Leitsatz (amtlich)
Der Begriff der "materiellen Rechtskraft", der auch für Urteile der Sozialgerichtsbarkeit bedeutsam ist, darf - jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes, - nicht auf bindend gewordene Verwaltungsakte übertragen werden. Die materielle Rechtskraft eines Urteils verbietet dem Gericht, in derselben Sache nochmals tätig zu werden; die Bindungswirkung eines Verwaltungsakts dagegen hindert die Behörde nicht, den gleichen Sachverhalt auf Grund neuer Ermittlungen in vollem Umfange neu zu regeln, also einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen; die Behörde darf dabei nur die Rechtsposition, die der Betroffene infolge der Bindungswirkung des Erstbescheids erlangt hat, nicht verschlechtern (Fortführung BSG 1959-10-13 11/8 RV 49/57 = BSGE 10, 248 und Fortführung BSG 1960-08-26 11 RV 1340/59 = BSGE 13, 48).
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 26. September 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Durch Bescheid vom 16. März 1949 erkannte die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Schleswig-Holstein, Außenstelle Lübeck, neben einem verheilten linksseitigen Oberarmschußbruch eine "inaktive Lungentuberkulose" des Klägers als durch den Wehrdienst hervorgerufen an und gewährte Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v.H. Nach einer Nachuntersuchung (Prof. Dr. M) erließ die LVA., Außenstelle L, am 13. Mai 1950 einen neuen Bescheid nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 in Verbindung mit § 608 der Reichsversicherungsordnung (RVO); als Gesundheitsschädigung infolge des militärischen Dienstes wurde nur noch der Oberarmschußbruch festgestellt (anerkannt) und dazu ausgeführt, in den für die Feststellung der bisherigen Rente maßgebenden Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung (Besserung) eingetreten, die "inaktive Lungentuberkulose" in ihrem jetzigen Zustand sei alt und keine Wehrdienstbeschädigung, die durch den Wehrdienst hervorgerufene "Verschlimmerung" sei abgeheilt; die Rente wurde mit Ablauf des Monats Juni 1950 entzogen. Den Einspruch des Klägers wies der Beschwerdeausschuß am 22. Juli 1950 zurück; dieser Bescheid wurde vom Kläger nicht angefochten.
Am 7. Dezember 1953 stellte das Versorgungsamt L nach dem Bundesversorgungsgesetz (Umanerkennung) als Schädigungsfolge wie bisher nur den Oberarmschußbruch fest, Rente lehnte es ab, auch der Widerspruch (Einspruch) gegen diesen Bescheid wurde zurückgewiesen. Am 30. Mai 1954 beantragte der Kläger, der sich seit 25. Mai 1954 wegen eines rechtsseitig eingeschmolzenen Tuberkuloms in einer Lungenheilstätte befand, wegen der inaktiven Lungen-Tbc. ein "Wiederaufnahmeverfahren"; das Versorgungsamt teilte ihm zunächst am 2. August 1954 mit, der Beschwerdeausschuß habe den ursächlichen Zusammenhang der inaktiven Lungen-Tbc. mit dem Wehrdienst durch die Entscheidung vom 22. Juli 1950 verneint, dieser Bescheid sei nach § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) auch nach dem BVG rechtsverbindlich. Da der Kläger sich nicht zufrieden gab, erließ das Versorgungsamt am 29. September 1954 einen neuen Bescheid, in dem es auf Grund einer nochmaligen versorgungsärztlichen Prüfung ausführte, das jetzige Lungenleiden sei ein neuer Schub der alten vordienstlichen Lungen-Tbc., also nicht Folge des Wehrdienstes. Nach einem eingehenden versorgungsärztlichen Gutachten vom 17. August 1955 (Prof. Dr. H) wurde der Widerspruch des Klägers vom Landesversorgungsamt Schleswig-Holstein durch Bescheid vom 7. Dezember 1955 zurückgewiesen. Die Klage wies das Sozialgericht (SG.) Lübeck durch Urteil vom 13. April 1956 ab; die Bescheide vom 13. Mai 1950/22. Juli 1950, in denen der ursächliche Zusammenhang der Tbc. mit dem Wehrdienst verneint worden sei, seien nach § 85 BVG rechtsverbindlich.
Die Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig durch Urteil vom 26. September 1957 zurück: Der Beklagte habe auf die formelle Rechtskraft der Bescheide vom 13. Mai 1950/22. Juli 1950 verzichten dürfen, er habe auch dann einen neuen Bescheid erlassen dürfen, wenn er in diesem Bescheid die unanfechtbar gewordenen früheren Bescheide nur "wiederholt" und den Antrag erneut abgelehnt habe, der neue Bescheid stelle insofern einen "Zugunstenbescheid" dar, als er durch den Verzicht auf die formelle Rechtskraft der früheren Bescheide die Möglichkeit eröffnet habe, im Rechtswege zu einer günstigeren Entscheidung zu kommen. Von diesem Verzicht auf die formelle Rechtskraft bleibe jedoch die materielle Rechtskraft des Bescheids vom 13. Mai 1950 unberührt, diese sei nach § 85 BVG zu beurteilen; auf den Bescheid vom März 1949 komme es nicht mehr an; die "allgemeine" Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang, den dieser Bescheid im Sinne der Entstehung bejaht habe, sei durch den Bescheid vom 13. Mai 1950 dahin "differenziert" worden, daß es sich bei der Wehrdienstbeschädigung nur um eine Verschlimmerung des Lungenleidens gehandelt habe; auch der Bescheid vom 29. September 1954 besage nichts anderes, der Kläger sei durch diesen Bescheid nicht schlechter gestellt als durch den Bescheid vom 13. Mai 1950; auf Grund der Rechtskraft der Bescheide vom 13. Mai/22. Juli 1950 und ihrer "Bindungswirkung" nach § 85 BVG stehe daher fest, daß die Tbc. durch den Wehrdienst nur verschlimmert worden sei. Der Beklagte habe daher nur nachprüfen dürfen, ob von der durch den Wehrdienst bedingten Verschlimmerung zur Zeit des neuen Antrags vom 30. Mai 1954 noch ein Restzustand geblieben sei, der die Erwerbsfähigkeit gemindert habe, und ob dieser Restzustand zu der Verschlimmerung im Jahre 1954 geführt habe; insoweit sei der angefochtene Bescheid auch der Nachprüfung durch das LSG. zugänglich. Nach den ärztlichen Gutachten sei es nicht wahrscheinlich, daß die Lungen-Tbc. in der kurzen Zeit zwischen dem Beginn des Wehrdienstes und der Feststellung der Ansteckung im Jahre 1941 entstanden sein könne, es habe sich um eine Exacerbation eines vordienstlichen Prozesses gehandelt, die mit wehrdienstlichen Belastungen zusammenhängen könne; diese Beunruhigung des alten Prozesses sei wieder abgeklungen, das erneute Auftreten der Tbc. im Jahre 1954 sei von den Ereignissen im Jahre 1941 unabhängig und keine Folge der damaligen zeitlich abgrenzbaren Verschlimmerung; durch die Verschlimmerung im Jahre 1941 sei die Erwerbsfähigkeit nicht mehr gemindert; ein Anspruch auf Versorgung bestehe daher nicht. Das LSG. ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Kläger am 6. Februar 1958 zugestellt.
Am 28. Februar 1958 legte der Kläger Revision ein, er beantragte,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Zur Begründung trug der Kläger nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis 6. Mai 1958 an diesem Tage vor: Das LSG. habe § 85 BVG verletzt; es sei zu Unrecht der Meinung gewesen, daß der Beklagte den Bescheid vom 29. September 1954 nicht mehr habe erlassen dürfen, weil bereits mit dem rechtskräftig gewordenen Bescheid vom 13. Mai 1950 die frühere Feststellung, wonach der Wehrdienst die Tbc. hervorgerufen habe, dahin "umgewandelt" worden sei, daß der Wehrdienst die Tbc. nur verschlimmert habe. Der Kläger habe gegen den Bescheid vom 13. Mai/22. Juli 1950 nur deshalb kein Rechtsmittel eingelegt, weil er die Tragweite dieses Bescheids nicht erkannt habe. Weder Prof. Dr. M noch Prof. Dr. H hätten in eine erneute Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs eintreten dürfen, über diesen Zusammenhang sei bereits durch den Bescheid vom 16. März 1949 entschieden gewesen; der Beklagte habe vielmehr bei Erlaß des Bescheids vom 13. Mai 1950/22. Juli 1950 nur prüfen dürfen, ob sich die Voraussetzungen für die Bescheiderteilung (in dem Bescheid vom 16. März 1949) als unzutreffend erwiesen haben (Ziffer 26 SVA Nr. 11); dies sei nicht geschehen; auch das LSG. habe dies nicht geprüft, sondern zu Unrecht nur untersucht, ob die 1941 aufgetretene Tbc. durch den Wehrdienst hervorgerufen oder verschlimmert worden sei; zu dieser Prüfung sei es aber nicht berechtigt gewesen. Das LSG. habe auch den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Durch den Bescheid vom 13. Mai 1950 habe der Beklagte nur eine wesentliche Besserung festgestellt; er habe nicht gleichzeitig festgestellt, der Bescheid vom 16. März 1949 sei unrichtig gewesen. Das LSG. habe aber auch gegen § 128 SGG verstoßen, es habe das Gutachten von Prof. Dr. H unrichtig gewürdigt. Auch nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen sei es nicht wahrscheinlich, daß die 1941 aufgetretene Tbc. mit einer Rippenfellentzündung zusammenhänge, die der Kläger im Alter von 5 oder 6 Jahren durchgemacht habe.
Der Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), der Kläger hat sie auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet, sie ist damit zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid vom 16. März 1949, durch den der Beklagte die "inaktive Lungen-Tbc." als durch den Wehrdienst hervorgerufen festgestellt und dem Kläger Rente bewilligt hat, ist ein den Kläger begünstigender Verwaltungsakt gewesen; diesen Bescheid hat der Beklagte in dem Bescheid vom 13. Mai 1950 nicht nur, wie das LSG. meint, dahin "differenziert", daß der Wehrdienst die Tbc. nur verschlimmert habe, er hat vielmehr mit dem Bescheid vom 13. Mai 1950 den Bescheid vom 16. März 1949 zurückgenommen. Während der Beklagte in dem Bescheid vom 16. März 1949 davon ausgegangen ist, die Lungen-Tbc. sei in vollem Umfang auf den Wehrdienst zurückzuführen, hat er in dem Bescheid vom 13. Mai 1950 ausgeführt, die Lungen-Tbc. in ihrem damaligen Zustand sei "alt und keine WDB", die durch den Wehrdienst hervorgerufene Verschlimmerung sei abgeheilt; er hat damit - zu Unrecht - angenommen, die Lungen-Tbc. sei in dem Bescheid vom 16. März 1949 nur mit dem durch den Wehrdienst bedingten "Verschlimmerungsanteil" als Schädigungsfolge festgestellt worden; da dies nicht der Fall gewesen ist und da die inaktive Lungen-Tbc. auch bei Erlaß des Bescheids vom 13. Mai 1950 noch bestanden hat, hat der Beklagte den Bescheid vom 13. Mai 1950 zu Unrecht auf § 608 RVO in Verbindung mit der SVD Nr. 27 gestützt; eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, wie sie § 608 RVO für die Rechtmäßigkeit eines Neufeststellungsbescheids voraussetzt, ist bis zum Erlaß des Bescheids vom 13. Mai 1950 nicht eingetreten; der Bescheid vom 13. Mai 1950 ist sonach rechtswidrig gewesen. Darauf kommt es aber im vorliegenden Falle nicht an. Das Urteil des LSG. ist im Ergebnis richtig, obwohl das LSG. den Bescheid vom 13. Mai 1950 zu Unrecht als rechtmäßig angesehen hat. Der Kläger hat nämlich den Bescheid vom 13. Mai 1950 nicht angefochten, obwohl er durch diesen Bescheid beschwert gewesen ist; der Bescheid, der zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig gewesen ist und eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung enthalten hat, ist daher bindend geworden; es kommt nicht darauf an, daß der Kläger, wie er vorträgt, die rechtliche Tragweite dieses Bescheids nicht erkannt hat. Auf den Bescheid vom 16. März 1949 kann der Kläger sich nicht mehr berufen, weil dieser Bescheid vom Beklagten aufgehoben worden ist. Damit entfallen aber die Revisionsrügen, die sich darauf beziehen, das LSG. habe zu Unrecht nicht geprüft, ob sich die Verhältnisse seit Erlaß des Bescheids vom 16. März 1949 geändert haben oder ob dieser Bescheid von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Auf die Feststellung in dem Bescheid vom 16. März 1949 ist es nicht mehr angekommen.
Wenn der Kläger weiter meint, das LSG. sei zu Unrecht der Ansicht gewesen, der Beklagte habe den Bescheid vom 29. September 1954 nicht mehr erlassen dürfen, weil der Bescheid vom 13. Mai 1950 rechtsverbindlich gewesen sei, so trifft dieses Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Das LSG. ist nicht der Meinung gewesen, der Beklagte habe den Bescheid vom 29. September 1954 nicht erlassen dürfen; es ist vielmehr davon ausgegangen, der Beklagte habe diesen Bescheid erlassen dürfen, obwohl der Bescheid vom 13. Mai 1950 - dagegen nicht, wie das LSG. angenommen hat, auch der (aufgehobene) Bescheid vom 16. März 1949 - rechtsverbindlich gewesen ist; es hat in dem Erlaß des Bescheids vom 29. September 1954 einen "Widerruf" des Bescheids vom 13. Mai 1950 und einen neuen, den Kläger begünstigenden Verwaltungsakt gesehen, weil der Beklagte "unter Verzicht auf die formelle Rechtskraftwirkung die Möglichkeit eröffnet habe, im Rechtswege zu einer günstigeren Entscheidung zu kommen". Zu dieser Frage hat der erkennende Senat in dem Urteil BSG. 10, S. 248 ff., ausgeführt, daß die bindende Wirkung eines früheren Bescheids die Versorgungsbehörde nicht hindert, zugunsten des Antragstellers eine andere Regelung zu treffen, und daß die Versorgungsbehörde berechtigt ist, belastende Verwaltungsakte, auch wenn sie unanfechtbar geworden sind oder wenn die Anfechtung keinen Erfolg gehabt hat, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und neue Verwaltungsakte zu erlassen, sofern sie damit die "Belastung", die in dem ersten Bescheid enthalten ist, nicht erhöht; erforderlich ist nur, daß in dem "zweiten" Bescheid eine neue sachliche "Regelung" getroffen ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Versorgungsbehörde sich nur - wie sie dies hier zunächst mit dem Schreiben vom 2. August 1954 getan hat - auf die Bindungswirkung des früheren Bescheids beruft. Wenn sie aber, wie dies durch den Bescheid vom 29. September 1954 sodann geschehen ist, auf neues Vorbringen des Klägers - nämlich seinen damaligen Aufenthalt in der Lungenheilstätte - eingeht, neue Ermittlungen anstellt und insbesondere ein neues ärztliches Gutachten einholt und auswertet und daraufhin einen neuen zweiten sachlichen Bescheid erläßt, so ist die neue "Regelung", die sie damit getroffen hat, rechtlich als Verwaltungsakt zu werten; dies gilt auch dann, wenn der Zweitbescheid zu demselben Ergebnis geführt hat wie der Erstbescheid. In dem Erlaß des neuen Verwaltungsakts liegt nicht, wie das LSG. angenommen hat, ein "Widerruf" des ersten Bescheids; dieser Bescheid wird damit nicht beseitigt, er wird nur - obwohl er bindend geworden ist - gegenstandslos; auch um einen "Verzicht auf die Rechtskraft" des ersten Bescheids handelt es sich nicht (vgl. Haueisen, NJW. 1959 S. 2137 ff.). Die Versorgungsverwaltung ist auch nicht, wie das LSG. meint, bei Erlaß des neuen Bescheids durch die "materielle Rechtskraft" des ersten Bescheids nach § 85 BVG in der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs "gebunden" gewesen. Der Begriff der "materiellen Rechtskraft" ist zwar im gesamten Prozeßrecht und damit auch im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit für Urteile bedeutsam, er darf aber - jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes - nicht auf bindend gewordene Verwaltungsakte übertragen werden; er hat einen anderen Inhalt als der Begriff der "Bindung", der allein auf Verwaltungsakte anzuwenden ist. Die materielle Rechtskraft eines Urteils verbietet dem Gericht, in derselben Sache nochmals tätig zu werden. Die Bindungswirkung eines Verwaltungsakts dagegen hindert die Behörde nicht, den gleichen Sachverhalt auf Grund neuer Ermittlungen in vollem Umfange neu zu regeln, also einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen; sie darf dabei nur die Rechtsposition, die der Betroffene infolge der Bindungswirkung des Erstbescheids erlangt hat, nicht verschlechtern (vgl. die Urteile des BSG. vom 13.10.1959, BSG. 10 S. 268 ff. und vom 26.8.1960, 11 RV 1340/59 und des BVerwG. vom 12.5.1960, DVBl. 1960 S. 727 und vom 26.6.1960, DVBl. 1960 S. 728). Dies hat die Versorgungsverwaltung indessen auch in dem Bescheid vom 29. September 1954 nicht getan; sie ist vielmehr nach erneuter Prüfung des Falles unter Verwertung eines weiteren ärztlichen Gutachtens sachlich wiederum zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie in dem Bescheid vom 13. Mai 1950 in Verbindung mit dem Einspruchsbescheid vom 22. Juli 1950, nämlich zu der Feststellung, daß das Lungenleiden durch den Wehrdienst nicht hervorgerufen worden sei, daß die Verschlimmerung durch den Wehrdienst im Jahre 1941 ausgeheilt und daß der Lungenprozeß im Jahre 1954 keine Folge des Wehrdienstes, insbesondere nicht der Verschlimmerung im Jahre 1941 sei. In diesem Umfang haben auch das SG. und das LSG. die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 29. September 1954 prüfen müssen. Im Ergebnis hat dies das LSG., obwohl es von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist, auch getan; es hat eingehend die Gutachten von Prof. Dr. M und Prof. Dr. H gewürdigt, die beide dem Verlauf des Leidens im vollen Umfange, also vom ersten "Aufflackern" im Jahre 1941 an nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen sind, der Prozeß im Jahre 1941 sei durch den Wehrdienst nicht hervorgerufen, er sei eine durch den Wehrdienst bedingte Verschlimmerung einer schon im Kindesalter manifestierten, später latent gebliebenen Tbc. gewesen, diese Verschlimmerung sei voll ausgeheilt und der Prozeß im Jahre 1954 sei nicht durch diese Verschlimmerung ausgelöst. Entgegen der Revisionsrüge des Klägers hat das LSG. das Gutachten von Prof. Dr. H insoweit zutreffend gewürdigt. Dieser Gutachter hat nicht nur, wie der Kläger behauptet, ausgeführt, daß 1947 nach den für 1947 bis 1951 vorhandenen Röntgenbildern ein inaktiver Prozeß vorgelegen habe, Prof. Dr. H hat vielmehr (S. 78 der Versorgungsakten) aus den Röntgenbefunden von 1947 Schlüsse auf das Zustandsbild von 1941 gezogen und eingehend dargelegt, warum es sich nach seiner Ansicht bei den 1941 beobachteten Erscheinungen nicht um eine Erstinfektion gehandelt habe und warum es wahrscheinlich sei, "daß die für die im März 1941 entdeckte Tbc. maßgebliche Erstinfektion bereits weit vor dem Wehrdienst in der Kindheit erfolgte". Das LSG. hat diesem eingehend begründeten Gutachten folgen dürfen, ohne damit die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), zu überschreiten; es hat dies auch dann tun dürfen, wenn - wie der Kläger meint - in der medizinischen Literatur die Ansicht vertreten wird, eine Lungen-Tbc. sei nur dann mit Wahrscheinlichkeit die Folge einer Rippenfellentzündung, wenn sie höchstens drei bis fünf Jahre nach der Rippenfellentzündung auftrete. Das LSG. hat nicht festgestellt, die Lungen-Tbc., die sich im Jahre 1941 gezeigt hat, sei eine Folge der Rippenfellentzündung gewesen, an der der Kläger als Kind gelitten hat, es hat vielmehr ausgeführt, die Ereignisse im Jahre 1941 seien - ebenso wie der Prozeß im Jahre 1954 - ein neuer Schub der "in der Kindheit erworbenen Lungen-Tbc."; diese Auffassung steht nicht im Widerspruch mit der vom Kläger angeführten medizinischen Literatur, weil offengeblieben ist, wann sich im Kindesalter im Anschluß an die Rippenfellentzündung bereits eine (latente) Tbc. entwickelt hat, aber trotzdem ausreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß es zu einer solchen Entwicklung schon in der Kindheit des Klägers gekommen ist und daß die Lungen-Tbc. 1941 eine Folge der schon in der Kindheit erworbenen Lungen-Tbc. ist.
Im Ergebnis hat das LSG. sonach zu Recht entschieden, der Bescheid vom 29. September 1954 sei nicht rechtswidrig, es hat deshalb im Ergebnis zu Recht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG. zurückgewiesen. Die Revision des Klägers ist sonach unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2325854 |
BSGE, 86 |
NJW 1961, 142 |
MDR 1961, 181 |
DVBl. 1961, 344 |