Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. November 1979 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der im Jahr 1933 geborene Kläger ist gelernter Fliesenleger und war von 1948 bis 1976 in diesem Beruf beschäftigt. Er wurde zuletzt nach dem Akkordtarifvertrag für das Platten- und Fliesenlegergewerbe in Westfalen bezahlt; nach § 4 dieses Vertrages waren sämtliche Arbeiten grundsätzlich im Akkord auszuführen. Er kann jetzt nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen, im Freien oder in geschlossenen Räumen vollschichtig verrichten; eine anhaltende Beanspruchung der Hand an der rechten Handinnenfläche, soweit sie mit ständigem harten Zufassen der rechten Hand verbunden ist, kann ihm allerdings wegen einer Dupuytren'schen Kontraktur nicht mehr zugemutet werden.
Im September 1976 beantragte der Kläger Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte führte vom 11. November bis 16. Dezember 1976 eine stationäre Heilbehandlung für ihn durch und zahlte für diesen Zeitraum Übergangsgeld. Mit Bescheid vom 10. Juni 1977 lehnte sie den Rentenantrag ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 8. März 1979 den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ab 1. Oktober 1976 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 9. November 1979 das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der bisherige Beruf des Klägers sei derjenige eines Facharbeiters. Daran ändere die nach Tarifvertrag zu leistende Akkordarbeit des Klägers nichts. Dieser könne auf Tätigkeiten eines Werkstattschreibers oder Schichtenkontrolleurs, Pförtners, Verwiegers oder Apparatewärters verwiesen werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 1246 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie eine Verletzung der §§ 62 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt vor: der qualitative Wert seines bisherigen Berufs sei durch den Akkordtarifvertrag bestimmt. Aus diesem Vertrag ergäben sich zwei „besondere Anforderungen”: Zum einen erfolge eine Bezahlung nur für sach- und fachgerechte, abnahmefähige Arbeiten, zum anderen hätten die Fliesenleger Mängel ohne Vergütung und unter Übernahme der Kosten selbst zu beheben. Es bestehe sonach ein gesteigerter Verantwortungsbereich. Der Ecklohn in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie (Lohngruppe 7) liege auch um etwa 43 % unter dem Tarifstundenlohn der Fliesenleger. Der Kläger dürfe nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppen 4 bis 6 verwiesen werden. Das LSG habe zudem die Auskunft der H. Werke AG vom 21. Februar 1979 verwertet, ohne daß der Auskunftgeber die Richtigkeit eidesstattlich versichert habe und den Beteiligten Gelegenheit zu Vorhaltungen gegeben worden sei.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 8.3.1979 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie führt aus: Der Tariflohn sei nicht allein entscheidend für die Qualifikation einer Arbeit. Der Kläger sei zu Recht in den Leitberuf des Facharbeiters eingestuft worden.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist, wie das LSG zu Recht entschieden hat, rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente.
Das LSG hat als „bisherigen Beruf” des Klägers den des Facharbeiters (Inhabers eines staatlich anerkannten Ausbildungsberufes mit einer Regelungsausbildungszeit von mindestens zwei Jahren, vgl. dazu die – neue – Berufsklasse 4830 „Fliesen-, Platten- und Mosaikleger”) angesehen und den Kläger auf bestimmte andere Tätigkeiten verwiesen, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm (sozial) zugemutet werden können; es hält den Kläger deshalb nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht für berufsunfähig. Was die Revision dagegen vorbringt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.
Der Kläger rügt zunächst, das LSG habe ihn deshalb zu Unrecht als „schlichten” Facharbeiter eingestuft, weil an die Tätigkeit des Fliesenlegers „besondere Anforderungen” gestellt würden. Er übersieht dabei, daß die vier nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu unterscheidenden Berufsgruppen für Arbeiter (vgl. zuletzt Urteil vom 12.12.1979 – 1 RJ 132/78 = SozR 2200 § 1246 Nr. 55 S 170 mwN) jeweils eine große Zahl von Berufen oder Tätigkeiten umfassen. Die Rechtsprechung hat für die Zuordnung zu diesen Leitberufen Richtlinien aufgestellt, deren Anwendung im Einzelfall Aufgabe des Versicherungsträgers bzw im Streitfall des Tatrichters ist. Dieser Aufgabe ist das LSG fehlerfrei nachgekommen. Wenn es abgelehnt hat, die Tätigkeit des Fliesenlegers derjenigen des „besonders hoch qualifizierten Facharbeiters” (oberster Leitberuf) zuzuordnen, dann befindet es sich im Rahmen der von der Rechtsprechung gesetzten Grenzen. Diese hat für die Einstufung in die oberste Gruppe gefordert, daß der Versicherte Facharbeiter ist, eine besondere Stellung im Betrieb, die zu den besonderen Anforderungen iS des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO gehört, innehat, eine hoch qualifizierte Tätigkeit tatsächlich verrichtet und (nicht nur aufgrund des Lebensalters oder langjähriger Betriebszugehörigkeit) in der Spitzengruppe der Lohnskala der Arbeiter steht (Urteile vom 19.1.1978 – 4 RJ 81/77 – BSGE 45, 276 = SozR aaO Nr. 27 und vom 15.2.1979 – 5 RJ 112/77 = SozR aaO Nr. 37). Das LSG hat dazu ausgeführt, daß eine vom Verantwortungsbereich her gesehene Steigerung gegenüber dem einfachen Facharbeiter beim Kläger weder vorliege noch in der tariflichen Einstufung zum Ausdruck komme. Die allgemeine Zubilligung eines Akkordes ändere nichts an dem qualitativen Wert der ausgeführten Tätigkeit und steigere insbesondere nicht den Verantwortungsbereich einer Tätigkeit. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (so auch der 5. Senat des BSG im Urteil vom 27.1.1981 – 5b/5 RJ 76/80 –). Wenn ein Beruf oder eine Tätigkeit üblicherweise oder im Einzelfall im Akkord ausgeübt wird, also nicht nach der auf gewendeten Zeit, sondern nach der gemessenen Leistung bezahlt wird, so vermag dieser Umstand allein eine besonders hohe Qualifikation des Arbeitnehmers oder dessen besondere Stellung im Betrieb weder zu begründen noch auszuschließen. Für die Einordnung einer Tätigkeit in das Berufsgruppenschema ist es ohne entscheidende Bedeutung, wenn sie im Akkord höher entlohnt wird als eine nach Zeitlohn bezahlte Tätigkeit, zumal in Industrie und Handwerk besonders wichtige Tätigkeiten, sog „höchstwertige Facharbeiten”, in aller Regel nicht im Akkord verrichtet werden. Das LSG hat zudem festgestellt, daß für die hohe Bezahlung des Klägers weniger die Qualität der Arbeit als vielmehr die mit ständigen Akkordarbeiten verbundenen Nachteile ursächlich waren. Wenn das LSG darüber hinaus den Umstand, daß der Fliesenleger in gewissem Maß für die Güte seiner Arbeit einstehen muß, als nicht entscheidend für die Annahme hoher Qualifikation ansieht, dann hält sich diese tatrichterliche Würdigung innerhalb der Denkgesetze und kann vom Senat nicht weiter nachgeprüft werden.
Ist sonach die bisherige Tätigkeit des Klägers zutreffend dem Leitberuf des „schlichten” Facharbeiters zugeordnet worden, so kann auch nicht beanstandet werden, daß das LSG von den in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Möglichkeiten für die Verweisung eines Facharbeiters keine Ausnahme macht. Was die Revision erreichen will, ist im Ergebnis die Bildung von Untergruppen innerhalb der einzelnen Leitberufe, etwa dahin, daß die bisher geübte Verweisung von Facharbeitern in Zukunft nur noch für die mittlere und die untere Gruppe der Facharbeiter gilt, während die Facharbeiter der oberen Gruppe, die aber weder Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion noch besonders hoch qualifizierte Facharbeiter sind, nur in einem geringen Umfang verwiesen werden dürfen. Dazu hat jedoch der 5. Senat des BSG entschieden, daß Qualitätsunterschiede, falls es sie innerhalb der einzelnen Gruppen des von der Rechtsprechung gebildeten Mehrstufenschemas geben möge, nicht zu einer verschiedenen Beurteilung bei der Zumutbarkeit der Verweisung innerhalb der einzelnen Gruppe führen können (Urteil vom 28.3.1980 – 5 RJ 146/79 –). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Der Kläger kann sonach auf Tätigkeiten der nächstunteren Stufe (hier: „angelernter Arbeiter” iwS) verwiesen werden (BSG, SozR aaO Nr. 55 S 170), aber auch auf ungelernte Arbeiten, sofern sieh diese aufgrund besonderer Merkmale – etwa durch eine Vertrauensstellung oder besondere Verantwortung – aus dem Kreis sonstiger einfacher Arbeiten herausheben und – so der 5. sowie neuerdings der 1. Senat des BSG – wegen ihrer betrieblichen Bedeutung angelernten Tätigkeiten gleichstehen, wobei in der Regel in der tariflichen Einstufung ein wichtiges Indiz für die Bewertung gesehen wird (BSG, Urteil vom 19.3.1980 – 4 RJ 13/79 = SozR aaO Nr. 60 S 178 mwN).
Das LSG hat zu Recht den Kläger auf zumutbare andere Tätigkeiten verwiesen. Dabei mag dahinstehen, ob der Kläger auch auf Tätigkeiten der Lohngruppen 4 und 5 des Lohnrahmenabkommens für die gewerblichen Arbeitnehmer der Eisen- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen verwiesen werden kann. Die Verweisung auf Tätigkeiten der Lohngruppe 6 jedenfalls bedeutet nur eine „Herabstufung” vom Facharbeiter (Lohngruppe 7 und höher) zum Leitberuf des „angelernten Arbeiters”. Der Angriff der Revision, Schichtenkontrolleur, Pförtner, Verwieger und Apparatewärter seien nicht sonstige Ausbildungsberufe iS der Lohngruppe 6, geht an dem Urteil des Berufungsgerichts vorbei. Das LSG hat nicht die Tätigkeiten des Werkstattschreibers und des Schichtenkontrolleurs nebeneinander gestellt, sondern damit eine Tätigkeit des Werkstattschreibers gemeint, die nach der Auskunft der F.K. H. AG vom 13. August 1979 heute Schichtenkontrolleur genannt, in Stahlschmieden und Bearbeitungsbetrieben geführt und nach Lohngruppe 6 entlohnt wird, körperlich leicht ist und eine „Einarbeitungszeit” von ein bis zwei Monaten erfordert. Auch hat das LSG den Schichtenkontrolleur nicht als einen „sonstigen Ausbildungsberuf” (iS des Berufsbildungsgesetzes vom 14.8.1969, BGBl I 1112) bezeichnet, sondern dem Leitberuf „angelernter Arbeiter” lediglich gleichgestellt. An die tatsächlichen Feststellungen, die die Revision nicht mit Revisionsrügen angegriffen hat, ist der Senat gebunden. Die in der Gleichstellung liegende rechtliche Bewertung und Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des BSG, wonach die Einstufung in die Tarifverträge ein wesentliches Indiz für die Zuordnung zu den Leitberufen darstellt.
Die Revision deutet an, der Werkstattschreiber/Schichtenkontrolleur könne möglicherweise zu Unrecht der Lohngruppe 6 zugeordnet sein; diese Tätigkeit, die nur eine Einarbeitung von ein bis zwei Monaten voraussetze, sei vielleicht nur deshalb einem Anlernberuf gleichgestellt worden, weil die mit ihr verbundenen besonderen Unannehmlichkeiten wie Schichtdienst uä nicht anders hätten ausgeglichen werden können. Dieses Vorbringen vermag jedoch nicht zu überzeugen. Versicherungsträger und Gerichte dürfen bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Verweisungstätigkeiten, für die die tarifliche Einstufung ein wichtiges Indiz ist, davon ausgehen, daß die Tarifpartner die Zuordnung von Tätigkeiten zu den einzelnen Lohngruppen in der Kegel sachgemäß vornehmen. Die Nachprüfung der einzelnen Einstufungen ist, wenn überhaupt, Sache der Arbeitsgerichte. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit könnten allenfalls dann in eigene Untersuchungen über die Angemessenheit der tariflichen Einstufung eintreten, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein unrichtiges Vorgehen der Tarifpartner geltend gemacht worden sind. Die Revision hat sich jedoch auf eine allgemeine Andeutung beschränkt.
Im übrigen könnte der Kläger auch dann auf die Tätigkeit des Werkstattschreibers/Schichtenkontrolleurs verwiesen werden, wenn diese nur einer ungelernten Arbeit entspräche. Denn in diesem Fall wäre angesichts der – wiederum in der Regel hinzunehmenden – tariflichen Einstufung festzustellen, daß sich die Tätigkeit aus dem Kreis sonstiger einfacher Arbeiten heraushebt. Schließlich hat das LSG auch festgestellt, daß die Tätigkeit des Schichtenkontrolleurs den Kräften und Fähigkeiten des Klägers entspricht.
Nach der Rechtsprechung scheitert die Verweisbarkeit eines Versicherten nicht daran, daß nur eine zumutbare Verweisungstätigkeit benannt wird (BSG, Urteil vom 28.6.1979 – 4 RJ 70/78 = SozR 2200 § 1246 Nr. 45). Deshalb kommt es auf die Bedenken nicht an, die die Revision gegen die Verwertung der Auskunft der H. Werke AG erhebt; denn diese Auskunft betrifft andere Tätigkeiten.
Da der Kläger sonach noch nicht berufsunfähig ist, war seine Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen