Leitsatz (amtlich)
1. In Streitigkeiten über Ansprüche der Versicherten auf Rückerstattung von Beiträgen ist die Berufung nur dann ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des SGG § 149 S 2 vorliegen; SGG § 144 Abs 1 findet hier keine Anwendung.
2. SGG § 149 S 2 ist wegen des Zusammenhangs mit SGG § 149 S 1 und unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschriften über den Ausschluß der Berufung sinnvoll nur so auszulegen, daß die Berufung dann ausgeschlossen ist, wenn der Beschwerdewert 50 DM nicht übersteigt.
3. Ehemalige Beamte zur Wiederverwendung, die in der Zeit vom 1945-05-08 bis 1951-03-31 das 65. Lebensjahr vollendet haben, haben nach G 131 § 74 nur insoweit Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile, als die Beiträge zur Rentenversicherung bis zum Ablauf des Monats entrichtet worden sind, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet haben. Für die Erstattung der später entrichteten Beiträge gelten die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; G131 § 74; SGG § 149 S. 2 Fassung: 1953-09-03; G131 § 35 Abs. 1 S. 3
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 1956 und des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 1955 werden aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger war Beamter zur Wiederverwendung (z. Wv.). Vom Januar 1946 bis März 1950 wurden für ihn Sozialversicherungsbeiträge zur Versicherungsanstalt B (VAB.) entrichtet. Am 26. November 1952 beantragte er, ihm nach § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG (Ges. 131) die Arbeitnehmeranteile dieser Beiträge insoweit zu erstatten, als sie auf die Rentenversicherung entfallen. Die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Berlin, die damals in ihrem Bezirk die Aufgaben der Angestelltenversicherung wahrnahm, entsprach diesem Antrag für die Zeit bis Juli 1947 und erstattete 42,90 DM; für die übrige Zeit lehnte sie den Antrag ab: Der Kläger habe am 23. Juli 1947 das 65. Lebensjahr vollendet und sei daher von diesem Zeitpunkt an nicht mehr Beamter z. Wv. gewesen (Bescheid vom 30. September 1953).
Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 17. Mai 1954). Auf seine Klage hin hob das Sozialgericht (SG.) Berlin diese Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger auch die Arbeitnehmeranteile der Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit vom August 1947 bis März 1950 zu erstatten: Das Ges. 131 wolle die Beamten z. Wv. rückwirkend so stellen, als ob auf sie die Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze über Versicherungsfreiheit und Befreiung von der Versicherungspflicht auch nach dem 8. Mai 1945 anwendbar gewesen wären. Dann hätte der Kläger nach Vollendung des 65. Lebensjahres die Befreiung von der Versicherungspflicht beantragen können. Die von ihm nach diesem Zeitpunkt entrichteten Beiträge seien daher zu erstatten (Urteil vom 18. Oktober 1955). Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin wies die Berufung der Beklagten zurück: Der Kläger sei bis zum Inkrafttreten des Ges. 131 in Berlin am 1. Oktober 1951 Beamter z. Wv. gewesen. Dies ergebe sich aus § 35 Abs. 1 Satz 3 dieses Gesetzes. Er habe daher Anspruch auf Erstattung der strittigen Beträge (Urteil vom 30. Oktober 1956).
Das LSG. ließ die Revision zu. Die Beklagte legte gegen das ihr am 6. Dezember 1956 zugestellte Urteil am 28. Dezember 1956 Revision ein und beantragte, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie begründete die Revision am 30. Januar 1957: Das LSG. habe § 35 Abs. 1 Satz 3 Ges. 131 unrichtig ausgelegt. Nach Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift gelte der Kläger von dem Zeitpunkt an, an dem er das 65. Lebensjahr vollendet habe, als im Ruhestand befindlich. Dies werde durch die von ihr vorgelegte Bescheinigung des Senators für Inneres in Berlin vom 16. März 1957 bestätigt. Der Kläger sei daher seit dem 23. Juli 1947 nicht mehr Beamter z. Wv., so daß er die Erstattung der strittigen Beträge nicht beanspruchen könne.
Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen: Er sei bis zum Inkrafttreten des Ges. 131 Beamter z. Wv. gewesen. Dies ergebe sich sowohl aus § 35 Abs. 1 Satz 3 dieses Gesetzes als auch aus § 3 der 2. Maßnahme-Verordnung vom 3. Mai 1940, RGBl. I S. 732. Daher seien ihm die strittigen Beiträge nach § 74 Abs. 1 Ges. 131 zu erstatten. Sein Erstattungsanspruch sei aber auch nach § 74 Abs. 2 begründet, weil er zu den Personen gehöre, denen Anwartschaft auf Versorgung nach dem Ges. 131 zustehe.
II.
Die Revision ist zulässig und begründet.
1.) Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen für das Klage- und Berufungsverfahren vorliegen (BSG. 2 S. 225). Zu den Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren gehört die Statthaftigkeit der Berufung.
Diese hat das LSG. zu Recht bejaht (§ 143 SGG).
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Beitragserstattung nach dem Ges. 131 um einen Anspruch auf eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 SGG handelt. Die Vorschrift des § 144 SGG, die für Ansprüche auf einmalige Leistungen die Berufung ausschließt, ist in Streitigkeiten über Ansprüche der Versicherten auf Rückerstattung von Beiträgen nicht anwendbar. In solchen Streitigkeiten ist die Berufung nur dann ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des § 149 Satz 2 SGG vorliegen; § 149 Satz 2 SGG ist gegenüber § 144 SGG eine Sondervorschrift (ebenso Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. zu § 149; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I S. 250 q oben).
Nach § 149 Satz 2 SGG ist die Berufung ausgeschlossen, wenn - wie hier - der anerkannte Rückerstattungsbetrag nicht mehr als 50,- DM beträgt. Würde man diesen Satz für sich allein betrachten und bei seinem Wortlaut stehen bleiben, wäre die Berufung z. B. statthaft, wenn der Versicherungsträger 60,- DM anerkannt hat und 10,- DM im Streit sind, aber ausgeschlossen, wenn er 10,- DM anerkannt hat und 1.000,- DM im Streit sind. Die Berufung wäre demnach sehr oft in Bagatellstreitigkeiten statthaft und in größeren Rückerstattungsstreitigkeiten ausgeschlossen. Eine solche Auslegung ist nicht nur ohne Sinn, sie widerspricht auch dem Zweck des Gesetzes und seiner Systematik; höher als der Wortlaut eines einzelnen Satzes einer Vorschrift stehen Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. auch RGZ. 142, S. 36 ff. (40) und die Urteile des BGH. vom 18.5.1955, NJW. 1955 S. 1276 (1277 unten rechts) und vom 29.1.1957, NJW. 1957 S. 949 (rechte Spalte, letzter Absatz)). Das SGG geht bei der Regelung der Berufungsausschließungsgründe grundsätzlich davon aus, daß in Streitigkeiten, die für die Beteiligten von verhältnismäßig geringer Bedeutung sind, die Berufung ausgeschlossen, im übrigen aber statthaft sein soll (vgl. §§ 143 - 148 SGG; BSG., Sozialrecht SGG § 146 Nr. 4 Da 2 und Urteil vom 6.9.1956 - 4 RJ 240/55). Dieser Gedanke liegt auch der Vorschrift des § 149 SGG zugrunde. Ihr Satz 1 bestimmt, daß bei Ersatz- und Erstattungsstreitigkeiten zwischen Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts die Berufung ausgeschlossen ist, wenn der "Beschwerdewert" den - für die Beteiligten verhältnismäßig geringfügigen - Betrag von 300,- DM nicht übersteigt. Satz 2 steht mit Satz 1 in engem Zusammenhang. Er kann sinnvoll nur so ausgelegt werden, daß in Streitigkeiten über Ansprüche der Versicherten auf Rückerstattung von Beiträgen ein "Beschwerdewert" von nur 50,- DM maßgebend ist, weil für die Versicherten bereits kleinere Beträge von erheblicher Bedeutung sein können. (Im Ergebnis ebenso BSG., Urteil vom 27.2.1957 - 7 RAr 16/55). Damit stimmt auch die Neufassung des § 149 Satz 2 SGG, wie sie im Entwurf eines "Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes" - Bundesratsdrucksache Nr. 129/57 - zur Klarstellung des Inhalts der Vorschrift vorgesehen ist (vgl. Doubrawa, Soziale Sicherheit, 1957 S. 132 ff. (133)), überein; außerdem trägt diese Auslegung dem Grundsatz der allgemeinen Prozeßrechtslehre Rechnung, daß die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels, soweit sie von einer bestimmten Geldsumme abhängt, nach dem Beschwerdewert zu beurteilen ist. Der Beschwerdewert ist im vorliegenden Fall höher als 50,- DM. Die Berufung der Beklagten ist daher statthaft gewesen.
2.) Nach § 74 Abs. 1 Ges. 131 sind die Arbeitnehmeranteile der Beiträge zu erstatten, die für einen "Beamten z. Wv." in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis 31. März 1951 zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind. Ein Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift setzt demnach voraus, daß der Antragsteller in dem Zeitraum, für den er die Beitragserstattung begehrt, den Rechtsstand eines Beamten z. Wv. gehabt hat. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat beantragt, ihm die Arbeitnehmeranteile der Beiträge für die Zeit vom August 1947 bis März 1950 zu erstatten. Während dieses Zeitraums ist er nicht mehr Beamter z. Wv., sondern Ruhestandsbeamter gewesen. Dies ergibt sich aus § 35 Abs. 1 Satz 3 Ges. 131. Danach "gelten Beamte, bei denen der Versorgungsfall bereits vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten ist, als von diesem Zeitpunkt ab im Ruhestand befindlich". Der Kläger hat am 23. Juli 1947 das 65. Lebensjahr vollendet. Damit ist für ihn - wie sich aus dem Zusammenhang von § 35 Abs. 1 Satz 1 und 3 ergibt - der Versorgungsfall eingetreten. Er gilt demnach von diesem Zeitpunkt an als Ruhestandsbeamter (vgl. von Arnim, Gesetz zu Art. 131, Anm. 5 zu § 74); der Rechtsstand des Beamten z. Wv. endet mit dem Eintritt in den Ruhestand ebenso wie er nach § 19 Abs. 1 Satz 3 mit der Übernahme in ein gleichwertiges Amt sein Ende findet. § 3 der Zweiten Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet des Beamtenrechts vom 3. Mai 1940, wonach Beamte mit der Vollendung des 65. Lebensjahres nicht kraft Gesetzes in den Ruhestand treten, findet hier schon deshalb keine Anwendung, weil für Beamte z. Wv. der Eintritt in den Ruhestand in § 35 Abs. 1 Ges. 131 gesondert und abschließend geregelt ist.
Der Auffassung des LSG., der Kläger gelte erst vom Inkrafttreten des Ges. 131 an als in Ruhestand befindlich, steht schon der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 3 entgegen. Die Worte "von diesem Zeitpunkt ab" beziehen sich nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes 131, sondern auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls. Eine andere Auslegung widerspräche auch den beamtenrechtlichen Grundsätzen über den Eintritt des Ruhestands und dem engen Zusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 3 des § 35. Nach Satz 1 treten Beamte z. Wv., die nach Inkrafttreten des Gesetzes 131 das 65. Lebensjahr vollenden, mit Ablauf des Monats, in den dieses Ereignis fällt, in den Ruhestand. Es besteht kein Grund zur Annahme, daß der Gesetzgeber für Beamte z. Wv., die vor Inkrafttreten des Gesetzes 131 das 65. Lebensjahr vollendet haben, eine andere Regelung treffen wollte (vgl. auch Verwaltungsvorschrift Nr. 4 der Bundesregierung zu § 35 Ges. 131, Bundesanzeiger Nr. 91 vom 13.5.1952 und § 74 a des Entwurfs eines Gesetzes 131, Bundestagsdrucksache Nr. 2075 S. 37). Der Kläger kann demnach seinen Erstattungsanspruch nicht auf § 74 Abs. 1 Ges. 131 stützen.
Sein Anspruch ist auch nicht nach § 74 Abs. 2 Ges. 131 begründet. Danach "gilt Abs. 1 entsprechend für sonstige Personen, die Anwartschaft auf Versorgung nach diesem Gesetz haben". "Anwartschaft" auf Versorgung nach dem Gesetz 131 haben außer den Beamten z. Wv. z. B. auch bestimmte ehemalige Berufssoldaten, Reichsarbeitsdienstführer, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes (§§ 52 bis 55 Ges. 131). Die Beamten z. Wv., die vor Inkrafttreten des Ges. 131 das 65. Lebensjahr vollendet haben, haben einen "Anspruch", nicht eine "Anwartschaft" auf Versorgung nach dem Ges. 131. Sie gehören daher nicht zu dem in § 74 Abs. 2 genannten Personenkreis (vgl. Anders, Ges. zu Art. 131 GG, 3. Aufl. § 74 Anm. 4 und 5, § 73 Anm. 5; Verw. Vorschrift Nr. 2 und 5 der Bundesregierung zu § 74 u. Verw. Vorschrift Nr. 1 der Bundesregierung zu § 73, Bundesanzeiger Nr. 115 v. 19.6.1954).
Die Vorschrift des § 74 Ges. 131 enthält eine sozialversicherungsrechtliche Sonderregelung. Die Erstattung der Beiträge zur Kranken, Unfall- und Arbeitslosenversicherung ist in ihr nicht vorgesehen. Die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge bestimmter Personen ist eine Ausnahme. § 74 kann daher nicht auf einen Personenkreis angewendet werden, von dem im Gesetz nicht die Rede ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der strittigen Beiträge nach § 74 Ges. 131 (vgl. Anders a. a. O., § 74 Anm. 5 und Verw. Vorschrift Nr. 5 der Bundesregierung zu § 74 Ges. 131, Bundesanzeiger Nr. 115 vom 19.6.1954). Er ist in der gleichen Lage wie der Beamte, der vor dem 8. Mai 1945 in den Ruhestand getreten ist; auch dieser Beamte kann nicht beanspruchen, daß ihm die Arbeitnehmeranteile der Beiträge erstattet werden, die auf Grund eines Arbeitsverhältnisses in der Zeit zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 31. März 1951 für ihn zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind.
Ein Erstattungsanspruch läßt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus den allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften herleiten. Die Revision der Beklagten ist somit begründet. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben, die Klage ist abzuweisen. Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).
Fundstellen