Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. November 1996 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Kläger nehmen als Hautärzte in einer Gemeinschaftspraxis an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In den Quartalen III/92 bis I/93 überschritten ihre Gesamthonorarforderungen den Durchschnitt der Fachgruppe um 54 %, 59 % und 48 %. In der Sparte Sonderleistungen lagen die Überschreitungswerte, umgerechnet auf den Rentneranteil der Kläger, bei 115 %, 124 % und 104 %. In der Honorarsparte physikalisch-medizinische Leistungen betrugen die Überschreitungswerte (ebenfalls unter Berücksichtigung des Rentneranteils) 225 %, 159 % und 107 %.
Der Prüfungsausschuß hob die ursprünglich auf den Antrag von Primärkassen für die Quartale III/92 und IV/92 ausgesprochenen Honorarkürzungen im Abhilfewege auf und lehnte eine Kürzung für das Quartal I/93 ab, weil in den Jahren zuvor Praxisbesonderheiten anerkannt worden seien und daher trotz des Vorliegens von Unwirtschaftlichkeit vor einer Honorarkürzung in den streitigen Quartalen ein vorheriger Hinweis bzw eine Beratung notwendig gewesen sei, wie sich aus § 106 Abs 5 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebe. Auf die Widersprüche der Primärkassen kürzte der beklagte Beschwerdeausschuß in drei Bescheiden vom 29. August 1994 das Honorar der Kläger bei der Gebührenziffer 915 aus dem Bereich der Sonderleistungen auf den sechsfachen Ansatz und bei der Gebührennummer 564 aus der Sparte physikalisch-medizinische Leistungen auf den dreifachen Ansatz der ausführenden Ärzte der Fachgruppe. Zur Begründung legte der Beklagte dar, daß es einen Bestandsschutz im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich nicht gebe, weil regelmäßig eine isolierte Prüfung eines einzelnen Abrechnungsquartals erfolge. Den Prüfbescheiden komme deshalb eine Dauerwirkung nicht zu. Zudem sei der Kläger Dr. Stein seit mehreren Jahrzehnten zugelassen und habe schon in früheren Quartalen Honorarkürzungen hinnehmen müssen. Die Prüfung werde nach der Methode des statistischen Vergleichs nach arithmetischen Mittelwerten durchgeführt und die Kläger mit der Fachgruppe der Dermatologen verglichen. Die Abrechnungswerte bei den Sonderleistungen und den physikalisch-medizinischen Leistungen in den drei streitigen Quartalen bewegten sich im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses gegenüber den Durchschnittswerten der Fachgruppe. Nach Würdigung der anzuerkennenden Praxisbesonderheiten der Kläger sei das Honorar bei den Gebührenziffern 915 und 564 zu kürzen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Kläger, die diese unter Vorlage eines Rechtsgutachtens von Prof. Dr. H … /Bonn vom 8. Februar 1996 begründet hatten, die Bescheide des Beklagten aufgehoben. Ob die Behandlungsweise der Kläger in streitigen Quartalen unwirtschaftlich gewesen sei, bleibe offen. Wegen der zuletzt 1987 ausdrücklich anerkannten Praxisbesonderheiten hätten die Kläger in den streitigen Quartalen Vertrauensschutz genossen. Zwar treffe es zu, daß Praxisbesonderheiten nicht auf Dauer, sondern nur in jedem einzelnen Quartal anerkannt werden könnten. Auch sei mit der inzwischen ergangenen Entscheidung des BSG vom 19. Juni 1996 – 6 RKa 40/95 – davon auszugehen, daß Honorarkürzungen ohne vorherige Beratung bei Überschreitungswerten im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses nicht ausgeschlossen seien. Dies könne aber nur für die Fälle gelten, in denen der Arzt zum ersten Mal einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werde, nicht aber wenn – wie hier – in früheren Prüfverfahren bereits Praxisbesonderheiten zugestanden worden seien (Urteil vom 21. November 1996).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts durch das LSG. Dieses habe zunächst nicht ermittelt, ob in den zurückliegenden Quartalen überhaupt Praxisbesonderheiten anerkannt worden seien, um welche Praxisbesonderheiten es sich hierbei gegebenenfalls gehandelt habe und ob derartige Besonderheiten, wenn sie denn anerkannt worden sein sollten, ausnahmslos nicht zu Kürzungsmaßnahmen geführt hätten. Bei entsprechender Aufklärung hätte sich ergeben, daß der Kläger Dr. S …, der in der Vergangenheit mit verschiedenen Ärzten in einer Gemeinschaftspraxis tätig gewesen sei, ab dem 4. Quartal 1978 Honorarkürzungsmaßnahmen in zum Teil beträchtlichem Umfang unterzogen worden sei. Diese Kürzungen seien jeweils trotz Anerkennung auch einzelner Praxisbesonderheiten erfolgt. Zuletzt sei am 1. Juli 1987 vor dem Beschwerdeausschuß verhandelt worden. Es seien für die Quartale II bis IV/85 und I/86 Honorarkürzungen verhängt worden. Ab dem 3. Quartal 1986 hätten keine Prüfverfahren mehr stattgefunden, und zwar über sechs Jahre hinweg. Bereits aus diesem Grund habe sich bei den Klägern ein Vertrauensschutz im Hinblick auf Praxisbesonderheiten nicht bilden können. Dies gelte auch deswegen, weil sich seit 1987 die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften entscheidend verändert hätten. So sei das Wirtschaftlichkeitsgebot durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) erheblich verschärft worden. Auch hätten die Prüfgremien nur noch auf Antrag tätig werden können. Das LSG habe weiterhin nicht aufgeklärt, welche Praxisbesonderheiten in der Vergangenheit (also bis 1987) dem Kläger Dr. S … überhaupt „ausdrücklich zuerkannt” worden seien. Dabei wäre nämlich festgestellt worden, daß im wesentlichen Praxisbesonderheiten vorgelegen hätten, die mit den jetzt im Streit befindlichen vergleichbar seien. Dennoch seien wegen darüber hinausgehender Unwirtschaftlichkeit in den zurückliegenden Quartalen bis einschließlich I/86 nicht unerhebliche Kürzungsmaßnahmen verhängt worden, also auch unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. Der Hinweis des LSG, daß die Kläger in der Zwischenzeit stets mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) bzw deren Prüfarzt Verbindung gehabt hätten, sei unerheblich. Bei ihm, dem Beklagten, handele es sich um eine Einrichtung der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, die weder durch die KÄV noch durch deren Prüfarzt gebunden oder präjudiziert werden könne. Es sei nicht zu verkennen, daß es Einzelfälle geben möge, in denen Prüfgremien bestimmte Praxisbesonderheiten eines Vertragsarztes akzeptiert hätten und in denen es ihnen dann verwehrt sei, in unmittelbar darauffolgenden Quartalen eine andere Auffassung einzunehmen. Ein derartiger Sachverhalt liege aber hier nicht vor. Im übrigen seien den Klägern hinsichtlich einzelner besonderer Gebührenordnungsnummern im Vergleich zur Fachgruppe zur Berücksichtigung ihrer Praxisbesonderheiten Mehrfachansätze zugestanden worden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. November 1996 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 8. November 1995 zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließen sich dem angefochtenen Urteil an und verweisen darauf, daß es bei der Senatsentscheidung vom 19. Juni 1996 um den Fall einer erstmaligen Wirtschaftlichkeitsprüfung gegangen sei. Hier handele es sich jedoch um die Beurteilung von Praxisbesonderheiten, die seit mehr als zehn Jahren in Rede gestanden hätten. Bei dieser Sachlage habe das LSG zu Recht auf ihr schutzwürdiges Vertrauen und die Selbstbindung der Prüfgremien abgestellt. Die Selbstbindung der Verwaltung sei ein anerkannter verfassungsrechtlicher Grundsatz, der aus dem Gleichheitssatz und dem damit korrelierenden Willkürverbot des Art 3 Grundgesetz (GG) folge. Soweit die Revision dem LSG Verfahrensfehler vorwerfe, sei sie nicht ordnungsgemäß begründet worden. Wer die Verletzung der Amtsermittlungspflicht rüge, müsse darlegen, warum das Gericht sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Die Beweismittel seien genau anzugeben und es sei aufzuzeigen, zu welchen Ergebnissen die Ermittlungen geführt hätten. Es treffe zwar zu, daß aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 19. Juni 1996 kein dauerhafter, in die Zukunft wirkender Vertrauensschutz hergeleitet werden könne. Hierum gehe es aber vorliegend nicht. Vielmehr beanspruchten sie, die Kläger, einen Vertrauensschutz, der solange andauere, bis ihr Vertrauen durch Maßnahmen der Verwaltung beendet werde.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. schließen sich, ohne selbst Anträge zu stellen, dem Vorbringen des Beklagten an. Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des beklagten Beschwerdeausschusses ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Das LSG hat die Honorarkürzungsbescheide des Beklagten deshalb als rechtswidrig beurteilt, weil der Honorarkürzung eine gezielte Beratung der Kläger nicht vorausgegangen war. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach § 106 Abs 5 Satz 2 SGB V sollen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann dieser Vorschrift nicht entnommen werden, daß, sofern der Arzt mit seinen Honorarforderungen die Fallwerte der Vergleichsgruppe im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses überschreitet, Honorarkürzungen erst nach vorheriger gezielter Beratung erfolgen können. Anderenfalls wären nämlich Honorarkürzungen selbst bei festgestellter Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Vertragsarztes von zusätzlichen, in § 106 SGB V nicht vorgesehenen Voraussetzungen abhängig. Demgemäß stellt § 106 Abs 5 Satz 2 SGB V keinen Grundsatz der Art auf, daß jeder Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise eine gezielte Beratung im Sinne eines Rechtmäßigkeitserfordernisses vorausgehen muß (Urteil vom 9. März 1994 – 6 RKa 17/92 – nicht veröffentlicht; Urteil vom 19. Juni 1996 – 6 RKa 40/95 = BSGE 78, 278, 280 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 35).
Der vorliegende Fall gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß. Nach den vom LSG in Bezug genommen Feststellungen des Beklagten hat dieser nach der Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis bei dem sechsfachen Ansatz (Leistung Nr 915) und dem dreifachen Ansatz (Leistung Nr 564) der jeweils ausführenden Ärzte der Fachgruppe festgelegt und die darüber hinausgehenden Leistungen der Kläger gekürzt. Bei dieser Sachlage war eine Beratung vor Kürzung nicht schon deshalb erforderlich, weil die Kläger in den Jahren zwischen 1987 und 1992 Prüfverfahren nicht unterzogen worden sind. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 19. Juni 1996 (BSGE 78, 278, 283 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35) im einzelnen dargelegt, daß allein der Umstand, daß ein Vertragsarzt in Zeiträumen, die den streitigen Quartalen vorangehen, keine Honorarkürzungen hat hinnehmen müssen, nicht geeignet sei, ein schutzwürdiges Vertrauen darauf zu begründen, seine Honoraranforderungen würden auch in Zukunft wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht gekürzt. Dies beruht ua darauf, daß die Prüfgremien auf ihre Befassung keinen Einfluß haben, so daß deshalb allein aus der Tatsache, daß für bestimmte Quartale keine Prüfverfahren durchgeführt worden sind, nicht auf eine Selbstbindung der Prüfgremien geschlossen werden kann. Dies gilt auch im vorliegenden Fall.
Eine Verpflichtung zur Beratung kann sich auch nicht für den Fall ergeben, daß – was nach den bisherigen Feststellungen des LSG noch nicht einmal feststeht – bei den Klägern im Jahre 1987 Praxisbesonderheiten anerkannt worden sein sollten. Da die Überprüfung der Behandlungsweise selbst und damit auch eine Anerkennung von Praxisbesonderheiten nur quartalsbezogen stattfindet, kann ein für ein Quartal ergehender Honorarbescheid keine Bindungswirkung für spätere Quartale entfalten. Im übrigen stünde der Bindung an Honorarbescheide aus vorangegangenen Quartalen entgegen, daß sich sowohl die Verhältnisse der Praxis des zu prüfenden Arztes als auch die in den Praxen der Vergleichsgruppen ändern können. Damit besteht sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht keine Grundlage für die Annahme eines sich aus vorhergehenden Prüfverfahren ergebenden Vertrauensschutzes. Im vorliegenden Verfahren kommt hinzu, daß zwischen der letzten Wirtschaftlichkeitsprüfung im Jahre 1987 und dem ersten hier streitbefangenen Quartal III/92 ein Zeitraum verstrichen ist, der es nahelegt, daß sich die Verhältnisse sowohl in der Praxis des geprüften Arztes als auch bei der Vergleichsgruppe verändert haben.
Die Annahme, die Prüfgremien hätten in Vorquartalen unterbliebene Prüfverfahren bzw Kürzungsmaßnahmen in dem Sinne zu berücksichtigen, daß zukünftigen Honorarkürzungen stets Beratungen voranzugehen hätten, kann auch nicht auf die Rechtsprechung des Senats zur Berücksichtigung von Änderungen der Verwaltungspraxis im Rahmen sachlich-rechnerischer Richtigstellungen gestützt werden. In seinem Urteil vom 20. März 1996 – 6 RKa 34/95 – (SozR 3-2500 § 95 Nr 9) hat der Senat für die Abrechnungsfähigkeit von Leistungen, die eine KÄV über Jahre hinweg unbeanstandet vergütet hatte, obwohl sie wegen Fachfremdheit nicht abrechenbar waren, die Prüfung gefordert, ob die bisherige Verwaltungspraxis der KÄV unter bestimmten weiteren Voraussetzungen ein Vertrauen des klagenden Arztes darauf hat begründen können, die entsprechenden Leistungen solange abrechnen zu dürfen, bis die KÄV ihn auf eine Änderung ihrer Verwaltungspraxis hingewiesen habe. Grund für die Annahme eines möglichen Vertrauensschutzes in jenem Verfahren war der Umstand, daß dem dortigen Kläger bei Erbringung der an sich fachfremden, aber medizinisch erforderlichen Leistungen Kosten entstanden waren, die bei Nichthonorierung der Leistungen der Arzt gleichwohl zu tragen hatte. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung kann ein derartiges Vertrauen bereits deshalb nicht entstehen, weil unwirtschaftliche, mithin medizinisch überflüssige Leistungen nicht vergütungsfähig waren und deshalb weder von den Klägern noch von anderen Vertragsärzten hätten erbracht werden dürfen.
Die Bescheide des Beklagten waren nach alledem jedenfalls nicht wegen des Fehlens einer vorherigen gezielten Beratung rechtswidrig. In der Sache hat das LSG – von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend – die übrigen Einwände der Kläger gegen die Rechtmäßigkeit der Honorarkürzungen nicht gewürdigt und offengelassen, ob ihre Behandlungsweise unwirtschaftlich gewesen ist. Der Senat sieht es deshalb als untunlich an, in der Sache selbst zu entscheiden. Er verweist den Rechtsstreit daher zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das LSG zurück.
Fundstellen
AusR 1999, 116 |
SozSi 1998, 275 |