Leitsatz (redaktionell)
1. Der auf Dienstreisen bestehende Unfallversicherungsschutz entfällt, wenn der Gang zur Toilette durch die vorherige Teilnahme an einer unversicherten kollegialen Zusammenkunft bedingt und somit rechtlich wesentlich von rein eigenwirtschaftlichen Belangen beeinflußt gewesen ist.
2. Hat ein Arbeitnehmer ein auswärtiges Dienstgeschäft abzuwickeln, das ihn nicht zur Anreise am Vortage nötigt, so ist die vorzeitig angetretene Fahrt nicht als Dienstreise, sondern als Privatfahrt anzusehen; mithin besteht für einen Unfall, der sich während der Übernachtung in einem Gasthof ereignet, kein Versicherungsschutz der gesetzlichen UV.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Mai 1967 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger war als "Lebensfachmann" bei der A-Versicherungs-AG, Bezirksdirektion H, im Außendienst beschäftigt. Er wohnte in H. Am 27. Mai 1963 wurde in der Geschäftsstelle in H eine Inspektorenbesprechung abgehalten, an der auch der Kläger teilnahm. Anschließend begaben sich die Besprechungsteilnehmer nach E, wo in der Gastwirtschaft G ein Spargelessen mit nachfolgendem Kegelabend stattfand. Solche geselligen Zusammenkünfte im Kollegenkreis erfolgten alle 1 bis 2 Monate. Gegen 21.30 Uhr fuhren die meisten nach Hause, der Kläger blieb mit einigen Kollegen im Gasthof G, wo er übernachten wollte. Er hatte sich für den nächsten Vormittag um 10.00 Uhr zu einer geschäftlichen Besprechung in M - zwischen E und H - angemeldet. Als der Kläger sich gegen Mitternacht zur Ruhe begeben wollte, fiel er auf dem Weg zur Toilette eine Treppe herunter und erlitt eine Hirnverletzung mit schweren Folgen. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) teilte der Beklagten mit, der Kläger habe an einem Kameradschaftsabend teilgenommen, beim Aufsuchen seines Hotelzimmers sei er mit dem Fuß in einem schadhaften Kokosläufer hängengeblieben und dadurch gestürzt.
Die Beklagte lehnte die Entschädigungsleistung ab, weil der Kläger bei einer seinem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Betätigung verunglückt sei.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Urteil vom 21. November 1966 die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 16. Mai 1967 die Berufung des Klägers zurückgewiesen:
Das gesellige Beisammensein im Gasthof G sei nicht vom Unfallversicherungs (UV) - Schutz erfaßt worden. Der wegen Teilnahme des Klägers an dieser unversicherten Zusammenkunft fehlende innere Zusammenhang zwischen Betriebstätigkeit und Unfallereignis sei auch nicht dadurch hergestellt worden, daß der Kläger in E übernachten wollte, um am nächsten Tage dienstlichen Verrichtungen in M nachzugehen. Zwar habe sich der Kläger auf einer Dienstreise befunden, wobei es unschädlich sei, daß er nicht unmittelbar in M, sondern in geringer Entfernung davon Quartier genommen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), (hier insbesondere Urteil vom 25.3.1964, BG 1954, 373) sei jedoch auch bei Dienstreisen zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis zusammenhängen und anderen, der persönlichen Lebenssphäre angehörenden und daher unversicherten Verrichtungen. Im vorliegenden Fall sei die erforderliche innere Beziehung des vom Kläger beabsichtigten Ganges zur Toilette mit der Ausführung der Dienstreise nicht gegeben, denn dieser Gang sei einerseits durch die Teilnahme an der unversicherten Zusammenkunft bedingt und andererseits zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden, als sich der Kläger schon angeschickt habe, die Nachtruhe aufzunehmen; er sei also rechtlich wesentlich von rein eigenwirtschaftlichen Belangen beeinflußt und daher nicht versichert gewesen. Der festgestellte Sachverhalt reiche zur Entscheidung des Rechtsstreits aus; die im Beweisbeschluß des SG vom 16. Februar 1966 vorgesehene, jedoch unterbliebene weitere Beweiserhebung - Vernehmungen des Gastwirts und zweier Arbeitskollegen des Klägers, Ortsbesichtigung im Gasthaus G - brauche daher nicht durchgeführt zu werden.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das LSG-Urteil haben der Kläger und die - schon im Klageverfahren - beigeladene DAK form- und fristgerecht Revision eingelegt.
Der Kläger begründet seine Revision wie folgt: Es sei davon auszugehen, daß er in E übernachten konnte und durfte, um anderen Tages dienstliche Geschäfte in M. zu verrichten, demnach habe er sich auf einer Dienstreise befunden. Die Rechtsprechung des BSG zum UV-Schutz auf Dienstreisen sei vom LSG unrichtig angewandt worden. Die noch in 2. Instanz vertretene Ansicht, den inneren Zusammenhang zur dienstlichen Sphäre stelle schon die im Anschluß an das Spargelessen noch durchgeführte Besprechung dienstlicher Belange her, halte der Kläger allerdings nicht aufrecht. Er meine jedoch, die eigenwirtschaftliche Betätigung sei im Moment des Aufbruchs zum Schlafengehen beendet gewesen, der Weg zur Toilette vor dem Schlafengehen stehe in unmittelbarer Beziehung zur dienstlichen Sphäre und begründe damit den erforderlichen inneren Zusammenhang. Nach der Lebenserfahrung suche vor dem Schlafengehen jeder noch einmal die Toilette auf, gleichviel ob er vorher an einer geselligen Veranstaltung teilgenommen habe oder nicht. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zu verurteilen, ihn wegen der Folgen des Unfalls vom 27. Mai 1963 zu entschädigen.
Die Beigeladene begründet ihren etwa gleichlautenden Revisionsantrag u.a. mit der Behauptung, der Kläger, der in M am 28. Mai 1963 um 10.00 Uhr eine geschäftliche Besprechung vereinbart hatte, sei genötigt gewesen, rechtzeitig anzureisen und in der Nähe des Besprechungsortes zu übernachten; hätte er seine Reise erst in den frühen Morgenstunden des 28. Mai angetreten, wäre es ihm wegen der weiten Entfernung nicht möglich gewesen, rechtzeitig einzutreffen. Im übrigen verweist die Beigeladene auf das Urteil des LSG Hamburg vom 19. November 1964 (Breithaupt 1965, 201) und meint, dessen Erwägungen träfen auch hier zu, denn der Kläger sei mit den örtlichen Gegebenheiten im Gasthof G nicht vertraut gewesen. In ihren Schriftsätzen vom 25. September und 15. Dezember 1967 nimmt die Beigeladene schließlich zu dem Urteil des BSG vom 22. September 1966 (2 RU 16/65) Stellung und führt aus, durch Zeugenvernehmung und eine Augenscheinseinnahme wäre festzustellen gewesen, daß das Aufsuchen der Toilette im Gasthof G mit besonderen Gefahren verbunden war, durch die der Unfall des Klägers verursacht worden sei; damit seien die Voraussetzungen erfüllt, unter denen gemäß dem BSG-Urteil vom 22. September 1966 der Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anzuerkennen sei.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
II
Die zulässigen Revisionen haben keinen Erfolg.
Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, daß sich der Kläger am Abend des 27. Mai 1963 auf einer Dienstreise in E aufhielt und zwar deswegen, weil er am nächsten Vormittag im Nachbarort M eine geschäftliche Besprechung wahrnehmen wollte. Von diesem Ausgangspunkt her betrachtet ist das angefochtene Urteil nicht frei von Bedenken. Das LSG hätte dann nämlich die Frage des UV-Schutzes für den Kläger auch daraufhin prüfen müssen, ob etwa besondere gefährdende Umstände, die dem Nachtquartier im Gasthof G eigentümlich waren, den Unfall wesentlich verursacht hatten (vgl. SozR Nr. 3 zu § 548 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Da die Beigeladene in ihrer Mitteilung vom 14.Juni 1963 - vom LSG im Urteilstatbestand angeführt - auf solche gefährdenden Umstände hingewiesen hatte, wäre das LSG verpflichtet gewesen, eine Beweiserhebung in der von der Beigeladenen näher bezeichneten Art durchzuführen. Die Begründung, mit der das LSG diese Beweiserhebung als entbehrlich dargestellt und den UV-Schutz des Klägers verneint hat, kann nicht überzeugen.
Nach Meinung des Senats hält jedoch auch der vom LSG gewählte Ausgangspunkt einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Bei seiner Annahme, die für den 28. Mai 1963 in M vorgesehene geschäftliche Besprechung habe dem Aufenthalt und der Übernachtung des Klägers am Vortage in E das Gepräge einer Dienstreise verliehen, hat das LSG die besonderen örtlichen und zeitlichen Verhältnisse nicht hinreichend beachtet, die den hier zu beurteilenden Sachverhalt kennzeichnen.
Aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG geht hervor, daß die zur damaligen Zeit den geschäftlichen und den privaten Lebensbereich des Klägers markierenden Orte verhältnismäßig dicht beieinander lagen. Die aus der Straßenkarte abzulesende Entfernung H-H (56 km), H-M (20 km) und M-E (3 km) lassen erkennen, daß der Kläger seine geschäftliche Tätigkeit am 28. Mai 1963 an einem Ort zu verrichten hatte, den er von H (Sitz der A-Bezirksdirektion), aber auch noch von seinem Wohnort H aus ohne lange Anreise erreichen konnte. Da zudem die Besprechung in M nicht etwa schon in den frühen Morgenstunden, sondern erst um 10.00 Uhr vormittags stattfinden sollte, entbehrt das Vorbringen der Beigeladenen, bei Antritt der Reise erst am Morgen des 28. Mai wäre es dem Kläger wegen der weiten Entfernung nicht möglich gewesen, rechtzeitig in M einzutreffen, jeglicher Grundlage. Der Kläger war vielmehr durch betriebliche Belange in keiner Weise genötigt, am Unfalltage im Gasthof G zu übernachten. Es wäre mit seinen dienstlichen Obliegenheiten ohne weiteres vereinbar gewesen, wenn er sich am 27. Mai 1963 nach Schluß der Inspektorenbesprechung von H nach H begeben hätte, um am folgenden Tage von zu Hause aus nach M zu fahren. Falls er den hierdurch erforderlichen Hin- und Rückweg von zusammen 112 km vermeiden wollte, konnte er auch die Nacht in H verbringen, mußte sich aber nicht unbedingt gerade nach E zur Übernachtung begeben. Die Fahrt nach E mit Aufenthalt und Übernachtung im Gasthof G war jedenfalls nicht durch betriebliche Anlässe, sondern wesentlich nur durch die Teilnahme an der unversicherten geselligen Zusammenkunft bedingt. Es handelte sich also - auf die hier gegebenen kleinräumigen Verhältnisse übertragen - ähnlich wie bei dem BSG-Urteil vom 6. Juli 1967 (SozR Nr. 7 zu § 548 RVO) um eine vorverlegte Anreise zu einem auswärtigen Dienstgeschäft, welche nicht als Dienstreise, sondern als eine unversicherte Privatfahrt anzusehen ist. Der UV-Schutz hätte für den Kläger erst am 28. Mai 1963 begonnen, wenn er von E zur Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit nach M gefahren wäre (vgl. SozR Nr. 4 zu § 548 RVO).
Die Revisionen sind hiernach im Ergebnis unbegründet und müssen zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen