Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorverlegung der Terminsstunde. rechtliches Gehör. absoluter Revisionsgrund. Gleichstellung von Beschäftigungszeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Im Ausland zurückgelegte Beschäftigungen von Personen, die Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl II 1953, 559) sind oder diese Rechtsstellung genießen (§ 3 Asylverfahrensgesetz), begründen den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 104 AFG) nicht schon deshalb, weil die vertragsschließenden Staaten nach dem Abkommen Flüchtlingen in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit dieselbe Behandlung wie eigenen Staatsangehörigen gewähren werden.

 

Orientierungssatz

1. Daraus, daß der Verstoß gegen § 110 SGG im allgemeinen den Anspruch auf das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) beeinträchtigt, kann ein absoluter Revisionsgrund im sozialgerichtlichen Verfahren nicht hergeleitet werden (vgl BSG 11.2.1982 11 RA 50/81 = BSGE 53, 83 = SozR 1500 § 124 Nr 7).

2. Der Rechtsgedanke des § 511 Nr 5 ZPO, der auf der Erwägung beruht, daß ein Verfahren gänzlich wertlos ist, wenn ein Beteiligter keine Möglichkeit hatte, sich an dem Verfahren zu beteiligen, kann jedenfalls dann, wenn ein Gericht eine Terminsstunde vorgezogen hat, nachdem der Prozeßbevollmächtigte des betroffenen Beteiligten mitgeteilt hat, zu dem angesetzten Termin nicht zu erscheinen, allenfalls dann Platz greifen, wenn gerade die Vorverlegung der Terminsstunde dazu geführt hat, daß für den Beteiligten niemand an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat; denn eine Verhandlung kann nicht gänzlich wertlos sein, wenn sie ordnungsgemäß gewesen wäre, wäre sie eine Stunde später mit den gleichen Anwesenden durchgeführt worden.

3. Die Vergünstigung des § 107 Abs 1 Nr 4 AFG ist auf Personen, die die Rechtsstellung nach dem Genfer Flüchtlingsabkommen haben, nicht anzuwenden.

 

Normenkette

AFG § 104 Abs 1 S 1, § 107 Abs 1 S 1 Nr 4; SGG §§ 62, 110 Abs 1; GG Art 103 Abs 1; ZPO § 551 Nr 5; AsylVfG § 3; SGG § 164 Abs 2 S 3; FlüAbk Art 24 Nr 1 Buchst b

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 18.01.1985; Aktenzeichen L 6 Ar 55/84)

SG Koblenz (Entscheidung vom 27.02.1984; Aktenzeichen S 4 Ar 23/83)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg).

Die 1952 und 1953 geborenen, miteinander verheirateten Kläger sind polnische Staatsangehörige und waren nach ihren Angaben von 1977 bzw 1978 bis Mai 1981 in Warschau als wissenschaftliche Assistenten beschäftigt. Im Juni 1981 gelangten sie in die Bundesrepublik Deutschland. Sie sind als Asylberechtigte anerkannt worden (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. September 1982). Ihr Aufenthaltsort ist seit September 1984 unbekannt.

Die Mitte September 1982 gestellten Anträge der Kläger auf Alg lehnte die Beklagte ab (Bescheide vom 16. November 1982, Widerspruchsbescheide vom 3. Januar 1983). Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 27. Februar 1984 unter Aufhebung der ergangenen Bescheide die Beklagte verurteilt, den Klägern ab 16. September 1982 Alg zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 18. Januar 1985).

Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt, daß es an der Erfüllung der Anwartschaftszeit fehle. Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung hätten die Kläger nicht zurückgelegt; die Beschäftigungen in Warschau begründeten keine Ansprüche auf Alg. Auf § 107 Abs 1 Nrn 3 und 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) könnten sich die Kläger nicht berufen. Sie seien keine Deutschen, seien nicht im Gebiet des Deutschen Reichs tätig gewesen und seien auch keine Vertriebenen, weil sie weder deutsche Staatsangehörige noch deutsche Volkszugehörige seien. Das Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAuslG) sei mangels der Voraussetzungen seines § 1 nicht anwendbar. Schließlich gebe es weder Verordnungen, wie sie die §§ 108 und 109 AFG vorsehen, noch ein Abkommen über Arbeitslosenversicherung mit Polen. Entgegen der Auffassung des SG seien die Beschäftigungen in Warschau mit inländischen beitragspflichtigen Beschäftigungen auch nicht nach dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FlüAbk) gleichzustellen. Es sei schon zweifelhaft, ob die Kläger Flüchtlinge im Sinne dieses Abkommens seien. Selbst wenn dies der Fall wäre, führe Art 24 Nr 1 Buchst b des Abkommens nicht zu der Gleichstellung. Dafür sei wesentlich, daß ein Flüchtling aufgrund des Abkommens nicht unmittelbar Leistungsansprüche gegen Versicherungsträger geltend machen könne. Das Abkommen solle zwar die weitgehende Gleichstellung mit Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährleisten, es enthalte jedoch keine weitergehenden Begünstigungsregelungen. Das Abkommen enthalte keine weitergehenden Anrechnungsmöglichkeiten, als sie nach den §§ 107 ff AFG gegeben seien. Anderenfalls würden die Kläger gegenüber inländischen Staatsangehörigen begünstigt.

Die Kläger rügen mit der Revision eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie des Art 24 FlüAbk. Sie tragen vor, der Verhandlungstermin vor dem LSG sei für den 18. Januar 1985, 12.30 Uhr, anberaumt gewesen. Das LSG habe die Verhandlung jedoch schon um 11.40 Uhr beendet, wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergebe. Zwar habe der Prozeßbevollmächtigte den Berichterstatter wissen lassen, daß er zu dem Termin nicht erscheinen werde. Damit sei aber nicht einer Verlegung des Verhandlungstermins zugestimmt worden; eine Terminswahrnehmung durch die Kläger sei nicht ausgeschlossen gewesen, zumal da deren Verbleib unbekannt gewesen sei. Wenn das LSG einen Anspruch der Kläger verneint habe, weil es auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland keine geeignete Abmachung gebe, übersehe es, daß die Bundesrepublik seit Abschluß der Genfer Konvention hierzu 34 Jahre Zeit gehabt habe. Das Unterlassen geeigneter Gleichstellungsmaßnahmen werde nach ähnlichen Kriterien zu beurteilen sein, wie sie für die Erfüllung von Regelungsaufträgen des Grundgesetzes nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gelten.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Kläger zurückzuweisen.

Sie nimmt auf das Urteil des LSG Bezug und macht weiter geltend, die Rechtsprechung des BVerfG zur Erfüllung von Regelungsaufträgen durch den Gesetzgeber lasse sich auf den Abschluß von Vereinbarungen mit fremden Staaten nicht übertragen. Eine Gleichstellung der in Warschau ausgeübten Beschäftigung nach § 107 Abs 1 Nr 4 AFG setze im übrigen voraus, daß die Kläger Vertriebene seien, die nach den §§ 9 - 12 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen könnten, was hier gerade nicht der Fall sei. Ebensowenig wie die in Warschau ausgeübte Beschäftigung eines Deutschen, der nicht Vertriebener sei, dem § 107 Abs 1 Nr 4 AFG unterfalle, könnten die Beschäftigungen der Kläger gleichgestellt werden.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist nicht begründet.

Die Rüge der Revision, daß das LSG die am Terminstag für die mündliche Verhandlung vorgesehene Terminsstunde von 12.30 Uhr nicht abgewartet, sondern die Verhandlung vorher begonnen und, wie in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vermerkt sei, diese schon um 11.40 Uhr beendet habe, hindert den Senat nicht, aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen in der Sache zu entscheiden; denn die Rüge erweist sich als unzulässig.

Träfe die Behauptung der Revision zu, daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger in dem wenige Tage vor dem Gerichtstermin mit dem Berichterstatter des Berufungsgerichts geführten Telefongespräch sich mit einer Vorverlegung der Terminsstunde nicht einverstanden erklärt hat, und sollte das LSG, was sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung allerdings nicht zweifelsfrei ergibt, nach vorgezogener Verhandlung der Sache durch Verkündung des Urteils sich der Möglichkeit begeben haben, bei Erscheinen der Kläger oder eines Bevollmächtigten zur angesetzten Terminsstunde um 12.30 Uhr die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, hätte das LSG allerdings aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, von der entgegen §§ 110 Abs 1, 153 Abs 1, 73 Abs 3 Satz 1 SGG die Prozeßbevollmächtigten der Kläger nicht unterrichtet worden sind. Indessen ist mit der Aufzeigung der Tatsachen, die, wenn sie zutreffen, einen Verfahrensverstoß ergeben, eine das Verfahren betreffende Revisionsrüge noch nicht ausreichend bezeichnet, wie dies nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich ist. Wird die Revision darauf gestützt, daß ein Verfahrensmangel gegeben sei, muß sich aus der Revisionsbegründung ergeben, daß das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruhen kann. Das ist zwar dann entbehrlich, wenn ein absoluter Revisionsgrund geltend gemacht wird, ein Grund also, bei dessen Vorliegen das Gesetz selbst die Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend ansieht. Ein solcher absoluter Revisionsgrund ist aber durch die behaupteten Tatsachen nicht dargetan worden.

Daraus, daß der Verstoß gegen § 110 SGG im allgemeinen den Anspruch auf das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) beeinträchtigt, kann ein absoluter Revisionsgrund im sozialgerichtlichen Verfahren nicht hergeleitet werden; denn die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist im Unterschied zu § 138 Nr 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 119 Nr 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) weder im SGG noch in der gemäß § 202 SGG entsprechend anwendbaren Zivilprozeßordnung (ZPO) unter den absoluten Revisionsgründen aufgeführt worden (BSG SozR 1500 § 160 Nr 31; BSGE 53, 83, 84 = SozR 1500 § 124 Nr 7).

Ebenso liegt kein Fall des § 551 Nr 5 ZPO vor. Nach dieser Vorschrift ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der § 551 Nr 5 ZPO entsprechenden Vorschrift des § 119 Nr 4 FGO ist ein Beteiligter allerdings schon dann nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten, wenn er zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen war und daher weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten an ihr teilgenommen hat (BFHE 104, 491; 114, 457). Das soll auch dann gelten, wenn ein (an sich ordnungsgemäß geladener) Beteiligter in der mündlichen Verhandlung deshalb unvertreten bleibt, weil sie zu einem Zeitpunkt durchgeführt wird, zu dem nicht geladen worden war (vgl BVerwGE 66, 311). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese zur VwGO und FGO entwickelte Rechtsprechung für das sozialgerichtliche Verfahren zu übernehmen ist (vgl dazu BSGE 53, 83, 85 = SozR 1500 § 124 Nr 7). Der Rechtsgedanke des § 511 Nr 5 ZPO, der auf der Erwägung beruht, daß ein Verfahren gänzlich wertlos ist, wenn ein Beteiligter keine Möglichkeit hatte, sich an dem Verfahren zu beteiligen, kann jedenfalls dann, wenn ein Gericht eine Terminsstunde vorgezogen hat, nachdem der Prozeßbevollmächtigte des betroffenen Beteiligten mitgeteilt hat, zu dem angesetzten Termin nicht zu erscheinen, allenfalls dann Platz greifen, wenn gerade die Vorverlegung der Terminsstunde dazu geführt hat, daß für den Beteiligten niemand an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat; denn eine Verhandlung kann nicht gänzlich wertlos sein, wenn sie ordnungsgemäß gewesen wäre, wäre sie eine Stunde später mit den gleichen Anwesenden durchgeführt worden. Ein absoluter Revisionsgrund in entsprechender Anwendung des § 551 Nr 5 ZPO käme daher allenfalls dann in Betracht, wenn die Kläger oder ein anderer Bevollmächtigter der Kläger an einer um 12.30 Uhr beginnenden Verhandlung teilgenommen hätten. Daß dies der Fall gewesen wäre, hat die Revision jedoch nicht geltend gemacht und ist nach der Sachlage praktisch ausgeschlossen, nachdem die Prozeßbevollmächtigten der Kläger den Termin nicht wahrnehmen wollten; denn die Kläger selbst haben von dem Termin vor dem LSG nicht unterrichtet werden können, weil im Zeitpunkt der Terminierung sowohl dem Berufungsgericht als auch den Prozeßbevollmächtigten ihr Aufenthalt unbekannt war.

Einen absoluten Revisionsgrund hat die Revision demnach nicht gerügt. Sie hätte daher darlegen müssen, inwieweit die Verneinung der Ansprüche auf Alg durch das LSG auf der Verletzung des § 110 SGG beruht. Das ist jedoch nicht geschehen.

Auch in der Sache gehen die Angriffe der Revision fehl.

Der Anspruch auf Alg setzt ua voraus, daß die Anwartschaftszeit erfüllt ist (§ 100 Abs 1 AFG). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre (§ 104 Abs 3 AFG) und geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (§ 104 Abs 2 AFG). Die Rahmenfrist lief, da die Kläger die übrigen Voraussetzungen auf Alg erst mit der Antragstellung am 16. September 1982 erfüllten, vom 16. September 1979 bis 15. September 1982. In dieser Zeit sind die Kläger nach den Feststellungen des LSG bis Mai 1981 in Warschau beschäftigt gewesen. Diese Beschäftigungen begründeten die Beitragspflicht nicht, denn die Beitragspflicht tritt grundsätzlich nur hinsichtlich der Beschäftigungen solcher Personen ein, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches (SGB) beschäftigt sind (§ 173a AFG, § 3 Nr 1 SGB 4). Vorschriften, nach denen Zeiten einer Beschäftigung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin Ansprüche auf Alg begründen, greifen im vorliegenden Falle nicht Platz.

Zeiten einer Beschäftigung, die wie die Beschäftigungen der Kläger in Warschau außerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 ausgeübt worden sind, stehen zwar einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich, wenn sie ein Vertriebener ausgeübt hat, der nach den §§ 9 bis 12 BVFG Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen kann (§ 107 Abs 1 Nr 4 AFG). Vertriebene im Sinne des BVFG sind die Kläger jedoch nicht. Vertriebener kann nur sein, wer den gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen (§ 1 Abs 1 BVFG) oder den Spätfolgen der Vertreibungsmaßnahmen (§ 1 Abs 2 Nr 3 BVFG) zum Opfer gefallen oder dem Vertreibungsschicksal durch Vorwegnahme der Vertreibung entgangen ist (§ 1 Abs 2 Nr 1 und 2 BVFG). Daher kann vom Schutzzweck des Gesetzes her Vertriebener nur sein, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger oder als Ehegatte eines deutschen Staatsangehörigen bzw eines deutschen Volkszugehörigen der Vertreibung ausgesetzt war oder ausgesetzt gewesen wäre. Letzteres war bei den Klägern nicht der Fall. Sie sind keine deutschen Staats- oder Volkszugehörige; sie sind dies auch nicht gewesen. Übrigens wären die Kläger auch dann keine Vertriebenen (Aussiedler, § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG), wenn sie deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige wären; denn sie haben ihre Heimat offenbar allein wegen der bekannten politischen Verhältnisse in Polen verlassen. Politische Gründe, die zum Verlassen des Vertreibungsgebietes geführt haben, stehen aber mit den Spätfolgen der Vertreibung, den Nachwirkungen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, in keinem Zusammenhang. Sie begründen auch bei Deutschen die Vertriebeneneigenschaft nicht (BVerwGE 52, 167, 177 = Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr 20; BVerwGE 55, 40 = Buchholz aaO Nr 21; Buchholz aaO Nr 25; BVerwGE 67, 13 = Buchholz aaO Nr 29).

In anderen Fällen sind Beschäftigungen außerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches in Polen mit beitragspflichtigen Beschäftigungen nach dem derzeit geltenden Recht nicht gleichgestellt. Nach § 108 AFG können zwar durch Rechtsverordnung Beschäftigungen, die im Ausland ausgeübt werden, mit Beschäftigungen gleichgestellt werden, die die Beitragspflicht begründen, wenn dies zur sozialen Sicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit im Inlande erforderlich ist. Regelungen dieser Art, die der Rechtsetzungsbefugnis des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zugewiesen worden sind, sind jedoch nicht erfolgt. Selbst wenn die Kläger in ihrer Heimat gegen Arbeitslosigkeit versichert gewesen sein sollten, was wegen Fehlens einer Arbeitslosenversicherung in der Volksrepublik Polen nicht der Fall gewesen sein dürfte, würde dies den Anspruch auf Alg nicht begründen. Ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, aufgrund dessen polnische Versicherungszeiten einen Anspruch auf Alg begründen können, gibt es nicht. Es gibt insoweit auch kein Verordnungsrecht. Bestimmungen, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer Versicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit, die im Ausland aufgrund einer ausländischen Gesetzgebung eingeführt ist, der Zugehörigkeit zur Arbeitslosenversicherung nach dem AFG gleichsteht, wie sie nach § 109 AFG möglich sind, hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nämlich bislang nicht getroffen.

Eine andere Rechtsfolge ergibt sich für die Kläger auch nicht aus dem Flüchtlingsrecht, wie das LSG zutreffend entschieden hat. Die Gleichstellung heimatloser Ausländer in der Arbeitslosenversicherung mit deutschen Staatsangehörigen, wie sie § 18 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (BGBl I 269) - HAuslG -, zuletzt geändert durch das Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl I 677) vorsieht, können die Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen; denn der Kreis der heimatlosen Ausländer ist grundsätzlich auf Personen beschränkt, die vor dem 30. Juni 1950 bzw am 30. Juni 1950 ihren Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatten (§ 1 Abs 1 Buchst c, § 2 Abs 3 HAuslG). Allerdings kommt, was das LSG offengelassen hat, den Klägern die Rechtsstellung zu, die das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II 559) - FlüAbk - einräumt. Das folgt aus der Vorschrift des § 3 Abs 1 des Gesetzes über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz - AsylVfG -) vom 16. Juli 1982 (BGBl I 946), die mit Wirkung vom 1. August 1982 an an die Stelle des bis dahin geltenden § 44 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl I 353), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vom 15. Dezember 1981 (BGBl I 1390), getreten ist. Nach § 3 Abs 1 AsylVfG genießen Asylberechtigte im Geltungsbereich des Gesetzes die Rechtsstellung nach dem Genfer Flüchtlingsabkommen. Die Kläger sind Asylberechtigte. Das steht aufgrund der Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auch für das vorliegende Verfahren fest; denn die Entscheidungen des Bundesamtes sind, von Auslieferungsverfahren abgesehen, in allen Angelegenheiten verbindlich, in denen die Anerkennung rechtserheblich ist (§ 18 AsylVfG). Es kommt daher nicht darauf an, ob die Kläger jedenfalls unter Berücksichtigung des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1969 II 1293) nach Art 1 FlüAbk Konventionsflüchtlinge sind und die Vergünstigungen, die ihnen durch die sogenannte Genfer Konvention oder aufgrund der Konvention eingeräumt sind, unmittelbar in Anspruch nehmen können.

Indessen verschafft diese Rechtsstellung den Klägern keinen Vorteil, der die streitigen Klagansprüche begründen könnte. Es ist schon zweifelhaft, ob Flüchtlinge aus Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk, der Fragen der sozialen Sicherheit betrifft, Ansprüche gegen den Versicherungsträger eines dem Abkommen beigetretenen Staates ableiten können. Das ist nämlich nicht der Fall, wenn Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk lediglich den vertragsschließenden Staat gegenüber anderen Konventionsstaaten verpflichtet, in Fragen der sozialen Sicherheit bestimmte Maßnahmen zugunsten der Konventionsflüchtlinge zu treffen, wie das der 1. Senat des Bundessozialgerichts angenommen hat (BSGE 24, 20, 23 = SozR Nr 5 zu § 16 FRG). Beispiel einer solchen gesetzlichen Maßnahme im Arbeitsförderungsrecht ist die Vorschrift, derzufolge anerkannten Asylberechtigten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des AFG haben, wie Deutschen Berufsausbildungsbeihilfen gewährt werden (§ 40 Abs 2 Nr 2 AFG). Selbst wenn der Ansicht des 1. Senats nicht zu folgen wäre, Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk also keines Ausführungsgesetzes bedürfte, sondern als sogenannte self-executing-treaty unmittelbar anwendbar wäre (in diesem Sinne wohl BSG SozR 5870 § 2 Nr 13 und - zu Art 29 FlüAbk - BFHE 75, 18), würde dies den Klägern im vorliegenden Falle nichts nützen. Die Revision verkennt die Verbindlichkeit, die ein vertragsschließender Staat nach Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk übernommen hat, gänzlich, wenn sie meint, diese Vorschrift verpflichte die Bundesrepublik Deutschland, durch Abkommen oder auf andere Weise Sorge zu tragen, damit Flüchtlingen aufgrund einer früheren Beschäftigung in dem Staat, aus dem sie geflüchtet sind, ein Anspruch auf Alg erwächst. In der genannten Abkommensvorschrift heißt es nämlich, daß die vertragsschließenden Staaten Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, "dieselbe Behandlung gewähren" werden, "wie ihren Staatsangehörigen". Die Vorschrift schafft nach ihrem eindeutigen Wortlaut in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit, wozu auch die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Arbeitslosigkeit gehören, keine Vorrangstellung für Flüchtlinge, sondern stellt diese nur den eigenen Staatsangehörigen gleich. Aufgrund des Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk ist der Flüchtling also nur so zu behandeln, als ob er Staatsangehöriger des Aufenthaltsstaates wäre, und das gilt nicht einmal hinsichtlich jeder den Staatsangehörigen eingeräumten Vergünstigung, wie sich aus den in den Unterabsätzen (i) und (ii) in Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk gemachten Vorbehalten ergibt. Aufgrund dieser Vorschrift sind den Flüchtlingen daher nicht mehr Rechte eingeräumt worden, als sie bei im übrigen gleichen Umständen den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates zustehen (vgl BSG aaO). Daß den Klägern in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung dieselbe Behandlung wie den deutschen Staatsangehörigen zu gewähren ist, könnte die beiden Klagansprüche somit nur begründen, wenn ein deutscher Staatsangehöriger, der innerhalb der Rahmenfrist lediglich außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, Anspruch auf Alg hätte. Das ist jedoch nicht der Fall.

Darauf, daß § 107 Abs 1 Nr 4 AFG bei Vertriebenen, die nach den §§ 9 bis 12 BVFG Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen, eine Beschäftigung außerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches genügen läßt, können sich die Kläger auch im Hinblick auf die Rechtsstellung nach dem Genfer Flüchtlingsabkommen nicht berufen. Abgesehen davon, daß die Kläger ihre polnische Heimat nicht als Spätfolge der gegen die deutsche Bevölkerung in den Vertreibungsgebieten gerichteten Vertreibungsmaßnahmen verloren haben und die Vergünstigung des § 107 Abs 1 Nr 4 AFG nicht auf deutsche Staatsangehörige beschränkt ist, sondern gerade Angehörige anderer Staaten und Staatenlose einbezieht, sofern sie nur als deutsche Volkszugehörige von Vertreibungsmaßnahmen bzw heute ihren Spätfolgen betroffen sind, gewährt Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk die Gleichbehandlung nur in solchen Angelegenheiten der sozialen Sicherheit, die durch ein entsprechendes System gedeckt sind. Das gilt nicht für besondere Bestimmungen, "die nach dem im Aufenthaltsland geltenden Recht vorgeschrieben sind und die Leistungen bzw Teilleistungen betreffen, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden, sowie Zuwendungen an Personen, die nicht die für die Gewährung einer normalen Rente geforderten Bedingungen der Beitragsleistung erfüllen". Bestimmungen dieser Art sind durch den Vorbehalt in Art 24 Nr 1 Buchst b Unterabs (ii) FlüAbk von der Gleichbehandlung ausdrücklich ausgenommen. Zu ihnen zählt § 107 Abs 1 Nr 4 AFG. Diese Vorschrift ermöglicht nämlich die Gewährung von Alg (bzw die Gewährung eines länger andauernden Anspruchs auf Alg) an Personen, die nicht "die für die Gewährung einer normalen Rente geforderte Beitragsleistung erfüllen". Sie findet ihre Rechtfertigung nicht im System der Arbeitslosenversicherung, sondern im Kriegsfolgenrecht. Nach wie vor suchen nämlich Opfer der Spätfolgen der gegen die Deutschen gerichteten Vertreibungsmaßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland ihre Heimat. Sie müssen hier eingegliedert werden, wie das auch mit den unmittelbar von den Vertreibungsmaßnahmen betroffenen Vertriebenen geschehen ist. Zur Eingliederung für den Fall der Arbeitslosigkeit behandelt das Gesetz Beschäftigungen Vertriebener in den Vertreibungsgebieten so, als ob sie beitragspflichtig gewesen wären. Die Vergünstigung des § 107 Abs 1 Nr 4 AFG ist daher auf Personen, die hier die Rechtsstellung nach dem Genfer Flüchtlingsabkommen haben, nicht anzuwenden. Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu seinem die Gleichstellung heimatloser Ausländer in der (früheren) Arbeitslosenfürsorge nach § 18 HAuslG betreffenden Urteil vom 31. Januar 1959 - 7 RAr 109/57 - (BSGE 9, 132 = Breithaupt 1959, 764), demzufolge heimatlosen Ausländern infolge ihrer Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen die für Vertriebene vorgesehene Arbeitslosenfürsorge zusteht, wenn sie - mit Ausnahme der deutschen Staats- oder Volkszugehörigkeit - die weiteren Voraussetzungen des § 1 BVFG erfüllen; denn § 18 HAuslG sah die Gleichstellung in der Arbeitslosenfürsorge ohne Einschränkung vor.

Erfüllen die Kläger demnach nicht die Anwartschaftsvoraussetzungen, hat das LSG die Klagen zu Recht abgewiesen. Die Revision muß deshalb ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661926

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