Leitsatz (amtlich)
Ist die 2. Ehe der Witwe aus Verschulden des Ehemannes geschieden worden, nachdem die Eheleute zuvor gegenseitig auf Unterhalt verzichtet hatten, so hat die Witwe nach EheG § 58 Abs 1 mangels Unterhaltsbedürftigkeit gegen den geschiedenen Mann infolge Auflösung ihrer 2. Ehe keinen neuen Unterhaltsanspruch erworben, der ohne den Unterhaltsverzicht bestehen würde und auf die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Angestelltenversicherung nach AVG § 68 Abs 2 aF (= RVO § 1291 Abs 2 aF), AVG § 68 Abs 2 iVm AnVNG Art 2 § 25 Abs 1 - jeweils idF des RRG - (RVO § 1291 Abs 2 iVm ArVNG Art 2 § 26 Abs 1 idF des RRG) anzurechnen wäre, wenn sie von dem nach BBG § 164 Abs 3 wiederaufgelebten beamtenrechtlichen Witwengeld, das ihr ohne Rücksicht auf den Unterhaltsverzicht zu zahlen ist (vergleiche BVerwG 1969-01-20 BVerwG VI 46.66 = BVerwGE 31, 197) und gezahlt wird, ihren angemessenen Unterhalt bestreiten kann.
Normenkette
EheG § 58 Abs. 1 Fassung: 1946-02-20; AVG § 68 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 68 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 25 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 26 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; BBG § 164 Abs. 3
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. November 1972 und das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 10. Mai 1972 sowie der Bescheid der Beklagten von 24. Mai 1971 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1971 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Wege der Neufeststellung der Leistung nach § 79 der Angestelltenversicherungsgesetzes einen Bescheid dahin zu erteilen, daß ihr die mit Bescheid vom 26. Januar 1970 dem Grunde nach anerkannte Witwenrente vom 1. Juni 1969 an in voller Höhe zu zahlen ist.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit wird um die Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente nach § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) geführt.
Die Beklagte gewährte der am 25. März 1911 geborenen Klägerin von August 1950 an Witwenrente aus der Versicherung ihres mit Wirkung vom 31. Juli 1949 für tot erklärten ersten Ehemannes, der zuletzt als Stadtoberinspektor beschäftigt gewesen und im zweiten Weltkrieg als Soldat vermißt ist. Außerdem erhielt sie von dem Landschaftsverband R... nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes (GG) Witwengeld und vom Versorgungsamt B... Witwenrente. Am. 21. Februar 1959 heiratete sie wieder. Die ihr gewährten Versorgungsbezüge fielen deshalb weg. Die Beklagte zahlte ihr auf Grund des Bescheides vom 16. April 1959 eine Witwenrentenabfindung.
Die zweite Ehe der Klägerin wurde am 19. Würz 1969 - rechtskräftig seit dem 20. Mai 1969 - aus Verschulden des Ehemannes geschieden, nachdem die Eheleute zuvor gegenseitig auf Unterhalt verzichtet hatten. Mit Bescheid vom 26. Januar 1970 erkannte die Beklagte den Anspruch auf Witwenrente gem. § 68 Abs. 2 AVG in der bis zum 31. Dezember 1972 gültigen Fassung vor Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes -ERG- vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) - aF - vom 1. Juni 1969 an erneut an, lehnte aber die Zahlung von Witwenrente mit der Begründung ab, gem. § 68 Abs. 2 AVG aF sei ein infolge Auflösung der späteren Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch auf die Witwenrente anzurechnen; habe die Witwe gegenüber dem zweiten Ehemann auf Unterhalt verzichtet, so sei der Träger der Sozialversicherung berechtigt, auf die wiederaufgelebte Witwenrente den Unterhaltsanspruch anzurechnen, der der Witwe ohne den ausgesprochenen Verzicht zustehen würde; gegen den geschiedenen Ehemann habe die Klägerin infolge Auflösung ihrer Ehe einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 600,--DM monatlich; dieser Betrag werde auf die Witwenrente angerechnet; da der anzurechnende Betrag höher als die Witwenrente sei, die für 1969 monatlich 229,50 DM und vom 1. Januar 1970 an monatlich 244,-- DM betrage, kämen keine Beträge zur Auszahlung. Hiergegen legte die Klägerin ein Rechtsmittel nicht ein.
Der Landschaftsverband R... gewährte der Klägerin vom 1. Mai 1969 an wieder Witwengeld in Höhe von 706,05 DM; das Versorgungsamt (VersorgA) B... zahlte ihr ab Juni 1969 eine Witwenrente von monatlich 150,--DM.
Im Juni 1970 beantragte die Klägerin erneut die Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente. Sie berief sich darauf, infolge ihrer Einkünfte aus Witwengeld und Versorgungsrente habe sie ein monatliches Einkommen von 959,62 DM - Witwengeld in Höhe von 771,62 DM und Witwenrente in Höhe von 188,-- DM, so daß ihr ein auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnender Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann nicht zustehe. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. Mai 1971 erneut ab mit der Begründung, nach § 79 AVG habe die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine Leistung neu festzustellen, wenn sie sich bei erneuter Prüfung überzeuge, daß eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden sei. Die BfA habe sich nicht davon überzeugen können, daß die mit Bescheid vom 26. Januar 1970 gewährte Rente gem. § 68 Abs. 2 AVG aF zu niedrig festgestellt worden sei. Der Klägerin stände gegen ihren geschiedenen Ehemann ein fiktiver Unterhaltsbetrag von 600,--DM monatlich zu, wenn sie nicht auf Unterhalt verzichtet hätte. Dem von der Klägerin geltend gemachten Einwand, daß ihr früherer Ehemann schon nach § 58 des Ehegesetzes (EheG) zur Leistung von Unterhalt nicht verpflichtet sei, könne nicht gefolgt werden; die Einkünfte, von denen sie annehme, daß sie einen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann ausschlössen, entfielen auf Leistungen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften subsidiären Charakter hatten; diese Leistungen konnten mithin nicht verhindern, daß der primäre Leistungsanspruch gegen den geschiedenen Ehemann bestehe und bei der Gewährung einer subsidiären Leistung - auch fiktiv - zu berücksichtigen sei. Eine Abänderung des Bescheides vom 26. Januar 1970 könne somit nicht erfolgen. Den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies die Widerspruchsstelle mit Bescheid vom 29. Juli 1971 zurück.
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat die gegen den Bescheid erhobene Klage mit Urteil vom 10. Mai 1972 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 10. November 1972 unter Zulassung der Revision die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die dem Grunde nach anerkannte wiederaufgelebte Witwenrente nach wie vor wegen des aus der zweiten Ehe erworbenen Unterhaltsanspruchs nicht auszuzahlen sei. Es hat zur Begründung ausgeführt, trotz des bindend gewordenen Bescheides vom 26. Januar 1970 sei der geltend gemachte Anspruch erneut zu überprüfen gewesen, ohne daß es einer Neufeststellung nach § 79 AVG bedurft habe. Der Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente könne zu jedem nach Auflösung der zweiten Ehe liegenden Zeitpunkt entstehen, sich in seiner Höhe verändern oder entfallen. Er sei daher ungeachtet eines bereits bindend gewordenen Bescheides entsprechend neu festzustellen, wenn in bezug auf den hierauf anrechenbaren, aus der Zweitehe erworbenen Anspruch auf Versorgung, Unterhalt oder Rente eine Änderung eingetreten sei. Hierfür beruft sich das LSG auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 20, 293 sowie auf das Urteil vom 11. Juli 1972 - 5 RJ 350/71 - (inzwischen veröffentlicht in BSG 221 = SozR Nr. 33 zu § 1291 der Reichsversicherungsordnung (RVO) = NJW 72, 1966 mit Anmerkung von Trolldenier in NJW 73, 388).
Eine solche Änderung sei indessen nicht eingetreten. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 19, 153; 21, 279; 30, 220) sei auf die Witwenrente der Klägerin aus erster Ehe ein fiktiver Unterhaltsanspruch aus zweiter Ehe von 600,--DM monatlich anzurechnen, dessen Höhe die Klägerin grundsätzlich nicht bestritten habe. Streitig sei lediglich, ob die vom Landschaftsverband R... und vom VersorgA B... gewährten wiederaufgelebten Hinterbliebenenbezüge aus erster Ehe von etwa 1.000,--DM im Monat eine Änderung in bezug auf die Verrechnung nach § 68 Abs. 2 AVG aF bewirkten. Diese Frage sei zu verneinen. Die wiederauflebende Witwenrente sei bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs gegen den zweiten Ehemann nicht als eigenes Einkommen der geschiedenen Frau anzurechnen. Das gleiche habe zu gelten, wenn es sich wie hier um mehrere nach verschiedenen - beamten- und versorgungsrechtlichen - Gesetzen wiederauflebende Witwenbezüge handele. Die Unterhaltsansprüche aus zweiter Ehe gingen grundsätzlich den möglicherweise wiederauflebenden Ansprüchen aus erster Ehe vor. Diese Rangfolge der Ansprüche könnten von den Beteiligten nicht willkürlich verschoben werden. Der Verzicht auf Unterhaltsansprüche aus der zweiten Ehe sei deshalb unbeachtlich.
In dem weiteren Vorbringen der Klägerin, gegen ihren geschiedenen Ehemann stehe ihr schon deshalb kein Unterhaltsanspruch zu, weil ihr eine Erwerbstätigkeit zuzumuten sei, sei ebenfalls keine Änderung zu sehen, die eine neue Feststellung zugunsten der Klägerin rechtfertigen könnte. Im Hinblick auf ihr vorgeschrittenes Lebensalter (Jahrgang 1911) könne der Klägerin, die weder zur Zeit und seit der Scheidung berufstätig gewesen sei noch jetzt einer beruflichen Tätigkeit nachgehe, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden.
Gegen das Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung der §§ 68 Abs. 2, 79 AVG sowie des § 58 EheG. Die Revision meint, der grundsätzlich zutreffend berechnete fiktive Unterhaltsanspruch der Klägerin in Höhe von 600,--DM monatlich gegenüber ihrem geschiedenen Mann dürfe nur dann berücksichtigt werden, wenn er ohne ihren Verzicht auf Unterhalt auch bestehen würde. Nach § 58 EheG müsse sie sich jedoch ihre monatlichen Einkünfte aus den Zahlungen von Witwengeld des Landschaftsverbandes R... und von Witwenrente des VersorgA B... von nahezu 1.000,--DM anrechnen lassen, so daß sie vor einem Zivilgericht Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem geschiedenen Mann nicht hätte durchsetzen können. Da § 68 Abs. 2 AVG aF nur darauf abstelle, ob für die Klägerin ein Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann bestehe oder nicht, und sie auf Grund ihres eigenen Einkommens einen solchen Unterhaltsanspruch nicht habe, sei der von ihr ausgesprochene Unterhaltsverzicht bedeutungslos.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. November 1972, das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig von 10. Mai 1972 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1971 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1971 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr - der Klägerin - aus der Versicherung ihres für tot erklärten ersten Ehemannes die wiederaufgelebte Witwenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist begründete.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Beklagte verpflichtet, in Wege der Neufeststellung der Leistung nach § 79 AVG der Klägerin einen Bescheid dahin zu erteilen, daß die mit Bescheid von 26. Januar 1970 dem Grunde nach anerkannte wiederaufgelebte Witwenrente auch vom 1. Juni 1969 an in voller Höhe an sie auszuzahlen ist.
Angefochten ist hier der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 1971 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1971. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte die Neufeststellung der Rente nach § 79 AVG mit der Begründung abgelehnt, daß sie sich bei erneuter Prüfung nicht davon habe überzeugen können, "daß die mit Bescheid vom 26. Januar 1970 gewährte Rente gemäß § 68 Abs. 2 AVG zu niedrig festgestellt wurde". Es handelt sich also um eine Klage gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem sie es abgelehnt hat, den Anspruch der Klägerin auf wiederaufgelebte Witwenrente für die Zeit vom 1. Juni 1969 an und für die Zukunft neu und zugunsten der Klägerin festzustellen, soweit die Auszahlung der Witwenrente in Frage steht. Um eine Neufeststellung der Leistung wegen wesentlichster Änderung der Verhältnisse i.S. des Urteils des 5. Senats vom 11. Juli 1972 (BSG 34, 221 = SozR Nr. 33 zu § 1291 RVO), wie das LSG angenommen hat, geht es somit nicht. Die Beklagte hat vielmehr dem Anliegen und dem Antrag der Klägerin vom 2. Juni 1970 auf Neufeststellung der Leistung von Anfang an zutreffend dadurch Rechnung getragen, daß sie den Anspruch der Klägerin auf Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente unter dem Gesichtspunkt des § 79 AVG neu geprüft und darüber einen Bescheid erlassen hat.
Auf die Klage gegen einen solchen die Neufeststellung der Leistung nach § 79 AVG ablehnenden Bescheid haben nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die Gerichte zu prüfen, ob der Versicherungsträger bei der Bildung seiner Überzeugung fehlerhaft verfahren ist. Zum Erlaß des nach § 79 AVG erstrebten Zugunstenbescheides darf der Versicherungsträger nur verurteilt werden, wenn er auf Grund der erneuten Prüfung davon überzeugt ist, daß die Rente oder deren Zahlung in dem früheren Bescheid zu Unrecht abgelehnt worden ist, oder wenn die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides so offensichtlich ist, daß die Beklagte bei der erneuten Prüfung zu der Überzeugung von der Rechtswidrigkeit hätte gelangen müssen (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 20. August 1970 in SozR Nr. 12 zu § 1300 RVO und die dort angegebene Rechtsprechung des BSG). Die Gerichte dürfen allerdings in die Überzeugungsbildung des Versicherungsträgers nicht eingreifen, wenn der vom Versicherungsträger beurteilte Sachverhalt oder die von ihm vertretene Rechtsauffassung seine Überzeugung vertretbar erscheinen lassen. Deshalb kann es bei der Prüfung, ob der die Neufeststellung nach § 79 AVG ablehnende Bescheid rechtmäßig oder rechtswidrig ist, nicht entscheidend sein, ob das Gericht von der Unrichtigkeit der früheren Rentenablehnung überzeugt ist, sondern nur, ob die gegenteilige Überzeugung des Versicherungsträgers von der Richtigkeit der früheren Ablehnung unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu halten ist (BSG in SozR Nr. 12 zu § 1300 RVO; BSG 28, 173 = SozR Nr. 7 zu § 1300 RVO). Die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides vom 26. Januar 1970 ist aber so offensichtlich, daß auch der Versicherungsträger, also die Beklagte, zu der Überzeugung von dessen Rechtswidrigkeit hätte gelangen müssen, soweit in diesem früheren Bescheid die Auszahlung der wiederaufgelebten Witwenrente an die Klägerin abgelehnt worden ist. Die gegenteilige Überzeugung der Beklagten ist unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu halten.
Ist die Ehe - wie hier - in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1972 aufgelöst worden, so gilt § 68 Abs. 2 AVG idF des RRG vom 16. Oktober 1972 vom 1. Januar 1973 an gemäß Art. 2 § 25 Abs. 1 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz -AnVNG- idF des Art. 2 § 2 Nr. 8 RRG nur dann, wenn sie ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst worden ist. Die Rechtslage beurteilt sich sonach auch für die Zeit vom 1. Januar 1973 an noch nach denselben Rechtsgrundsätzen, wie sie nach § 68 Abs. 2 AVG aF bis zum 31. Dezember 1972 gegolten haben.
Dem LSG und der Beklagten ist darin beizupflichten, daß nach § 68 Abs. 2 AVG aF auf die wiederaufgelebte Witwenrente ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch anzurechnen war, der infolge Auflösung der zweiten Ehe für die Witwe gegen den geschiedenen Ehemann ohne den Verzicht auf den Unterhaltsanspruch oder ohne eine Unterhaltsvereinbarung bestehen würde. Dieser Unterhaltsanspruch war zunächst ohne Rücksicht auf die nach § 68 Abs. 2 AVG aF wiederaufgelebte Witwenrente festzustellen. Für die Vorschrift des § 68 Abs. 2 AVG aF kam es also nicht nur darauf an, ob die Witwe infolge Auflösung der zweiten Ehe gegen den geschiedenen Mann einen nach bürgerlichem Recht bestehenden Unterhaltsanspruch erworben hat, sondern auch darauf, ob ihr ohne ihren Unterhaltsverzicht ein solcher Unterhaltsanspruch zustehen würde. Dies wurde mit Recht aus der besonderen materiell-rechtlichen Regelung in § 68 Abs. 2 AVG aF hergeleitet, nach der der Anspruch auf Witwenrente nur dann wiederauflebte, wenn die zweite Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe durch Scheidung aufgelöst worden war. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, in der die dafür maßgebenden Gründe wiederholt dargelegt worden sind (BSG 19, 153; 21, 279; 30, 220 = SozR Nr. 7, 9, 29 zu § 1291 RVO; vgl. auch SozR Nr. 16 zu § 1291 RVO). Ebenso gelten diese Grundsätze für die nach § 44 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wiederaufgelebte Witwenrente (BSG in SozR Nr. 11 zu § 44 BVG).
Die Beklagte ist aber bei ihrem Bescheid vom 26. Januar 1970 von der Rechtsauffassung ausgegangen, daß nicht nur auf die nach § 68 Abs. 2 AVG aF und nach § 44 Abs. 2 und 5 BVG wiederaufgelebten Witwenrenten der Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen zweiten Ehemann anzurechnen ist, der der Klägerin ohne den von ihr ausgesprochenen Unterhaltsverzicht zustehen würde, sondern daß diese Anrechnung auch auf das nach § 164 Abs. 3 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) wiederaufgelebte beamtenrechtliche Witwengeld zu erfolgen habe. Sie hat angenommen, alle diese Witwenbezüge seien einem Unterhaltsanspruch gegenüber subsidiär, der bestehen würde, wenn die Klägerin nicht auf Unterhalt verzichtet hätte. Dieselbe Rechtsauffassung liegt dem hier angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 1971 und dem Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1971 zugrunde. Das LSG hat ebenfalls angenommen, die Unterhaltsansprüche aus zweiter Ehe, die bestanden hätten, wenn die Witwe nicht auf Unterhalt verzichtet hätte, gingen grundsätzlich allen wiederauflebenden Ansprüchen aus der ersten Ehe vor, so daß die auf Grund anderer Gesetze wiederauflebenden Witwenbezüge, die wie das beamtenrechtliche Witwengeld ohne Anrechnung des fiktiven Unterhaltsanspruchs gewährt würden, den Unterhaltsanspruch aus zweiter Ehe weder mindern noch in Fortfall bringen könnten. Dem kann aber nicht zugestimmt werden.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat nämlich durch das Urteil vom 20. Januar 1969 (BVerwGE 31, 197 ff = FamRZ 1969, 277) für das nach beamtenrechtlichen Vorschriften wiederaufgelebte Witwengeld klargestellt, daß die Rechtsprechung des BSG zu § 68 Abs. 2 AVG aF, § 1291 Abs. 2 RVO aF (BSG 19, 153; 21, 279) sich nicht auf die Regelung des § 164 Abs. 3 des BBG übertragen lasse. Im Gegensatz zu den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften lebe das Witwengeld auch bei einer Auflösung der zweiten Ehe aus alleinigem oder überwiegendem Verschulden der Beamtenwitwe wieder auf. Auf Grund bewußter Entscheidung des Gesetzgebers gelange in den Genuß des wiederauflebenden Witwengeldes eine Frau auch dann, wenn sie wissentlich und schuldhaft, ja vielleicht sogar zielstrebig ihre zweite Ehe und damit im Ergebnis auch ihre Existenzsicherung innerhalb dieser Ehe zerstört habe. Die Subsidiarität des wiederaufgelebten Witwengeldes und eine sich daraus ergebende Rangfolge müsse sich in die gesetzliche Grundentscheidung des § 164 Abs. 3 BBG einpassen, die aber dahingehe, daß auf das Witwengeld unter anderem nur "Ansprüche" auf Unterhalt anzurechnen sind, wobei nicht auch darauf abgestellt werde, ob die Witwe es selbst zu "vertreten" habe, auf die versorgungsrechtlichen Ansprüche angewiesen zu sein. Erst wenn sich beim Wiederaufleben des Witwengeldes ergebe, daß anrechenbare Unterhaltsansprüche bestehen und nicht nur "hätten bestehen können", stelle sich die Frage, ob die Anrechnungsregelung des § 164 Abs. 3 BBG noch sogenannte "Manipulationen" durch die Witwe zulasse; ein solcher Fall des nachträglichen Verzichts stehe aber nicht zur Entscheidung. Jedenfalls könnten im Rahmen des Beamtenrechts nach Wortlaut Sinn und Zweck der Regelung des § 164 Abs. 3 BEG in die Anrechnung nicht "Ansprüche„ einbezogen werden, die mit der Scheidung nur erworben worden wären, wenn die Ehefrau nicht bereits zuvor auf Unterhalt verzichtet hätte.
Aufgrund der Auflösung der zweiten Ehe hatte die Klägerin somit einen Anspruch auf uneingeschränkte Zahlung des wiederaufgelebten Witwengeldes aus der beamtenrechtlichen Versorgung ihres ersten Ehemannes erworben, das ihr auch in voller Höhe seit dem 1. Mai 1969 mit 706,05 DM und seit 1970 im Betrage von 771,62 DM gezahlt wird. Mit Rücksicht auf diese eigenen Einkünfte hätte ihr auch ohne den Unterhaltsverzicht ein Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann nach §§ 58, 59 EheG nicht zugestanden. Nach § 58 Abs. 1 EheG hat der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt nur zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Maßgebend für den angemessenen Unterhalt sind die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung.
Da der Ehemann der Klägerin zur Zeit der Scheidung im Mai 1969 ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.700,- DM hatte, die Klägerin einer Erwerbstätigkeit nicht nachgegangen ist und der geschiedene Mann zwei im Studium befindliche unterhaltsberechtigte Kinder hatte, kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, daß der der Klägerin vom geschiedenen Mann zu gewährende, nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten zur Zeit der Scheidung angemessene Unterhalt die Geldzahlung von 600,-- DM monatlich überschritten hätte. Um diesen angemessenen Unterhalt zu bestreiten, reichten aber die eigenen Einkünfte der Klägerin aus dem wiederaufgelebten beamtenrechtlichen Witwengeld im Betrage von über 700,-- DM aus. Ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch auf Unterhalt gegen den geschiedenen Mann hätte für die Klägerin sonach auch ohne den Unterhaltsverzicht nicht bestanden, weil sie nicht unterhaltsbedürftig gewesen ist. Daraus folgt, daß die Klägerin infolge Auflösung ihrer zweiten Ehe weder einen tatsächlich noch fiktiv bestehenden neuen Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann erworben hat, der nach § 68 Abs. 2 AVG aF und nach § 68 Abs. 2 AVG idF des RRG iVm Art. 2 § 25 Abs. 1 AnVNG idF des RRG, die seit dem 1.1.1973 gelten, auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen wäre. Die Beklagte hat der Klägerin daher die Witwenrente seit dem 1. Juni 1969 in voller Höhe zu zahlen.
Diese Rechtsprechung des BVerwG zu § 164 Abs. 3 BBG hätte die Beklagte auch bei der Neufeststellung der Rente nach § 79 AVG in dem hier angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 1971 berücksichtigen müssen. Sie ist aber, wie letztlich auch das LSG, unzutreffenderweise davon ausgegangen, daß auf das wiederaufgelebte beamtenrechtliche Witwengeld ebenfalls wie nach § 68 Abs. 2 AVG aF, § 44 Abs. 2 und 5 BVG bei einem vor der Scheidung vereinbarten Unterhaltsverzicht ein Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, der der Witwe ohne den Unterhaltsverzicht infolge Auflösung der Ehe gegen den geschiedenen zweiten Mann zugestanden hätte. Die Fehlerhaftigkeit des früheren Bescheides vom 26. Januar 1970 ist danach so offensichtlich, daß auch die Beklagte zu der Überzeugung von dessen Rechtswidrigkeit hätte gelangen müssen, weil die gegenteilige Überzeugung unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu halten ist. Die besonderen Voraussetzungen sind demnach dafür erfüllt, daß die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Urteile der Vorinstanzen und des Bescheides vom 24. Mai 1971 dazu zu verurteilen ist, der Klägerin einen Bescheid dahin zu erteilen, daß ihr die mit Bescheid vom 26. Januar 1970 dem Grunde nach anerkannte Witwenrente vom 1. Juni 1969 an in voller Höhe zu zahlen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen