Leitsatz (redaktionell)

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist die Zulassung der Berufung eine Entscheidung des SG, die im Urteil erkennbar zum Ausdruck gebracht sein muß; es darf kein Zweifel darüber bestehen, daß das SG eine seiner Ansicht nach auf Grund der SGG §§ 144 bis 149 an sich unstatthafte Berufung trotzdem wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder wegen Abweichung von einem Urteil des übergeordneten LSG zulassen wollte.

Der Satz in der Rechtsmittelbelehrung des SG, "gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig", deutet lediglich darauf hin, daß das SG die Berufung nach SGG § 143 für statthaft gehalten hat; es kann aus ihm nicht entnommen werden, daß die Berufung nach SGG § 150 Nr 1 zugelassen werden sollte.

 

Normenkette

SGG § 143 Fassung: 1953-09-03, § 144 Fassung: 1953-09-03, § 145 Fassung: 1958-06-25, § 146 Fassung: 1958-06-25, § 147 Fassung: 1958-06-25, § 148 Fassung: 1958-06-25, § 149 Fassung: 1958-06-25, § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. April 1962 werden als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Gründe

Durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt O (LVA) vom 24. Mai 1950 wurde der Klägerin ein Blindenpflegegeld nach dem Bayerischen Gesetz über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 28. September 1949 ( BlindenpflegegeldG ) in Höhe von 75 DM bewilligt. Nach Erlaß des Änderungsgesetzes zum BlindenpflegegeldG vom 18. September 1950 wurde der Klägerin das Blindenpflegegeld mit Bescheid vom 19. Dezember 1950 weiter gewährt und durch Bescheid vom 30. Januar 1952 nach dem Zweiten Blindenpflegegeldänderungsgesetz vom 15. Januar 1952 auf 90 DM monatlich erhöht.

Die LVA stellte dann die Pflegegeldzahlung durch Bescheid vom 24. August 1954 mit Ablauf des Monats August 1954 ein, weil die Klägerin wegen ihrer Blindheit Fürsorgesonderleistungen in Höhe von 147,85 DM erhielt, die gemäß Art. 3 Abs. 3 BlindenpflegegeldG i. d. F. vom 18. Juni 1953 auf das Blindengeld anzurechnen waren. Durch Änderungsbescheid vom 18. Oktober 1957 bewilligte die LVA der Klägerin erneut ein Blindenpflegegeld in Höhe von monatlich 22,50 (1/4 des vollen Pflegegeldes), weil der Fürsorgeverband weiterhin zur Deckung der Heimkosten beitrug. Dieses Teilblindenpflegegeld wurde durch Bescheid vom 26. Juli 1958 mit Rücksicht auf die Erhöhung des vollen Blindenpflegegeldes von monatlich 90 DM auf 120 DM durch das Änderungsgesetz zum BlindenpflegegeldG vom 22. Mai 1958 auf monatlich 30 DM festgesetzt.

Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung des Blindenpflegegeldes in der vollen Höhe von monatlich 120 DM vom 1. April 1958 an begehrt. Das Sozialgericht (SG) hat durch Beschluß vom 8. Januar 1960 den Bezirksfürsorgeverband der Stadt Nürnberg auf seinen Antrag beigeladen, weil die Klägerin in der Blindenanstalt Nürnberg untergebracht ist und der Beigeladene teilweise die Kosten trägt. Durch Urteil vom 29. Januar 1960 hat das SG Nürnberg die Klage abgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen insbesondere ausgeführt, das Ruhen des Blindenpflegegeldes in Höhe von 90 DM beruhe auf Art. 2 Abs. 2 BlindenpflegegeldG i. d. F. vom 22. Mai 1958. Diese Vorschrift verstoße entgegen der Auffassung der Klägerin und der Beigeladenen nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip den öffentlichen Fürsorge und den Gleichheitsgrundsatz. Der Grundsatz, daß die öffentliche Fürsorge nur dann z zur Leistung verpflichtet sei, wenn ein anderer Pflichtiger nicht vorhanden sei, bedeute nur, daß sie beim Bestehen eines anderen Anspruchs des Berechtigten nicht zu leisten brauche; er bedeute dagegen nicht, daß ein Land zusätzliche Leistungen, zu denen es nicht verpflichtet ist, nicht ganz oder teilweise vom Nichtbezug öffentlicher Fürsorgeleistungen abhängig machen dürfe. Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verbiete lediglich eine ungleiche Behandlung gleicher Tatbestände durch den Gesetzgeber. Das Blindenpflegegeld der Klägerin ruhe nach Art. 2 Abs. 2 BlindenpflegegeldG zu drei Vierteln, weil sie aus dem gleichen Grunde bereits Leistungen vom Fürsorgeverband beziehe. In diesem Punkte unterscheide sich der vorliegende Fall von denjenigen, in denen das volle Blindenpflegegeld gezahlt werde. Hierin liege die Ungleichheit im Tatbestand, welche die scheinbare Ungleichheit in der Behandlung rechtfertige. Die Klägerin erhalte im Ergebnis nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an staatlicher Unterstützung, weil die Leistungen der Beigeladenen zur Heimunterbringung den ruhenden Teil des Blindenpflegegeldes in Höhe von 90 DM überstiegen. In der Rechtsmittelbelehrung hat das SG die Berufung als zulässig bezeichnet.

Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beigeladene Berufung eingelegt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 9. April 1962 diese Berufungen als unzulässig verworfen; es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat das LSG ausgeführt, daß zwar in den §§ 144 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Vorschriften, die sich auf den Berufungsausschluß in Angelegenheiten des Bayer. BlindenpflegegeldG beziehen, nicht enthalten seien; Die Anwendbarkeit des § 148 SGG über den Berufungsausschluß in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung (KOV) auf den vorliegenden Fall ergebe sich aber aus Art. 4 Abs. 2 BlindenpflegegeldG . Dort sei bestimmt, daß u. a. § 62 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und das gesamte Gesetz über das Verwaltungsverfahren der KOV (VerwVG) für die Gewährung des Pflegegeldes an Zivilblinde entsprechende Anwendung finden. Damit ergebe sich aus dem Sachzusammenhang und der Gesetzessystematik, daß im Streitverfahren § 148 Nr. 3 SGG auf Neufeststellungsbescheide nach dem BlindenpflegegeldG anzuwenden sei. Durch den angefochtenen Bescheid vom 26. Juli 1958 sei der Klägerin ein Pflegegeld von monatlich 30 DM statt eines solchen von bisher 22,50 DM bewilligt, das Pflegegeld also neu festgesetzt worden. Diese Änderung in der Höhe des Pflegegeldes begründe der Bescheid mit einer Gesetzesänderung, also mit einer Änderung der rechtlichen Verhältnisse des Pflegegeldanspruchs, die schon immer als Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 Abs. 1 BVG angesehen worden sei. Da hiernach die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen seien, wären sie nur statthaft, wenn das SG die Berufung zugelassen hätte oder wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel gerügt worden wäre. Der Satz in der Rechtsmittelbelehrung des SG "gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig" stelle keine ausdrückliche Zulassung der Berufung, sondern eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung dar, durch welche die an sich nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossene Berufung nicht zulässig werde. Nun habe allerdings das Bundessozialgericht (BSG) in Breith. 1962, 167 entschieden, daß das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel leide, wenn die nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässige Berufung in der Rechtsmittelbelehrung rechtsirrig als zulässig bezeichnet werde, ohne daß das SG überhaupt die Frage geprüft und entschieden habe, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen wäre. Die Beigeladene habe sich auf diese Entscheidung gestützt und damit zum Ausdruck gebracht, daß der hier vorliegende Sachverhalt mit dem identisch sei, den das BSG entschieden habe. Sie habe somit einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt, so daß die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig wäre, wenn ein solcher Verfahrensmangel tatsächlich vorliegen würde, Dies treffe jedoch nicht zu, weil der vom BSG entschiedene Fall einen Rechtsstreit aus der Rentenversicherung betroffen habe, bei dem die Berufung nach § 146 SGG ausdrücklich ausgeschlossen gewesen sei, weil es sich um Rente für einen abgelaufenen Zeitraum handelte. In diesem Falle habe nur angenommen werden können, das SG habe die Sachlage versehentlich nicht erkannt und deshalb auch nur die Prüfung nach § 150 Nr. 1 SGG unterlassen. Im vorliegenden Falle sei jedoch § 148 Nr. 3 SGG nicht versehentlich, sondern rechtsirrtümlich nicht angewendet worden. Das SG habe sehr wohl der Auffassung sein können, daß mangels einer positivrechtlichen Vorschrift über die Anwendung des § 148 SGG in Angelegenheiten des Bayer. BlindenpflegegeldG die Grundsatzregelung des § 143 SGG gelte. Da die Frage, ob das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leide, stets vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des SG, also nicht vom Standpunkt des Berufungsgerichts zu beurteilen sei, könne in der unterlassenen Prüfung. ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war, kein wesentlicher Mangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG erblickt werden.

Gegen das ihnen am 5. Juni 1962 zugestellte Urteil des LSG haben sowohl die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Juni 1962 als auch die Beigeladene mit Schriftsatz vom 27. Juni 1962 Revision eingelegt.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen,

hilfsweise den Rechtsstreit an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 9. April 1962 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Bayer. LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin hat die Revision mit Schriftsatz vom 11. Juni 1962, eingegangen beim BSG am 13. Juli 1962, begründet. Sie ist der Auffassung, das LSG hätte statt eines Prozeßurteils ein Sachurteil erlassen müssen. Das Urteil des SG betreffe nicht die Neufeststellung des Blindenpflegegeldes wegen Änderung der Verhältnisse anläßlich einer Gesetzesänderung im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG, es betreffe vielmehr die Frage, ob das volle Blindenpflegegeld oder nur ein Viertel zu gewähren ist. In dieser Hinsicht sei das BlindenpflegegeldG jedoch nicht geändert worden, so daß schon aus diesem Grunde § 148 Nr. 3 SGG keine Anwendung finden könne. Im übrigen habe das SG die Berufung ausdrücklich für zulässig erklärt. Es komme insoweit lediglich darauf an, daß die Zulassung "im Urteil" erfolgt sei. Auch die Rechtsmittelbelehrung gehöre zum Urteil, so daß in ihr die Zulassung der Berufung rechtswirksam ausgesprochen werden könne. In materiell-rechtlicher Hinsicht widerspreche Art. 2 Abs. 2 BlindenpflegegeldG dem Art. 3 GG. Es gehe hier um den Rechtsanspruch auf Blindenpflegegeld, der unabhängig davon zu beurteilen sei, ob dem Blinden aus anderen Rechtsvorschriften Leistungsansprüche zustehen. Demgegenüber greife die Auffassung des SG nicht durch, daß die Klägerin an Blindenpflegegeld plus Fürsorgezahlung mehr vom Staat erhalte als die Selbstzahler. Hinzu komme, daß Art. 2 Abs. 2 BlindenpflegegeldG die volle Versorgungsleistung davon abhängig mache, daß keine Fürsorgeleistung gewährt werde. Das bedeute die Umkehrung der Subsidiarität der Fürsorgeleistung, die unzulässig sei.

Die Beigeladene hat ihre Revision mit Schriftsatz vom 18. Juli 1962, eingegangen beim BSG am 19. Juli 1962, begründet. Unter I und II der Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, gibt sie lediglich die Prozeßgeschichte wieder. Sie rügt unter III und IV der Revisionsbegründung eine Verletzung der §§ 51, 148 SGG und trägt dazu vor, das LSG hätte in der Sache selbst entscheiden müssen. Durch Art. 7 des Bayer. Ausführungsgesetzes zum SGG (AGSGG) sei für Streitigkeiten aus dem BlindenpflegegeldG der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (SGb) eröffnet worden. Daraus müsse gefolgert werden, daß bei Berufungen über Urteile in Blindenpflegegeldstreitsachen der übliche Rechtsweg nach dem SGG gegeben sei und daß insbesondere § 148 SGG in solchen Streitfällen nicht zur Anwendung kommen könne. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle diese Vorschrift aus rechtspolitischen Gründen verhindern, daß die Masse der einfachen Streitfälle vor die zweite Instanz gebracht werden kann. Blindenpflegegeldstreitsachen seien aber so selten, daß ein rechtspolitisches Bedürfnis, eine Unzahl von Streitigkeiten zu vermeiden, nicht bejaht werden könne. Zwar werde in Art. 4 Abs. 2 BlindenpflegegeldG auf die §§ 60 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, 62 Abs. 1 und 63 BVG sowie auf das VerwVG Bezug genommen. Der Grund dafür sei jedoch lediglich darin zu suchen, daß das BlindenpflegegeldG nur materielles Recht regele und keine besonderen Vorschriften über die Verfahrensweise enthalte. Dieser Umstand rechtfertige es jedoch nicht, den Analogieschluß zu ziehen, daß in Blindenpflegegeldstreitfällen der Gesetzgeber auch die Berufungsausschlußgründe des § 148 SGG habe gelten lassen und den Blinden damit den zweiten Rechtszug habe verwehren wollen. Die Anwendung des § 148 SGG in solchen Fällen könne jedenfalls nicht mit dem Sachzusammenhang und der Gesetzessystematik begründet werden. Wenn der Gesetzgeber den Zivilblinden gegenüber eine solche einschneidende Rechtsbeschränkung wie in § 148 SGG hätte gelten lassen wollen, so hätte er dies unbedingt besonders zum Ausdruck bringen müssen.

Unter V der Revisionsbegründung bringt die Beigeladene vor, sie habe durch ihren Vertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 9. April 1962 vortragen lassen, daß das SG keinen Zweifel über die Zulässigkeit der Berufung gehabt habe. Es sei daher in eine Prüfung, ob die Berufung zuzulassen sei, gar nicht eingetreten. Nach dem Urteil des BSG vom 28. September 1961 (Breith. 1962, 167) leide das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel, wenn die nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässige Berufung in der Rechtsmittelbelehrung rechtsirrig als zulässig bezeichnet werde, ohne daß das SG überhaupt die Frage geprüft und entschieden hat, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war. Diese Entscheidung des BSG müsse auch im vorliegenden Falle Anwendung finden, ohne daß es darauf ankomme, ob die unterlassene Prüfung hinsichtlich der Zulassung der Berufung auf einem Rechtsirrtum oder auf einem Versehen beruhe. Dieser Mangel im Verfahren des SG sei vom Prozeßvertreter der Beigeladenen im Verfahren vor dem LSG gerügt worden, so daß das Berufungsgericht auch aus diesem Grunde die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG als zulässig hätte ansehen müssen. Im übrigen wird noch auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 22. März 1965 Bezug genommen, in dem sie im wesentlichen ihre Ausführungen in der Revisionsbegründung wiederholt.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen als unbegründet; sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen sind form- und fristgerecht eingelegt (§§ 164, 166 SGG) sowie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft und somit zulässig. Sie sind aber nicht begründet.

Die Beigeladene ist zur Einlegung der Revision befugt, weil sie durch die Beiladung die Rechtsstellung eines Beteiligten erhalten hat und damit selbständig ein Rechtsmittel einlegen kann (BSG 2, 10; 6, 160; 8, 291; SozR SGG § 160 Nr. 9).

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Bescheid vom 26. Juli 1958 rechtmäßig ist. Die Klägerin hat diesen Bescheid mit der Klage angefochten und beantragt, ihr über den bewilligten Betrag von monatlich 30 DM hinaus (ein Viertel des vollen Blindenpflegegeldes) das volle Blindenpflegegeld in Höhe von monatlich 120 DM zu gewähren. Bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse, weil durch das Änderungsgesetz zum BlindenpflegegeldG vom 22. Mai 1958 der Monatsbetrag des Blindenpflegegeldes von 90 auf 120 DM erhöht worden ist und damit auch das der Klägerin bisher gezahlte Teilpflegegeld von 22,50 DM auf 30 DM heraufgesetzt werden mußte. Die Klägerin greift insoweit den Bescheid vom 26. Juli 1958 auch gar nicht an, sofern man davon ausgeht, daß ihr nur ein Viertel des Blindenpflegegeldes zusteht, weil die Beigeladene zu den Kosten der Heimunterbringung beiträgt. Die Revisionsklägerinnen meinen jedoch, daß das volle Pflegegeld gezahlt werden müßte. Durch den bindend gewordenen Bescheid vom 18. Oktober 1957 ist bereits die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Klägerin das volle Pflegegeld oder nur ein Viertel zusteht, dahin geregelt worden, daß gemäß Art. 2 Abs. 2 des BlindenpflegegeldG vom 18. Juni 1953 (Bayer. GVBl. S. 77) i. d. F. des Änderungsgesetzes zum BlindenpflegegeldG vom 22. Mai 1958 (Bayer. GVBL. S. 74) drei Viertel des Pflegegeldes ruhen. Es wäre daher denkbar, daß die Klägerin insoweit mit der Klage den Erlaß eines Zugunstenbescheides im Sinne des § 40 Abs. 1 VerwVG beantragen wollte, weil sie sich gegen die in dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Berechnung - ein Viertel des Pflegegeldes - 30 DM - nicht wendet. Wäre dies der Fall, dann hätte das SG allerdings die Klage als unzulässig abweisen müssen, weil über den Erlaß eines Zugunstenbescheides zunächst die Versorgungsbehörde hätte entscheiden müssen. Das SG hat jedoch den Antrag der Klägerin im Klageverfahren - nach Ansicht des Senats zutreffend - nicht in diesem Sinne aufgefaßt, weil die Klägerin ausdrücklich den Bescheid vom 26. Juli 1958 angefochten hat, ohne in der Klagebegründung in irgendeiner Weise zum Ausdruck zu bringen, daß sie den Erlaß eines Zugunstenbescheides begehre. Es ist daher davon auszugehen, daß die Klägerin lediglich im Rahmen der Neufeststellung des Blindenpflegegeldes durch den Bescheid vom 26. Juli 1958 die Gewährung eines höheren Pflegegeldes beantragt hat. Dann aber handelt es sich im vorliegenden Verfahren allein um die Anfechtung eines Neufeststellungsbescheides im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG, so daß die Berufung nicht zulässig ist, sofern diese Vorschrift in Streitsachen aus dem Bayer. BlindenpflegegeldG anzuwenden ist, wie das LSG angenommen hat. Es kommt also insoweit nicht darauf an - wie die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung meint -, daß eine Änderung der Verhältnisse durch das Änderungsgesetz zum BlindenpflegegeldG vom 22. Mai 1958 nur in der Hinsicht eingetreten ist, daß der Betrag des vollen Blindenpflegegeldes von monatlich 90 auf 120 DM erhöht worden ist. Durch die Begründung, welche die Klägerin ihrem Antrag auf Gewährung des vollen Blindenpflegegeldes statt eines Viertels gibt, ändert sich nichts daran, daß die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid eine Neufeststellung des Blindenpflegegeldes im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG vorgenommen hat, gegen die sich die Revisionsklägerinnen im vorliegenden Streitverfahren mit dem Ziel wenden, bei diesem Anlaß die Gewährung eines höheren Blindenpflegegeldes zu erreichen, als es der Klägerin in dem angefochtenen Bescheid zugesprochen worden ist. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 148 Nr. 3 SGG sind somit gegeben.

Die Revisionsklägerinnen machen zur Begründung ihrer Rügen einer Verletzung der §§ 51, 148 SGG weiter geltend, das LSG habe § 148 Nr. 3 SGG schon deswegen nicht anwenden dürfen, weil es sich bei Streitigkeiten aus dem Bayer. BlindenpflegegeldG nicht um Angelegenheiten der KOV handle. Die Revisionsklägerinnen übersehen hierbei, daß die Revision nach § 162 Abs. 2 SGG unabhängig davon, ob es sich um eine zugelassene oder nicht zugelassene Revision handelt, nur darauf gestützt werden kann, daß die Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Sie verkennen, daß es sich im vorliegenden Falle bei der Rüge, § 148 SGG könne bei Streitigkeiten aus dem Bayer. BlindenpflegegeldG überhaupt keine Anwendung finden, nicht um eine Gesetzesverletzung bei der Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG, sondern um eine Gesetzesverletzung bei der Anwendung irreversibler landesrechtlicher Vorschriften handelt. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Beschluß vom 23. Dezember 1964 (BSG 22, 196) eingehend dargelegt hat, enthalten weder das Bayer. BlindenpflegegeldG noch das Bayer. AGSGG, bei denen es sich um Landesrecht handelt, eine Bestimmung darüber, als Angelegenheit welcher Art ein Rechtsstreit über das Zivilblindenpflegegeld vor den Gerichten der SGb zu behandeln ist, soweit das SGG unterschiedliche Bestimmungen für einzelne Sondergebiete getroffen hat. Die Vorschriften der §§ 145 bis 148 SGG über den Berufungsausschluß enthalten derartige besondere Regelungen für die Unfallversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Kriegsopferversorgung. Das LSG hatte demnach Landesrecht auszufüllen und darüber zu entscheiden, als Angelegenheit welcher Art Streitfälle aus dem BlindenpflegegeldG zu gelten und insbesondere. welche Vorschriften über den Berufungsausschluß Anwendung zu finden haben. Diese Gesetzeslücke hat das LSG ausgefüllt und aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des BVG und des gesamten VerwVG nach Art. 4 Abs. 2 BlindenpflegegeldG gefolgert, daß aus Gründen des Sachzusammenhangs und der Gesetzessystematik die Vorschriften des SGG über den Berufungsausschluß in Angelegenheiten der KOV (§ 148 SGG) entsprechend anzuwenden sind. Da das LSG insoweit Landesrecht ausgelegt und eine in diesem bestehende Gesetzeslücke unter Heranziehung landesrechtlicher Vorschriften ausgefüllt hat, ist die von ihm hierzu vertretene Rechtsauffassung für das BSG nicht nachprüfbar, weil es sich insoweit um irrevisibles Recht handelt, wie sich aus § 562 der z Zivilprozeßordnung (ZPO) ergibt, der über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (vgl. BSG 4, 156, 161). Danach ist die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 549 ZPO (hier § 162 Abs. 2 SGG) nicht gestützt werden kann, für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend (vgl. hierzu auch BGHZ 21, 214, 217; BVerwG in MDR 1964, 438). Die Rüge der Revisionsklägerinnen betrifft somit irrevisibles Landesrecht, das der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nach den §§ 162 Abs. 2, 202 SGG i. V. m. § 562 ZPO entzogen ist. In dem angeführten Beschluß vom 23. Dezember 1964 hat der erkennende Senat ferner ausgesprochen, daß über Streitigkeiten aus dem Bayer. BlindenpflegegeldG die Gerichte der SGb zu entscheiden haben, daß dem BSG aber nicht durch Landesgesetz im Sinne des Art. 99 GG die Entscheidung im letzten Rechtszug über die Anwendung des Bayer. BlindenpflegegeldG zugewiesen ist. Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen, die der erkennende Senat in seinem Beschluß vom 23. Dezember 1964 (BSG 22, 196) eingehend begründet hat. Zur Nachprüfung der Rechtsauffassung des LSG ist das BSG somit auch nicht deswegen befugt, weil ihm für den letzten Rechtszug durch Landesgesetz die Entscheidung über Streitfälle aus dem BlindenpflegegeldG zugewiesen worden ist. Das Revisionsgericht muß daher im vorliegenden Falle davon ausgehen, daß § 148 Nr. 3 SGG Anwendung findet. Da die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser Vorschrift - wie bereits oben dargelegt - vorliegen, hat das LSG insoweit zu Recht die Berufungen der Revisionsklägerinnen gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 29. Januar 1960 als unzulässig verworfen.

Die Revisionsklägerinnen rügen ferner unter Hinweis auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 28. September 1961 (SozR SGG § 150 Nr. 31) eine Verletzung des § 150 Nr. 2 SGG. Hat das LSG - vom BSG nicht nachprüfbar - ausgesprochen, daß das SGG nach Landesrecht auf Streitigkeiten nach dem Bayer. BlindenpflegegeldG anzuwenden ist, so liegt insoweit revisibles Recht vor, weil der Landesgesetzgeber ein Bundesgesetz (das SGG) unter Verzicht auf landesrechtliche Regelung für anwendbar erklärt hat (vgl. BGH in NJW 1954, 73; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb Anm. 5 c zu § 162). In dem von den Revisionsklägerinnen angeführten Urteil vom 28. September 1961 hatte das BSG ausgesprochen, es liege ein Verfahrensmangel vor, wenn eine nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässige Berufung in der Rechtsmittelbelehrung als zulässig bezeichnet werde, ohne daß das SG überhaupt die Frage geprüft und entschieden habe, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war. Das LSG hat insoweit das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels verneint. Es kann dahinstehen, ob der vom LSG hierzu gegebenen Begründung gefolgt werden kann; denn in den angeführten Fällen handelt es sich nicht um einen Verfahrensmangel. Der 4. Senat des BSG hat die von ihm in der Entscheidung vom 28. September 1961 vertretene Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 12. September 1963 (SozR SGG § 150 Nr. 40) aufgegeben. Der 2., 5. und 7. Senat haben ebenfalls keinen wesentlichen Verfahrensmangel dann angenommen, wenn das SG in einer Sache, in der die Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG ausgeschlossen war, das Rechtsmittel irrtümlich als nach § 143 SGG statthaft angesehen und deshalb eine Entscheidung darüber nicht getroffen hat, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war (vgl. Urteil des 2. Senats vom 25. Juni 1964 - 2 RU 196/65 -, SozR SGG § 150 Nr. 38 und 39; vgl. auch SozR SGG § 162 Nr. 112). Da somit in dieser Hinsicht ein Mangel im Verfahren des SG nicht vorliegt, der die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft machen könnte, ist das Urteil des LSG im Ergebnis auch insoweit nicht zu beanstanden.

Endlich rügt die Klägerin noch in ihrer Revisionsbegründung vom 11. Juli 1962, das SG habe die Berufung in seinem Urteil auch dann zugelassen, wenn es in der Rechtsmittelbelehrung ausgeführt habe, daß die Berufung zulässig sei. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG 2, 121, 125; 4, 261, 263; 5, 92, 95; SozR SGG § 150 Nr. 10, 16, 41) ist die Zulassung der Berufung eine Entscheidung des SG, die im Urteil in der Weise erkennbar zum Ausdruck gebracht sein muß, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß das SG eine seiner Ansicht nach auf Grund der §§ 144 bis 149 SGG an sich unstatthafte Berufung trotzdem wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder wegen Abweichung von einem Urteil des übergeordneten LSG zulassen wollte. Im vorliegenden Falle bestehen nach dem Urteil des SG keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Voraussetzungen vom SG für gegeben erachtet worden sind. Der Satz in der Rechtsmittelbelehrung des SG "gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig" deutet lediglich darauf hin, daß das SG die Berufung nach § 143 SGG für statthaft gehalten hat; es kann aus ihm nicht entnommen werden, daß die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen werden sollte. In solchen Fällen hat das BSG daher in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß eine rechtswirksame Zulassung der Berufung nicht vorliegt. Die hierzu vom LSG in dem angefochtenen Urteil vertretene Auffassung gibt somit ebenfalls keinen Anlass zu Bedenken.

Das LSG hat hiernach die Berufungen der Revisionsklägerinnen gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 29. Januar 1960 zu Recht als unzulässig verworfen, soweit der erkennende Senat überhaupt befugt war, die Entscheidung des LSG wegen Verletzung des Bundesrechts nachzuprüfen. Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen mußten daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2351527

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