Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Frist bei einer Neuregelung
Leitsatz (amtlich)
Die Ausschlußfrist des § 111 SGB 10 hat für Erstattungsansprüche, die vor dem 1.7.1983 unbefristet entstanden sind, erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen.
Leitsatz (redaktionell)
1. An die Stelle der bis zum 30.6.1983 bestehenden Erstattungsansprüche der Unfallversicherungsträger nach § 1509a RVO gegenüber den Krankenversicherungsträgern sind am 1.7.1983 Erstattungsansprüche nach § 105 SGB 10 getreten.
2. "Begonnene Verfahren" iS der Übergangsvorschrift des Art 2 § 21 des Gesetzes vom 4.11.1982 (SGB 10) sind Erstattungsansprüche, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entstanden und geltend gemacht worden sind, jedoch am 1.7.1983 noch nicht abgeschlossen waren.
Orientierungssatz
Eine neu eingeführte Ausschlußfrist für die Ausübung eines Rechts beginnt erst mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zu laufen (vgl BSG 15.11.1984 7 RAr 69/83 = SozR 1300 § 45 Nr 3).
Normenkette
SGB 10 § 111 Fassung: 1982-11-04; SGB 10 Art. 2 § 21 Fassung: 1982-11-04; SGB 10 § 105 Fassung: 1982-11-04; RVO § 1509a
Verfahrensgang
SG Duisburg (Entscheidung vom 18.07.1984; Aktenzeichen S 21 Kr 52/84) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Aufwendungen für Krankenhauspflege, die sie - vermeintlich zu Unrecht - als Leistung aus der Unfallversicherung gewährt hat.
Der bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Schlosser U. hatte am 26. Februar 1982 in einem Betrieb, der der Klägerin als Mitglied angehörenden T., bei einem Arbeitsunfall eine Quetschung des vierten und fünften Fingers links erlitten. Er ist im Zusammenhang damit in eine Unfallklinik eingeliefert worden. Die stationäre Behandlung wegen der Unfallfolgen war am 2. März 1982 beendet. Der Verletzte war jedoch an diesem Tage wegen seines schlechten Allgemeinbefindens in die innere Abteilung der Klinik verlegt und dort bis zum 30. März 1982 wegen einer linksseitigen Pneumonie behandelt worden. Die Klägerin hat am 7. Mai 1982 Pflegekosten in Höhe von kalendertäglich 287,-- DM, insgesamt 9.471,-- DM gezahlt. Als ihr im Rahmen der Begutachtung der Unfallfolgen der zuvor dargelegte Sachverhalt bekannt wurde, forderte sie mit Schreiben vom 8. November 1983 von der Beklagten ohne Erfolg die Erstattung der für die Zeit vom 2. bis 30. März 1982 entstandenen Pflegekosten in Höhe von 8.610,-- DM; im Klageverfahren hat sie jedoch nur den Betrag von 7.308,-- DM geltend gemacht.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Anspruch der Klägerin sei gemäß § 111 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) ausgeschlossen.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Sprungrevision vor, die Vorschrift des § 111 SGB X sei im Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs der Klägerin noch nicht geltendes Recht gewesen. Sie habe auch keine Rückwirkung, so daß die in ihr geregelte Ausschlußfrist im Zeitpunkt der Anspruchsanmeldung noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. Juli 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 7.308,-- DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG, weil dessen Tatsachenfeststellungen zur Entscheidung über den streitigen Erstattungsanspruch nicht ausreichen.
Die Beteiligten und das SG sind zwar zutreffend davon ausgegangen, daß der Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten seine Grundlage in § 105 Abs 1 SGB X hat. Allerdings ist entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht die Überleitungsvorschrift des Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) hier ohne Bedeutung. In dieser Vorschrift ist lediglich bestimmt, daß die - im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes vom 4. November 1982 am 1. Juli 1983 (Art II § 25 des Gesetzes vom 4. November 1982) - bereits begonnenen Verfahren nach den Vorschriften des Gesetzes vom 4. November 1982 zu Ende zu führen sind. Da die Klägerin ihren Ersatzanspruch im November 1983 und damit erst nach dem Inkrafttreten des Art I des Gesetzes vom 4. November 1982 geltend gemacht hat, handelt es sich hier nicht um ein Verfahren, das schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. November 1982 begonnen hatte und das daher auch nicht gemäß Art II § 21 dieses Gesetzes übergeleitet werden mußte.
Gleichwohl richtet sich der Erstattungsanspruch nach § 105 Abs 1 SGB X. Zwar war bereits spätestens im Zeitpunkt der Zahlung der Krankenhauspflegekosten durch die Klägerin gemäß § 1509a der Reichsversicherungsordnung (RVO) ein Ersatzanspruch der Klägerin entstanden. Diese Vorschrift ist aber mit Wirkung vom 1. Juli 1983 gestrichen worden (Art II § 3 Nr 1 des Gesetzes vom 4. November 1982), und an ihre Stelle ist die Vorschrift des § 105 SGB X getreten. Es kann dahingestellt bleiben, ob damit der bisherige Anspruch gemäß § 1509a RVO erloschen und ein neuer Anspruch gemäß § 105 SGB X geschaffen worden ist oder ob der ursprünglich gemäß § 1509a RVO entstandene Erstattungsanspruch kontinuierlich fortbestanden hat und nunmehr nur seine Rechtsgrundlagen in § 105 SGB X neu geregelt worden sind. Denn in jedem Falle sollte - wie auch aus der Überleitung der am 1. Juli 1983 bereits anhängig gewesenen Altverfahren durch Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 und dem Fehlen einer Überleitungsvorschrift für die bis zum 30. Juni 1983 entstandenen und bis dahin nach § 1509a RVO zu beurteilenden Erstattungsfälle folgt - auch dieser von der Klägerin im November 1983 erhobene Erstattungsanspruch sich allein nach § 105 SGB X richten.
Nach den Feststellungen des SG sind auch die Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X erfüllt. Das SG hat festgestellt, daß die Krankenhauspflege des Versicherten U. in der Zeit vom 2. bis 30. März 1982 nicht wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 26. Februar 1982, sondern wegen einer unfallunabhängigen Pneumonie erfolgt ist. Das SG ist deshalb auch zutreffend davon ausgegangen, daß nicht die Klägerin, sondern die Beklagte während dieses Zeitraumes für die Gewährung der Krankenhauspflege zuständig war und daß infolgedessen die Beklagte als der für die Krankenhauspflege zuständig gewesene Leistungsträger der Klägerin erstattungspflichtig ist.
Entgegen der vom SG vertretenen Ansicht ist dieser Erstattungsanspruch nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen. Das SG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß § 111 SGB X auch für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch gilt. Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 27. November 1985 - 8 RK 31/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden, daß die Fristbestimmung des § 111 SGB X nicht rückwirkend in Kraft getreten ist und daß die in dieser Vorschrift geregelte Ausschlußfrist für die bei ihrem Inkrafttreten noch bestehenden, nicht bereits durch Fristablauf (zB gemäß § 1539 RVO) erloschenen Ansprüche gilt. Das ist zwar in den Überleitungs- und Schlußvorschriften des Art II §§ 21 ff des Gesetzes vom 4. November 1982 nicht ausdrücklich bestimmt worden, folgt aber aus dem Gesamtzusammenhang der Übergangs- und Schlußvorschriften, insbesondere aus der mit Wirkung vom 1. Juli 1983 erfolgten Ersetzung des § 1509a RVO durch § 105 SGB X. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber in Art II § 22 des Gesetzes vom 4. November 1982 nur für die Fälle des Überganges von Schadensersatzansprüchen eine Übergangsregelung getroffen hat und zuvor auch schon in Art II § 37 Abs 2 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I, 1469) bestimmt habe, daß Fristen im Sinne des ersten und zweiten Kapitels des SGB X, deren Lauf vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. August 1980 begonnen hat, nach den bisherigen Vorschriften berechnet werden (vgl dazu auch das Urteil des BSG vom 15. November 1984 - 7 RAr 69/83 -, SozR 1300 § 45 Nr 13). Für die Frist des § 111 SGB X hat er eine entsprechende Regelung nicht getroffen. Wenn der Gesetzgeber mithin bei der Überführung der bisher in verschiedenen Sozialgesetzen enthaltenen Normen und ihrer Modifizierung im SGB X nur für bestimmte Altansprüche und Altfristen Übergangsregelungen geschaffen, jedoch eine solche für die bisher nicht befristete Geltendmachung der Altansprüche im Sinne des § 1509a RVO nicht getroffen hat, so läßt sich daraus nicht auf eine planwidrige Lücke im Gesetz, sondern nur darauf schließen, daß der Gesetzgeber die Ausschlußfrist des § 111 SGB X nicht rückwirkend auf Ansprüche aus § 1509a RVO eingeführt, sondern nur für Ansprüche aus § 105 SGB X mit Wirkung erst vom 1. Juli 1983 begründet hat.
Allein diese Auslegung entspricht auch der Rechtssicherheit. Wie bereits der 7. Senat des erkennenden Gerichts (aaO) zu der ebenfalls neu eingeführten Ausschlußfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X dargelegt hat, kann für diese Neuregelung nicht davon ausgegangen werden, daß sie für neu eingeführte Fristen ohne Rücksicht auf dadurch eintretende Rechtsbeeinträchtigungen oder gar Rechtsverluste deren Rückwirkung anordnet. Rechtssicherheit könne insoweit nur bedeuten, den bisherigen Rechtszustand unangetastet zu lassen und auf vorhandene Sachverhalte Auswirkungen aus dem neuen Recht erst mit dessen Inkrafttreten entstehen zu lassen. Dem Gesetzgeber könne jedenfalls schon angesichts der Regelung in Art II § 37 Abs 2 SGB X nicht unterstellt werden, er habe die Rechte der Verwaltung aus § 45 Abs 4 SGB X bei am 1. Januar 1981 länger als ein Jahr zurückliegender Kenntnis von einem Rücknahmetatbestand ersatzlos beseitigen wollen.
Diese Gesichtspunkte, die der Senat für zutreffend hält, gelten in gleicher Weise für die Ersatzansprüche der Unfallversicherungsträger gegen die Krankenkassen, für deren Geltendmachung mit der in § 111 SGB X getroffenen Regelung eine Ausschlußfrist neu eingeführt worden ist. In gleicher Weise trägt der vom 7. Senat des BSG (aaO) für die neu eingeführte Ausschlußfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X gegebene Hinweis auf den Zweck der Neuregelung auch für die Fristbestimmung des § 111 SGB X, soweit es sich um Erstattungsansprüche handelt, deren Geltendmachung zuvor nicht befristet gewesen ist. Wenn die Unfallversicherungsträger nunmehr auch ihre Ersatzansprüche innerhalb eines Jahres nach Kenntnis des zur Ersatzleistung berechtigenden Sachverhalts geltend machen müssen (vgl dazu die Begründung zu § 117 des Entwurfs eines SGB X - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten -, BT-Drucks 9/95 und Beschlußempfehlung und Bericht des 11. Ausschusses, BT-Drucks 9/1753), so führt das nicht dazu, daß sie zur Beachtung dieser Frist schon vor ihrer Einführung verpflichtet worden sind. Der Senat folgt deshalb auch für § 111 SGB X sowohl der zu § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X als auch der zu der mit der letztgenannten Vorschrift übereinstimmenden Regelung des § 48 Abs 4 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nahezu einheitlich vertretenen Auffassung, daß eine neu eingeführte Ausschlußfrist für die Ausübung eines Rechts erst mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zu laufen beginnt (vgl dazu die ausführlichen Nachweise in dem Urteil des 7. Senats des erkennenden Gerichts aaO). Dies bedeutet für den Erstattungsanspruch der Klägerin, daß seine Geltendmachung bis zum 30. Juni 1984 nicht ausgeschlossen war. Da die Klägerin nach der unwidersprochenen Feststellung des SG mit ihrem Schreiben vom 8. November 1983 die Beklagte zur Erstattung aufgefordert hat, war die Ausschlußfrist des § 111 SGB X zur Zeit der Geltendmachung des Erstattungsanspruches noch nicht abgelaufen.
Der Senat vermag jedoch nicht abschließend zu entscheiden. Nach § 105 Abs 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruches nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Feststellungen über den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten hat das SG jedoch nicht getroffen, so daß der Rechtsstreit wegen der Höhe des Erstattungsanspruchs der Klägerin erst nach der Nachholung entsprechender Tatsachenfeststellungen entschieden werden kann.
Das SG wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.
Fundstellen