Leitsatz (redaktionell)
Die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Bescheides nach KOV-VfG § 41 wirkt auf den Zeitpunkt zurück, in dem dieser Bescheid erlassen worden ist, jedoch nicht über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des KOV-VfG (1955-04-01) hinaus.
Normenkette
KOVVfG § 41 Abs. 1
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. April 1959 insoweit aufgehoben, als der Beklagte darin verurteilt worden ist, dem Kläger die Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. auch für die Zeit vom 1. April 1955 bis 31. Oktober 1957 zu gewähren; die Klage wird auch insoweit abgewiesen. Im übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger bezog nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften (Bescheid vom 21. September 1948) und nach dem Bundesversorgungsgesetz -BVG- (Umanerkennungsbescheid vom 19. Dezember 1951) wegen "allgemeiner Übererregbarkeit" als Schädigungsfolge eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H.
Mit Bescheid vom 27. Februar 1954 entzog das Versorgungsamt II (VersorgA) H... dem Kläger unter Hinweis auf § 62 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 BVG die Rente ab 1. Mai 1954, weil die anerkannte Schädigungsfolge die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr mindere. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Niedersachsen mit Bescheid vom 3. November 1954 zurück. Das VersorgA stellte Ende November 1954 die Rentenzahlungen ein.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hob mit Urteil vom 20. Dezember 1955 die Bescheide vom 27. Februar 1954 und vom 3. November 1954 auf und verurteilte den Beklagten, dem Kläger ab 1. Mai 1954 weiterhin eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. zu zahlen.
Der Beklagte legte Berufung ein. Er nahm auf Grund des "Ausführungsbescheids" des VersorgA vom 22. Februar 1956 die Rentenzahlungen vom 11. Dezember 1955 an wieder auf, behielt jedoch nach § 154 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Beträge für die Zeit vom 1. Dezember 1954 bis 30. November 1955 zunächst ein.
Nach weiteren ärztlichen Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers erließ das VersorgA mit Zustimmung des LVersorgA am 13. September 1957 einen neuen Bescheid ("Berichtigungsbescheid"), es hob darin die Bescheide vom 21. September 1948, 19. Dezember 1951 und 27. Februar 1954 auf, weil zweifelsfrei feststehe, daß bei dem Kläger kein Versorgungsleiden vorliege. Der Kläger beantragte, den "Berichtigungsbescheid" vom 13. September 1957 aufzuheben; er bestritt, daß seine "allgemeine Übererregbarkeit" ausschließlich anlagebedingt sei.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen entschied mit Urteil vom 27. April 1959:
"Unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten im übrigen wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 20. Dezember 1955 insoweit abgeändert, als der Beklagte verurteilt wird, dem Kläger die Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. lediglich bis zum 31. Oktober 1957 zu zahlen. Die Klage gegen den Berichtigungsbescheid vom 13. September 1957 wird abgewiesen."
Das LSG führte aus: Die Bescheide vom 27. Februar 1954 und vom 3. November 1954, mit denen dem Kläger die Rente nach den §§ 62 Abs. 1 und 86 Abs. 3 BVG entzogen worden sei, seien rechtswidrig, die Voraussetzungen der genannten Vorschriften lägen nicht vor. Der Bescheid vom 13. September 1957 ("Berichtigungsbescheid"), der auf § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) gestützt sei, sei dagegen rechtmäßig; auf Grund der ärztlichen Gutachten stehe zweifelsfrei fest, daß die "allgemeine Übererregbarkeit" des Klägers zu Unrecht als Schädigungsfolge anerkannt worden sei. Die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides habe jedoch nur zur Folge, daß der Kläger vom Zeitpunkt der Wirksamkeit des Bescheides an keinen Anspruch auf Rente mehr habe, der Berichtigungsbescheid habe keine "ex-tunc-Wirkung", er wirke vielmehr nur für die Zukunft. Der Beklagte habe dem Kläger daher Rente bis 31. Oktober 1957 zu zahlen.
Das LSG ließ die Revision zu.
Das Urteil des LSG wurde den Beteiligten am 28. Juli 1959 zugestellt.
Der Beklagte legte am 14. August 1959 Revision ein; er beantragte,
das Urteil des LSG aufzuheben und auf seine Berufung die Klage abzuweisen.
Der Kläger legte am 18. August 1959 Revision ein; er beantragte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen; ferner den "Berichtigungsbescheid" vom 13. September 1957 aufzuheben.
Der Beklagte begründete seine Revision am 22. September 1959; er führte aus, das LSG habe § 41 VerwVG unrichtig angewandt; das LSG habe zu Unrecht die Auffassung vertreten, daß ein Bescheid nach § 41 VerwVG ausschließlich für die Zukunft wirke und daß der Beklagte deshalb noch die Rente bis 31. Oktober 1957 zu zahlen habe.
Der Kläger begründete seine Revision nicht. Die Revision des Klägers wurde deshalb mit Beschluß des Senats vom 9. November 1959 nach § 169 Satz 2 in Verbindung mit § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen.
II
Die Revision des Beklagten ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Der Beklagte hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, sie ist sonach zulässig, sie ist jedoch nur zum Teil begründet.
Zu entscheiden ist, ob die Versorgungsrente, die wegen "allgemeiner Übererregbarkeit" als Schädigungsfolge mit dem BVG-Bescheid vom. 19. Dezember 1951 bewilligt worden ist, dem Kläger bis zum 31. Oktober 1957 oder nur bis zu einem früheren Zeitpunkt zugestanden hat.
Das LSG hat auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhalts mit Recht angenommen, der Bescheid des Beklagten vom 13. September 1957 ("Berichtigungsbescheid" nach § 41 VerwVG) sei insoweit rechtmäßig, als darin festgestellt sei, es habe bereits zur Zeit des Erlasses des "Anerkennungs- und Bewilligungsbescheides" vom 19. Dezember 1951 außer Zweifel gestanden, daß die "allgemeine Übererregbarkeit" des Klägers keine Schädigungsfolge sei; insoweit ist das Urteil des LSG nicht zu beanstanden. Das LSG hat indes zu Unrecht angenommen, der Anspruch des Klägers auf Rente sei bis 31. Oktober 1957 begründet, weil der Bescheid vom 13. September 1957 nur in die Zukunft gewirkt habe. Nimmt die Versorgungsbehörde einen Bescheid, durch den sie einen Anspruch auf Rente festgestellt hat, als von Anfang an rechtswidrig nach § 41 VerwVG zurück, so wirkt die Rücknahme auf den Zeitpunkt zurück, in dem der Bescheid erlassen ist, jedoch nicht über den 1. April 1955, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des VerwVG hinaus (Urteil des BSG vom 26. August 1960, SozR Nr. 9 zu § 41 VerwVG mit weiteren Hinweisen). Im vorliegenden Fall wirkt deshalb die Rücknahme des Bescheides vom 19. Dezember 1951, die vom Beklagten am 13. September 1957 verfügt und auf § 41 VerwVG gestützt worden ist, vom 1. April 1955 an. Ist aber der Bescheid vom 13. September 1957 nach § 41 VerwVG rechtmäßig und die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 1. April 1955 an wirksam, so hat der Kläger für die spätere Zeit keinen Anspruch auf Rente; sein Anspruch auf Rente bis 31. März 1955 auf Grund des Bescheides vom 19. Dezember 1951 bleibt unberührt; soweit der Bescheid vom 13. September 1957 sich auch auf den Anspruch auf Rente für die Zeit bis 31. März 1955 bezieht, ist er rechtswidrig. Insoweit kann der Beklagte auch nicht geltend machen, er habe dem Kläger bereits am 27. Februar 1954 die Rente unter Hinweis auf die §§ 62 Abs. 1 und 86 Abs. 3 BVG entzogen. In dem Bescheid vom 13. September 1957 hat der Beklagte den Bescheid vom 27. Februar 1954 ausdrücklich aufgehoben; er hat damit die Rechtsbeziehungen der Beteiligten neu geregelt. Es ist deshalb auch nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts vorgelegen haben; der Fall liegt insoweit anders als der Fall BSG 10 S. 72, 75.
Die Revision des Beklagten ist daher nur insoweit begründet, als das LSG dem Kläger Rente auch für die Zeit vom 1. April 1955 bis 31. Oktober 1957 zugesprochen hat; im übrigen ist sie unbegründet. Das Urteil des LSG ist entsprechend zu ändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen