Leitsatz (redaktionell)
1. Eine frühere Ehefrau hat nach AVG § 42 S 1 (= RVO § 1265 S 1) Anspruch auf Witwenrente, wenn der Versicherte vor seinem Tode Unterhalt zu leisten hatte oder geleistet hat. Dabei ist nur eine ins Gewicht fallende Leistung, die etwa 25% des Mindestbedarfs des Empfängers deckt, als Unterhalt zu werten. Eine Unterhaltsleistung von 60 DM ist bei einem sonstigen Einkommen der früheren Ehefrau von 382 DM zu bejahen.
2. Zur Aufteilung der Witwenrente bei mehreren Berechtigten.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1268 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; AVG § 45 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8.Mai 1968 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 3. April 1967 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Bei diesem Rechtsstreit geht es um die Frage, ob der Klägerin die volle Witwenrente zusteht oder ob diese Rente nach § 45 Abs. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aufzuteilen ist.
Die Klägerin ist die Witwe des am 9. Juli 1963 gestorbenen Versicherten; sie war mit ihm - als dessen zweite Ehefrau - seit August 1962 verheiratet. In erster Ehe war der Versicherte seit Dezember 1952 mit der Beigeladenen verheiratet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde diese Ehe vom Landgericht Köln durch rechtskräftiges Urteil vom 28.Juni 1962 ohne Schuldausspruch geschieden. In einem Vertrag vom 14. November 1958 hatte sich der Versicherte im Hinblick auf die beabsichtigte Scheidung verpflichtet, der Beigeladenen bis zu einer etwaigen Wiederheirat monatlich 60,- DM zu zahlen mit der Maßgabe, daß, falls er eine neue Ehe eingehe, der Unterhaltsbeitrag einer Neufestsetzung bedürfe. Die Beigeladene erhielt den genannten Betrag von 60,- DM bis zum Tode des Versicherten. Darüber hinaus hatte sie im letzten Jahr vor seinem Tode folgende Einkünfte:
a) eine infolge Scheidung ihrer Ehe mit dem Versicherten nach § 68 Abs. 2 AVG wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres früheren verstorbenen Ehemannes F T im Betrag von zuletzt 282,- DM monatlich (wobei der Betrag von 60,- DM bereits abgezogen war);
b) eine Versorgungsrente nach ihrem früheren verstorbenen Ehemann in Höhe von 40,- DM monatlich;
c) eigenes Einkommen aus abhängiger Beschäftigung während der Dauer von acht Monaten im Betrage von rund 2.615,- DM.
Die Klägerin erhielt nach dem Tode des Versicherten von der Beklagten zunächst eine Witwenrente von zuletzt 227,80 DM monatlich. Im November 1965 beantragte auch die Beigeladene Rente, und zwar sogenannte Geschiedenenwitwenrente (§ 42 AVG); dabei wies sie darauf hin, daß sie diesen Antrag nur auf Veranlassung des Versorgungsamts (VersorgA) stelle, weil andernfalls die ihr etwa zustehende Rente auf die Versorgungsrente angerechnet werden könne. Daraufhin teilte die Beklagte die bisher allein an die Klägerin gezahlte Rente nach § 45 Abs. 4 AVG auf und kürzte den Rentenbetrag für die Klägerin vom 1. April 1966 an auf 21,60 DM monatlich, während sie der Beigeladenen vom 1. November 1965 an eine Rente aus § 42 AVG in Höhe von zuletzt 206,20 DM monatlich gewährte (Bescheide vom 14. Februar 1966 an die Klägerin und an die Beigeladene). Die Klägerin wandte sich gegen diese beiden Bescheide; sie beansprucht von der Beklagten die Weiterzahlung der ungekürzten Witwenrente über den 31. März 1966 hinaus. Die Beigeladene hat hiergegen nichts einzuwenden; sie meint, durch die Aufteilung der Rente sei auch ihr nicht gedient, weil auf ihre eigene Witwenrente die Geschiedenenwitwenrente angerechnet werde, so daß sie im Ergebnis nicht mehr erhalte.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 14. Februar 1966 auf; die Revision ließ es zu. Nach der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 AVG für eine Aufteilung der bisher allein an die Klägerin gezahlten ungekürzten Witwenrente nicht gegeben; denn die Beigeladene habe keinen Anspruch auf Rente nach § 42 AVG. Zwar habe der Versicherte der Beigeladenen zur Zeit seines Todes monatlich 60,- DM gezahlt. Damit seien aber auch nicht die Voraussetzungen der dritten Alternative des § 42 AVG (tatsächliche Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten) erfüllt; denn der Begriff "Unterhalt" im Sinne dieser Vorschrift verlange nicht nur, daß ein Betrag gezahlt worden sei, der wenigstens 25 v.H. des Mindestbedarfs des Empfängers decke (was hier zutreffe); vielmehr komme es entscheidend auch darauf an, ob der geleistete Beitrag gemessen an dem Gesamteinkommen des Empfängers als "Unterhalt" angesehen werden könne. Bei einem monatlichen Gesamteinkommen der Beigeladenen (ab April 1963) in Höhe von 382,- DM reiche die Leistung des Versicherten von 60,- DM monatlich nicht aus, um als "Unterhalt" gelten zu können. Diese Voraussetzung wäre nur erfüllt, wenn ihr der Versicherte wenigstens 25 v.H. ihres Gesamteinkommens, also monatlich 95,50 DM, gezahlt hätte.
Die Beklagte legte frist- und formgerecht Revision ein mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Sie rügt die Verletzung der §§ 42, 45 Abs. 4 AVG. Entgegen der Auffassung des LSG seien im Falle der Beigeladenen die Voraussetzungen für eine Rente nach § 42 AVG gegeben; denn der ihr vom Versicherten zugeflossene Betrag von 60,- DM monatlich sei auch bei einem Vergleich mit ihrem eigenen Gesamteinkommen (382,- DM) geeignet gewesen, ihren Lebensunterhalt merklich zu verbessern. Die Meinung des LSG, daß als untere Grenze des Unterhaltsbeitrages ein Betrag von 25 v.H. dieses Gesamteinkommens verlangt werden müsse, sei nicht haltbar.
Die Klägerin beantragte
die Zurückweisung der Revision.
Die Beigeladene ist vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet; die beiden angefochtenen Bescheide vom 14. Februar 1966, durch die sie die bis lang allein an die Klägerin gezahlte Witwenrente nach § 45 Abs. 4 AVG zwischen ihr und der Beigeladenen aufgeteilt hat, sind rechtmäßig.
Eine Aufteilung der Rente nach § 45 Abs. 4 AVG setzt voraus, daß mehrere Berechtigte vorhanden sind. Daß die Klägerin als die Witwe des Versicherten Anspruch auf Witwenrente nach § 41 AVG hat, ist außer Streit. Umstritten ist nur, ob auch die Beigeladene als die frühere Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit ihm geschieden worden ist, einen Anspruch nach § 42 Satz 1 AVG hat. Er setzt voraus, daß ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes - EheG - (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen (2. Alternative) zu leisten hatte oder daß er ihr - ohne Rechtspflicht - im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3. Alternative).
Das LSG hat zu Unrecht das Vorliegen der letzten Alternative verneint, obwohl der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor sein Tode laufend den Betrag von 60,- DM monatlich gezahlt hat. Das LSG nimmt zwar zu Recht an, daß der Begriff "Unterhalt" im Sinne des § 42 Satz 1 AVG in allen Alternativen dieser Vorschrift die gleiche Bedeutung hat. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wertet es zutreffend nur eine ins Gewicht fallende Leistung, die etwa 25 v.H. des zeitlich und örtlich maßgeblichen Mindestbedarfs des Empfängers deckt, als "Unterhalt" in diesem Sinne (vgl. Urteil des BSG vom 27. 10. 1964 - BSG 22, 44, 46, 47 mit weiteren Hinweisen und vom 20. 3. 1969 - 12 RJ 118/68). Seiner Auffassung jedoch, daß der Zahlbetrag immer auch wenigstens 25 v.H. des Gesamteinkommens des Empfängers ausmachen müsse, kann der erkennende Senat nicht beitreten. Die Beklagte hat demgegenüber mit Recht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25. April 1967 (11 RA 259/65 - nicht veröffentlicht) hingewiesen, dem ein im wesentlichen gleicher Sachverhalt zugrunde lag. In jenem Falle kam der Senat zu dem Ergebnis, daß ein Betrag von 50,- DM monatlich für das Jahr 1962 nicht geringfügig sei, weil er 25 v.H. des notwendigen Lebensunterhalts des Empfängers übersteige. Ob ausnahmsweise eine solche Zahlung als geringfügig und deshalb nicht als Unterhalt im Sinne von § 42 AVG aufzufassen wäre, wenn sie wegen der Höhe des Gesamteinkommens der früheren Ehefrau deren Lebensunterhalt nicht "merklich verbessert" habe, ließ der Senat in jenem Falle offen. Denn auch bei Berücksichtigung eines Gesamteinkommens von damals 622,- DM monatlich bedeute ein Betrag von 50,- DM monatlich immer noch eine "merkliche Besserung" der Lebenshaltung; das genüge aber, um eine Unterhaltsleistung im Sinne von § 42 Satz 1 AVG zu bejahen. Der Senat hat keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Danach ist aber im vorliegenden Fall der gezahlte Betrag von 60,- DM erst recht nicht als geringfügig zu werten, zumal ihm hier ein Gesamteinkommen von 382,- DM gegenübersteht (diesen Betrag machte das Gesamteinkommen der Beigeladenen nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG in dem letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten aus, weil die Beigeladene seit März 1963 nicht mehr beruflich tätig war). Dabei ist es unerheblich, ob die Beigeladene selbst diesen Betrag nur als "Taschengeld" empfunden hat; auch wenn sie von ihrer Mutter noch Zuwendungen in Höhe von 125,- DM monatlich erhielt, bedeuteten jene 60,- DM noch eine merkliche Besserung ihres Lebensunterhalts. Der Betrag von 60,- DM monatlich ist deshalb sowohl absolut als auch dann, wenn er an dem Einkommen der Beigeladenen zu messen wäre, jedenfalls nicht so geringfügig, daß er etwa deshalb nicht als Unterhalt im Sinne von § 42 Satz 1 AVG angesehen werden könnte. Auch im vorliegenden Fall kann der Senat offen lassen, ob überhaupt und gegebenenfalls bei welchem Verhältnis des tatsächlichen Unterhaltsbeitrages des Versicherten zum Gesamteinkommen des Empfängers eine Zahlung nicht als "Unterhalt" anzusehen wäre. Jedenfalls wird es aber nicht möglich sein, hierfür allgemein einen festen Satz, etwa 25 v.H. des Gesamteinkommens festzulegen, wie es das LSG getan hat.
Der Beigeladenen steht somit ein Anspruch auf Rente nach § 42 Satz 1 AVG zu. Damit sind hier die Voraussetzungen für eine Aufteilung der Rente nach § 45 Abs. 4 AVG gegeben. Die Höhe der nach dieser Bestimmung zu berechnenden Renten ist allein nach dem Verhältnis der Dauer der Ehe jeder Berechtigten mit dem Versicherten festzusetzen. Eine Begrenzung des Rentenanspruchs der früheren geschiedenen Ehefrau etwa auf die Höhe des ihr vom Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode gezahlten Unterhalts ist im Gesetz nicht vorgesehen. Das mag zu Härten führen, wenn die Ehe der Witwe mit dem Versicherten im Vergleich zu einer vorausgegangenen Ehe verhältnismäßig kurz gewesen ist; diese Folge ist aber nach dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik des Bundestages (2.Wahlper., BT-Drucks. 3080 S. 15) nicht übersehen, sondern in Kauf genommen worden. Der Senat verkennt nicht, daß im vorliegenden Falle das Ergebnis für die Klägerin insbesondere deshalb unbillig erscheint, weil selbst die Beigeladene von einer Aufteilung der Rente nach § 45 Abs. 4 AVG infolge der Anrechnung ihrer Rente auf ihre sonstigen Rentenansprüche letzten Endes keinen Nutzen hat. Hierbei handelt es sich aber um einen seltenen Ausnahmefall. In der Regel wird die vom Gesetz begünstigte frühere geschiedene Ehefrau des Versicherten, falls sie auf Grund ihrer eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse keinen Wert auf eine Verwirklichung ihres Rentenanspruchs nach § 42 Satz 1 AVG legt, von einem dahingehenden Rentenantrag absehen, so daß in einem solchen Falle die Witwe des Versicherten im Genuß der ungekürzten Witwenrente bleibt.
Da über die Berechnung der Renten an die Klägerin und die Beigeladene kein Streit besteht, sind sonach die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 14. Februar 1966 rechtmäßig. Auf die Revision der Beklagten müssen daher das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen