Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Kläger verlangen eine höhere Auszahlung nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) von dem Arbeitslosengeld (Alg) und der Arbeitslosenhilfe (Alhi), die die Beklagte dem Beigeladenen gezahlt hat.
Der Beigeladene bezog vom 15. November 1978 an Alg in Höhe von 216,- DM wöchentlich und vom 14. Februar bis zum 31. März 1979 Alhi in Höhe von 165,60 DM wöchentlich. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau und zwei ehelichen Kindern (geboren 1970 und 1973) in einem gemeinsamen Haushalt. Gegenüber vier nichtehelichen Kindern, nämlich den Klägern (geboren 1968 und 1970) sowie zwei weiteren Kindern (geboren 1965 und 1967) war der Beigeladene unterhaltspflichtig. Er kam seiner Unterhaltspflicht gegenüber diesen Kindern nicht nach. Auf Antrag des gesetzlichen Vertreters der Kläger führte die Beklagte von dem Alg des Beigeladenen ab 22. Januar 1979 einen Teilbetrag von 0,46 DM werktäglich für jeden der Kläger, insgesamt 0,92 DM täglich = 5,50 DM wöchentlich ab (Bescheid vom 15. Februar 1979). Dabei wies die Beklagte darauf hin, daß der Betrag nach der Pfändungstabelle zu § 850 c Zivilprozeßordnung (ZPO) errechnet worden sei. Mit Bescheid vom 10. April 1979 lehnte sie die Auszahlung eines Betrages von der Alhi des Beigeladenen ab, weil diese Leistung nur zur Deckung seines eigenen Unterhalts reiche.
Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1979; Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 6. November 1980).
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen, hat die zugelassene Berufung mit Urteil vom 29. Mai 1981 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I könne der Versicherungsträger von laufenden Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, einen Betrag in angemessener Höhe u.a. an die Kinder des Leistungsberechtigten abzweigen, wenn dieser den Kindern gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Die Beklagte habe den unbestimmten Rechtsbegriff der "angemessenen Höhe" des Abzweigungsbetrages in § 48 Abs. 1 SGB I zutreffend ausgelegt. Sie habe als Maßstab für eine pauschale Bestimmung der angemessenen Höhe der Abzweigung die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen des § 850c ZPO zugrunde gelegt. Damit habe sie sich innerhalb der ihr durch § 48 Abs. 1 SGB I gezogenen Grenzen gehalten, in denen sie zu einer Pauschalierung berechtigt sei; sie habe damit auch einen geeigneten Maßstab für eine pauschale Bestimmung der angemessenen Höhe des Abzweigungsbetrages gefunden. Zwar sei bei Zugrundelegung der Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO der Leistungsberechtigte besser gestellt als ein Unterhaltsschuldner gegen den wegen Unterhaltsansprüchen nach § 850 d ZPO vollstreckt werde. Jedoch sei es nicht Sinn und Zweck des § 48 SGB I, den Unterhaltsberechtigten einem Vollstreckungsgläubiger gleichzustellen, der wegen Unterhaltsansprüchen nach § 850 d ZPO in Arbeitseinkommen des Unterhaltsschuldners vollstrecke. Die Abzweigungsvorschrift solle vielmehr dazu dienen, bei wesentlicher Verletzung der Unterhaltspflicht dem Unterhaltsberechtigten, ohne daß er den umständlichen Weg der Titulierung und Vollstreckung des Unterhaltsanspruchs beschreiten müsse, schnell zu helfen. Im Wege einer Soforthilfe solle der Gedanke der Sicherung des Unterhalts auch für die Familienangehörigen des Leistungsberechtigten schnell verwirklicht werden. Dieser Soforthilfegedanke verlange eine vereinfachende praktische Handhabung von § 48 SGB I. Ziel der Regelung könne nur sein, bei möglichst pauschaler Betrachtung und Abwägung der Belange des Leistungsberechtigten und der Unterhaltsberechtigten einen Maßstab für die Bestimmung des Abzweigungsbetrages zu finden, der die Gewähr für eine gerechte Lösung möglichst vieler Fälle biete und zu einer möglichst schnellen Hilfe für die betroffenen Unterhaltsberechtigten führe. Der tabellarisch aufgestellte und nach im Haushalt lebenden, zu unterhaltenden Familienangehörigen abgestufte Selbstbehalt des Unterhaltsschuldners bei Vollstreckung in sein Arbeitseinkommen nach § 850 c ZPO erfülle alle diese Voraussetzungen. Mit der Anwendung der Pfändungstabelle des § 850 c ZPO habe die Beklagte sich innerhalb der Grenzen des ihr eingeräumten Handlungsspielraumes bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "angemessenen Höhe" des Abzweigungsbetrages gehalten.
Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 48 Abs. 1 SGB I. Sie sind der Meinung, daß der unbestimmte Rechtsbegriff der "angemessenen Höhe" einer Pauschalierung, wie das LSG sie für zulässig erachtet habe, nicht zugänglich sei. Allein der Begriff der Angemessenheit erfordere eine individualisierende Betrachtungsweise. Keinesfalls aber könnten die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO als Maßstab für eine pauschale Bestimmung der angemessenen Höhe des Abzweigungsbetrages zugrunde gelegt werden. § 850c ZPO lege die Pfändungsgrenzen für diejenigen Gläubiger fest, die wegen allgemeiner Forderungen vollstrecken. Dagegen regele § 850 d ZPO die Pfändbarkeit bei Unterhaltsansprüchen, bei denen die Grenzen des § 850 c ZPO nicht gälten. Wenn überhaupt der Begriff der "angemessenen Höhe" analog einer Bestimmung der ZPO ausgefüllt werden solle, dann nur nach § 850 d ZPO, nicht aber nach § 850 c ZPO. Der § 850 d ZPO lasse schon deshalb befriedigendere Lösungen zu, weil es dort ebenfalls um die Ansprüche Unterhaltsberechtigter gehe und der Bestimmung außerdem eine individualisierende Betrachtungsweise immanent sei. Bei der Feststellung der angemessenen Höhe durch Anwendung des § 850 c ZPO im Rahmen des § 48 SGB I werde der in allen einschlägigen Gesetzen zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers verkannt, Unterhaltsansprüche immer bevorrechtigt vor allgemeinen Forderungen zu behandeln. Es gehe daher nicht an, eine Vorschrift der ZPO anzuwenden, die gerade nicht für Unterhaltsansprüche gelte.
Die Kläger beantragen, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, die Bescheide vom 15. Februar 1979 und 10. April 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1979 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.
Die Beklagte beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und führt ergänzend aus:
Bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "angemessene Höhe" biete die Tabelle nach § 850 c ZPO einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Höhe der Abzweigungsbeträge. In § 48 SGB I sei lediglich bestimmt, daß die Auszahlung in angemessener Höhe zu erfolgen habe. Was das im konkreten Einzelfall bedeute, bestimme die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen.
Die obere Grenze des Auszahlungsbetrages werde von zwei Faktoren bestimmt, nämlich von der Höhe der dem Leistungsempfänger zustehenden Leistung einerseits und von der Höhe des vom Leistungsberechtigten geschuldeten Unterhaltsbetrages andererseits. Als Begrenzung nach unten dürfe die dem Berechtigten gewährte Leistung nicht soweit gekürzt werden, daß er Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Anspruch nehmen müsse. Innerhalb dieses Rahmens habe die Beklagte die Höhe des Abzweigungsbetrages nach den Umständen des konkreten Einzelfalles festzusetzen.
Ein in der Regel brauchbarer Anhaltspunkt für die Höhe der Abzweigungsbeträge in den einzelnen Fällen ergebe sich aus der Tabelle in der Anlage zu § 850 c ZPO in der jeweils geltenden Fassung. In dieser Tabelle seien die Beträge ausgewiesen, die bei einem Nettoeinkommen in bestimmter Höhe unter Berücksichtigung der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Schuldners gepfändet werden können. Dabei ergebe sich aus der Tabelle nicht nur die Höhe des Abzweigungsbetrages, sondern auch die des Selbstbehaltes des Leistungsempfängers (= pfändungsfreier Betrag). Die Anwendung dieser Tabelle habe den Vorteil, daß sie praktikabel sei, da die Abzweigungsbeträge abgelesen werden könnten, und daß deren Festsetzung bei allen Dienststellen der Beklagten nach einheitlichen Maßstäben erfolgten. Dies wäre bei einer Anwendung des § 850 d ZPO nicht der Fall. Nach dieser Bestimmung sei dem Unterhaltsschuldner nur der notwendige Unterhalt zu belassen, und zwar sei dieser für den Einzelfall jeweils gesondert festzusetzen. Der Umfang des notwendigen Unterhalts werde von den Gerichten unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten und der örtlichen Verhältnisse bestimmt. Zwar hätten einzelne Gerichte gewisse Richtsätze aufgestellt; diese seien jedoch nicht verbindlich, sondern könnten nur als Anhaltspunkt für die Entscheidung im Einzelfall gelten, die stets alle besonderen Verhältnisse berücksichtigen müsse, darunter auch ganz individuelle Bedürfnisse des Schuldners. Das erfordere notwendigerweise einen hohen Verwaltungsaufwand und führe zumindest zu einer Verzögerung des Verfahrens. Gerade diese Bearbeitungsdauer ginge bei dem hier in Rede stehenden Personenkreis zu Lasten der Unterhaltsberechtigten bzw. der sie vertretenden Leistungsträger.
Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.
II
Die Revision der Kläger ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Insbesondere enthält die Revisionsbegründung den gemäß §164 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen bestimmten Antrag.
Die Kläger haben zwar mit der Revisionsschrift ausdrücklich nur die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und des Bescheides vom 15. Februar 1979 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1979 beantragt. Indessen ist ihrem Vorbringen in der Revisionsbegründung zu entnehmen, daß sie sich nicht nur mit der Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und der angefochtenen Bescheide begnügen wollen, sondern auch das Ziel verfolgen, die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides zu verpflichten, soweit ihr Begehren auf Auszahlung eines höheren wöchentlichen Betrages von dem Alg des Beigeladenen und eine Auszahlung von dessen Alhi überhaupt abgelehnt wurde. Damit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Antrag hinreichend bestimmt (BSG, SozR 1500 § 164 Nrn. 8 und 10). Entsprechend ist er dann auch im Termin zur mündlichen Verhandlung präzisiert worden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob für eine reine Anfechtungsklage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen würde.
Die Revision ist zum Teil begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist neben dem Bescheid vom 15. Februar 1979, mit dem die Auszahlung eines höheren Betrages von dem Alg des Beigeladenen abgelehnt wurde, auch der Bescheid vom 10. April 1979. Mit diesem Bescheid hat es die Beklagte gegenüber den Klägern abgelehnt, ihnen einen Teil der Alhi des Beigeladenen, die diesem anstelle des Alg ab 14. Februar 1979 bewilligt worden ist, auszuzahlen. Dieser Bescheid ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden, das mit der Erhebung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15. Februar 1979 begann (§ 83 SGG). Der Bescheid vom 10. April 1979 ist für die Zeit ab 14. Februar 1979 an die Stelle des Bescheides vom 15. Februar 1979 getreten. Mit ihm wird die Zahlung eines Betrages an die Kläger von der Leistung, die die Beklagte dem Beigeladenen anstelle des bisherigen Alg gewährt hat, nämlich der Alhi, ab 14. Februar 1979 überhaupt abgelehnt. Daß in dem Widerspruchsbescheid nicht über die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit dieses Bescheides entschieden worden ist, steht einer Sachentscheidung über seine Rechtmäßigkeit nicht entgegen. Das gemäß § 78 SGG erforderliche Vorverfahren war mit Erlaß des Widerspruchsbescheides abgeschlossen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß der Widerspruchsbescheid nur eine unvollständige Entscheidung enthält (BSG SozR § 78 SGG Nr. 10). Die Vorinstanzen haben sich daher zu Recht für befugt gehalten, über den Anspruch der Kläger auf Auszahlung eines Betrages Von der Alhi des Beigeladenen zu befinden und haben damit auch über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 10. April 1979 entschieden.
Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als danach die Beklagte den Klägern von dem Alg des Beigeladenen nicht mehr als 5,50 DM wöchentlich und von dessen Alhi in der Zeit vom 14. Februar bis 31. März 1979 keinen Auszahlungsbetrag zugebilligt hat.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Kläger ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Hiernach können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Daß der Beigeladene gegenüber den Klägern, die seine Kinder sind, seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist, hat das LSG unangegriffen festgestellt. Die Geldleistungen, die die Beklagte dem Beigeladenen gewährt (Alg und Alhi), dienen der Sicherung des Lebensunterhalts. Streitig ist lediglich, ob diese Leistungen in angemessener Höhe an die Kläger abgeführt worden sind. Das ist hier nicht der Fall.
Bei dem Begriff "angemessene Höhe" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, d.h. einen Rechtsbegriff, der nach Inhalt und Umfang weitgehend ungewiß ist und der Ausfüllung für den Einzelfall bedarf. Der Verwaltung ist insoweit ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; jedoch hindert dies nicht die gerichtliche Überprüfung, ob die Verwaltung den ihr zustehenden Spielraum bei der Begrenzung und Auslegung des Begriffs eingehalten hat (BSGE 27, 286, 287; 36, 292, 293; BSG SozR 4100 § 36 Nr. 7). Dieser Auffassung über die Grenzen der Nachprüfbarkeit der Verwaltungsentscheidung stehen nicht der Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 (NJW 1972, 1411) und das Urteil des 5. Senats des BSG vom 26. September 1972 (BSGE 34, 269) entgegen. Danach findet eine richterliche Überprüfung der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs innerhalb einer Ermessensnorm nach den für die Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen statt, wenn dieser Begriff in dem Sinne in den Ermessensbereich der Verwaltung hineinragt, daß er mit ihr unlösbar verbunden ist. Zugleich soll er aber Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens schon aus sich heraus bestimmen, wenn es nur eine einzige richtige Auslegung seines Inhalts geben kann. Nach Auffassung des Senats besteht eine derartige Koppelung zwischen dem "Können" der Verwaltung zur Auszahlung laufender Geldleistungen an Dritte und der Festlegung dessen, was insoweit der Höhe nach angemessen ist, in § 48 Abs. 1 SGB I nicht; denn der Begriff des Angemessenen bestimmt hier nicht den Inhalt, sondern den Umfang der Rechtsfolge einer Ermessensentscheidung und umfaßt zumindest eine "Bandbreite" normgerechter Entscheidungen. Infolgedessen muß deren Ausgestaltung der zur Leistung berechtigten, aber normativ nicht abschließend verpflichteten Verwaltung auch einen Beurteilungsspielraum eröffnen.
Andererseits vermag der Senat der u.a. von Grüner (Kommentar zum SGB 1/3 § 48 Anm. III), Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, S. 736 c, Heinze (Bochumer Kommentar zum SGB - Allgemeiner Teil. - § 48 Anm. 17 ff.) vertretenen Auffassung nicht zu folgen, wonach die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "angemessene Höhe" durch die Verwaltung in vollem Umfange der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt und keinem Beurteilungsspielraum zugänglich ist. Dieser am Wortlaut des Gesetzes orientierten Beurteilung stehen die Entstehungsgeschichte und der Gesetzeszweck entgegen. Die Vorschrift ist unverändert aus dem Regierungsentwurf (BT-Drucks. 7/868, S. 31) übernommen worden. Dieser ging davon aus, daß mit der Formulierung "angemessene Höhe" die Höhe des Auszahlungsbetrages in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt ist. Es sollte dem Leistungsträger sogar ein Handlungsermessen eingeräumt werden, was allerdings mit der Gesetzesfassung nicht im Einklang steht. Sinn der Regelung ist es, den nächsten Familienangehörigen ohne die sonst gebotene gerichtliche Geltendmachung ihrer Unterhaltsansprüche nebst Vollstreckung im Zivilprozeß mit Hilfe des Sozialleistungsträgers schnell zu ihrem Recht zu verhelfen (vgl. BT-Drucks 7/868, S. 31). Dieses Ziel ließe sich nicht verwirklichen, wenn die Auszahlung nach § 48 SGB I dem Vollstreckungsakt nach § 850 d ZPO gleichzustellen wäre. Einen solchen Inhalt müßte die Vorschrift aber besitzen, wenn der Verwaltung kein Beurteilungspielraum zustehen sollte. Dem Leistungsempfänger wäre dann der notwendige Unterhalt zu belassen, der für jeden Einzelfall gesondert festgestellt werden müßte. Hierzu wären vielfach langwierige Ermittlungen erforderlich, die außerdem einen hohen Verwaltungsaufwand zur Folge hätten. Das würde häufig auch dazu führen, daß dem Leistungsempfänger die Leistung nicht mehr alsbald nach dem Eintritt des Versicherungsfalles gewährt werden könnte. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung würde in diesen Fällen das mit der Regelung des § 112 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) u.a. verfolgte Ziel, die Feststellung des Alg nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis möglichst rasch und einfach vorzunehmen, ins Gegenteil verkehrt (vgl. BSG SozR 4100 § 112 Nr. 5). Dieser Gedanke gilt im Ergebnis für alle übrigen von § 48 Abs. 1 SGB I erfaßten Leistungsarten, deren laufende Auszahlung dem Lebensunterhalt dienen soll, und zwar nicht nur beim Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auch während des periodisch laufenden Bezuges. Daher entspricht es dem Gesetzeszweck, der mit dem Verfahren nach § 48 Abt 1 SGB I verfolgt wird - sofortige Feststellung der Leistung und Soforthilfe für die Unterhaltsberechtigten - eher, und dies steht zudem im Einklang mit den entsprechenden Grundsätzen des § 112 AFG, wenn die Beklagte die Höhe des jeweiligen Auszahlungsbetrages nach pauschalierenden Maßstäben errechnet. Insoweit hat sie einen Beurteilungsspielraum, der ihr mehrere Möglichkeiten eröffnet.
Die Beklagte könnte z.B. als den für den Leistungsempfänger verbleibenden Betrag den in der sog. Düsseldorfer Tabelle errechneten Selbstbehalt (s. NJW 1979, S. 25 ff.) berücksichtigen, oder es könnten die Richtlinien des jeweils zuständigen Familiensenats der Oberlandesgerichte als Grundlage für die Beurteilung der angemessenen Höhe herangezogen werden. Schließlich wird die Auffassung vertreten, daß der Leistungsempfänger nicht sozialhilfebedürftig werden dürfe und deshalb pauschalierend sein Bedarf mit dem Doppelten des jeweils für das gesamte Bundesgebiet geltenden durchschnittlichen Eckregelsatzes der Sozialhilfe für Haushaltsvorstände und Alleinstehende zu bemessen sei (vgl. Grüner, Kommentar zum SGB 1, § 48 Anm. 4). Alle diese Methoden lassen pauschalierend die Feststellung der angemessenen Höhe des an den Unterhaltsberechtigten zu zahlenden Betrages zu, ohne daß sich gegen eine von ihnen einwenden ließe, sie verletze aus sich heraus bereits den Rechtsbegriff der Angemessenheit i.S.d. § 48 Abs. 1 SGB I. Das gilt grundsätzlich auch für die Anwendung der Tabelle zu § 850 c ZPO. Diese ist zwar für normale Gläubiger gedacht und nicht für bevorrechtigte Unterhaltsgläubiger, wie es die Kläger sind; indessen unterscheidet sie sich in den niederen Einkommensgruppen kaum von dem Selbstbehalt der Düsseldorfer Tabelle (vgl. Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 5. Aufl. 1980, Rd.Ziff. 80). Darüber hinaus ist die Obergrenze des dem Unterhaltsschuldner nach § 850 d ZPO verbleibenden Einkommens der Betrag, der ihm nach § 850 c ZPO zustehen würde. Unter diesen Umständen ist es von ihrer rechtlichen Qualität her nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte sich für die Anwendung der Tabellenwerte der Anlage zu § 850 c ZPO entschieden hat. Darüber hinaus besitzt die Tabelle zu § 850 c ZPO für den Leistungsbereich der Beklagten gegenüber den o.a. anderen Maßstäben den Vorteil, daß sie eine einheitliche Anwendung des Rechts im gesamten Geltungsbereich des AFG gewährleistet, weil sie sowohl individuelle als auch regionale Unterschiedlichkeit zulässig vermeidet; sie ermöglicht zudem eine einfachere Handhabung des Rechts, als jene und trägt mithin besser als sie den bereits geschilderten Besonderheiten in der Aufgabenstellung der Beklagten Rechnung, ohne die Rechte sowohl der Anspruchsinhaber als auch der Auszahlungsberechtigten in unangemessener Weise zu beeinträchtigen. Nach allem vermag der Senat keine Verletzung des der Beklagten bei Anwendung des § 48 Abs. 1 SGB I zustehenden Beurteilungsspielraumes zu erblicken, wenn sie der angemessenen Höhe einer an Dritte auszuzahlenden laufenden Geldleistung nach den Grundsätzen der Tabelle zu § 850 c ZPO ermittelt.
Soweit die Beklagte allerdings im vorliegenden Falle den Tabellenwert der Anlage zu § 850 c ZPO zugrundegelegt hat, der für den pfändbaren Betrag bei Unterhaltspflicht für eine Person gilt (Spalte 1), sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Dadurch verbliebe dem Beigeladenen für die Gewährung des Unterhalts an seine Ehefrau ein erheblich höherer Betrag, als wenn die Tabellenwerte des pfändbaren Betrages bei Unterhaltspflicht für keine Person (Spalte 0) zugrundegelegt würden. Die Kläger werden hierdurch zu Unrecht benachteiligt. Für sie werden wöchentlich pro Person 2,75 DM ausgezahlt. Hingegen verbliebe dem Beigeladenen für den Unterhalt seiner Ehefrau der Differenzbetrag zwischen Spalte 0 und Spalte 1 = 44,40 DM wöchentlich. Hierin liegt ein Verstoß gegen die unterhaltsrechtliche Gleichrangigkeit der Berechtigten, die nicht von der Reihenfolge abhängig ist. Die Beklagte hat nicht berücksichtigt, daß gleiche Berechtigte - das sind hier die Kläger, die Ehefrau des Beigeladenen und dessen andere Kinder - gemäß § 1609 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 850 d Abs. 2 ZPO sowohl hinsichtlich des materiellen Anspruchs als auch bei dessen prozessualer Durchsetzung den gleichen Rang haben. Dies wird sie bei ihrer erneuten Entscheidung zu beachten haben.
Hierbei, wird sie weiterhin berücksichtigen müssen, daß es der Anwendung der Tabellenwerte der Anlage zu § 850 c ZPO nicht im Wege steht, wenn der Beigeladene unter Umständen hilfebedürftig i.S. der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird. Die Auszahlung des Betrages gemäß § 48 Abs. 1 SGB I kommt im Ergebnis einer Pfändung nahe. Ansprüche auf laufende Geldleistungen können gemäß § 54 Abs. 2 SGB I wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche aber gepfändet werden, ohne daß es darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger hilfebedürftig wird. Das folgt daraus, daß hinsichtlich gesetzlicher Unterhaltsansprüche ein entsprechender Vorbehalt, wie er in § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I gegenüber anderen Ansprüchen gemacht wird, nicht enthalten ist. Entsprechend § 54 Abs. 3 SGB I ist daher dieser Umstand auch für Auszahlungen nach § 48 Abs. 1 SGB I grundsätzlich nicht relevant.
Die angefochtenen Urteile und die Bescheide waren daher abzuändern. Die weitergehende Revision der Kläger, die darauf gerichtet ist, die ihnen zu gewährende Auszahlung gemäß § 850 d ZPO zu ermitteln, konnte hiernach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.7 RAr 101/81
Bundessozialgericht
Verkündet am
18. August 1983
Fundstellen
BSGE, 245 |
Breith. 1984, 889 |