Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenanspruch für Flüchtlinge in Bayern
Leitsatz (redaktionell)
1. In Bayern haben Flüchtlinge frühestens ab 1948-03-01 einen Rentenanspruch aus Beiträgen zur früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA).
2. Für das Wiederaufleben einer Witwenrente ist es entscheidend, daß das Rentenstammrecht infolge der Wiederheirat weggefallen ist.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1972-10-16; FlüRentG BY
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres im März 1945 gefallenen ersten Ehemannes hat. Die Klägerin kam im Mai 1946 als Flüchtling nach D (Obb.). Seit August 1946 hielt sie sich bei ihren Schwiegereltern in B auf. Am 28. Juni 1947 heiratete sie in Z ihren zweiten Ehemann; zuvor hatte sie sich ihre Sachen von D nach Z schicken und am 12. Juni 1947 von der Stadt D eine Aufenthaltsbescheinigung für das Aufgebot ausstellen lassen.
Nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes im März 1972 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt, die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung damit begründet, daß der Klägerin zur Zeit ihrer Wiederheirat ein Witwenrentenanspruch nicht zugestanden habe. Flüchtlinge hätten in Bayern erst aufgrund des Bayerischen Flüchtlingsrentengesetzes vom 3. Dezember 1947 frühestens ab 1. März 1948 Rentenansprüche aus Beiträgen zur früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) erlangt; damals sei die Klägerin aber bereits wieder verheiratet gewesen. Im übrigen habe die Klägerin spätestens am 12. Juni 1947 ihren Wohnsitz von D nach Z verlegt; dies und nicht erst die spätere Heirat habe zum Wegfall des Rentenstammrechts, falls ein solches bestanden haben sollte, geführt.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin
Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
Sie ist der Ansicht, daß bis zur Wiederheirat jedenfalls ein Rentenstammrecht bestanden habe. Ihren Wohnsitz in D habe sie entgegen der Auffassung des LSG erst mit dem Zeitpunkt der Wiederheirat aufgegeben; erst diese habe den Wegfall des Rentenstammrechts ausgelöst.
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Nach § 68 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) lebt ein durch Wiederheirat weggefallener Anspruch auf Witwenrente (u. a.) wieder auf, wenn die neue Ehe aufgelöst wird. Dabei ist vorausgesetzt, daß der Witwe zur Zeit der Wiederheirat ein Witwenrentenanspruch zugestanden hatte, der auf Vorschriften des Reichsrechts oder Bundesrechts beruht hat und von Versicherungsträgern im Bundesgebiet zu erfüllen gewesen ist (SozR Nr. 15 zu § 1291 RVO). Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das LSG ohne Rechtsirrtum verneint.
Geht man mit der Klägerin von einem Fortbestand des Dachauer Wohnsitzes bis zum 28. Juni 1947 aus, so kommt es darauf an, ob ihr das an diesem Wohnsitz geltende Recht schon und noch zur Zeit der Wiederheirat einen Anspruch auf Witwenrente eingeräumt hatte (vgl. BSG 19, 97 (98); SozR Nr. 15 zu § 1291 RVO). Ein derartiger Anspruch hat jedoch nicht bestanden. Erst das am 30. Dezember 1947 in Kraft getretene Bayerische Flüchtlingsrentengesetz hätte einen Witwenrentenanspruch der Klägerin begründen können; nach § 8 dieses Gesetzes konnten aber Flüchtlingen Renten aus der Angestelltenversicherung frühestens ab 1. März 1948 gewährt werden. Im Zeitpunkt der Wiederheirat fehlte jedenfalls noch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, eine Rechtsgrundlage für Rechtsansprüche der Klägerin. Ob die Rechtslage eine andere wäre, wenn die Klägerin damals tatsächlich Leistungen bezogen hätte, kann dahinstehen, da ein solcher Fall nicht gegeben ist; die Klägerin hatte überdies seinerzeit keinen Antrag auf Rentenzahlung gestellt. Wenn die Klägerin meint, das Fehlen eines Anspruchs auf Rentenzahlung habe den Bestand eines "Rentenstammrechts" unberührt gelassen, so verkennt sie, daß der staatliche Zusammenbruch des Jahres 1945 die bis dahin gegen die RfA gegebenen Ansprüche nicht nur gleichsam zum Ruhen (vgl. BSG 20, 161 (163)) gebracht, sondern sie hat untergehen lassen; Rechte und Ansprüche können nur bestehen, wenn auch zu ihrer Erfüllung Verpflichtete vorhanden sind.
Selbst wenn der Klägerin aufgrund ihres Aufenthaltes in Bayern nach dem dort geltenden Recht ein Witwenrentenanspruch zugestanden hätte, wäre dieser Anspruch im übrigen nicht erst mit der Wiederheirat, sondern schon mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Zittau untergegangen, er wäre also auch aus diesem Grunde zur Zeit der Wiederheirat nicht gegeben gewesen. Das LSG hat angenommen, daß die Klägerin ihren Willen zur Wohnsitzverlegung spätestens am 12. Juni 1947 zum Ausdruck gebracht hat. Die von der Revision unter dem Gesichtspunkt von § 7 des Bürgerlichen Gesetzbuches dagegen erhobenen Bedenken können auf sich beruhen; den vom LSG getroffenen Feststellungen ist jedenfalls zu entnehmen, daß die Klägerin zumindest seit dem 12. Juni 1947 in Z nicht mehr nur vorübergehend verweilte, vielmehr dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte; auf einen rechtsgeschäftlichen Willen kam es insoweit nicht an (vgl. SozR Nr. 5 zu § 1219 RVO). Mit der Aufenthaltsverlegung mußte aber ein vom Wohnort abhängiges Recht auf Witwenrente enden. Insoweit ist es unerheblich, ob Witwenrente noch für den ganzen Monat Juni 1947 zu zahlen gewesen wäre. Denn im Rahmen von § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG kommt es nicht darauf an, ob und wie lange Rente für einzelne Monate zu zahlen war; entscheidend ist vielmehr, ob der Anspruch als solcher, d. h. das Rentenstammrecht infolge der Wiederheirat entfallen ist. Der Anspruch wäre jedoch schon mit dem Ende der Aufenthaltsnahme in Bayern entfallen, weil ohne dortigen Aufenthalt kein Anspruch hätte bestehen können. Die Wiederheirat hätte mithin nicht mehr zu einem Wegfall eines solchen Anspruchs führen können.
Da sich nach alledem das angefochtene Urteil als zutreffend erweist, war die Revision zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen