Leitsatz (amtlich)

Die Ausbildungslehrgänge für Seelotsen sind auf die Zwecke eines Verbandes iS des AFG § 43 Abs 2, nämlich der Lotsenbruderschaft, ausgerichtet.

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch ein Lehrgang, der der Einweisung in ein neues Arbeitsgebiet dient, entspricht dem Ziel der Fortbildung, die beruflichen Kenntnisse zu erweitern.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 43 Abs. 2 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1969-12-18; SeelotG § 32

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. April 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Anspruch auf Förderung der Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung besteht, wenn damit das Ziel verbunden wird, anschließend in eine selbständige Tätigkeit (hier Seelotse) überzuwechseln.

Der Kläger besitzt das Kapitänspatent für Große Fahrt und war in den Jahren von 1964 bis 1970 als Kapitän in Bordstellungen tätig. In der Zeit vom 4. Januar bis 30. Juni 1971 besuchte er einen Lehrgang der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K mit dem Ziel der Ausbildung zum Seelotsen für das Revier "NO-Kanal II/K Förde/T". Die Tätigkeit als Seelotse wird nicht in abhängiger Stellung, sondern ausschließlich als freier Beruf ausgeführt.

Sein Antrag auf Förderung des Lehrgangsbesuchs wurde abgelehnt (Bescheid vom 17. Mai 1971, Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1971). Der hiergegen gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck durch Urteil vom 6. Oktober 1972 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert (Urteil vom 2. April 1974). Das LSG hat dazu ausgeführt: Die Ausbildung zum Seelotsen sei für den Kläger eine Fortbildung im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Eine Förderung der Teilnahme sei jedoch nicht zweckmäßig im Sinne des § 36 AFG. Es sei weder substantiiert vorgetragen noch aufgrund der Bekundungen eines in erster Instanz gehörten Sachverständigen ersichtlich, daß sich - abgesehen von vorübergehenden konjunkturellen Schwankungen und besonderen Verhältnissen bei einzelnen Reedereien - eine allgemeine Entwicklung abzeichne, die zu einer andauernden Freisetzung von in der Seeschiffahrt beschäftigten Kapitänen auf Großer Fahrt führen würde. Es bestehe demnach kein arbeitsmarktpolitisches Bedürfnis, fördernd einzuwirken. Ebensowenig sei ein solches Bedürfnis aus der Situation der Seelotsen herzuleiten. Die Tätigkeit der Angehörigen dieses Berufszweiges habe keinen unmittelbaren Einfluß auf den Arbeitsmarkt. Der Seelotse übe seine Tätigkeit nach § 25 Abs. 1 des Gesetzes über das Seelotsenwesen vom 13. Oktober 1954 - SLG - (BGBl II 1035) als einen freien nicht gewerblichen Beruf aus. Er suche weder einen Arbeitsplatz noch habe er Arbeitsplätze zu vergeben. Er trete also auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht in Erscheinung. Auch mittelbar habe die Fortbildung zum Seelotsen keinen Einfluß auf den Arbeitsmarkt. Dies könne höchstens dann der Fall sein, wenn durch einen Mangel an Seelotsen Arbeitsplätze in der Seeschiffahrt verlorengingen oder bedroht seien. Das sei jedoch - jedenfalls für das in Rede stehende Revier - nicht so. Nach einer Auskunft der Wasser- und Schiffahrtsdirektion K habe der Bedarf an Seelotsen bisher gedeckt werden können. Es sei auch weiterhin angesichts der Anziehungskraft des Lotsenberufes mit einer ausreichenden Zahl an Bewerbern zu rechnen. Schließlich sei auch kein sozialpolitisches Bedürfnis im Sinne des § 8 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 (AFuU 1969) für eine Förderung zu erkennen. Das sozialpolitische Bedürfnis nach Sicherung und Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit (§ 2 Nr. 2 AFG) ende dort, wo ein hinreichendes Maß an beruflicher Beweglichkeit und Sicherheit erreicht sei. Es genüge also nicht, wenn die in Frage stehende berufliche Bildung lediglich nützlich und wünschenswert sei. Es genüge auch nicht, daß lediglich ein privates Interesse an der beruflichen Bildung bestehe. Vielmehr müsse eine Mangelsituation vorliegen, die so geartet sei, daß sie öffentliche Interessen berühre und ihre Beseitigung als Gemeinschaftsaufgabe anzusehen sei. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, wenn ein Erwerbstätiger sich - wie der Kläger - in einer gut dotierten und verhältnismäßig sicheren Stellung befinde und lediglich weiter aufsteigen und eine zusätzliche Sicherung und Verbesserung seiner beruflichen Beweglichkeit erreichen wolle.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das LSG (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und die Verkennung der Zweckmäßigkeit der Förderung im Sinne des § 36 AFG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Förderung der Teilnahme an dem von ihm besuchten Ausbildungslehrgang zum Seelotsen als berufliche Bildungsmaßnahme (§§ 41 ff AFG) nicht zu.

Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß die zusätzliche Vermittlung der Kenntnisse, die der Kläger für den Beruf des Seelotsen benötigt, für ihn eine Fortbildung (§ 41 Abs. 1 AFG) bedeutet. Auch im Beruf des Seelotsen bleiben seine Kenntnisse und Fertigkeiten, die er in seinem bisherigen Beruf als Kapitän eines Seeschiffes benötigte, die wesentliche Grundlage.

Der Lotsenlehrgang ist auch inhaltlich ein Fortbildungslehrgang. Dabei ist unerheblich, ob dort überwiegend Kenntnisse über die Besonderheiten der Schiffahrtswege des Reviers vermittelt werden. Auch ein Lehrgang, der der Einweisung in ein neues Arbeitsgebiet dient, entspricht dem Ziel der Fortbildung, die beruflichen Kenntnisse zu erweitern. Der Maßnahme wird der Charakter einer Fortbildungsveranstaltung auch nicht dadurch genommen, daß die vermittelten Kenntnisse möglicherweise nur in einem örtlich, sachlich oder zeitlich begrenzten Rahmen verwendbar sind.

Ebensowenig wird der Anspruch auf Förderung dadurch beeinträchtigt, daß der Kläger bereits eine weitgehend gesicherte Lebensstellung erreicht hat, die ihm ein gehobenes Einkommen vermittelt. Eine derartige Begrenzung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Dennoch hat das LSG die begehrte Förderung mit Recht abgelehnt. Eine Förderung der Teilnahme an dem als Fortbildungsmaßnahme einzustufenden Seelotsenlehrgang steht nämlich § 43 Abs. 2 AFG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Teilnahme an Maßnahmen, die auf die Zwecke eines Betriebes oder Verbandes ausgerichtet sind, grundsätzlich von der Förderung ausgeschlossen. Eine Förderung kommt nur in Betracht, wenn dafür ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse vorhanden ist.

"Betrieb" oder "Verband" im Sinne von § 43 Abs. 2 AFG ist jede Einrichtung, die überhaupt als Zweckträger für Fortbildungsmaßnahmen in Betracht kommen kann (BSGE 37, 172, 173/74). Es kann deshalb dahinstehen, ob hier die Lotsenbruderschaft oder die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung als Aufgabenträger anzusehen sind. In jedem Fall handelt es sich um Institutionen, die als Träger sachlicher Verwaltungsaufgaben und zu deren Sicherstellung eingerichteter Fortbildungsmaßnahmen in Betracht kommen.

Unter "Zwecke" i. S. des § 43 Abs. 2 AFG ist nichts anderes als "Interessen" zu verstehen. Dabei muß sich die Interessengebundenheit unmittelbar auf die Fortbildung selbst beziehen. Ob eine Fortbildungsmaßnahme auf die Interessen eines Betriebes oder Verbandes "ausgerichtet" ist, ergibt sich, wie der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits mehrfach entschieden hat (BSGE 37, 172, 175; BSG SozR 4100 § 43 Nr. 8 und Nr. 10), aus der Auswahl des Teilnehmerkreises, dem Inhalt der Schulung und dem besonderen Ausbildungsziel. Ein starkes Indiz für die Interessengebundenheit sind die Trägerschaft und etwaige finanziellen Hilfen für die Teilnehmer (BSG, Urteil vom 6. März 1975 - 7 RAr 66/72 - insoweit nicht veröffentlicht). Schließlich ist zu berücksichtigen, inwieweit die Förderung der Aus- und Fortbildung dem betreffenden "Betrieb oder Verband" als Aufgabe übertragen und bisher schon von ihm wahrgenommen worden ist (BSG SozR 4100 § 43 Nr. 10). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung ausdrücklich an. Ausgehend von den - insoweit unangefochtenen - Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Lehrgang, an dem der Kläger teilgenommen hat, als interessengebundene Maßnahme im Sinne des § 43 Abs. 2 AFG anzusehen. Hinsichtlich der Auswahl des Teilnehmerkreises ist es nicht von Bedeutung, daß der Zugang zu diesen Lehrgängen, der Natur der Sache nach, nicht auf Bedienstete bestimmter öffentlicher Arbeitgeber beschränkt ist. Gerade in den Fällen, in denen ein Betrieb oder Verband freie Stellen, deren Besetzung eine bestimmte Qualifikation des Stelleninhabers erfordert, nicht mit eigenen Bediensteten besetzen kann, ist es zwangsläufig, daß Außenstehende für die Bildungsmaßnahme herangezogen werden. Vorliegend wird die Interessengebundenheit dadurch besonders deutlich, daß die Absolventen der Lehrgänge ausschließlich für eine Tätigkeit im Rahmen der betreffenden Lotsenbruderschaft bzw. in einem bestimmten Bezirk der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung tätig werden sollen und auch nur in dem Umfang herangezogen und ausgebildet werden, wie freiwerdende Stellen für Lotsen zu besetzen sind. Daß auch der Inhalt der Schulung ausschließlich auf die Bedürfnisse des betreffenden Reviers zugeschnitten ist, ergibt sich schon aus dem Ausbildungsziel. Es handelt sich nämlich um einen Lehrgang mit dem Ziel der Bestallung zum Lotsen für ein bestimmtes Revier. Angestrebt wird also eine Qualifikation, die ausschließlich im Bereich der betreffenden Lotsenbruderschaft und der zuständigen Wasser- und Schiffahrtsverwaltung Bedeutung haben kann. Die schon aus diesen Merkmalen abzuleitende enge Interessenbindung des Lehrgangs wird zusätzlich dadurch verdeutlicht, daß die Förderung der Aus- und Fortbildung von Seelotsen in § 32 Abs. 1 Nr. 2 SLG der Lotsenbruderschaft ausdrücklich als gesetzliche Aufgabe übertragen worden ist. Es entspricht dem gesetzgeberischen Ziel des § 43 Abs. 2 AFG, die Beklagte von den bisher zumutbarerweise von anderen Stellen übernommenen Belastungen freizuhalten (vgl. BT-Drucks. V/4110, S. 9). Dies gilt insbesondere in einem Bereich, wo es nicht um die Heranbildung von Arbeitskräften geht, sondern um die ausreichende Versorgung eines Wirtschaftsbereichs mit selbständig Erwerbstätigen.

Die Einstufung des vom Kläger besuchten Lehrgangs als interessengebundene Maßnahme hat zur Folge, daß der Kläger gemäß § 43 Abs. 2 AFG eine Förderung für den Lehrgangsbesuch nur dann beanspruchen kann, wenn ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse für seine Teilnahme an der Maßnahme besteht. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. In § 4 AFuU 1969 sind drei Fälle benannt, in denen ein solches arbeitsmarktpolitisches Interesse zu bejahen ist. Danach liegt ein solches Interesse insbesondere vor, wenn es an Fachkräften fehlt, die für die Sicherung oder die Besetzung anderer Arbeitsplätze notwendig sind (§ 4 Nr. 1 AFuU). Diese Alternative kommt hier nicht in Betracht. Das LSG hat festgestellt, daß eine Gefährdung von Arbeitsplätzen in der Schiffahrt durch einen Mangel an Lotsen nicht zu besorgen ist. Durchgreifende Verfahrensrügen sind hiergegen nicht erhoben worden. § 4 Nr. 2 AFuU 1969, wonach ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht, wenn Arbeitskräfte für erwünschte Betriebsansiedlungen oder Erweiterungen nicht oder nicht in ausreichender Zahl verfügbar sind, scheidet von vornherein aus, weil für einen solchen Fall keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Auch auf § 4 Nr. 3 AFuU 1969 kann sich der Kläger nicht stützen. Nach dieser Vorschrift kommt eine Förderung in Betracht, wenn Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung oder ein Mangel an Arbeitskräften auf andere Weise nicht verhütet oder beendet werden kann. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, daß der Lotsenlehrgang erforderlich war, um arbeitslose oder unterbeschäftigte Kapitäne unterzubringen.

Ob hierbei Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung nur allgemein angesprochen sind oder auch ganz speziell, die Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung des einzelnen Teilnehmers, kann dahinstehen. Das LSG hat nämlich unangegriffen festgestellt, daß sich der Kläger in "einer gut dotierten und weitgehend gesicherten Stellung" (als Kapitän) befand, als er sich entschloß, Seelotse zu werden.

Sonstige Anhaltspunkte für ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Förderung der Teilnahme des Klägers sind nicht ersichtlich.

Nach allem ist somit eine Förderung der Teilnahme des Klägers an dem Seelotsenlehrgang gemäß § 43 Abs. 2 AFG ausgeschlossen. Die Revision kann deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647764

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