Leitsatz (amtlich)
Einem anfallgefährdeten Beschädigten, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens noch nicht dauernd fremder Hilfe bedarf, kann eine Pflegezulage nicht lediglich zur Verhütung möglicher Gesundheitsstörungen bei künftig auftretenden Anfällen gewährt werden.
Normenkette
BVG § 35 Fassung: 1957-07-01
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 22. September 1961 abgeändert. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Versorgungsgerichts für das Saarland vom 22. November 1956 wird in vollem Umfange zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin erhielt mit Bescheid vom 24. November 1951 nach der Personenschädenverordnung in Verbindung mit dem Reichsversorgungsgesetz (RVG) wegen "Zustand nach Gehirnquetschung mit zeitweise auftretenden epileptiformen Krampfanfällen der rechten Körperhälfte, Narbe am Hinterkopf" vom 1. Mai 1950 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. Am 12. April 1954 stellte sie einen Antrag auf Gewährung von Pflegezulage. Das Versorgungsamt (VersorgA) holte ein ärztliches Gutachten ein und lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Januar 1955 ab, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gemäß § 57 Abs. 1 RVG nicht eingetreten sei und die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage nach § 31 RVG nicht erfüllt seien. Die Klägerin, die bereits den Bescheid vom 24. November 1951 angefochten hatte, legte auch gegen den Bescheid vom 12. Januar 1955 Berufung alten Rechts ein. Das Versorgungsgericht für das Saarland hat beide Berufungen zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden. Es hat mit Urteil vom 22. November 1956 den Bescheid des VersorgA S vom 24. November 1951 abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin ab 1. Mai 1950 eine Rente nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren; die Berufung gegen den Bescheid vom 12. Januar 1955 hat es zurückgewiesen. Die Klägerin hat hiergegen Rekurs alten Rechts eingelegt, der als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland übergegangen ist. Im Laufe des Berufungsverfahrens erließ die Versorgungsbehörde auf einen Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 30. Juli 1960 den Bescheid vom 19. Dezember 1960, mit dem es den Antrag ablehnte, weil eine wesentliche Änderung gemäß § 57 RVG nicht eingetreten sei. Die in den Jahren 1955 und 1958 bei Krampfanfällen erlittenen Vorderarmfrakturen hätten infolge der Heilbehandlung keine Gesundheitsschädigungen hinterlassen. Auch die infolge eines eleptiformen Krampfanfalles erlittenen Verbrennungsnarben und Narben nach Hautübertragungen an beiden Beinen seien nicht geeignet, die bisherige Höhe der MdE zu beeinflussen. Das Versorgungsleiden laute nunmehr: "Zustand nach Gehirnquetschung mit zeitweise auftretenden eleptischen Krampfanfällen der rechten Körperhälfte, Narbe am Hinterkopf, Verbrennungsnarben und Narben nach Hautübertragungen an beiden Beinen". Die MdE betrage weiterhin 80 v. H. In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die Klägerin ihre Berufung auf die Gewährung der Pflegezulage der Stufe I für die Zeit vom 1. April 1954 an beschränkt. Das LSG für das Saarland hat mit Urteil vom 22. September 1961 auf die Berufung der Klägerin das beklagte Land unter entsprechender Abänderung des Urteils des Versorgungsgerichts für das Saarland vom 22. November 1956 und des Bescheides des VersorgA S vom 12. Januar 1955 verurteilt, der Klägerin die Pflegezulage nach Stufe I ab 1. Dezember 1959 zu gewähren und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Berufung der Klägerin wegen Gewährung der Pflegezulage sei zulässig, weil es sich nicht um die Neufeststellung der Versorgungsbezüge nach § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) handele. Vielmehr betreffe der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 1955 die erste Entscheidung über die Gewährung von Pflegezulage. Die Berufung sei auch begründet, soweit die Klägerin die Pflegezulage für die Zeit ab 1. Dezember 1959 begehre. Die Klägerin sei hilflos im Sinne des § 31 RVG und des § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), der mit Wirkung vom 1. Juni 1960 für das Saarland gelte (Gesetz zur Einführung des BVG im Saarland vom 16.8.1961, BGBl I 1292). Sie leide infolge der anerkannten Gesundheitsstörungen an Krampfanfällen und müsse auch in Zukunft mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten solcher Anfälle rechnen. Die Häufigkeit dieser Krampfanfälle habe nicht sicher festgestellt werden können. Einer Beweiserhebung hierüber bedürfe es jedoch nicht, da es im vorliegenden Fall nicht auf die Häufigkeit der Anfälle ankomme. Selbst bei der Annahme von fünf Krampfanfällen im Monat sei die Klägerin noch nicht so hilflos, daß sie nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen könne bzw. daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßigen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens im erheblichen Umfange fremder Hilfe dauernd bedürfe. Zwar seien die Krampfanfälle im allgemeinen mit Bewußtlosigkeit verbunden, jedoch sei, wie die Klägerin selbst glaubhaft vorgetragen habe, die Dauer der Anfälle auf jeweils 20 bis 60 Minuten begrenzt. Sie sei dann nach relativ kurzer Zeit wieder in der Lage, ihre im Haushalt anfallenden Arbeiten zu erledigen und insbesondere die zur Versorgung ihrer eigenen Person notwendigen Verrichtungen ohne fremde Hilfe vorzunehmen, wenn es auch gelegentlich vorkomme, daß sie im Anschluß an einen Anfall zwei oder drei Tage zu Bett liegen müsse.
Dennoch müsse der Klägerin die Pflegezulage gewährt werden, weil die Krampfanfälle besonders heftig seien. Bereits in der Entscheidung des früheren Reichsversorgungsgerichts ( RVersG ) in Bd. 2, 207, 209 sei gesagt worden, daß die Pflegezulage auch deshalb zu gewähren sei, "um das Schlimmste vom Kranken abzuwenden" und daß die Notwendigkeit der ständigen Bereitschaft fremder Hilfe der dauernden Inanspruchnahme einer Pflegeperson gleichzusetzen sei. Von dieser Auffassung sei das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung zu § 35 BVG aF nicht abgewichen (BSG 8, 97). Die Neufassung dieser Vorschrift gebe keinen Anlaß zu einer anderweitigen Entscheidung. Danach sei die Klägerin seit Dezember 1959 hilflos im Sinne des § 31 RVG und § 35 BVG. Zwar habe sie schon in den Jahren 1953 bis 1958 gelegentlich bei epileptischen Anfällen Körperverletzungen erlitten; da diese aber leichterer Art gewesen seien, habe das LSG keinen Anlaß gesehen, schon von diesem Zeitpunkt an Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes anzunehmen. Erst als die Klägerin kurze Zeit nach der doppelten Armfraktur erneut einen besonders heftigen Anfall am 14. Dezember 1959 erlitt und sich folgenschwere Verbrennungen zugezogen hatte, habe sich die Wiederholungsgefahr mit der Möglichkeit des Eintritts weiterer schwerer Gesundheitsstörungen gezeigt, die nur durch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson vermieden oder auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden könne, so daß es gerechtfertigt sei, die Klägerin von diesem Zeitpunkt an als hilflos anzusehen. Demgegenüber habe die vom Oberarzt der Nervenabteilung der Universitätsklinik in Heidelberg in seinem am 18. Dezember 1959 abgegebenen Gutachten vertretene Auffassung, die Voraussetzungen zur Gewährung der Pflegezulage seien nicht erfüllt, das LSG nicht überzeugen können. Die Beantwortung der Frage nach der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG sei nicht nur medizinischer Natur. Im übrigen sei dem Sachverständigen der schwere Unfall am 14. Dezember 1959 bei Erstattung seines Gutachtens nicht bekannt gewesen. Für die Zeit vor dem 1. Dezember 1959 stehe der Klägerin eine Pflegezulage etwa wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu. Insoweit folge das LSG dem Gutachten des genannten Sachverständigen, der überzeugend dargetan habe, daß die Erwerbsfähigkeit der Klägerin lediglich um 80 v. H. gemindert sei. Über den während des Berufungsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 19. Dezember 1960 sei wegen der Beschränkung der Berufung der Klägerin auf die Pflegezulage nicht mehr zu entscheiden gewesen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses am 24. November 1961 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 30. November 1961, beim BSG am 6. Dezember 1961 eingegangen, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Er beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 22. September 1961 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Versorgungsgerichts für das Saarland vom 22. November 1956 zurückzuweisen.
Er rügt eine Verletzung der §§ 31 Abs. 1 RVG und 35 BVG. Das LSG sei von einem falschen Begriff der Hilflosigkeit ausgegangen. Entgegen der Auffassung des LSG liege Hilflosigkeit im Sinne des § 31 RVG (§ 35 BVG) nur dann vor, wenn der Beschädigte für diejenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf ständige fremde Hilfe angewiesen sei, die für seine körperliche Existenz und für die Pflege seiner Person notwendig seien. Zu diesen Verrichtungen gehöre vornehmlich das An- und Auskleiden, Essen und Trinken, Waschen, Verrichten der Notdurft, die notwendige und mögliche körperliche Bewegung sowie die geistige Erholung. Die Verrichtung von hauswirtschaftlichen Arbeiten gehöre nur insoweit zu diesen notwendigen Verrichtungen, als sie der Pflege und Wartung des Beschädigten unmittelbar dienten. Eine nur gelegentlich notwendig werdende Hilfeleistung für einzelne Verrichtungen führe noch nicht zur Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes. Die Klägerin bedürfe nicht der dauernden Begleitung und Hilfe einer dritten Person. Aus den Feststellungen des LSG ergebe sich, daß die Klägerin in der Lage sei, die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange ohne fremde Hilfe auszuführen. Soweit die anfallgefährdete Klägerin einzelne gefährliche Verrichtungen vornehmen wolle, könnten diese von anderen Personen erledigt werden. Obwohl die Frage, ob Hilflosigkeit vorliege, nicht allein nach ärztlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sei, hätte das LSG jedoch die im Verfahren abgegebenen fachärztlichen Äußerungen nicht übergehen dürfen. Aus dem Gutachten von Dr. J. könne im übrigen der Schluß gezogen werden, daß eine über das übliche Maß hinaus bestehende Heftigkeit der Krampfanfälle nicht vorliege. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten vom 30. November 1961 gegen das Urteil des LSG für das Saarland vom 22. September 1961 aus den Gründen dieser Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen, ferner dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 164, 166 SGG) und somit zulässig. Sie ist auch begründet. Das LSG hat zutreffend sowohl den Rekurs alten Rechts gem. § 92 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen als auch die Berufung der Klägerin gem. den Vorschriften des SGG gegen das Urteil des Versorgungsgerichts für das Saarland vom 22. November 1956, soweit dieses die Pflegezulage betraf, als zulässig angesehen, da insoweit ein Ausschließungsgrund nicht gegeben ist. Die Berufung der Klägerin betraf nämlich die erstmalige Bewilligung der Pflegezulage, nicht aber die Gewährung von Rente wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG (s. dazu BSG 8, 97; BSG in SozR SGG § 148 Bl. Da 6 Nr. 17).
Das LSG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß es über den während des Berufungsverfahrens ergangenen Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960 nicht zu entscheiden hatte. Das LSG konnte dabei die Frage dahingestellt bleiben lassen, ob ein Bescheid auch dann nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens wird, wenn die Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG unzulässig ist (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 19.2.1964 - 10 RV 735/61); jedenfalls hat die Klägerin durch die Beschränkung ihrer Berufung auf die Gewährung der Pflegezulage zu erkennen gegeben, daß sie sich nicht mehr gegen die Höhe der ihr gewährten Rente wenden und somit auch nicht mehr den Bescheid vom 19.12.1960 anfechten wolle.
Bei seiner Sachentscheidung zum Anspruch der Klägerin auf Pflegezulage hat aber das LSG den § 31 RVG, der bis zum 31.5.1960 für den Anspruch der im Saarland wohnenden Klägerin maßgebend ist, und den § 35 BVG in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27.6.1960 (nF), der vom 1.6.1960 an für den Anspruch der Klägerin gem. Art. 1 § 1 des Gesetzes zur Einführung des Bundesversorgungsgesetzes im Saarland vom 16.8.1961 (BGBl I 1961, 1292) maßgebend ist, verletzt. Der Senat hatte auch darüber zu entscheiden, ob das LSG § 31 RVG verletzt hat, da diese Vorschrift revisibles Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG darstellt. Zwar erstreckte sich der Geltungsbereich des RVG in der Zeit, in der es hier für den Anspruch der Klägerin maßgebend ist, nämlich in der Zeit vom April 1954, dem Zeitpunkt der Antragstellung, bis zum 31.5.1960, nur auf den Bezirk des LSG für das Saarland, jedoch ist das RVG mit der Eingliederung des Saarlandes in das Bundesgebiet Bundesrecht geworden. Nach § 5 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. Dezember 1956 (BGBl I 1011) wird das Recht, das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung betrifft, Bundesrecht, soweit es sich auf Sachgebiete bezieht, die im gesamten übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) bundesrechtlich geregelt sind. Da die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Nr. 10 GG) bei der Eingliederung des Saarlandes in das Bundesgebiet im übrigen Geltungsbereich des GG bundesrechtlich durch das BVG geregelt war, ist das RVG, welches sich auf dasselbe Sachgebiet wie das BVG bezieht, mit der Eingliederung des Saarlandes Bundesrecht und damit revisibel im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG geworden.
Nach § 31 RVG wird eine Pflegezulage gewährt, solange der Beschädigte infolge der Dienstbeschädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. Nach § 35 BVG in der auch im Saarland ab 1. Juni 1960 gültigen Fassung des BVG muß der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos sein, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Trotz der verschiedenen Fassung beider Vorschriften besteht kein Unterschied in den sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegezulage. Wie bereits zutreffend der 8. Senat des BSG in seiner Entscheidung eingehend begründet hat, entspricht der § 35 BVG in seiner bis zum Inkrafttreten des 1. NOG geltenden Fassung sowohl seinem Wortlaut wie seinem Sinne nach dem früheren § 31 RVG, so daß die vom früheren Reichsversorgungsgericht zum Begriff der Hilflosigkeit im Sinne des § 31 RVG entwickelten Grundsätze (vgl. RVGE 2, 188; 2, 207; 6, 43; 7, 218; 12, 218; vgl. auch RVA in AN 1902, 181 Nr. 1899 zu § 9 Abs. 3 Gewerbeunfallversicherungsgesetz) auch bei der Auslegung des § 35 BVG aF zu gelten haben. Der § 35 BVG nF, der im vorliegenden Fall anzuwenden ist, unterscheidet sich nun zwar im Wortlaut von dem § 35 BVG aF, jedoch hat die Neufassung des § 35 BVG durch das 1. NOG zu keiner Änderung dieser Voraussetzungen geführt. Der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 29. Mai 1962 - 10 RV 1235/58 - und vom 14. März 1963 - 10 RV 791/60 - ausgeführt, daß mit dieser Neufassung nur im Text des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist, was schon immer von der Rechtsprechung zur Auslegung des § 35 BVG aF wie des § 31 RVG gesagt worden ist. Daraus folgt, daß der Anspruch der Klägerin auf Pflegezulage trotz der unterschiedlichen Fassung der im vorliegenden Fall anzuwendenden Vorschriften, nämlich des § 31 RVG und des § 35 BVG nF für die Zeit vor und nach dem Inkrafttreten des BVG im Saarland einheitlich zu beurteilen ist, weil der Begriff der Hilflosigkeit stets derselbe geblieben ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist nur derjenige Beschädigte hilflos, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für einzelne - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder im erheblichen Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Dabei ist nicht erforderlich - wie das LSG auch richtig angenommen hat -, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird. Es genügt schon, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft sein muß (BSG 8, 97, 99). Ferner kommt es nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte an, sondern allein auf den Leidenszustand des Beschädigten und die hierdurch bedingte Wartung und Pflege; ebenso muß die Stellung des Beschädigten in seiner Lebensführung im weitesten Sinne unberücksichtigt bleiben (s. dazu auch RVGE 12, 218; BSG 8, 97, 99; BSG 12, 20, 22). Die Pflegezulage ist mithin auf den höchstpersönlichen Lebensbereich des Beschädigten abzustellen, wobei z. B. grundsätzlich unbeachtlich ist, ob er verheiratet ist oder nicht. Sie wird mithin nicht schon bei Hilfsbedürftigkeit des Beschädigten, sondern nur wegen "Hilflosigkeit" gewährt (BSG 3, 217, 222). Ob ein Zustand der Hilflosigkeit besteht, ist, wie auch das LSG richtig angenommen hat, keine rein medizinische Frage, sondern muß in jedem Fall unabhängig von der medizinischen Auffassung nach ihrer tatsächlichen wie rechtlichen Seite geprüft und entschieden werden.
