Leitsatz (redaktionell)
Nach RVO § 1291 Abs 2 kann nur der Witwenrentenanspruch "wiederaufleben", der durch Wiederheirat weggefallen ist. Der Anspruch auf Witwenrente muß auf Vorschriften des Reichsrechts oder des Bundesrechts beruht haben und von einem Versicherungsträger im Geltungsbereich des AVG oder der RVO zu erfüllen gewesen sein (vergleiche Beschluß des GrS BSG 1961-06-09 GS 2/59 = BSGE 14, 238; Urteil BSG 1963-04-23 1 RA 349/62 = BSGE 19, 97; BSG 1966-05-18 11 RA 132/63 = BSGE 25, 20; BSG 1966-09-23 12 RJ 388/64 und BSG 1966-11-25 1 RA 195/66).
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1966 wird zurückgewiesen.
Kosten sind der Klägerin auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, geboren ... 1915, lebte bis ... Februar 1943 in N, von dort wurde sie nach L in Österreich evakuiert. Bis Februar 1945 erhielt sie von der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) Witwenrente aus der Angestelltenversicherung ihres 1942 gefallenen (ersten) Ehemannes. Im Oktober 1945 heiratete sie in Österreich zum zweiten Mal; diese Ehe wurde Ende 1963 aus dem Verschulden des zweiten Ehemannes geschieden. Seit April 1964 lebt die Klägerin wieder in der Bundesrepublik.
Nach der Scheidung der zweiten Ehe beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente aus der Angestelltenversicherung ihres ersten Ehemannes ("wiederaufgelebte" Witwenrente). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. Mai 1965 ab. Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) Düsseldorf diesen Bescheid auf (Urteil vom 11. Mai 1966). Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 14. Dezember 1966). Es hielt den Anspruch der Klägerin für nicht begründet, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Wiederheirat (Oktober 1945) ihren gewöhnlichen Aufenthalt, darüber hinaus aber auch ihren Wohnsitz im Sinne von § 7 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) außerhalb des Gebiets der jetzigen Bundesrepublik Deutschland gehabt und ihr deshalb ein Anspruch auf Witwenrente gegenüber einem Versicherungsträger im Gebiet der Bundesrepublik nicht zugestanden habe. Da durch die Wiederheirat ein Witwenrentenanspruch nicht weggefallen sei, könne auch nach der Scheidung der zweiten Ehe kein Anspruch "wiederaufleben". Das LSG ließ die Revision zu. Am 28. Februar 1967 legte die Klägerin frist- und formgerecht Revision ein, sie beantragte,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 11. Mai 1966 zurückzuweisen.
Zur Begründung trug sie vor: Zwar habe sie im Zeitpunkt ihrer Wiederheirat (Oktober 1945) - und schon seit Februar 1945 - von einem Versicherungsträger im Gebiet der Bundesrepublik keine Witwenrente erhalten. Das hänge aber nur mit den Kriegs- und Nachkriegsverhältnissen zusammen; sie habe in der Zeit von Februar 1945 bis zu ihrer zweiten Heirat nicht in ihre alte Heimat N zurückgehen dürfen; wenn dies möglich gewesen wäre, hätte sie sicher von der für Neuß zuständigen Landesversicherungsanstalt R bis zu ihrer zweiten Heirat die ihr zustehende Witwenrente weiter erhalten; den Entschluß, sich wieder zu verheiraten und in Österreich zu bleiben, habe sie erst im September 1945 gefaßt, weil damals die Rückführungsaktionen in das frühere Reichsgebiet angelaufen seien.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten eine "wiederaufgelebte" Witwenrente nach § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht beanspruchen.
Der Anspruch der Klägerin auf "wiederaufgelebte" Witwenrente ist nach § 68 Abs. 2 AVG zu beurteilen, da die zweite Ehe der Klägerin nach dem 1. Januar 1957 aufgelöst worden ist (Art. 2 § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes). Die Klägerin, die die sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs nach § 68 Abs. 2 AVG jedenfalls dem Grunde nach unstreitig erfüllt, kann jedoch die "wiederaufgelebte" Witwenrente nicht beanspruchen, weil durch die Wiederheirat im Oktober 1945 kein Witwenrentenanspruch weggefallen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 68 Abs. 2 AVG und § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kann nur der Witwenrentenanspruch "wiederaufleben", der durch Wiederheirat weggefallen ist. Der Anspruch auf Witwenrente muß auf Vorschriften des Reichsrechts oder des Bundesrechts beruht haben und von einem Versicherungsträger im Geltungsbereich des Angestelltenversicherungsgesetzes oder der Reichsversicherungsordnung zu erfüllen gewesen sein (vgl. Beschluß des Großen Senats des BSG vom 9. Juni 1961, BSG 14, 238; Urteile des BSG vom 23. April 1963, BSG 19, 97; vom 18. Mai 1966, BSG 25, 20; vom 23. September 1966 - 12 RJ 388/64 - und vom 25. November 1966 - 1 RA 195/66 -). Die Klägerin hat im Zeitpunkt ihrer Wiederheirat keinen auf Reichsrecht oder Bundesrecht beruhenden Anspruch auf Witwenrente gegen einen Versicherungsträger im (späteren) Bundesgebiet gehabt. Sie hat zwar nach dem Tode ihres ersten Ehemannes im Jahre 1942 einen durch Bescheid der früheren RfA festgestellten Witwenrentenanspruch gehabt und von der RfA auf Grund dieses Bescheides Witwenrente bis Februar 1945 bezogen; für die folgende Zeit sind Leistungen der RfA an die damals in Österreich lebende Klägerin zwar offensichtlich zunächst nur mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse unterblieben, ohne daß der Anspruch hierdurch berührt worden wäre. Dieser Anspruch ist dann aber infolge des Zusammenbruchs des Deutschen Reiches und der mit diesem Zusammenbruch verbundenen Stillegung der RfA mit dem 8. Mai 1945 untergegangen. Er hat im (späteren) Bundesgebiet nicht etwa deshalb fortbestanden, weil die damals stillgelegte RfA bis zu ihrer Auflösung am 1. August 1953 noch die Aufgabe gehabt hat, das vorhandene Vermögen zu verwalten (BSG 4, 91, 93; 25, 20, 21/22; Urteil des BSG vom 25. November 1966 - 1 RA 195/66 -). Die bis zum Zusammenbruch bestehenden Ansprüche gegen die RfA sind damals untergegangen ohne Rücksicht darauf, wo die Berechtigten sich aufgehalten haben; es ist deshalb unerheblich, daß die Klägerin nach der Wiederherstellung der Selbständigkeit Österreichs im April 1945 bis zu ihrer Wiederheirat im Oktober 1945 im Ausland gelebt hat und daß ihr Auslandsaufenthalt nach früherem Recht (§ 40 Abs. 1 AVG, § 1281 RVO) ein Ruhen der Rente nicht bewirkt hätte. Die Klägerin hat im Jahre 1945 bis zu ihrer Wiederheirat auch keinen Anspruch gegen einen anderen Versicherungsträger im Gebiet der späteren Bundesrepublik gehabt. Zwar haben nach dem Zusammenbruch die Landesversicherungsanstalten im späteren Bundesgebiet - teils auf Veranlassung der Besatzungsmächte, teils auf Grund eigenen Entschlusses - die Betreuung der Versicherten der stillgelegten RfA übernommen; in der britischen Besatzungszone, in der die Klägerin (in Neuß) bis zu ihrer Evakuierung im Februar 1943 gelebt hat, ist dies, wie sich aus der Sozialversicherungsdirektive Nr. 1 vom 28. August 1945 (veröffentlich im Arbeitsblatt für die britische Zone 1947, S. 10) ergibt, mit Billigung der Besatzungsmächte schon in einer Zeit geschehen, in der die Klägerin noch nicht wieder verheiratet gewesen ist. Leistungen sind aber von den Versicherungsträgern im Bundesgebiet sowohl in der Zeit, in der es an ausdrücklichen rechtlichen Regelungen gefehlt hat, als auch auf Grund der im Jahre 1945 und in den folgenden Jahren geschaffenen Vorschriften (vgl. die Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., Bd. III 750; BSG 3, 286, 290 ff; Urteil des BSG vom 25. November 1966 - 1 RA 195/66 -) nur nach dem sogenannten "Wohnsitzgrundsatz" gewährt worden. Dabei ist, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht auf den Wohnsitz im Sinne von § 7 BGB abgestellt worden, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt, also auf ein rein tatsächliches, länger dauerndes nicht zufälliges Verweilen an einem bestimmten Ort (vgl. BSG 17, 231, 235/236). Darauf, ob dieses Verweilen ein freiwilliges oder ein unfreiwilliges gewesen ist, ist es nicht angekommen (vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 28. Juni 1966 in SozR Nr. 5 zu § 1317 RVO). Ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätte die Klägerin daher auch dann nicht im Bundesgebiet gehabt, wenn sie im Jahre 1945 vor ihrer Wiederheirat nur deshalb in Österreich geblieben wäre, weil ihr die Rückkehr nach Neuß - sei es aus tatsächlichen, sei es aus rechtlichen Gründen - nicht möglich gewesen wäre.
Die Klägerin hat auch nicht nach späteren, innerhalb des Bundesgebietes geltenden Rechtsvorschriften einen Witwenrentenanspruch erworben. Nach der ersten bundeseinheitlichen Regelung im Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 (FremdRG) sind Ansprüche gegen einen Versicherungsträger im Bundesgebiet im allgemeinen erst vom 1. April 1952 an, nach dem Fremdrentengesetz (FRG) idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 erst vom 1. Januar 1959 an begründet worden; zu diesen Zeitpunkten ist die Klägerin aber nicht mehr Witwe gewesen. Nach diesen Gesetzen wird auch nicht (für die Zeit bis zur Wiederheirat im Jahre 1945) ein bundesrechtlicher Witwenrentenanspruch fingiert (vgl. BSG 25, 20, 22 mit weiteren Hinweisen). Von dem vor dem Inkrafttreten des FRG in der britischen Zone maßgebenden Flüchtlingsrentenrecht - der Sozialversicherungsanordnung Nr. 1 vom 29. Januar 1947 (Arbeitsblatt für die britische Zone 1947, S. 74) - ist die Klägerin nicht erfaßt worden, weil auch die Sozialversicherungsanordnung Nr. 1 Leistungen nur an rentenberechtigte Flüchtlinge, die ihren Wohnsitz in der britischen Zone aufgenommen haben, vorgesehen hat, überdies die Klägerin nicht Flüchtling im Sinne von Nr. 4 dieser Anordnung gewesen ist und auch nach dieser Anordnung keine rückwirkende Leistungspflicht eines Versicherungsträgers im Bundesgebiet begründet worden ist. Schließlich ist auch durch das (Erste) deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen vom 21. April 1951 ein Anspruch auf Leistungen für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Abkommens (1. Januar 1953) nicht begründet worden (vgl. Art. 39 Abs. 3 des Abkommens). Da die Klägerin sonach bei ihrer Wiederheirat im Oktober 1945 keinen Witwenrentenanspruch gegen einen Versicherungsträger im Bundesgebiet gehabt hat, steht ihr auch nach Scheidung der zweiten Ehe von ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik an ein Witwenrentenanspruch nach § 68 Abs. 2 AVG nicht zu.
Die Klägerin steht damit zwar schlechter, als wenn sie unter sonst gleichen Verhältnissen 1943 nicht evakuiert worden wäre, sondern sich weiterhin in N aufgehalten hätte; ihre Rechtslage ist aber im Jahre 1945 keine andere gewesen als die aller gegenüber der RfA Rentenberechtigten, die damals im Ausland gelebt haben; auch sie haben grundsätzlich vor dem Inkrafttreten des FremdRG keinen Anspruch gegen einen Versicherungsträger im Bundesgebiet gehabt. Daß der Aufenthalt der Klägerin in L nach dem Zusammenbruch Deutschlands nur infolge der Wiederherstellung der Selbständigkeit Österreichs zu einem Auslandsaufenthalt geworden ist, muß die Klägerin als eine "schicksalsmäßige Verhaftung" mit der für sie an ihrem Aufenthaltsort damals maßgebenden Rechtslage ebenso hinnehmen, wie es andere Rentenberechtigte hinnehmen müssen, daß sie infolge der Aufsplitterung Deutschlands in verschiedene Sozialversicherungssysteme einem von dem Recht der Bundesrepublik abweichenden Sozialversicherungssystem unterworfen worden sind.
Die Revision der Klägerin ist sonach unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen