Leitsatz (amtlich)

1. Eine Beziehung zur Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes iS des AFG § 36 hat die Teilnahme eines Selbständigen an einer Bildungsmaßnahme, wenn dieser aufgrund der damit erworbenen höheren Qualifikation neue Arbeitsplätze, insbesondere Lehrstellen, schaffen will oder wenn er wegen der Gefahr, dem Arbeitsmarkt wieder zur Last zu fallen, seine Chancen als zukünftiger Arbeitnehmer verbessern will (Anschluß an BSG 1974-12-17 7 RAr 17/73 = SozR 4100 § 42 Nr 5).

2. Durch AFG § 43 Abs 2 wird die Förderung der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen nur dann ausgeschlossen, wenn der Lehrgang (die Maßnahme) den Interessen eines Betriebes oder Verbandes dient, nicht aber schon dann, wenn lediglich der Teilnehmer mit der Teilnahme Interessen eines Betriebes verfolgt (Anschluß an BSG 1974-12-17 7 RAr 17/73 = SozR 4100 § 42 Nr 5).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die technische Entwicklung und das Veralten des Fachwissens reichen allein nicht aus, um die Förderung der Fortbildung eines Selbständigen nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheinen zu lassen.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 43 Abs. 2 Fassung: 1969-06-25, § 51 S. 1 Alt. 2 Fassung: 1969-06-25, § 51 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1969-06-25, § 36 Fassung: 1969-06-25, § 2 Nr. 3 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 8 Fassung: 1969-12-18

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. Februar 1974 und das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. November 1971 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger ist selbständiger Radio- und Fernsehtechnikermeister. Er begehrt die Förderung eines Lehrgangs für Digitalelektronik, den er besucht hat, um in seinem Handwerk wettbewerbsfähig zu bleiben.

Der Kläger war mehrere Jahre als Arbeitnehmer tätig. Seit 1968 betreibt er als Selbständiger eine Reparaturwerkstatt und ein Handelsgeschäft für Radio- und Fernsehgeräte. In der Zeit vom 24. November 1970 bis 29. Juni 1971 nahm er an einem Lehrgang für Elektrotechnik und Elektronik mit Teilzeitunterricht in der Bundesfachschule für Büromaschinen bei der Handwerkskammer H (wöchentlich zwei Unterrichtsstunden) teil und legte die Abschlußprüfung ab. Der Lehrgang war nicht besonders auf die Elektronik von Büromaschinen zugeschnitten. Gegenstand des in dieser Form bundeseinheitlich durchgeführten Unterrichts war vielmehr allgemeine Digitalelektronik, wie sie unter anderem auch in modernen Fernsehgeräten verwendet wird.

Der Antrag des Klägers auf Förderung seiner Teilnahme an diesem Lehrgang wurde abgelehnt (Bescheid vom 19. März 1971, Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1971). Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Lübeck vom 4. November 1971). Die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht - LSG - durch Urteil vom 12. Februar 1974 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das LSG ausgeführt, daß Ansprüche nach § 42 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch selbständig Erwerbstätigen zustehen. Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 AFG, die die Förderung für solche Maßnahmen ausschließe, die den Interessen eines Betriebes oder Verbandes dienen, stehe hier nicht entgegen.

Entscheidend sei nach dieser Regelung, ob die Maßnahme als solche, d. h. die vom Maßnahmeträger angebotene Fortbildungsveranstaltung auf die Zwecke eines Betriebes oder Verbandes ausgerichtet sei. Aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem systematischen Zusammenhang mit der institutionellen Förderung nach § 51 AFG ergebe sich, daß in § 43 Abs. 2 AFG Eigenschaften des besuchten Lehrgangs geregelt seien. Es komme somit nicht darauf an, ob der einzelne Teilnehmer einen Lehrgang im Interesse seines Betriebes besuche. Das LSG hält die Förderung auch i. S. von § 36 AFG in Verbindung mit § 8 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18.12.1969 (AFuU 1969) für zweckmäßig.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 1 bis 3, 36, 43 Abs. 2 AFG und der §§ 4 und 8 AFuU 1969.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Förderung des von ihm besuchten Lehrgangs der Bundesfachschule für Büromaschinen bei der Handwerkskammer H.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß nach § 42 AFG auch Selbständige einen Anspruch auf Förderung nach dem AFG haben können. Zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis gehören nach dieser Vorschrift alle diejenigen Personen, die eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt haben, ohne Rücksicht darauf, ob sie sie noch ausüben oder in Zukunft ausüben wollen (BSG SozR 4100 § 42 Nr. 5). Ob auch eine geringfügige Beitragsleistung als Anspruchsvoraussetzung ausreicht, kann hier dahinstehen, da der Kläger vor Eröffnung seines Handwerksbetriebes mehrere Jahre als beitragspflichtiger Arbeitnehmer tätig gewesen ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert die Förderung auch nicht an § 43 Abs. 2 AFG. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf die in § 41 Abs. 1 AFG bezeichneten Fortbildungsmaßnahmen, also Lehrveranstaltungen. Sie regelt, welche Voraussetzungen eine Lehrveranstaltung erfüllen muß, damit die Teilnahme eines Bewerbers an dieser Veranstaltung nach dem AFG gefördert werden kann (BSG SozR 4100 § 42 Nr. 5 S. 20). Der erkennende Senat sieht auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten hier vorgetragenen Argumente keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Der Bezug auf den Charakter der Lehrveranstaltung als solcher ergibt sich bereits aus Wortlaut und grammatikalischer Gestaltung des § 43 Abs. 2 AFG. Der Relativsatz ist in der Mehrzahl gefaßt und kann sich deshalb nur auf "Maßnahmen", nicht aber auf "die Teilnahme" beziehen. Es trifft allerdings zu, daß der Maßnahmebegriff im AFG nicht überall einheitlich verwendet wird. Es sind deshalb stets besonders die systematischen Zusammenhänge, der objektive Zweck des Gesetzes und die Motive zu beachten. Bereits die Motive vermögen aber die Auffassung der Beklagten nicht zu stützen. Dort heißt es (zu Drucksache V/4110 S. 9, zu § 42 Abs. 4): Nach der Auffassung des Ausschusses (für Arbeit) solle "die Förderung verbands- und betriebsinterner Maßnahmen wie bisher grundsätzlich ausgeschlossen sein. Derartige Maßnahmen sollten "im allgemeinen von den Firmen und Verbänden selbst finanziert werden". Die neue Vorschrift solle "dazu beitragen, daß eine Verlagerung der Leistungen zur Förderung der Fortbildung von der Wirtschaft auf die Bundesanstalt soweit wie möglich verhindert wird". Der erste Satz dieser Begründung weist deutlich aus, daß hier nur die "Lehrgänge" gemeint sein können. Die "Teilnahme" eines Betriebsangehörigen an einer von einem anderen Träger veranstalteten jedem zugängliche Bildungsmaßnahme kann nämlich nicht als verbands- oder betriebsinterne Maßnahme bezeichnet werden.

In Anwendung dieser Grundsätze steht § 43 Abs. 2 AFG der Förderung des vom Kläger besuchten Lehrgangs nicht entgegen. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der von der Bundesfachschule für Büromaschinen bei der Handwerkskammer Hamburg veranstaltete Lehrgang für Digitalelektronik allein den Interessen eines Betriebes oder Verbandes diente.

Die Teilnahme des Klägers an der besuchten Bildungsmaßnahme erfüllt jedoch - wie die Revision mit Recht rügt - nicht die Voraussetzungen des § 36 AFG. Nach dieser Vorschrift dürfen Leistungen zur individuellen Förderung der beruflichen Bildung, zu der auch die Förderung der beruflichen Fortbildung gehört, unter anderem nur gewährt werden, wenn die Förderung unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint. An der Zweckmäßigkeit i. S. des § 36 AFG kann es - unabhängig von den Besonderheiten der angestrebten Bildungsmaßnahme - schon deshalb fehlen, weil der Bildungswillige nach seiner Stellung im Erwerbsleben zu einer Personengruppe gehört, deren berufliche (Weiter-) Bildung keine Beziehung zum Arbeitsmarkt hat. Arbeitsmarkt i. S. des § 36 AFG ist der Markt, auf dem die Arbeitskraft für eine abhängige Stellung angeboten und auf dem diese nachgefragt wird (BSG SozR 4100 § 42 Nr. 5 S. 14 mwN). Das AFG dient vornehmlich der Förderung und Sicherheit der Arbeitnehmer im Arbeitsleben. Das ergibt sich zum einen aus den §§ 1 und 2 AFG, zum anderen aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Nach § 1 AFG soll ein hoher Beschäftigungsgrad erzielt und aufrechterhalten und die Beschäftigungsstruktur verbessert werden. Erst als deren Folge will das AFG das Wachstum der Wirtschaft fördern. Mit dem Ziel, einen hohen Beschäftigungsgrad zu erreichen und die Beschäftigungsstruktur zu verbessern, ist erkennbar an die Lage der Arbeitnehmer gedacht. Das ergibt sich auch aus der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des AFG (BT-Drucks. V/2291 S. 53 unter III Nr. 1 Abs. 1, 3 und 3). Das AFG läßt allerdings erkennen, daß auch Selbständige nicht völlig von der Förderung ausgenommen werden sollen (s. § 42 AFG). Eine Förderung soll indessen auch dann nur eingreifen, wenn das damit verfolgte Ziel für den Arbeitsmarkt von Bedeutung ist. Für den Arbeitsmarkt bedeutsame und daher förderungswürdige Bildungsmaßnahmen können insbesondere dann vorliegen, wenn der Selbständige an der Bildungsmaßnahme teilnimmt, um (durch Fortbildung) aufgrund erhöhter Qualifikation in die Lage versetzt zu werden, Arbeitsplätze (für abhängige Beschäftigte) neu zu schaffen oder zu erhalten, z. B. auch durch Einrichtung neuer Lehrstellen. Förderungswürdig kann auch die Teilnahme eines Selbständigen an einer Bildungsmaßnahme sein, wenn er auf den Arbeitsmarkt zurückkehren will oder wenn der Selbständige einer akuten Gefahr ausgesetzt ist, dem Arbeitsmarkt wieder zur Last zu fallen (BSG SozR 4100 § 42 Nr. 5 S. 13 bis 15). Die technische Entwicklung und das Veralten des Fachwissens allein sind jedoch keine auszureichenden Gründe für die Förderung der Fortbildung eines Selbständigen. Wenn es regelmäßig die eigene Aufgabe der Selbständigen ist, ihr Wissen der Entwicklung ihres Fachgebietes anzupassen und die Beklagte grundsätzlich nicht die Aufgabe hat, außer den Arbeitnehmer auch noch diesen Personenkreis bei seinen Fortbildungsbemühungen zu fördern, kann die Gefahr, durch Veralten des Fachwissens in Zukunft nicht mehr konkurrenzfähig zu sein und evtl. wieder eine abhängige Arbeit aufnehmen zu müssen, allein noch nicht als Grund für eine Förderung von Fortbildungsbemühungen ausreichen. Die Förderung kann in solchen Fällen erst dann einsetzen, wenn der selbständig Tätige sich wegen der zurückgegangenen Konkurrenzfähigkeit entschließt, seine Arbeitskraft für eine abhängige Arbeit auf dem Arbeitsmarkt anzubieten.

Keine der danach maßgeblichen Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall gegeben. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger beabsichtigte, seinen Handwerksbetrieb fortzuführen. Anhaltspunkte dafür, daß für den Kläger die Gefahr besteht, den Betrieb schließen und auf den Arbeitsmarkt zurückkehren zu müssen, sind nicht ersichtlich. Es ist auch kein Anhalt dafür vorhanden, daß der Lehrgang besucht wurde, um neue Arbeitsplätze oder Lehrstellen zu schaffen.

Nach allem fehlt es somit an einer wesentlichen Voraussetzung für den Förderungsanspruch. Die Revision der Beklagten muß deshalb Erfolg haben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647746

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