Bei der Klägerin sind epileptische Anfälle als Schädigungsfolge anerkannt. Zum Umfang und zu den Auswirkungen dieser Anfälle hat das LSG bindend (§ 163 SGG) aufgrund der Angaben der Klägerin festgestellt, daß die Anfälle jeweils 20 bis 60 Minuten andauern und daß die Klägerin in der Regel nach relativ kurzer Zeit wieder jede im Haushalt anfallende Arbeit erledigen sowie insbesondere auch die zur Versorgung ihrer eigenen Person notwendigen Verrichtungen ohne fremde Hilfeleistung vornehmen kann, wenn sie auch gelegentlich im Anschluß an einen Anfall zwei oder drei Tage zu Bett liegen muß. Daraus ergibt sich, daß die Klägerin nicht hilflos im Sinne der erwähnten Vorschriften ist, weil sie zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, wie zum An- und Auskleiden, zum Waschen, Essen und Trinken, zum Verrichten der Notdurft sowie zur notwendigen körperlichen Bewegung weder ganz noch in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf. Zu diesen Verrichtungen muß für sie auch nicht ständig eine Hilfskraft in Bereitschaft sein. Der Leidenszustand der Klägerin rechtfertigt also nach den Feststellungen des LSG nicht, sie als hilflos anzusehen. Dies ist um so weniger gerechtfertigt, als das LSG festgestellt hat, daß die Klägerin nach den Anfällen nicht nur in der Lage ist, für sich selbst vollständig zu sorgen, sondern auch ihre im Haushalt anfallenden Arbeiten zu erledigen. Ein Anspruch auf Pflegezulage steht der Klägerin demnach nicht zu.
Die Auslegung des § 31 RVG und des § 35 BVG durch das LSG, wonach auch dann Hilflosigkeit anzunehmen ist, wenn der Beschädigte wegen der bei ihm im Zusammenhang mit den anerkannten Schädigungsfolgen auftretenden Anfälle Gefahr läuft, weitere Gesundheitsstörungen zu erleiden, findet weder in der früheren Rechtsprechung des RVG noch etwa im Gesetz eine Stütze. Der Hinweis des LSG auf die Entscheidung des früheren Reichsversorgungsgerichts in Bd. 2, 207 geht fehl. Das RVersG hat darin nur zum Ausdruck gebracht, daß Hilflosigkeit im Sinne des § 31 RVG auch dann besteht, wenn der Gesundheitszustand des Beschädigten zwar nicht ständig Hilfeleistungen, jedoch die ständige Bereitschaft einer Pflegeperson erfordert, um jederzeit eingreifen zu können. Mit dem vom LSG aus der Begründung dieser Entscheidung angeführten, aber aus seinem Zusammenhang gelösten Halbsatz "um das Schlimmste vom Kranken abzuwenden" hat das RVersG nicht etwa, wie das LSG anzunehmen scheint, ein besonderes Tatbestandsmerkmal des Begriffs "Hilflosigkeit" umschreiben wollen. Es hat mit dieser Bemerkung in seiner Entscheidung, der im übrigen ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde liegt, nur allgemein umrissen, welche Aufgaben in jenem Fall von der Pflegeperson zu erfüllen waren, und hat deshalb nicht näher begründet, bei welchen Verrichtungen und zu welchen Hilfeleistungen ständig eine Pflegeperson bereit sein müßte. In jener Entscheidung ist vornehmlich der Grundsatz hervorgehoben, daß schon dann eine Hilflosigkeit vorliegt, wenn der Leidenszustand des Beschädigten auch nur die ständige Bereitschaft einer Pflegeperson erfordert. Nach diesem Grundsatz hat das Reichsversorgungsgericht in dem von ihm zu entscheidenden Fall das Vorliegen einer Hilflosigkeit angenommen, weil der anhaltende Leidenszustand des Beschädigten mit seinen ständigen Beschwerden (Atemnot und Luftknappheit) die ständige Bereitschaft einer Pflegeperson "zur Pflege und Wartung" des Beschädigten erforderte. Somit lassen weder der Sachverhalt noch die Gründe der Entscheidung die Auffassung zu, daß danach auch die Klägerin als hilflos anzusehen wäre, die zwar an besonders heftigen Anfällen leidet, jedoch kurze Zeit nach den Anfällen wieder in jeder Beziehung für sich selbst sorgen kann.
Auch mit dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes läßt es sich nicht vereinbaren, eine Hilflosigkeit lediglich deswegen anzunehmen, weil der Beschädigte wegen der anerkannten Schädigung Gefahr läuft, bei gelegentlichen Anfällen Schaden zu erleiden. Nach dem derzeitigen Wortlaut des § 35 BVG nF und gleicherweise nach der Rechtsprechung zu dem früheren § 31 RVG und § 35 BVG aF ist Voraussetzung der Hilflosigkeit, daß der Beschädigte die fremde Hilfe "für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" bedarf. Das trifft aber nicht zu, wenn die fremde Hilfe lediglich zur Abwehr möglicherweise eintretender Gefahren benötigt wird. Daß etwa ein derartiger Sinn und Zweck den Vorschriften über die Gewährung der Pflegezulage zugrunde liegt, ist weder aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschriften zu erkennen noch ist dies jemals von den bekannten Interpreten des Gesetzes behauptet oder in der maßgeblichen Rechtsprechung geäußert worden (vgl. Protokolle über "Die Verhandlung des 26. Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestages über das Bundesversorgungsgesetz" Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, S. 38 C, 139 C und 142 C; Ausführungsbestimmungen zu § 31 RVG; Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG; Arendts, Reichsversorgungsgesetze 2. Aufl., Erl. zu § 31 RVG; Nielson, Reichsversorgungsrecht und Fürsorgerecht, Bd. II, Bemerkungen zu § 31 RVG; van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV. Teil, S. 139 ff; Wilke, Bundesversorgungsgesetz, Komm., Anm. II zu § 35 BVG; Schieckel, Bundesversorgungsgesetz, Anm. 2 und 3 zu § 35 BVG; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Versorgungsrechts, Erl. zu § 35 BVG; Roeckner/Bluschke, Bundesversorgungsgesetz, Erl. zu § 35 BVG; aA lediglich Scholmann in KOV 1960 S. 149 unter Berufung auf Wortlaut und Sinn des § 35, jedoch ohne nähere Begründung). Aus dem gesamten Schrifttum geht immer nur der mit der Pflegezulage verbundene Sinn und Zweck hervor, daß dem Beschädigten durch die Pflegezulage ermöglicht werden soll, sich fremder Hilfe für die gewöhnlichen und regelmäßigen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens zu bedienen, also vornehmlich zum Aufstehen, An- und Auskleiden, zur Nahrungsaufnahme und zur Verrichtung der Notdurft und zur notwendigen täglichen Erholung. Ist aber nach dem Wortlaut wie nach dem Sinn des Gesetzes der mit der Pflegezulage beabsichtigte Zweck eindeutig begrenzt, so fehlt es auch an der Voraussetzung dafür, etwa im Wege der Lückenausfüllung einem Beschädigten, der begrifflich nicht hilflos ist, die Pflegezulage auch dann zu gewähren, wenn damit lediglich eine künftig mögliche Gefahr von ihm abgewendet werden soll.
Auch aus dem Gesichtspunkt des dem BVG allgemein zugrunde liegenden Gedankens der "Entschädigung" läßt sich die Gewährung der Pflegezulage im vorliegenden Falle nicht rechtfertigen. Entschädigt oder geheilt werden kann allgemein wie auch nach den Vorschriften des BVG immer nur ein bereits eingetretener Schaden, nicht aber ein Schaden, der noch gar nicht Wirklichkeit geworden ist und dessen Eintritt und Umfang auch in der Zukunft ungewiß ist. Das muß für die Pflegezulage wie für alle anderen Versorgungsleistungen gleicherweise gelten. Würde die Pflegezulage zu dem Zweck gewährt werden, um zukünftig mögliche weitere Schäden abzuwenden, so würde sie zu einer "Gefährdungszulage" gestaltet und damit ihrem Sinn und Zweck völlig entfremdet werden. Sie müßte dann letztlich auch unbegrenzt zahlreichen Beschädigten zustehen, denn bis zu einem gewissen Grade führen viele Gesundheitsstörungen zu einer erhöhten Gefährdung des Beschädigten im Vergleich zu der Gefährdung, welcher auch gesunden Menschen unter gleichen Umständen unterliegen würden.
Unter den Beschädigten, die durch ihre anerkannte Gesundheitsstörung gefährdet sind, bilden die Anfallgefährdeten auch keine Ausnahme, denn einer gleich schweren Gefährdung, durch Sturz zu Fall zu kommen und Schaden zu nehmen, sind viele Beinamputierte sowie Herz- und Kreislaufgeschädigte und Gleichgewichtsgestörte ausgesetzt. Den Anfallgeschädigten durch Gewährung einer Pflegezulage eine bevorzugte Stellung gegenüber anderen Geschädigten einzuräumen, würde demnach auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) verstoßen. Dem kann nicht etwa entgegengehalten werden, daß bereits den Hirnverletzten in § 35 Abs. 1 Satz 4 BVG eine Ausnahmestellung eingeräumt worden sei. Abgesehen davon, daß diese Vorschrift von Hirnbeschädigten und nicht von Anfallgeschädigten spricht, würde selbst dann, wenn das Gesetz etwa mit dieser Vorschrift den anfallgeschädigten Hirnverletzten eine Pflegezulage ausnahmsweise trotz Nichtbestehens einer Hilflosigkeit hat zubilligen wollen, noch kein rechtlicher Anlaß bestehen, nun auch in anderen Fällen Hirnbeschädigten, die noch nicht erwerbsunfähig sind, ebenfalls die Pflegezulage trotz Nichtvorliegens von Hilflosigkeit zu gewähren. Es kann deshalb unerörtert bleiben, ob überhaupt mit der erwähnten Vorschrift den erwerbsunfähigen Hirnverletzten ausnahmsweise trotz Nichtvorliegens einer Hilflosigkeit eine Pflegezulage gewährt wird, oder ob mit dieser Vorschrift nicht vielmehr die Pflegezulage deshalb gewährt wird, weil erfahrungsgemäß erwerbsunfähige Hirnverletzte immer hilflos sind, so daß lediglich eine Hilflosigkeit fingiert wird, um unnötige Verwaltungsarbeit zu ersparen, und sich somit die erwähnte Vorschrift gar nicht als Ausnahmevorschrift vom Prinzip der Hilflosigkeit als Voraussetzung für die Gewährung der Pflegezulage darstellt.
Der Senat verkennt nicht, daß die eindeutige gesetzliche Regelung, an die er gebunden ist, und die eine Gewährung der Pflegezulage zur Unfallverhütung nicht zuläßt, im Einzelfalle vielleicht zu einer Härte führen kann. Es ist jedoch in einem solchen Falle nicht seine, sondern des Gesetzgebers Aufgabe, Ansprüche zu gewähren, falls sie ihm gerechtfertigt erscheinen sollten.
Es muß auch dahinstehen, ob die bei gewissen Gesundheitsstörungen dadurch entstehenden Härten, daß eine besondere Leistung zur Gefahrenabwehr nicht gewährt werden kann, etwa weitgehend ihre versorgungsrechtliche Berücksichtigung in der Bewertung der Höhe der MdE finden kann, und ob dies im vorliegenden Fall bei der Bewertung der MdE der Klägerin bereits geschehen ist, denn die Klägerin begehrt nicht die Erhöhung der MdE, sondern eine Pflegezulage. Auch für diese Versorgungsleistung kann, wenn im Einzelfall aus der Anwendung der Vorschrift des § 35 BVG etwa besondere Härten entstehen sollten, unter den im § 89 BVG genannten Voraussetzungen ein Ausgleich gewährt werden. Der Klägerin bleibt offen, die Gewährung der Pflegezulage im Härteausgleich anzustreben, die ihr in Anwendung des § 31 RVG und § 35 BVG nF jedenfalls nicht gewährt werden kann.
Da das LSG mit der Gewährung der Pflegezulage an die Klägerin die genannten Vorschriften verletzt hat, ist die Revision des Beklagten begründet. Das angefochtene Urteil war somit abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Versorgungsgerichts für das Saarland vom 22. November 1956 in vollem Umfange zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen