Leitsatz (redaktionell)
1. Aus der Entscheidung BSG 1961-12-20 3 RK 51/57 = BSGE 16, 84 ff kann nicht geschlossen werden, daß der Halbierungserlaß in sogenannten Pflegefällen nicht anwendbar ist. Der Halbierungserlaß hat, soweit es sich um die Unterbringung Geisteskranker in einer Heil- und Pflegeanstalt handelt, die Leistungspflicht der Krankenkassen auch auf Fälle erstreckt, in denen die ärztliche Behandlung des Geisteskranken nicht im Vordergrund steht. Der Umstand, daß sich die Krankenkassen an den Unterbringungskosten auch dann zu beteiligen haben, wenn die Unterbringung überwiegend aus Gründen der öffentlichen Sicherheit notwendig gewesen ist, spricht dafür, daß der Halbierungserlaß alle Fälle der Unterbringung geisteskranker Versicherter in einer Heil- und Pflegeanstalt regeln wollte. Deshalb bezieht er sich nicht nur auf Geisteskranke, die in erster Linie behandlungsbedürftig sind, sondern erfaßt alle Fälle der Unterbringung geisteskranker Versicherter (oder mitversicherter Familienangehöriger) in einer Heil- oder Pflegeanstalt, ungeachtet der Gründe, auf denen die Unterbringung beruht.
2. Eine ausdrückliche Erklärung, daß Anschlußberufung eingelegt wurde, ist nicht erforderlich, es genügt vielmehr, wenn der Kläger im Berufungsverfahren die Änderung des erstinstanzlichen Urteils zu seinen Gunsten beantragt hat.
Normenkette
RAM/RMdIErl 1942-09-05
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. November 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, dem Fürsorgeträger die Aufwendungen, die durch die Unterbringung eines an erheblicher Debilität und Reifungsstörungen leidenden Kindes in einer Landesheilanstalt entstanden sind, auf Grund des Gemeinsamen Erlasses des Reichsarbeitsministers (RAM) und des Reichsministers des Innern (RMI) vom 5. September 1942 (AN 1942, 490) - sog. Halbierungserlaß - zur Hälfte zu ersetzen.
Der klagende Fürsorgeverband (Träger der Sozialhilfe) verlangt von der beklagten Ortskrankenkasse (OKK) anteiligen Ersatz seiner Aufwendungen, die durch die Unterbringung des am 24. April 1950 geborenen Johann B (B.) im Landeskrankenhaus Schleswig in der Zeit vom 14. Mai 1958 bis zum 18. Februar 1960 und vom 24. August 1961 bis zum 31. März 1962 entstanden sind. Johann B. ist ein eheliches Kind des bei der beklagten Krankenkasse pflichtversicherten Arbeiters Günther B. Das Kind leidet unter erheblicher Debilität und Reifungsstörungen, es ist nicht hilfsschulfähig. Das Jugendamt Kiel brachte Johann B. und seine ältere Schwester Ingrid im Juli 1955 im Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt in K. unter. Johann B. fügte sich wegen seiner Unruhe und Unstetigkeit nicht in die Gemeinschaft ein. Er schrie wegen der geringsten Anlässe laut herum, beschmierte Hosen und Toilette mit Kot und verrichtete seine Notdurft in Schubfächern. Er wurde deshalb am 15. September 1955 zur Begutachtung in die Universitäts-Nervenklinik Kiel eingewiesen. Diese brachte in einem dem Jugendamt am 24. November 1955 erstatteten Gutachten zu Ausdruck, Johann B. sei in seinem psychischen Verhalten abartig; er zeige eine erhebliche motorische Unruhe und Unangepaßtheit in der Gemeinschaft; die mangelnde Umweltbewältigung werde durch kompensatorische, auf infantilen Lustgewinn abzielende Verhaltensweisen wie Daumenlutschen, Ruhelosigkeit und Bettnässen ausgeglichen. Im Verlaufe der Beobachtung habe der Junge jedoch erhebliche Anpassungsmöglichkeiten gezeigt. Er sei zuletzt leistungswillig gewesen und sei deshalb zu fördern. Die wirklich vorhandenen Fähigkeiten seien erst nach einer längeren heilpädagogischen Behandlung zu beurteilen.
In der Zeit vom 19. August bis zum 10. Oktober 1957 mußte Johann B. in der Universitäts-Ohrenklinik behandelt werden. Dort zeigte er sich "äußerst hinterhältig und streitsüchtig". Im Anschluß an die Klinikbehandlung, während der Zeit der ambulanten Behandlung, nahmen die Eltern das Kind wieder zu sich. Da es aber ständig andere Kinder beim Spielen störte und durch Steinwürfe gefährdete und deshalb Klagen aus der Nachbarschaft aufkamen, hielt die Fürsorgerin Heim- oder Anstaltspflege für dringend erforderlich. Im April 1958 bat der Vater des Kindes selbst um Unterbringung in einer Heilanstalt, weil es eine Gefahr für sich selbst und für die anderen Kinder darstelle. In einer dem Jugendamt erstatteten Beurteilung vom 30. April 1958 führte die Ärztin Dr. H aus: Der Junge leide infolge eines organischen Hirnschadens unter Idiotie; aus Gründen des häuslichen Milieus sei seine Unterbringung in einer Anstalt erforderlich; die Voraussetzungen der Nr. 7 der Fürsorgerechtsvereinbarung (FRV) seien erfüllt. Daraufhin wurde Johann B. am 14. Mai 1958 vom Jugendamt in das Landeskrankenhaus Schleswig eingewiesen. Hier blieb er - unterbrochen durch Beurlaubungen zu den Eltern (19. April bis 18. Mai 1959 und 21. Dezember 1959 bis 9. Januar 1960) - bis zum 18. Februar 1960. Anschließend wurde er wieder zur Operation der Universitäts-Ohrenklinik Kiel überwiesen. Aus ihr kehrte er Anfang Mai 1960 in das Elternhaus zurück. Tagsüber wurde er in einem Sozialhort gehalten. Am 24. August 1961 wurde das Kind wieder in das Landeskrankenhaus Schleswig eingewiesen. Der Vater leistete zu den Kosten der Unterbringung an das Fürsorgeamt einen Unterhaltsbeitrag. Im Landeskrankenhaus zeigte sich Johann B. stumpf und interessenlos. Der Versuch, ihn in der Anstalt-Sonderschule zu fördern, führte zu keinem Erfolg.
Der klagende Fürsorgeverband meldete Ende Mai 1958 bei der beklagten OKK wegen der Kosten der Unterbringung des Johann B. im Landeskrankenhaus Schleswig Ersatzanspruch nach § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an. Die Kasse forderte den Nachweis, daß es sich nicht nur um einen Pflegefall handele. Nachdem sich das Landeskrankenhaus unter dem 14. Juli 1958 gutachtlich dahin geäußert hatte, daß Johann B. zwar anstaltspflegebedürftig, aber nicht krank im Sinne der RVO sei, lehnte die Beklagte den Ersatzanspruch des Fürsorgeverbandes mit der Begründung ab, sie sei für einen reinen Pflegefall nicht leistungspflichtig. Der Fürsorgeverband erhob nunmehr Klage beim Sozialgericht (SG) Schleswig. Er vertrat die Auffassung, daß im vorliegenden Fall der Halbierungserlaß anwendbar sei, und beantragte, die "Bescheide" der beklagten Krankenkasse vom 12. April und 11. Mai 1960 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Unterbringung des Johann B. in der Zeit vom 14. Mai 1958 bis zum 18. Februar 1960 818,60 DM zu erstatten. Diesem Antrag gab das SG Schleswig durch Urteil vom 8. November 1961 statt. Es hielt den Klageanspruch auf Grund des Halbierungserlasses für begründet. - Gegen dieses Urteil legte die beklagte OKK Berufung ein. Sie machte geltend, durch den Halbierungserlaß sei die Leistungspflicht nach der RVO nicht auf einen "Pflegefall" ausgedehnt worden.
Im Berufungsverfahren ermäßigte der Fürsorgeträger den im ersten Rechtszug geltend gemachten Ersatzanspruch auf 442,40 DM und erweiterte ihn um anteilige Unterbringungskosten für die Zeit vom 24. August 1961 bis zum 31. März 1962. Er verlangte deshalb von der Krankenkasse für die angegebene Zeit Ersatz in Höhe von insgesamt 1.502,90 DM. Die beklagte Krankenkasse erhob gegen die Berichtigung und Erweiterung des Ersatzanspruchs keine Einwendungen. Sie bestritt auch nicht die Höhe der Forderung, hielt aber an ihrer Rechtsauffassung fest, daß es sich um einen Pflegefall handele, der von dem Halbierungserlaß nicht erfaßt werde.
Das Landessozialgericht (LSG) hörte den Facharzt für Psychiatrie Med.Rat Dr. B vom Landeskrankenhaus Schleswig als Sachverständigen und verurteilte die beklagte Kasse unter Zurückweisung ihrer Berufung, an den klagenden Bezirksfürsorgeverband weitere 684,30 DM zu zahlen.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das LSG im wesentlichen aus: Der Schriftsatz des Fürsorgeverbandes, mit dem er seine Leistungsklage auf 1.502,90 DM erhöht habe, sei als Anschlußberufung anzusehen. Da die beklagte Kasse der Klageerweiterung nicht widersprochen habe, bestünden gegen ihre Zulässigkeit keine Bedenken. - Bei der Beobachtung des damals 5 ½-jährigen Johann B. in der Universitäts-Nervenklinik im Herbst 1955 habe noch nicht abschließend beurteilt werden können, ob das Kind infolge längerer heilpädagogischer Behandlung entwicklungsfähig sei oder nicht. In den folgenden Jahren habe sich jedoch erwiesen, daß Johann B. mit den im Lande Schleswig-Holstein vorhandenen Einrichtungen (heilpädagogische Einrichtungen fehlten nach dem Gutachten des Med.Rats Dr. P nicht behandlungsfähig gewesen sei. Bei dem Kind handele es sich deshalb schon seit seiner ersten Einweisung in das Landeskrankenhaus Schleswig im Mai 1958 um einen typischen Pflegefall. Aus dem Gutachten des Med.Rats Dr. B vom 29. März 1962 ergebe sich, daß Johann B. nicht nur - wie das Gesundheitsamt in seiner Stellungnahme vom 30. April 1958 zum Ausdruck gebracht habe - "aus Gründen des häuslichen Milieus" in einer Heil- und Pflegeanstalt untergebracht werden mußte, sondern vor allem deshalb, weil dies in seinem und im Interesse der sozialen Umwelt, also der Öffentlichkeit, geboten gewesen sei. Das Jugendamt habe die Einweisung des Johann B. nicht als Sorgerechtspfleger, sondern im Rahmen seiner allgemeinen gesetzlichen Zuständigkeit herbeigeführt.
Zwischen den Beteiligten sei nicht streitig, daß der Gemeinsame Erlaß des RAM und des RMI vom 5. September 1942 als Rechtsgrundlage des Klageanspruchs in Frage komme. Mit dem Zweck dieses Erlasses sei es nicht vereinbar, den Begriff der Geisteskrankheit wissenschaftlich abzugrenzen, er sei vielmehr im Sinne der allgemeinen sprachlichen Bezeichnung aufzufassen. Im Sinne des Halbierungserlasses seien deshalb auch diejenigen Personen als Geisteskranke anzusehen, deren geistige Fähigkeiten auf Grund eines angeborenen Defektes am Gehirn oder an den Nerven so weitgehend ausgeschaltet seien, "daß sie sich für sich selbst oder andere oder gar für die öffentliche Ordnung und Sicherheit als gefährlich erwiesen". Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß die Behandlungsfähigkeit von Geisteskranken gerade in den letzten Jahrzehnten wesentlich erweitert worden sei (Chemo- und Schocktherapie), aber auch von den vorhandenen Einrichtungen abhänge. Selbst wenn objektiv jede Behandlungsfähigkeit bei Johann B. ausgeschlossen wäre, sei dieser im Sinne des Halbierungserlasses als Geisteskranker anzusehen, weil er - sei es infolge einer Hirnschädigung bei der Geburt oder infolge angeborenen Hirnschadens - in seiner geistigen Struktur so erheblich von der Norm abweiche, daß er - um nicht sich selbst oder andere zu schädigen - fortgesetzt der Beaufsichtigung, Betreuung und Pflege bedürfe. Der Halbierungserlaß sei auch anwendbar, wenn es zweifelhaft ist, ob die Unterbringung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder zum Zwecke der Krankenbehandlung veranlaßt war. Der Ersatzanspruch des Fürsorgeverbandes sei daher begründet.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die beklagte Kasse hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag, die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 22. November 1962 und des SG Schleswig vom 8. November 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung der Revision trägt sie im wesentlichen vor: Der Halbierungserlaß könne nach seinem Sinn und Zweck, aber auch nach seinem Inhalt auf den streitigen Fall nicht angewandt werden. Es möge zutreffen, daß Geisteskrankheit im formellen Sinne vorliege, die RVO regele jedoch nur Leistungen für Behandlungsfälle. Geisteskrankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei aber nur der Behandlungsfall. Wollte man den Halbierungserlaß dennoch anwenden, so erweitere man die Leistungspflicht der Krankenkassen. Es sei aber nicht der Zweck des Halbierungserlasses, die Leistungsvoraussetzung des § 182 RVO zu erweitern. Mit dem Halbierungserlaß habe nur die Streitfrage der Gemeingefährlichkeit ausgeräumt werden sollen. Er sei nur anwendbar in Fällen, in denen eine Heilung oder Besserung eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes denkbar und möglich sei. Das Kind Johann B. sei nicht behandlungsfähig und damit auch nicht behandlungsbedürftig gewesen. Die Begrenzung der Leistungspflicht der Krankenkasse auf Krankheitsfälle im Sinne der RVO ergebe sich aus der im Halbierungserlaß gebrauchten Wendung "im Rahmen der §§ 1531 ff RVO".
Der klagende Fürsorgeträger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Halbierungserlaß habe den Begriff "Krankheit" nicht so übernommen, wie ihn die Rechtsprechung zur RVO entwickelt habe. Der Begriff "Geisteskrankheit" im Sinne des Halbierungserlasses fuße nicht auf medizinischen Erkenntnissen, er sei vielmehr im Sinne des in der Verwaltungspraxis üblichen Sprachgebrauchs zu verstehen. Dem stehe auch nicht entgegen, daß der Erlaß auf §§ 1531 ff RVO hinweise, denn diese Vorschriften regelten auch noch andere Voraussetzungen des Ersatzanspruchs der Sozialhilfeträger. Dieser Hinweis behalte daher auch bei einer weiten Auslegung des Begriffs "Geisteskrankheit" seine Bedeutung.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß der Fürsorgeträger seinen Klageantrag im Wege der Anschlußberufung erweitern konnte, obgleich er durch das Urteil des SG nicht beschwert war. Die Anschlußberufung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren zulässig (BSG 2, 229). Eine ausdrückliche Erklärung, daß Anschlußberufung eingelegt werde, war nicht erforderlich, vielmehr genügte es, daß der klagende Fürsorgeträger im Berufungsverfahren die Änderung des erstinstanzlichen Urteils zu seinen Gunsten beantragt hat (vgl. BGH in NJW 1954, 266; RGZ 103, 170; RG in HRR 1932 Nr. 1790).
Die Entscheidung in der Sache selbst hängt davon ab, ob die Voraussetzungen des Gemeinsamen Erlasses des RAM und des RMI vom 5. September 1942 betr. Beziehungen der Fürsorgeverbände zu den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Unterbringung von Geisteskranken (AN 1942, 490) erfüllt sind. Dieser Erlaß stellt, wie der Senat entschieden hat (BSG 9, 112), eine wirksam zustande gekommene Rechtsverordnung dar und bleibt anwendbar, soweit die beteiligten Fürsorge- (Sozialhilfe-) und Versicherungsträger seine Anwendung nicht vertraglich einschränken oder ausschließen. In dieser Entscheidung ist dargelegt, daß der Halbierungserlaß in allen Fällen anwendbar ist, in denen ein Fürsorgeträger die Kosten der Unterbringung eines gegen Krankheit versicherten oder mitversicherten Geisteskranken in einer Heil- oder Pflegeanstalt getragen hat. Der Halbierungserlaß ist geschaffen worden, um Streitigkeiten über die Ersatzpflicht der Krankenkassen gegenüber den Fürsorgeträgern aus Anlaß der Unterbringung von versicherten oder mitversicherten Geisteskranken in einer Heil- und Pflegeanstalt nach Möglichkeit auszuschalten. Zu diesem Zweck sind alle Geisteskranken, deren Unterbringungskosten bisher die Fürsorgeverbände allein getragen hatten - im wesentlichen also die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit in Verwahrung genommenen gemeingefährlichen Geisteskranken - in die Erstattungspflicht miteinbezogen worden. Auf der anderen Seite ist die Erstattungspflicht der Krankenkassen, um die bestehende Lastenverteilung zwischen ihnen und den Fürsorgeverbänden nicht grundlegend zu ändern, auf die Hälfte der den Fürsorgeverbänden entstandenen Unterbringungskosten begrenzt worden. Diese Regelung kann - wie der Senat in der genannten Entscheidung ausgeführt hat - ihr erklärtes Ziel, die Verwaltung zu vereinfachen und Ersatzstreitigkeiten zwischen den Fürsorge- und den Versicherungsträgern auszuschließen, nur erreichen, wenn sie alle Fälle erfaßt, in denen ein Fürsorgeverband die Kosten für die Unterbringung eines versicherten oder mitversicherten Geisteskranken getragen hat.
In dieser Entscheidung vom 20. Dezember 1961 (BSG 16, 84) hat der Senat daran festgehalten, daß der Halbierungserlaß grundsätzlich in allen Fällen gilt, in denen ein Fürsorgeträger die Kosten der Unterbringung eines gegen Krankheit versicherten Geisteskranken oder eines mitversicherten Angehörigen in einer Heil- und Pflegeanstalt getragen hat. Er hat jedoch weiter ausgesprochen, daß es nicht angehe, in einem Fall, in dem die Notwendigkeit stationärer Behandlung des Erkrankten eindeutig im Vordergrund steht, durch eine nach den Vorschriften der RVO sachlich ungerechtfertigte Ablehnung der Anstaltsaufnahme durch die Krankenkasse erst die Voraussetzung für die Anwendung des Halbierungserlasses - nämlich das Eintreten des Fürsorgeträgers - und damit seine endgültige Beteiligung an den Unterbringungskosten herbeizuführen. Diese Auffassung bedeutet zwar eine gewisse Einschränkung der in BSG 9, 122 entwickelten Grundsätze, sie ist jedoch schon dadurch gerechtfertigt, daß der Halbierungserlaß nur das Verhältnis zwischen Fürsorge- und Versicherungsträger betrifft und die Ansprüche des Versicherten gegen seine Krankenkasse grundsätzlich nicht berührt. Die Rechtsstellung eines offensichtlich behandlungsbedürftigen Geisteskranken gegenüber einer Krankenkasse wäre wesentlich beeinträchtigt, wenn die Krankenkasse die notwendige Heilanstaltspflege nur deshalb verweigern dürfte, um den Fürsorgeträger zum Eintreten für den Versicherten zu veranlassen und damit die Voraussetzungen für die Anwendung des Halbierungserlasses zu schaffen. Der Halbierungserlaß geht, wie in der Entscheidung BSG 16, 84, 88 f näher dargelegt ist, ersichtlich davon aus, daß sich Fürsorgeträger und Versicherungsträger bei Gewährung oder Verweigerung von Leistungen gegenüber den Hilfsbedürftigen und Versicherten gesetzmäßig verhalten und eine Leistung nicht verweigern, nur um in dem zu erwartenden Ersatzstreit eine günstige Rechtsposition zu haben.
Aus dieser Entscheidung kann jedoch nicht geschlossen werden, daß der Halbierungserlaß in sog. Pflegefällen nicht anwendbar ist. Der Halbierungserlaß hat, soweit es sich um die Unterbringung Geisteskranker in einer Heil- und Pflegeanstalt handelt, die Leistungspflicht der Krankenkassen auch auf Fälle erstreckt, in denen die ärztliche Behandlung des Geisteskranken nicht im Vordergrund steht. Der Umstand, daß sich die Krankenkassen an den Unterbringungskosten auch dann zu beteiligen haben, wenn die Unterbringung überwiegend aus Gründen der öffentlichen Sicherheit notwendig gewesen ist, spricht dafür, daß der Halbierungserlaß alle Fälle der Unterbringung geisteskranker Versicherter in einer Heil- und Pflegeanstalt regeln wollte. Deshalb bezieht er sich nicht nur auf Geisteskranke, die in erster Linie behandlungsbedürftig sind, sondern erfaßt alle Fälle der Unterbringung geisteskranker Versicherter (oder mitversicherter Familienangehöriger) in einer Heil- oder Pflegeanstalt, ungeachtet der Gründe, auf denen die Unterbringung beruht.
Im vorliegenden Falle handelte es sich um das Kind eines Versicherten, das an erheblicher Debilität und Reifestörungen litt und dessen Unterbringung im Landeskrankenhaus Schleswig sowohl im eigenen Interesse als auch deshalb notwendig war, weil das Kind durch sein abartiges Verhalten andere gefährdete. Zudem war das Kind von den ärztlichen Sachverständigen als "anstaltspflegebedürftig" im Sinne der Nr. 7 FRV idF vom 3. Mai 1949 beurteilt worden.
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen