Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentlicher Verfahrensmangel. Versicherungspflicht von Anzeigenwerbern
Leitsatz (redaktionell)
Erhält ein Anzeigenwerber anstelle einer nach dem Erfolg seiner Tätigkeit bemessenen Vergütung ein feststehendes Entgelt, so ist grundsätzlich davon auszugehen, daß er das Ausmaß seiner Tätigkeit nicht selbst bestimmen kann, sondern vielmehr dem Zeit, Ort und Art der Tätigkeit umfassenden Weisungsrecht eines Arbeitgebers unterliegt; nimmt ein SG an, daß trotz dieser Tatbestände eine weisungsfreie Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter ausgeübt werde, so hat es in der Urteilsbegründung jedenfalls insoweit nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Weg seiner Beweiswürdigung darzulegen.
Orientierungssatz
Zur Frage der Versicherungspflicht eines "Anzeigenwerbers".
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-07-27; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 56 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Auf die Revision des Beigeladenen H. wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 1966 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Versicherungs- und Beitragspflicht des Beigeladenen H während seiner Tätigkeit als Anzeigenwerber für die klagende Firma (1. Oktober 1959 bis 30. September 1961).
Die Klägerin, eine inzwischen aufgelöste Kommanditgesellschaft (KG), gab seit 1956 für den Raum S ein Anzeigenblatt ("S Wochenblättle ") heraus, das einmal wöchentlich kostenlos an die Haushaltungen verteilt wurde.
Der Beigeladene H, der 1916 geboren ist und seit 1942 als Kaufmann selbständig, teils im Angestelltenverhältnis tätig war, schloß im September 1959 mit dem persönlich haftenden Gesellschafter der KG, dem Verleger M L, mündlichen einen Vertrag; danach sollte er Stellenmarktanzeigen hereinbringen und dafür ein Fixum von 400 DM monatlich sowie Provision erhalten. Tatsächlich zahlte ihm die Klägerin in den Monaten Oktober bis Dezember 1959 jeweils 650, 730 und 850 DM, in der Folgezeit sodann einen Festbetrag von zunächst 900 DM und - ab September 1960 - von 1.000 DM monatlich (schriftliche Vereinbarung vom 31. Mai 1960 zwischen H und L, die für die zurückliegende Zeit außerdem gewisse Nachzahlungen vorsah und unter der ... vermerkte: "14 Tage Urlaub"). Insgesamt erhielt H für 1960 11.850 und für 1961 (bis zu seinem Ausscheiden am 30. September) 8.900 DM. Beiträge zur Sozialversicherung wurden nicht entrichtet (H hatte sich in zwei Schreiben an L vom 13. April und 14. Juli 1960 als Handelsvertreter gemäß § 84 des Handelsgesetzbuches bzw. als freier Handelsvertreter bezeichnet). Nach seinem Ausscheiden machte er im Oktober 1961 gegenüber der beklagten Krankenkasse geltend, er sei in Wahrheit nicht Handelsvertreter, sondern Angestellter gewesen. Die Beklagte forderte darauf - nach Durchführung einer Betriebsprüfung bei der Klägerin - für H die Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestellten- und zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von zusammen 3.228 DM (Bescheid vom 17. November 1961). Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 19. Februar 1962), ihre Klage wurde vom Sozialgericht Stuttgart als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15. September 1964).
Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg, nachdem das Landessozialgericht (LSG) L und H angehört und den früheren Prokuristen der KG W als Zeugen vernommen hatte. Letzterer hatte dabei nach dem Tatbestand des Berufungsurteils ausgesagt: H habe in erster Linie Stellenanzeigen hereinbringen müssen. Die anderen Vertreter hätten - von einer gewissen Einarbeitungszeit abgesehen - nur Provision bekommen, lediglich ein Vertreter habe noch ein Fixum von 200 DM wöchentlich erhalten. Außer der Anzeigenwerbung habe H keine zusätzlichen Aufgaben und auch keinen Arbeitsplatz im Betrieb gehabt. Nur bei der Gründung des "Kurier am Abend" habe er einmal einige Wochen lang den Vertriebsleiter vertreten; dafür habe er keine Vergütung erhalten. L hatte im Erörterungstermin vom 18. Januar 1966 u.a. erklärt, das an H nach der Vereinbarung vom 31. Mai 1960 gezahlte Fixum sei unabhängig von der Anschaffung von Anzeigen gewesen; es wäre aber herabgesetzt oder der Vertrag gelöst worden, wenn H wesentlich weniger Anzeigen als früher hereingebracht hätte. Daß H im Gegensatz zu den fünf oder sechs Vertretern ein Fixum erhalten habe, habe daran gelegen, daß er Stellenanzeigen aufgesucht habe, die nicht so regelmäßig wie Werbeanzeigen hereinkämen.
Das LSG hat "trotz der unklaren und sich zum Teil widersprechenden Aussagen der Beteiligten" den Beigeladenen H als selbständig angesehen und dazu ausgeführt: Er habe Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit in demselben Rahmen wie ein selbständiger Handelsvertreter frei bestimmen können. Er sei auch nicht in den Verlagsbetrieb eingegliedert gewesen, sondern habe diesem - von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen - nicht wie ein Arbeitnehmer, sondern wie ein Geschäftspartner gegenüber gestanden. Was er als Anordnungen der Klägerin bezeichne, seien im wesentlichen unterstützende Hinweise für eine erfolgreiche Vertretertätigkeit gewesen. Soweit es sich um Weisungen gehandelt habe, seien sie nicht weiter als Anordnungen gegangen, die der Unternehmer dem Handelsvertreter üblicherweise erteile. Zwar sei nicht zu verkennen, daß H weitgehend wirtschaftlich abhängig von der Klägerin gewesen sei und - jedenfalls in der Zeit, in der er nur noch ein Fixum erhalten habe - kein Unternehmerrisiko getragen habe. Aber das genüge noch nicht, um seine Tätigkeit zu einer abhängigen zu machen, zumal - worauf die Klägerin mit Recht hinweise - nach gefestigter Rechtsprechung (BGHZ 43, 154 = NJW 65, 1134) selbständiger Handelsvertreter i.S. des § 84 Abs. 1 HGB auch sein könne, wer nur eine Festvergütung und keine Provision beziehe. Im übrigen seien während des bestehenden Vertragsverhältnisses sowohl die Klägerin als auch H davon ausgegangen, daß dieser selbständig sei; ihm sei die Erkenntnis seiner Abhängigkeit erst gekommen, als er die Beziehungen zur Klägerin gelöst hätte. Das LSG hat demgemäß für H eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Klägerin verneint und den Beitragsbescheid der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 22. April 1966).
Gegen dieses Urteil, gegen das die Revision nicht zugelassen worden ist, hat der Beigeladene H gleichwohl Revision eingelegt und eine Reihe von Verfahrensrügen erhoben (Schriftsätze vom 7. Juli und 1. August 1966). Als einen Verstoß gegen § 128 SGG hat er u.a. gerügt, das LSG habe ihn im wesentlichen deshalb als selbständigen Handelsvertreter angesehen, weil er Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit habe frei bestimmen können und auch nicht in den Verlagsbetrieb eingegliedert gewesen sei. Diese Begründung sei zu allgemein gehalten und passe auf jeden einschlägigen Streitfall. Zu einer Urteilsbegründung gehöre, daß das Gericht sich mit den Besonderheiten des Falles auseinandersetze. Das sei hier nicht geschehen; insbesondere habe kein Zeuge bekundet, daß er, H, Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit habe frei bestimmen können. Den Entscheidungsgründen des LSG fehle deshalb die nach § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG erforderliche "Transparenz". Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. April 1966 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 15. September 1964 zurückzuweisen.
Die klagende Firma hält die erhobenen Verfahrensrügen nicht für begründet und beantragt,
die Revision des Beigeladenen als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hält die Revision ebenfalls nicht für statthaft.
Die beklagte Krankenkasse und die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit haben weder Anträge gestellt noch Ausführungen gemacht.
II.
Die - vom LSG nicht zugelassene - Revision des Beigeladenen H ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG (Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels) statthaft. Das angefochtene Urteil leidet jedenfalls insofern an einem - vom Beigeladenen gerügten - wesentlichen Mangel des Verfahrens, als es nicht erkennen läßt, auf welche konkreten Tatsachen sich die Annahme des LSG gründet, der Beigeladene habe Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit in demselben Rahmen wie ein selbständiger Handelsvertreter frei bestimmen können, und sei nicht in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen.
Nach § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG hat das Gericht - unbeschadet des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) - in seinem Urteil "die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind". Das bedeutet, daß sich auch im sozialgerichtlichen Verfahren das Gericht grundsätzlich nicht damit begnügen darf, lediglich das Ergebnis seiner Beweiswürdigung im Urteil mitzuteilen; es muß vielmehr auch den Weg der Beweiswürdigung soweit offenlegen, daß diese für die Beteiligten und ein Gericht höherer Instanz nachprüfbar ist (vgl. Urteil des Senats vom 11. August 1966, 3 RK 23/66, in dem Rechtsstreit B Z ./. AOK B). Ob eine Ausnahme dann gilt, wenn über das Ergebnis der Beweisaufnahme unter den Beteiligten kein Streit (mehr) besteht, kann auf sich beruhen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Daß der Beigeladene während der fraglichen Zeit "Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit in demselben Rahmen wie ein selbständiger Handelsvertreter frei bestimmen" konnte, hat nach den im angefochtenen Urteil mitgeteilten Erklärungen der Beteiligten keiner von ihnen bekundet. Gegen die diesbezügliche Feststellung des LSG spricht im übrigen, daß der Beigeladene jedenfalls seit Anfang 1960 nicht, wie bei einem freien Handelsvertreter üblich (vgl. Baumbach/Duden, HGB, 18. Auflage, § 87 Anm. 1 B), nach dem Erfolg seiner Tätigkeit bezahlt wurde, sondern nur ein festes Entgelt erhielt (auch in dem vom LSG angeführten Urteil des BGH ist lediglich gesagt, es sei Sache der freien Vereinbarung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter, ob dieser nur Provision oder daneben einen Festbetrag erhalten solle, BGHZ 43, 154, 157). Daß der Inhaber der klagenden Firma für das gezahlte Fixum ein bestimmtes Maß von Tätigkeit erwartete, der Beigeladene dieses Maß also nicht im wesentlichen frei bestimmen konnte (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB), ist im Erörterungstermin vom 18. Januar 1966 unmißverständlich zum Ausdruck gekommen. Aufschlußreich ist insofern auch die Notiz unter der Vereinbarung vom 31. Mai 1960 über die Gewährung von "14 Tagen Urlaub". Angesichts dieser - eher für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprechenden - Umstände (vgl. auch SozR Nr. 8 zu § 165 RVO) hätte das LSG näher darlegen müssen, auf welche Tatsachen sich seine Annahme von einer selbständigen Handelsvertretertätigkeit des Beigeladenen gründete. Daß H sich während seiner Tätigkeit selbst in zwei Briefen an den Firmeninhaber als freier Handelsvertreter bezeichnet hat, ist nicht ausschlaggebend (vgl. SozR Nr. 20 zu § 165 RVO).
Die Revision des Beigeladenen ist hiernach statthaft. Sie ist auch begründet, weil sich nicht ausschließen läßt, daß das LSG bei Beachtung der genannten verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte zu einem anderen Urteil gelangt wäre. Da der Senat den Rechtsstreit mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht selbst entscheiden kann, hat er ihn an das LSG zurückverwiesen. Dieses wird auch die abschließende Kostenentscheidung treffen.
Fundstellen