a RVO). Schon deshalb konnte der Kläger damals nicht eine später eintretende, ihn begünstigende Gesetzeslage erwarten und auch nicht darauf vertrauen, zukünftige, evtl für ihn günstigere Änderungen von Bestimmungen würden Bestand haben. Daran ändern auch seine im Oktober 1960 aufgenommenen, bis Ende 1983 recht lückenhaften Zahlungen von – niedrigen – freiwilligen Beiträgen nichts. Denn es ist gerade die in seiner Rechtsmacht gelegene Gestaltung von Beitragshäufigkeit und Beitragshöhe, also die von ihm gewählte Enge der Zugehörigkeit zur Risikogemeinschaft, die für das Ausmaß der Veränderung seiner Anwartschaft maßgeblich ist. Hätte er, was ihm erlaubt war, lückenlos freiwillige Beiträge in Durchschnittshöhe entrichtet, träfe ihn jetzt praktisch keine Anwartschaftsminderung. Es ist demjenigen, der früher Beiträge „gespart” hat, zumutbar, heute eine Minderung nicht beitragsbezogener Anspruchselemente hinzunehmen.
1.3.4.1. Entgegen der Auffassung des Klägers werden die Ersatzzeiten weder gleichheitswidrig noch für die Betroffenen unzumutbar in die Gesamtleistungsbewertung miteinbezogen. Die og Gesichtspunkte für die Gesamtleistungsbewertung bei beitragsfreien Anrechnungs- und Ersatzzeiten erfordern insoweit keine unterschiedliche Beurteilung.
Die Anrechnungszeiten beruhen – da ohne eigene Beitragsleistung erworben -überwiegend auf staatlicher Gewährung und sind somit Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge (so BVerfGE 58, 81, 112 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 12). Sie sind zwar Bestandteil der Rente – bzw der Rentenanwartschaft – und unterliegen damit dem Bestandsschutz des Art 14 Abs 1 GG; gedacht als ein Element des sozialen Ausgleichs für die ua mit der Ausbildung für den einzelnen verbundene Minderung der Rentenanwartschaft (vgl BVerfGE 58, 81, 113 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 13), liegt es jedoch in einem besonders weiten gesetzlichen Gestaltungsspielraum, ob dieser Ausgleich weitergewährt oder bei einer angespannten finanziellen Lage gekürzt wird.
Ersatzzeiten sind zwar – aus versicherungsrechtlicher Sicht – ebenfalls ein Element des sozialen Ausgleichs in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl hierzu Michaelis, Handbuch der Rentenversicherung, S 697). Sie sind jedoch zugleich im rechtlichen Gehalt soziales Entschädigungsrecht im Gewande der Rentenversicherung, also Ausdruck der Verantwortung des Staates entweder für eine von ihm veranlaßte nachteilszufügende Maßnahme und/oder deren Folgen (§ 250 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGB VI), oder für staatliches Unrecht (§ 250 Abs 1 Nrn 3, 4 und 6 SGB VI) oder für das Einstehen der Bundesrepublik Deutschland für fremdes Unrecht (§ 250 Abs 1 Nr 5 SGB VI). Durch die Anerkennung dieser Zeiten hat die Bundesrepublik Deutschland sich dem Grunde nach verpflichtet, den in den genannten Zeiten entstandenen rentenversicherungsrechtlichen Nachteil (Schäden) an individuell entgangenen Beitragszeiten auszugleichen, die Betroffenen also so zu stellen, wie sie im Blick auf rentenversicherungsrechtliche Beitragszeiten stehen würden, wenn der die Einstandsverpflichtung auslösende Umstand nicht eingetreten wäre (vgl § 249 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), wenn der Betroffene also während dieser Zeiten als Beitragszahler der Versichertengemeinschaft angehört hätte. Das Ausmaß dieses Nachteils (Schadens) kann sich mithin im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung – pauschalierend – wie bei allen anderen Versicherten nur am jeweils individuell zurückgelegten gesamten Versicherungsleben orientieren, so daß die entgangenen Beitragszeiten auch nur in jeweils diesem konkreten Umfang – wie je bei allen anderen Versicherten – zu berücksichtigen sind.
Entgegen der Auffassung von Scheel (SGb 1993, 112 ff) kommt dem Gesichtspunkt, daß Ersatzzeiten wegen Kriegsdienstes und Kriegsgefangenschaft anders zu bewerten sind als sonstige beitragsfreie Zeiten, weil nur diese Versicherten in dem entsprechenden Zeitraum Aufgaben für die Allgemeinheit wahrgenommen hätten, keine entscheidende Bedeutung zu. Der Gesetzgeber ist bei der Schätzung des Nachteils (Schadens) von dem jeweiligen Durchschnittsentgelt des Versicherten bezogen auf sein gesamtes Versicherungsleben ausgegangen und hat dies als rentenversicherungsrechtlichen „Schaden” zugrunde gelegt. Im Rahmen einer zulässigen Typisierung und Pauschalierung hat er damit insoweit wiederum auf den Durchschnittsbeitragszahler abgestellt, der auf diese Weise einen – an seinem gesamten durch Beitragszahlungen konkretisierten Versicherungs- und Erwerbsleben orientierten – Ausgleich erhält.
Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht darauf abgestellt werden, daß Bestandsrentner noch in den Genuß der – hier – günstigeren Bewertung der Ersatzzeiten gelangt sind, während für Neuzugänge diese Regelung nicht mehr gilt. Ein derartiger Vergleich ist unzulässig, weil diese Personengruppen im Rahmen eines Rentenanspruchs nicht vergleichbar sind. Zwar haben beide Gruppen von Versicherten Kriegsdienst geleistet. Vergleichspaare können jedoch nur die Bezieher von Renten mit – jeweils – Ersatzzeiten sein. Für die Verschiedenbehandlung der Rentenbezieher vor und nach dem 1. Januar 1992 liegt ein sachlicher Grund vor. Er ist begründet in der ab 1. Januar 1992 geltenden Strukturänderung des Rentenversicherungsrechts. Daß lediglich die Neuzugänge davon betroffen sind, ist Folge der Stichtagsregelung.
1.4. Der für die Änderung der Rentenberechnungsvorschriften maßgebende Stichtag, das Inkrafttreten des RRG zum 1. Januar 1992, verstößt nicht gegen Art 14 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG. Die Stichtagsregelung hatte zwar zur Folge, daß Altersrenten der Versicherten, die zu diesem Zeitpunkt bereits Rentenleistungen erhielten, weiterhin nach altem Recht berechnet wurden, während für Versicherte,
bei denen der Versicherungsfall des Alters später eingetreten ist, die Gesamtleistungsbewertung galt. Das ist jedoch das Ergebnis der Stichtagsregelung. Härten, die jeder derartigen Regelung innewohnen, müssen hingenommen werden, wenn die Einführung eines Stichtags notwendig und die Wahl des Zeitpunkts orientiert am gegebenen Sachverhalt und damit sachlich vertretbar ist (vgl hierzu BVerfGE 58, 81, 126 f = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 22). Aus den og Gründen einer erforderlichen, möglichst rasch greifenden Verbesserung der finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung, konnte der Gesetzgeber den Bestandsrenten den Vorzug vor dem Schutz der Rentenanwartschaften geben (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 75, 78, 106 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 467 f). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Umstellung auf eine neue und andere Bewertung von versicherungsrechtlich relevanten Zeiten für ältere Menschen, wie den Kläger, einschneidender und damit belastender ist als für jüngere Menschen, die sich zeitlich besser auf das neue Recht einstellen können (vgl hierzu entsprechend BVerfG SozR 5750 Art 2 § 18 Nr 1 S 3).
1.5. Entgegen der Ansicht des Klägers war es nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten, Übergangsvorschriften für die durch die Gesamtleistungsbewertung Betroffenen mit erheblichen Lücken im Versicherungsverlauf oder geringen Beiträgen vorzusehen. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hat für vermögenswerte Güter im Rahmen des Art 14 Abs 1 GG eine eigene Ausprägung erfahren (vgl BVerfGE 58, 81, 120 f = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 17 f; BVerfGE 71, 1, 111 = SozR 5120 Art 2 § 2 Nr 1 S 2; BVerfGE 76, 220, 244 f = SozR 4100 § 242b Nr 3 S 16 f). Denn eine wesentliche Funktion der Eigentumsgarantie ist es, dem Bürger Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art 14 Abs 1 Satz 1 GG geschützten Güter zu gewähren und das Vertrauen auf das durch die verfassungsmäßigen Gesetze ausgeformte Eigentum zu schützen. Bei einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit kommt dem Gedanken des Vertrauensschutzes – unabhängig von den og Gründen – hier bereits deshalb keine überwiegende Bedeutung zu, weil die sich erheblich verschlechternde finanzielle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung rasch greifende Maßnahmen erforderte (vgl hierzu entsprechend BVerfGE 69, 272, 313 = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 134). Eine Übergangsregelung in der Art, daß die Gesamtleistungsbewertung bei rentennahen Jahrgängen etwa auszusetzen wäre, hätte den (Gesamt-)Konsolidierungseffekt gefährdet, unabhängig davon, daß selbst bei einem weiteren Zuwarten – von beispielsweise fünf Jahren – auch die sodann davon betroffene Altersgruppe nicht in der Lage gewesen wäre, ohne erheblichen finanziellen Aufwand für einen Ausgleich Sorge zu tragen. Sollte die neue Regelung also überhaupt ihr Ziel in absehbarer Zeit erreichen, so mußte sie möglichst umgehend umgesetzt werden. Dabei fördert es die Verhältnismäßigkeit der neuen Regelung, daß das Gesetz – soweit möglich – (vgl ua § 263 Abs 5 SGB VI, § 252 Abs 1 Satz 1 SGB VI) schonende Übergangsregelungen angestrebt hat.
2. Die ab 1. Januar 1992 geltenden Vorschriften über die Bewertung der beitragsfreien Zeiten sowie der (ersten vier Kalenderjahre mit) Pflichtbeitragszeiten für Berufsausbildung verstoßen auch nicht gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG). Zwar begründet das Sozialstaatsprinzip die Pflicht des Staates, für eine gerechte soziale Ordnung Sorge zu tragen; die Erfüllung dieser Verpflichtung obliegt jedoch der eigenverantwortlichen Gestaltung des Gesetzgebers. Selbst wenn durch eine Regelung im Einzelfall Unbilligkeiten auftreten, ist das Sozialstaatsgebot nicht verletzt; denn es dient nicht der Korrektur jeglicher hart oder unbillig erscheinender Einzelregelungen (vgl hierzu BVerfGE 66, 234, 247 f = SozR 2200 § 1255a Nr 11 S 36; BVerfGE 69, 272, 314 f = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 135 f).
Nach alledem hat die Beklagte zur Berechnung der Regelaltersrente des Klägers zu Recht die ab 1. Januar 1992 geltenden Bestimmungen des SGB VI, also auch diejenigen ua über die Bewertung der beitragsfreien Zeiten, angewandt. SG und LSG haben damit zutreffend einen Anspruch des Klägers auf eine höhere Rente verneint. Die Revision des Klägers ist mithin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen