Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. nachträgliche Gebührenforderung für die Nutzung von Wohnraum in einer Aufnahmeeinrichtung in der Zeit nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bis zum Umzug in eine neue Unterkunft mit vorheriger Zusicherung des Grundsicherungsträgers. aktueller Unterkunftsbedarf im Fälligkeitsmonat. sozialgerichtliches Verfahren. Ersetzungsbescheid als alleiniger Streitgegenstand
Leitsatz (amtlich)
Nachträglich für die Nutzung von Wohnraum in Aufnahmeeinrichtungen erhobene Gebühren sind bei späterer Fälligkeit keine dem Zeitpunkt der tatsächlichen Nutzung zuzuordnende Bedarfe, sondern im Monat ihrer Fälligkeit beim Arbeitslosengeld II zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
Hat ein Bescheid einen früheren Bescheid in Gestalt eines Widerspruchsbescheides erledigt (§ 39 Abs 2 SGB 10), so wird der ersetzende Bescheid alleiniger Gegenstand des Verfahrens (§ 96 Abs 1 SGG).
Normenkette
SGB 2 § 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1; AsylDV BY § 26; SGG § 96 Abs. 1; SGB X § 39 Abs. 2, § 31 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Umstritten sind Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen Gebühren, die für die Nutzung einer Aufnahmeeinrichtung entstanden und später fällig geworden sind.
Der 1961 geborene Kläger und die 1968 geborene Klägerin zu 2 sind die Eltern der 1993 bzw 2000 geborenen Klägerinnen zu 3 und 4. Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Sie hielten sich seit Mitte 2015 im Landkreis A auf, in dem das beklagte Jobcenter die Aufgaben der Träger nach dem SGB II wahrnimmt. Sie wohnten in einer Aufnahmeeinrichtung und erhielten Leistungen nach dem AsylbLG, dabei die Unterkunft als Sachleistung. Nachdem die Flüchtlingseigenschaft der Kläger anerkannt worden war, stellte der Landkreis die Leistungen nach dem AsylbLG zum Ende des Februar 2016 ein. Die Kläger blieben zunächst in der Aufnahmeeinrichtung wohnen. Der Beklagte bewilligte Regelbedarfe für März bis August 2016. Nachdem die Kläger die Zusicherung zu einem Umzug in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des beigeladenen Jobcenters beantragt hatten, bestätigte der Beigeladene die Angemessenheit der von den Klägern dort angemieteten Wohnung. Wegen des Umzugs der Kläger zum 1.8.2016 hob der Beklagte seine Bewilligung von Alg II zum Ende des Juli 2016 auf. Der Beigeladene gewährte ab August 2016 Alg II unter Berücksichtigung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung der nunmehr bewohnten Wohnung.
Im April 2017 erließ die Regierung von U als "zentrale Gebührenabrechnungsstelle" an die Kläger gerichtete Gebührenbescheide wegen des Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung von März bis Juli 2016. Darin setzte sie monatliche Gebühren für die Nutzung der Unterkunft gegen den Kläger in Höhe von 185 Euro und - ausgenommen März 2016 für die Klägerin zu 2 - für die Klägerinnen in Höhe von jeweils 65 Euro fest. Die Gebührenforderungen wurden im Mai 2017 fällig.
Der Beklagte verwies wegen des Ausgleichs der Gebühren auf den Beigeladenen (Schreiben vom 9.5.2017). Den Widerspruch hiergegen mit Schreiben vom 30.6.2017 verwarf er als unzulässig, weil das Schreiben kein Verwaltungsakt sei (Widerspruchsbescheid vom 27.9.2017). Nach Erhebung der Klage beschied der Beklagte das Schreiben vom 30.6.2017 sowie einen Antrag der Kläger vom 26.9.2017 auf Rücknahme seiner Bescheide für März bis Juli 2016 (Bescheid vom 7.11.2017). Er werde keine Unterkunftskosten auf den Gebührenbescheid gewähren, weil er nach dem Umzug nicht zuständig sei. Der Bescheid ersetze das Schreiben vom 9.5.2017 und werde Gegenstand des Klageverfahrens. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7.11.2017 wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 8.2.2018), dieser sei wegen § 96 SGG unzulässig und in der Sache unbegründet. Gegen den Bescheid vom 7.11.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 8.2.2018 haben die Kläger ebenfalls Klage erhoben (S 35 AS 964/18). Auch der Beigeladene lehnte die Übernahme der Gebühren ab, weil er nicht zuständig sei. Hierzu ist ein weiteres Klageverfahren anhängig (S 35 AS 1368/18).
Das SG hat die Klagen gegen den Bescheid vom 9.5.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2017 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25.5.2018). Das LSG hat diese Bescheide und den Gerichtsbescheid geändert. Es hat den Beklagten verurteilt, den Klägern für jeden der Monate März bis Juli 2016 Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu bewilligen, und zwar dem Kläger jeweils 185 Euro und den Klägerinnen jeweils 65 Euro (Urteil vom 9.10.2019). Der Beklagte müsse zahlen, weil die Gebührenforderungen als Bedarfe den Monaten zuzuordnen seien, in denen die Kläger in der Aufnahmeeinrichtung gelebt hätten. Daran ändere § 26 Abs 2 Satz 1 der bayrischen Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes vom 4.6.2002 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 13.4.2004 (DVAsyl 2002/2004), wonach die Fälligkeit mit der Bekanntgabe des Gebührenbescheids eintrete, nichts. Die Kosten seien den Monaten der Bedarfsentstehung durch den faktischen Bedarf für eine Wohnung zuzuordnen. Eine Zuordnung nach einem disponiblen, auch durch Dritte bestimmten Fälligkeitszeitpunkt ermögliche Manipulationen. Der Beklagte sei auch wegen der Gebühren für die Klägerin zu 2 im März 2016 zu verurteilen, weil deren Festsetzung in Aussicht gestellt worden sei.
Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Das LSG habe offengelassen, nach welcher Vorschrift die Bewilligungen für März bis Juli 2016 abgeändert werden sollten und das Monatsprinzip verkannt. Der Bedarf bestehe nur in den zu leistenden Geldbeträgen. Laufende wie einmalige Aufwendungen seien dem Fälligkeitsmonat zuzuordnen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2019 aufzuheben und die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 25. Mai 2018 zurückzuweisen.
Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das Urteil des LSG verletzt § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Beklagte hat den Klägern keine Leistungen für Unterkunft und Heizung zu zahlen. Die Sache ist zurückzuverweisen, weil der Senat nicht abschließend darüber entscheiden kann, ob und in welchem Umfang der Beigeladene zu verurteilen ist.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen nur noch der Bescheid des Beklagten vom 7.11.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 8.2.2018 (zu letzterem siehe 6.). Der Bescheid vom 7.11.2017 hat den Bescheid vom 9.5.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2017 erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X) und ist als ersetzender Bescheid alleiniger Gegenstand des Verfahrens geworden (§ 96 Abs 1 SGG; vgl BSG vom 16.6.2015 - B 4 AS 37/14 R - SozR 4-4200 § 27 Nr 2 RdNr 13), was vom Revisionsgericht als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu beachten ist (vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 8/14 R - BSGE 119, 7 = SozR 4-4200 § 21 Nr 22, RdNr 10 mwN). Das Schreiben vom 9.5.2017 war ein Verwaltungsakt iS von § 31 Satz 1 SGB X, weshalb die Wirkungen des § 96 Abs 1 SGG eintreten konnten. Dies ergibt sich nach Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts, zu der das BSG als Revisionsgericht berufen ist (dazu eingehend BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 19 RdNr 24). Ausgehend hiervon lassen die vor dem Bekanntwerden der Gebührenbescheide beim Beklagten durch diesen erlassenen Bescheide über das Alg II den Schluss nicht zu, in ihnen seien auch Regelungen zu Leistungen für Unterkunft und Heizung verfügt (vgl zur Eigenständigkeit von Leistungen und Verfügungen über den Regelbedarf einerseits und Leistungen für Unterkunft und Heizung andererseits BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78). Vielmehr hat der Beklagte erstmals am 9.5.2017 Regelungen zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung getroffen und darauf bezogene Leistungen abgelehnt. Der Streitgegenstand ist nach dem Inhalt der angefochtenen Verwaltungsakte auf Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt, was dem Antrag der Kläger im Berufungsverfahren entspricht.
2. Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Das Verfahren ist nicht wegen einer doppelten Rechtshängigkeit des Streitgegenstandes unzulässig, weil die vorliegende Klage vor derjenigen zum Aktenzeichen S 35 AS 964/18 erhoben worden ist. Die Kläger verfolgen ihre Ansprüche auf Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen der Gebühren zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Dagegen ist nicht auf die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl dazu BSG vom 21.3.2019 - B 14 AS 42/17 R - RdNr 9; BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R - BSGE 122, 64 = SozR 4-4200 § 40 Nr 10, RdNr 11) zu entscheiden. Über das Verfahren nach § 44 SGB X zu beseitigende Regelungen zu Leistungen für Unterkunft und Heizung hat der Beklagte vor Erlass des Bescheids vom 9.5.2017 nicht getroffen. Das beim SG unter dem Aktenzeichen S 35 AS 1368/18 anhängige Klageverfahren hindert eine mögliche Verurteilung des Beigeladenen zur Zahlung der von den Klägern begehrten Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht (vgl BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 15 mwN).
3. Die Revision des Beklagten ist begründet, weil er den Klägern keine Leistungen für Unterkunft und Heizung zu zahlen hat.
Rechtsgrundlage für die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Leistungen für Unterkunft und Heizung als Teil des Alg II sind §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II vor dem streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015 (BGBl I 434) erhalten hat (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
Die wegen der Nutzung der Aufnahmeeinrichtung als Unterkunft in den Monaten März bis Juli 2016 entstandenen Forderungen waren nicht im Nachhinein beim Alg II für diese Monate zu berücksichtigen. Nachträglich für die Nutzung von Wohnraum in Aufnahmeeinrichtungen durch nicht mehr nach dem AsylbLG, sondern nach dem SGB II leistungsberechtigte Ausländer erhobene Gebühren sind bei Auseinanderfallen von Entstehung und Fälligkeit keine dem Zeitpunkt der tatsächlichen Nutzung zuzuordnenden Bedarfe (dazu 4.). Sie können unter weiteren Voraussetzungen im Monat der Fälligkeit über zuschussweise Leistungen für Unterkunft und Heizung zu decken sein (dazu 5.).
4. Haben nach dem SGB II Leistungsberechtigte Aufwendungen wegen der Nutzung einer Aufnahmeeinrichtung, sind dies grundsätzlich Bedarfe für Unterkunft und Heizung iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
a) Gebühren für das Wohnen in einer Aufnahmeeinrichtung können als unterkunftsbezogene Aufwendungen Bedarfe iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II auslösen.
Der Begriff der Unterkunft iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II ist weiter als der Begriff der Wohnung. Unter einer Unterkunft ist jede Einrichtung oder Anlage zu verstehen, die geeignet ist, vor den Unbillen des Wetters zu schützen und eine gewisse Privatsphäre zu gewährleisten (BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 79/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 39 RdNr 10; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II RdNr 10, Stand Dezember 2020). Für die Bestimmung der darauf bezogenen Aufwendungen kommt es nicht darauf an, ob sie auf öffentlich-rechtlichen Forderungen beruhen (zB Grundsteuern bei einem selbst bewohnten Hausgrundstück) oder privatrechtlicher Natur (zB vereinbarte Wohnraummiete) sind. Ob eine voraussichtlich nur vorübergehende Nutzung beabsichtigt oder die Nutzung eines Objekts zu Wohnzwecken im Vergleich mit anderen Leistungsberechtigten nach dem SGB II üblich ist, ist ebenfalls nicht entscheidend (vgl zur Nutzungsentschädigung für eine Obdachlosenunterkunft BSG vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 14; zu Forderungen der Ordnungsbehörde ua wegen der Einweisung in ein Hotel BVerwG vom 12.12.1995 - 5 C 28.93 - BVerwGE 100, 136; zum Wohnmobil BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 79/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 39). Dass die Kläger von März bis Juli 2016 in der Aufnahmeeinrichtung gewohnt und damit das Bedürfnis nach einer Unterkunft faktisch befriedigt haben, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils (§ 163 SGG).
Abzustellen ist hinsichtlich der Aufwendungen auf die Beträge, die wegen der Nutzung zu Wohnzwecken anfallen (vgl BSG vom 6.8.2014 - B 4 AS 37/13 R - RdNr 21 mwN), also der Deckung des Grundbedürfnisses Wohnen dienen. Soweit - wovon hier nach den Feststellungen des LSG ebenfalls auszugehen ist - sich die wegen des Aufenthalts in einer Aufnahmeeinrichtung erhobenen Gebühren allein auf die Nutzung als Unterkunft beziehen (vgl zur Kalkulation von Unterkunftsgebührensätzen BayVGH vom 16.5.2018 - 12 N 18.9), sind sie der Sache nach in vollem Umfang von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II erfasst.
b) Nach den unangegriffenen Ausführungen des LSG zur durch Landesrecht (§ 162 SGG) vorgegebenen Fälligkeit der Gebühren mit der Bekanntgabe der Gebührenbescheide im Mai 2017 sind die Gebühren nicht über Leistungen für Unterkunft und Heizung von März bis Juli 2016 abzudecken.
Zeitlich den Bedarfen nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zuzuordnen sind vorbehaltlich abweichender Sonderregelungen grundsätzlich alle unterkunfts- und heizungsbezogenen Zahlungsverpflichtungen, denen Leistungsberechtigte im jeweiligen Monat als dem maßgeblichen Leistungszeitraum ausgesetzt sind, die sie also ungeachtet der tatsächlichen Zahlung in diesem Monat als fällige Forderung zu erfüllen haben. Das gilt für unregelmäßige oder in größeren Zeitabständen anfallende Zahlungsverpflichtungen grundsätzlich in gleicher Weise wie für laufende Kosten. Auch einmalige unterkunftsbezogene Aufwendungen sind von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II erfasst und als tatsächlicher Bedarf im Monat ihrer Fälligkeit anzuerkennen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen (stRspr; letztens BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R - BSGE 128, 121 = SozR 4-4200 § 22 Nr 102, RdNr 11 f mwN; ebenso zum SGB XII BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 18/10 R - SozR 4-3500 § 44 Nr 2 RdNr 17 und zuvor zum BSHG BVerwG vom 4.2.1988 - 5 C 89.85 - BVerwGE 79, 46, 52 f) oder anderen Zeiträumen zuzuordnen.
Dass gegenüber Leistungsberechtigten erhobene Forderungen vor ihrer Fälligkeit entstanden sind, ändert hieran nichts. Nach der Konzeption des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II löst nicht die faktische Befriedigung des Bedürfnisses nach einer Unterkunft den über das Alg II zu deckenden Bedarf aus, sondern die tatsächliche Aufwendung.
Leistungen für den Bedarf für Unterkunft und Heizung sind Geldleistungen, aus denen die Leistungsberechtigten ihre entsprechenden Aufwendungen bestreiten können (so schon zum BSHG BVerwG vom 4.2.1988 - 5 C 89.85 - BVerwGE 79, 46, 50; vgl auch BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 38/17 R - BSGE 126, 180 = SozR 4-4200 § 22 Nr 97: keine Sachleistungsverantwortung der Jobcenter für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Von Sonderregelungen abgesehen ist deshalb für den Leistungsanspruch grundsätzlich ausschließlich maßgeblich, inwieweit in dem für die Leistungshöhe maßgebenden Zeitraum die währenddessen fälligen unterkunfts- und heizungsbezogenen Zahlungsverpflichtungen mit dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen gedeckt werden können. Das bestimmt sich - wie allgemein im Bereich des SGB II - nach dem Monatsprinzip. Dieses Prinzip hat das BSG in seiner Rechtsprechung mehrfach betont und herausgestellt (eingehend BSG vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 27 mwN; siehe etwa BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 18/16 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 81 RdNr 18; BSG vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 10 RdNr 31; zuletzt BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R - BSGE 128, 121 = SozR 4-4200 § 22 Nr 102, RdNr 13). Danach ist der Leistungsanspruch auf eine kalendermonatsweise Betrachtung angelegt und sind die Bedarfe eines Monats den Bedarfsdeckungsmöglichkeiten dieses Monats gegenüberzustellen; eine Unterdeckung in diesem Zeitraum begründet den Leistungsanspruch für diesen Monat (BSG vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 10 RdNr 31; BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R - BSGE 128, 121 = SozR 4-4200 § 22 Nr 102, RdNr 13).
Unbeachtlich ist hingegen grundsätzlich, für welchen Zeitraum die bedarfsbegründende Aufwendung - hier die Gebührenforderung - jeweils bestimmt ist (vgl schon BVerwG vom 12.12.1995 - 5 C 28.93 - BVerwGE 100, 136, 138 f). Auf diesen Zweck der Mittelverwendung kommt es seit Aufgabe der sog Identitätstheorie durch das BVerwG für die Bedarfsbemessung grundsätzlich ebenso wenig an wie auf den Leistungszweck einer Einnahme für die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem bedarfsdeckendes Einkommen zugeflossen ist (vgl grundlegend BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35.97 - BVerwGE 108, 296 ff; ebenso stRspr zum SGB II, vgl BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 22): Solange abweichende normative Vorgaben nicht bestehen, sind unterkunfts- und heizungsbezogene Zahlungsverpflichtungen allein im Fälligkeitsmonat bedarfsrelevant und so wenig (fiktiv) einem vergangenen Zeitraum zuzuordnen wie für vergangene Zeiten nachgezahltes Einkommen (vgl BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R - BSGE 128, 121 = SozR 4-4200 § 22 Nr 102 RdNr 14 mwN). Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Fälligkeit durch den Erlass eines Gebührenbescheids oder eine anderweitige Bestimmung der Leistungszeit durch Rechnungslegung (vgl BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 121/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 58 RdNr 11) vom Gläubiger gesteuert werden kann. Verfügen Schuldner zum Zeitpunkt der Fälligkeit über bedarfsdeckendes Einkommen, kommt die Gewährung existenzsichernder Leistungen nicht in Betracht.
c) Sonderregelungen, die auf den Zeitpunkt der faktischen Bedarfsdeckung abstellen, bestehen nicht.
§ 22 SGB II kann keine abweichende ausdrückliche normative Bedarfszuordnung entnommen werden. Aus § 65 Abs 1 SGB II in der Fassung durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016 (BGBl I 1824), der erst zum 1.8.2016 in Kraft getreten ist, ergäbe sich nur ein Sachleistungsanspruch hinsichtlich der Leistungen für Ernährung und Haushaltsenergie. Über § 3 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 AsylbLG, der unterkunftsbezogene Sachleistungsansprüche regelt, lässt sich für das SGB II keine Bedarfszuordnung zum Monat der Nutzung ableiten. Soweit das LSG Landesrecht festgestellt hat (§ 24 Abs 1 Satz 1 DVAsyl 2002/2004: "Bei der Berechnung der monatlichen Gebühren nach §§ 22 und 23 wird Einkommen oder Vermögen berücksichtigt, sobald und soweit der Nutzer der staatlichen Einrichtung oder die mit ihm in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen darüber verfügen können."), folgt hieraus keine abweichende Bedarfszuordnung für § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II.
5. Ob die Kläger nach den für die Berücksichtigung von Nachforderungen aus durch die Nutzung während der Zeit einer Leistungsberechtigung entstandenen und später fällig gewordenen unterkunftsbezogenen Zahlungsverpflichtungen entwickelten Grundsätzen einen Anspruch auf weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Mai 2017 gegenüber dem Beigeladenen haben, kann der Senat aufgrund der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.
Durch Leistungen für Unterkunft und Heizung soll der persönliche Lebensbereich "Wohnung" geschützt werden. Deshalb umfasst der Anspruch nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich nur die Übernahme der Aufwendungen für die tatsächlich genutzte konkrete Unterkunft, die den aktuellen räumlichen Lebensmittelpunkt bildet und den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf deckt (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 30.10.2019 - B 14 AS 2/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 104 RdNr 14).
Allein in eng umgrenzten Ausnahmefällen steht der Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Unterkunft nicht entgegen, dass diese nicht mehr bewohnt wird. Für Nachforderungen von auf ein beendetes Mietverhältnis bezogene Nebenkosten hat das BSG entschieden, dass diese im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II als Bedarf zu berücksichtigen sind, wenn Mieter durchgehend seit dem Zeitraum, für den die Nebenkostennachforderung erhoben wird, bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II standen und eine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs während des Bezugs von Alg II vorlag (BSG vom 13.7.2017 - B 4 AS 12/16 R - RdNr 18 f; vgl im Übrigen BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 40/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 83 RdNr 17 ff). Abzustellen ist insoweit auf die Entstehung der Forderung durch faktische Bedarfsdeckung zu einer Zeit, in der ein Jobcenter für die unterkunftsbezogenen Bedarfe der Leistungsberechtigten aufzukommen gehabt hätte (vgl auch BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 40/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 83 RdNr 21). Durch das Zusicherungserfordernis in Verbindung mit dem Abstimmungsmechanismus aus § 22 Abs 4 SGB II sowie den durchgehenden Leistungsbezug bleibt die später fällig gewordene Forderung mit den aktuell anfallenden Aufwendungen grundsicherungsrechtlich relevant verknüpft (BSG vom 13.7.2017 - B 4 AS 12/16 R - RdNr 19). Die Gleichbehandlung der Gebührennachforderung mit den Fällen der Abrechnung von Betriebskosten ist geboten, soweit der Gebührentatbestand durch die Nutzung der Unterkunft entsteht und leistungsberechtigte Schuldner den davon abweichenden Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebührenforderung nicht beeinflussen können.
Wegen der Zusicherung zum Umzug sind Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 22 Abs 4 SGB II in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) zu treffen; allein die Bestätigung des Beigeladenen zur Angemessenheit der Aufwendungen für die neue Wohnung reicht insofern nicht.
Ob die Gebührenforderungen in voller Höhe von 1835 Euro (5 x 185 Euro + 14 x 65 Euro) in die Neuberechnung der jeweiligen Ansprüche der Kläger auf Alg II (zum Individualanspruch grundlegend BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12 ff) im Mai 2017 einzufließen haben, richtet sich nach der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (vgl BSG vom 30.10.2019 - B 14 AS 2/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 104 RdNr 15), die das LSG zu beurteilen haben wird. Anlass für ein Abweichen vom Kopfteilprinzip aus bedarfsbezogenen Gründen (vgl BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 13/16 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 92 RdNr 16; demgegenüber zur Rechtslage bei Schulden iS von § 22 Abs 8 SGB II BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 80 RdNr 26 ff) bei der Aufteilung der Gesamtforderung auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft besteht nicht.
6. Ergänzend wird das LSG bei seiner Entscheidung im Verhältnis von Klägern zu Beklagtem zu berücksichtigen haben, dass der Widerspruchsbescheid vom 8.2.2018 zwar Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (vgl § 95 SGG), der Widerspruch aber unzulässig war (vgl BSG vom 14.12.1994 - 4 RLw 4/93 - BSGE 75, 241, 245 = SozR 3-5850 § 1 Nr 1 S 5 f; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 96 RdNr 11c) und damit jedenfalls einer Sachentscheidung des Beklagten entzogen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
FEVS 2022, 241 |
InfAuslR 2021, 385 |
NDV-RD 2022, 60 |
NZS 2021, 986 |
SGb 2021, 499 |
ZfF 2021, 276 |
Breith. 2022, 261 |
info-also 2021, 234 |