Leitsatz (amtlich)

Versicherungssummen aus privaten Lebensversicherungen, bei denen die Witwe Bezugsberechtigte ist, sind auf den Schadensausgleich der Witwe nach DV § 33 BVG § 1 Abs 3 Nr 2 mit den aus ihnen zu erzielenden Einkünfte ("Einkünfte aus Kapitalvermögen") anzurechnen (Anschluß an BSG 1973-05-24 10 RV 237/72 = SozR Nr 1 zu § 1 DVO zu § 33 BVG vom 1967-11-09).

 

Leitsatz (redaktionell)

Unzulässig ist eine Berücksichtigung fiktiver monatlicher Rentenbeträge, die durch eine - nicht erfolgte - Verrentung des Versicherungskapitals ermittelt worden sind.

Der Witwe steht es frei, Ansprüche aus Lebensversicherungen als Kapital oder als laufende Rente zu verwirklichen.

 

Normenkette

BVG § 40a Abs. 2 S. 1 Fassung: 1966-12-28, § 33 DV § 1 Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 1967-11-09

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 1972 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin erhält für die Zeit seit Dezember 1969 Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Im Bescheid vom 13. August 1970, womit ihr das Versorgungsamt auch die vom Einkommen abhängigen Leistungen bewilligte, wurde beim Schadensausgleich (§ 40 a BVG) zu dem von der Klägerin erzielten Bruttoeinkommen u. a. ein Betrag von monatlich 71,79 DM gerechnet; dieser Betrag ergab sich daraus, daß das Kapital von insgesamt 10.875,45 DM, welches die Klägerin aus drei von ihrem Ehemann geschlossenen Lebensversicherungsverträgen im Februar 1970 erhalten hatte, nach der allgemeinen Sterbetafel in eine Monatsrente umgerechnet ("verrentet") wurde. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin beantragte, unter Anwendung von § 11 der Durchführungsverordnung (DVO) 1967 zu § 33 BVG als Bruttoeinkommen nur die Zinseinnahmen aus dem Versicherungskapital mit jährlich rund 200,- DM anzurechnen, wurde mit Bescheid vom 5. November 1970 unter Bezugnahme auf das BMA-Rundschreiben vom 10. März 1967 (BVBl 1967 S. 52 Nr. 28) zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat durch Urteil vom 29. September 1971 die Klage abgewiesen: Da Geldrenten aus privaten Versicherungsverträgen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 DVO zu § 33 BVG anrechenbare Einkünfte darstellten, müsse ein Versicherungskapital, das ebenfalls zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sei, entsprechend behandelt werden; eine Anrechnungsfreiheit nach § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO sei nicht gegeben.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 14. Juli 1972 unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen sowie des Bescheides vom 10. Februar 1972 (Leistungen ab 1.1.1971) den Beklagten verurteilt, bei der Schadensausgleichsberechnung für die Zeit ab 1. Dezember 1969 das Lebensversicherungskapital unberücksichtigt zu lassen und nur etwaige tatsächliche Erträgnisse aus dem Kapital anzurechnen: Für die Berufung sei das Rechtsschutzinteresse gegeben, da die begehrte Verurteilung zu einer, wenn auch geringen Erhöhung des Schadensausgleichs selbst dann führe, wenn der Beklagte durch Zugunstenregelung auch eine höhere Ausgleichsrente entsprechend der hier getroffenen Entscheidung gewähre.

In der - gemäß §§ 40 a Abs. 4, 30 Abs. 8 BVG sowie § 12 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG und § 14 Abs. 1 DVO zu § 33 BVG anzuwendenden - Vorschrift des § 1 DVO zu § 33 BVG seien als anrechenbare Einkünfte insbesondere Einkünfte aus Kapitalvermögen (Abs. 3 Satz 2 Nr. 2) und Geldrenten aus privaten Versicherungsverträgen (Abs. 3 Satz 2 Nr. 7) aufgeführt; in keiner Ziffer des § 1 Abs. 3 Satz 2 sei jedoch das Kapital selbst als anrechenbar erklärt worden. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß eine Anrechenbarkeit von Kapital - in Form einer Verrentung - vom Verordnungsgeber übersehen worden sein könnte. Die Auffassung des Beklagten, das Lebensversicherungskapital sei angesichts der sonstigen unzureichenden Einkünfte der Klägerin für die Sicherstellung ihres Lebensunterhalts bestimmt und demgemäß einer laufenden Rente gleichzusetzen, treffe nicht zu. § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO zu § 33 BVG betreffe nur Einkünfte, nicht hingegen Kapitalvermögen wie es der Klägerin - vergleichbar einer Erbschaft - zugefallen sei. Dem Gesetzgeber sei das Problem der Wechselwirkung zwischen einer Rente und einer an ihrer Stelle gewährten Kapitalentschädigung bekannt gewesen, was sich an der Regelung in § 9 Abs. 3 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG erweise. Wenn es in Kenntnis dieser Problematik bei den Regelungen in § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 7 verblieben sei, so komme eine analoge Anwendung der nur für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs geltenden Vorschrift des § 9 Abs. 3 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG auf Fälle der hier gegebenen Art nicht in Betracht, vielmehr sei im Umkehrschluß zu folgern, daß die Anrechnung einer fiktiven Rente bei der Berechnung des Schadensausgleichs der Witwe zu unterbleiben habe. Die der Witwe eingeräumte - von der Klägerin ausgeübte - Befugnis, den Anspruch aus der Lebensversicherung nach ihrem freien Willen als Kapital oder als laufende Rente zu verwirklichen, sei auch versorgungsrechtlich zu respektieren. Bei der vom Beklagten vertretenen Auffassung werde dieses Wahlrecht in gesetzwidriger Weise eingeengt; der Entschluß der Klägerin, sich das Kapital auszahlen zu lassen, sei nicht als Verfügung ohne verständigen Grund (§ 1 Abs. 2 DVO zu § 33 BVG) anzusehen; die Witwe sei nicht verpflichtet, aus ihrem Kapital möglichst hohe Erträge zu erzielen bzw. - im Interesse der Versorgungsverwaltung - statt eines Kapitals eine Rente aus der Lebensversicherung zu wählen. Kapitalvermögen brauche im Versorgungsrecht allgemein nicht angegriffen zu werden, lediglich die daraus fließenden Einkünfte gälten nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und § 11 DVO zu § 33 als sonstiges anrechenbares Einkommen. Auch § 44 Abs. 5 BVG gestatte nur die Anrechnung von Ansprüchen auf laufende Leistungen; die dazu erlassene Verwaltungsvorschrift Nr. 6 sei wegen der Verschiedenheit der Anspruchsgrundlagen auf den Schadensausgleich der Witwe nicht übertragbar. Desgleichen betreffe den vorliegenden Fall auch nicht das vom Beklagten angeführte BMA-Rundschreiben vom 10. März 1967, das sich lediglich mit Ausgleichs- und Elternrente befasse; die Anweisung des Landesversorgungsamts vom 7. April 1967, dieses Rundschreiben auch bei Feststellung des Bruttoeinkommens nach § 40 a Abs. 2 BVG zu beachten, sei nicht verbindlich. Hiernach seien als Bruttoeinkommen der Klägerin lediglich etwaige Erträgnisse aus dem Versicherungskapital zu berücksichtigen, nicht dagegen fiktive Renteneinkünfte, die der Klägerin infolge Ausübung ihres Wahlrechts nicht zustünden und ihr auch tatsächlich nie zugeflossen seien. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision beantragt der Beklagte,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Reutlingen zurückzuweisen.

In der innerhalb der nach § 164 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verlängerten Frist eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Beklagte, das LSG habe § 40 a Abs. 2 BVG sowie § 1 Abs. 1 DVO zu § 33 BVG verletzt: § 1 Abs. 3 Satz 2 DVO zu § 33 BVG erläutere lediglich - und zwar nicht abschließend -, welche Einkünfte zu den "übrigen Einkünften" im Sinne des § 33 Abs. 1 BVG gehörten. Ein Lebensversicherungskapital diene im allgemeinen mit zur Sicherstellung des Lebensunterhalts, so daß es nach § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO zu § 33 BVG nicht unberücksichtigt bleiben könne. Ein verrentetes, nach § 1 Abs. 1 DVO zu § 33 BVG unmittelbar anzurechnendes Kapital sei also durchaus unter § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 DVO zu subsumieren. Da für die Berechnung des Schadensausgleichs nichts anderes gelten könne als für die Feststellung der Ausgleichsrente, seien die im BMA-Rundschreiben vom 10. März 1967 aufgestellten Grundsätze auch in diesem Rechtsstreit anzuwenden.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei und bezieht sich außerdem auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Mai 1973 (SozR Nr. 1 zu § 1 DVO 1967 zu § 33 BVG).

Der Beklagte hat darauf entgegnet, er wolle das Revisionsverfahren im Hinblick auf das BMA-Rundschreiben vom 10. März 1967 fortsetzen, damit in der anstehenden Rechtsfrage die Entscheidung eines weiteren Senats des BSG herbeigeführt werde.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die zulässige Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß bei der Berechnung des Schadensausgleichs als Bruttoeinkommen der Klägerin nur etwaige Erträgnisse aus dem Versicherungskapital von - im Februar 1970 - 10.875,45 DM, nicht hingegen aus einer Verrentung ermittelte fiktive monatliche Rentenbeträge zu berücksichtigen sind.

Der erkennende Senat hat keine Bedenken, sich dem Urteil des 10. Senats vom 24. Mai 1973 (SozR Nr. 1 zu § 1 DVO 1967 zu § 33 BVG) anzuschließen, wonach Versicherungssummen aus privaten Lebensversicherungen, bei denen die Witwe bezugsberechtigt ist, auf die Witwenausgleichsrente und den Schadensausgleich nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 DVO zu § 33 BVG - nur - mit den aus ihnen zu erzielenden Einkünften anzurechnen sind. Das Argument des Beklagten, § 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 9 dieser DVO sei nur eine nicht abschließende Aufzählung von Einkunftsarten, trifft zwar zu, ist aber nicht ausschlaggebend; ebensowenig kommt es darauf an, ob ein Versicherungskapital im allgemeinen der Sicherstellung des Lebensunterhalts oder aber sonstigen Zwecken dient. Entscheidend ist vielmehr, daß es sich bei dem Betrag, den die Klägerin von den Lebensversicherungsgesellschaften erhalten hat, um Kapitalvermögen handelt, für das irgend eine besondere Behandlung - abweichend von sonstigen Kapitalwerten - im Gesetz und in den Anrechnungsbestimmungen der DVO zu § 33 BVG nicht vorgesehen ist. Dabei ist allgemein von Bedeutung, daß der Schadensausgleich der Witwe - im Unterschied zu einer so ausgeprägt nachrangigen Leistung wie der wiederaufgelebten Witwenrente nach § 44 Abs. 2 bis 5 BVG (vgl. BSG 25, 262; SozR Nr. 17 zu § 44 BVG mit weiteren Nachweisen) - grundsätzlich nicht voraussetzt, daß die Witwe die Substanz ihres Vermögens angreift, sondern nur dessen Erträgnisse zur Anrechnung auf die Versorgungsleistung freigibt. Dieser Unterschied ist in dem vom Beklagten angeführten BMA-Rundschreiben vom 10. März 1967 nicht hinreichend beachtet worden. Der Umstand, daß die Klägerin wesentlich ungünstiger abschneiden würde, wenn sie nach dem Tod ihres Ehemannes sich für den Bezug von Geldrenten aus den drei Versicherungsverträgen entschieden hätte (§ 1 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 DVO zu § 33 BVG), rechtfertigt es keineswegs, daß sie gegen ihren erklärten Willen von der Versorgungsbehörde so behandelt wird, als ob sie eine sich zu ihrem Nachteil auswirkende Wahl getroffen hätte.

Zum Bruttoeinkommen der Klägerin durfte also jedenfalls nicht der vom Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 13. August 1970 und 10. Februar 1972 eingesetzte Betrag von monatlich 71,79 DM gerechnet werden. Ob und in welcher Höhe Zinserträgnisse aus dem Kapital von 10.875,45 DM als Bruttoeinkommen zu berücksichtigen sind, ist von den Beteiligten nicht vorgetragen und vom LSG nicht geprüft worden. Da jedoch die Voraussetzungen für den Erlaß eines Grundurteils (vgl. SozR Nr. 3 und 4 zu § 130 SGG) erfüllt sind, sieht sich der Senat zu einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz nicht veranlaßt.

Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646551

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