Entscheidungsstichwort (Thema)
"Beweislast". Anwendung der Vermutung
Leitsatz (amtlich)
Aus dieser Vorschrift folgt nicht eine Änderung der "Beweislast" dahin, daß nunmehr der Versicherte die ordnungsmäßige Entrichtung der Beiträge nachzuweisen hätte. Das Gericht hat von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln. Bleibt bei dem Gericht noch Ungewißheit, muß der Beteiligte, zu dessen Gunsten sich die Feststellung ausgewirkt hätte, die Folgen gegen sich gelten lassen, die sich aus dem Fehlen jener Feststellungen für ihn ergeben (Objektive Beweislast). Nur dann, wenn die Voraussetzungen des RVO § 1445 Abs 1 gegeben sind, soll vermutet werden, daß während der belegten Beitragswochen ein Versicherungsverhältnis bestanden hat; andernfalls bedarf es stets einer Feststellung auf andere Weise, ob während irgendwelcher belegter Beitragswochen tatsächlich ein Versicherungsverhältnis bestanden hat.
Normenkette
RVO § 1445 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; SGG § 128 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 1955 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die am ... 1885 geborene Klägerin war von 1903 bis 1914 als Hausgehilfin pflichtversichert und entrichtete während dieser Zeit insgesamt 579 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung. Ihre letzte, am 3. September 1914 ausgestellte Quittungskarte (Nr. 12) enthält im Anschluß an die mit dem Entwertungsdatum "28.9.1914" abschließenden Beitragsmarken noch zwei Zweiwochenbeitragsmarken der Klasse II in dem vom 1. Mai 1947 bis zum 21. Juni 1948 bei den Postanstalten verkauften Muster, unter denen die Daten "17.1.1948" und "24.1.1948" eingetragen sind.
Im Dezember 1949 erbat der Ehemann der Klägerin unter Vorlegung der Unterlagen von der Überwachungsstelle A der Beklagten in J eine Auskunft über die etwa für seine Ehefrau weiter erforderliche Beitragsentrichtung. Mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Falles verwies der Überwachungsbeamte die Klägerin an die Beklagte, die die Überwachungsstelle veranlaßte, den Ehemann der Klägerin nochmals zu der Markenentrichtung zu hören. Der schriftliche Vermerk über diese am 17. April 1950 erfolgte Anhörung hat folgenden Wortlaut:
"Die beiden Marken habe ich bei der Post in J gekauft und selbst eingeklebt. Klebstoff habe ich zum Einkleben nicht verwandt. Der Kauf der Marken und das Einkleben erfolgte vor der Währungsreform, den genauen Zeitpunkt kann ich nicht mehr angeben. Die Entwertungsdaten auf die Marken habe ich nicht gesetzt. Soweit ich mich noch erinnern kann, hat ein Beamter des Versicherungsamtes - Landratsamt - in J die Daten auf die Marken geschrieben. Es besteht die Absicht, zur freiwilligen Weiterversicherung die Beitragsleistung fortzusetzen. Den Beamten, der die Daten auf die Marken geschrieben hat, kenne ich nicht mehr, es war ein jüngerer Beamter. Zur Verwendung der Marken wurde ich durch eine Notiz in den "A Nachrichten" oder der "A Volkszeitung" veranlaßt."
Nach der Vollendung ihres 65. Lebensjahres stellte die Klägerin am 31. Oktober 1950 den Antrag auf Gewährung der Altersinvalidenrente.
Die Beklagte erklärte durch Bescheid vom 1. Februar 1951, die Anwartschaft der Klägerin sei erloschen, weil nach dem 31. Dezember 1923 keine rechtswirksamen Beiträge mehr entrichtet seien; die vier letzten Wochenbeiträge der Klasse II könnten nicht anerkannt werden. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin fristgemäß gemäß § 1459 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor 1954 geltenden Fassung Einspruch bei dem Versicherungsamt Jülich, das den Ehemann der Klägerin und diese selbst am 26. Juni 1951 nochmals vernahm; die Vernehmung wurde durch den Kreisinspektor ... als stellvertretenden Vorsitzenden des Versicherungsamts durchgeführt. Die Klägerin erklärte damals folgendes:
"Ich habe wiederholt früher schon mit meinem Mann über die Weiterentrichtung von Marken gesprochen, da ich die Unterlagen über frühere Versicherungszeiten stets sorgsam verwahrt und auch mit in die Evakuierung genommen hatte. Eines Tages erzählte mir mein Ehemann, dass ich vielleicht noch in den Genuß von Rente kommen könnte, ich weiß mich genau zu entsinnen, daß mein Ehemann gesagt hat, wenn ich noch alte Marken kriegen könnte. Ich habe geglaubt, daß es nicht mehr klappen würde. Wir konnten ja nicht wissen, daß noch alte Marken zu kriegen waren. Wann die Marken gekauft worden sind, darüber kann ich keine Angaben machen."
Der Ehemann der Klägerin wiederholte bei dieser Vernehmung seine früheren Angaben und ergänzte sie noch durch folgende Ausführungen:
"... Ich hatte mit meinen Arbeitskameraden während der Mittagspause Anfang des Jahres 1948 über einen die Invalidenversicherung betreffenden Artikel einer hiesigen Zeitung eine Unterhaltung. Bei dieser Gelegenheit äußerte ein Arbeiter, daß man alte Versicherungsverhältnisse wieder aufleben lassen könnte, wenn man mindestens zwei Beitragsmarken entrichten würde. Aus dieser Äußerung heraus entspann sich eine lebhafte Diskussion, wie das während der üblichen Unterhaltung während der Pause öfter der Fall war. Nach Arbeitsende am gleichen Tage gegen 5 Uhr bin ich unverzüglich auf die Post gegangen und habe mit dem Rest meines Geldes die Marken erworben. Die alte Invalidenkarte meiner Ehefrau sowie die von mir erworbenen und eingeklebten Marken habe ich einige Tage später einem Angestellten des Versicherungsamts vorgelegt und ihm erklärt, daß ich auf Grund der vorher geschilderten Vorgänge die Marken erworben hätte. Die Marken wurden durch diesen Angestellten entwertet. Ich hatte den Vorsatz, bis zum 65. Lebensjahr meiner Ehefrau freiwillig Marken zu entrichten. Erneute Diskussionen in der Fabrik lösten jedoch Zweifel darüber aus, ob die alten Versicherungszeiten anerkannt würden. Der eine sagte, die Sache sei völlig hinfällig, obwohl der andere wieder behauptete, daß der bereits erwähnte Artikel auf Wahrheit beruhe. Durch diese Zweifel habe ich von einer Weiterversicherung vorerst Abstand genommen ... Zeugen für die Unterredung kann ich nicht beibringen ...".
Bevor eine Entscheidung des Versicherungsamts erging, erließ die Beklagte am 14. Februar 1952 einen weiteren, jetzt berufungsfähigen Bescheid. Auf Grund eines ärztlichen Gutachtens ging die Beklagte davon aus, daß bei der Klägerin im Dezember 1949 Invalidität eingetreten ist; trotzdem lehnte sie mit diesem Bescheid die Gewährung einer Rente aus den bisher schon vorgebrachten Gründen (erloschene Anwartschaft, fehlende Halbdeckung, unwirksame Entrichtung der alten Marken) ab.
Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Köln über. Gegen das diese Klage abweisende Urteil, das mit der Beklagten annahm, die fraglichen Beitragsmarken seien erst nach dem Inkrafttreten des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) unter Rückdatierung entrichtet worden, legte die Klägerin rechtzeitig Berufung ein. Das Landessozialgericht änderte in seinem Urteil vom 16. Dezember 1955 das angefochtene Urteil dahin ab, "daß die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. Februar 1952 verurteilt wird, an die Klägerin die Invalidenrente in gesetzlicher Höhe vom 1. November 1950 ab zu zahlen", und der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Das Landessozialgericht begründet seine Entscheidung im wesentlichen mit folgenden Erwägungen:
Der Versicherungsfall sei am 1. Dezember 1949 eingetreten. Zu dieser Zeit habe die Klägerin die für die Gewährung der Invalidenrente erforderliche Wartezeit von 60 Beitragsmonaten erfüllt; entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts sei jedoch auch die Anwartschaft erhalten geblieben, da die zwei Doppelwochenmarken der Klasse II in der Quittungskarte Nr. 12 rechtswirksam entrichtet seien und daher § 4 Abs. 2 SVAG Platz greife. Die Marken seien zwar nicht entsprechend der Vorschrift des § 1431 RVO a. F. entwertet, doch werde dadurch die Gültigkeit ihrer Entrichtung nicht berührt.
Als unwirksam könnten die Marken vielmehr nur dann angesehen werden, wenn es sich bei ihnen entweder um bereits einmal für einen anderen Versicherten benutzte, also wiederverwendete Marken gehandelt habe oder wenn sie erst nach dem 30. November 1948 (vgl. § 4 Abs. 2 SVAG) entrichtet seien. Hierbei sei es jedoch nicht Aufgabe der Klägerin, die rechtswirksame Entrichtung zu beweisen. Hierzu führt das angefochtene Urteil aus:
"Zwar bestimmt § 1445 Abs. 1 RVO, daß das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses während der belegten Beitragswochen nur dann zu Gunsten eines Versicherten vermutet wird, wenn die Marken einer richtig ausgestellten und rechtzeitig zum Umtausch eingereichten Quittungskarte ordnungsmäßig verwendet worden sind. Dieser Vorschrift kommt aber nur die Bedeutung zu, daß die Versicherungsanstalt nachweisen muß, daß der Versicherte den Anforderungen, die die Vermutung des § 1445 Abs. 1 RVO zu seinen Gunsten begründen, seinerseits nicht genügt hat (AN. 1902 S. 474). Eine Beweislast der Klägerin in dem Sinne, daß sie die streitigen vier Wochenbeiträge ordnungsmäßig entrichtet hat, kann also aus § 1445 Abs. 1 RVO nicht entnommen werden.
Im übrigen ist aber auch nach der einhelligen Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. pp.) eine Beweislast im prozessualen Sinne im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit nicht vorhanden. Es besteht vielmehr eine Beweislast nur in dem Sinne, daß bei Fortbestand einer Ungewißheit ein Beteiligter die nachteiligen Folgen gegen sich gelten lassen muß.
Nach dem Beitragsbild, das sich aus der Quittungskarte Nr. 12 ergibt, sind die vier streitigen Beiträge im Januar 1948 entrichtet worden, so daß also - zu Gunsten der Klägerin - der Rechtsschein für die rechtswirksame Entrichtung der Beiträge in diesem Zeitpunkt spricht."
Das Urteil führt dann weiter aus, daß gegen die ordnungsmäßige Markenentrichtung zwar eine Reihe von Umständen sprechen, doch seien diese nicht ausreichend, um den sich zu Gunsten der Klägerin ergebenden Rechtsschein zu widerlegen. In einem auf Veranlassung der Beklagten von der Staatsanwaltschaft Aachen angestrengten Verfahren habe der Gutachter Dipl. Ing. W zwar festgestellt, daß zur Einklebung der Marken nicht nur ihr Originalgummi, sondern auch noch ein zusätzlich wirkendes Klebemittel verwandt sei; dadurch allein lasse sich jedoch eine "Wiederverwendung" nicht nachweisen; andere Anhaltspunkte dafür seien nicht gegeben. Das Landgericht habe daher das Verfahren auch eingestellt.
Ebensowenig könne nach den Ergebnissen des Verfahrens der Staatsanwaltschaft oder aus sonstigen Umständen auf eine erst nach dem 30. November 1948 erfolgte Verwendung der Beitragsmarken geschlossen werden. Zwar habe die Klägerin bei ihrer ersten Vernehmung von "alten" Marken gesprochen und Zweifel geäußert, ob solche noch erhältlich seien und die Sache "klappen werde". Solche Zweifel seien nicht erklärlich, wenn die Marken noch im ordentlichen Verkauf bei den Postämtern zu erhalten gewesen wären. Es handele sich aber bei der Klägerin und ihrem Ehemann um ältere Personen; die Zeit der Vernehmung liege über drei Jahre nach der angeblichen Markenentrichtung. Ein Widerspruch sei unzweifelhaft vorhanden, er könne unter diesen Umständen jedoch nicht als so bedeutsam angesehen werden, um daraus bereits auf eine nicht ordnungsgemäße Markenentrichtung schließen zu können, da es immerhin möglich erscheine, daß mit dem Begriff "alte Marken" zur Zeit der Aussage (1951) nur jene vor der Währungsreform gültigen Marken gemeint gewesen wären.
Auch daraus, daß die Entrichtung einzelner Beitragsmarken im Januar 1948 nach dem damaligen Recht zwecklos und daher an sich unverständlich sei, könnten zwar Bedenken entnommen werden; jedoch reichten diese mit Rücksicht auf die Möglichkeit eines Mißverständnisses bei gesetzesunkundigen Personen ebenfalls nicht aus, zumal am 24. Dezember 1947 in der "A Volkszeitung" ein Artikel über wichtige Fristen in der Rentenversicherung erschienen sei.
Das Landessozialgericht hat die Revision gegen sein Urteil "wegen der grundsätzlichen Bedeutung der angewandten Rechtsgrundsätze über die Beweislast" zugelassen.
Gegen das am 27. Februar 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. März 1956 Revision eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 18. April 1956 begründet.
Die Beklagte greift zunächst die Beweiswürdigung des Berufungsurteils als irrig an.
Das Landessozialgericht habe bei der unklaren Sachlage die Verpflichtung gehabt, weitere Beweise zu erheben.
Die Sachaufklärung hätte in mehrfacher Weise ergänzt werden müssen. Die Herbeiziehung der Versicherungsakte des Ehemannes der Klägerin hätte ergeben, daß dieser bereits am 23. August 1949 einen Rentenantrag gestellt und dabei angegeben habe, daß seine Ehefrau nur von 1903 bis 1914 Beiträge entrichtet habe. Danach sei anzunehmen, daß die späteren Behauptungen über eine freiwillige Versicherung unzutreffend seien.
Das Landessozialgericht hätte ferner den stellvertretenden Vorsitzenden des Versicherungsamts J., Inspektor B., vernehmen müssen. Die Vernehmung hätte ergeben, dass Backes, der mit den gesetzlichen Bestimmungen genau vertraut sei, die fraglichen Daten auf die Quittungskarte nur zur Unterrichtung der Klägerin eingetragen habe und daß er die Darstellung des Ehemannes der Klägerin für unzutreffend halte, vielmehr meine, die Rücksprache könne erst im Jahre 1949 stattgefunden haben.
Infolge der erst im angefochtenen Urteil zur Kenntnis der Beklagten gekommenen Beweiserhebung habe sie die vorstehenden Anregungen nicht früher geben können.
Die vom Landessozialgericht aus dem vorliegenden Sachverhalt gezogenen Schlüsse seien irrig. Bereits aus den eigenen Feststellungen habe des Landessozialgericht vielmehr nur den Schluß ziehen dürfen, daß die Marken nicht vor dem 31. November 1948 verwendet seien.
Die Beklagte hält weiter die in dem angefochtenen Urteil dem § 1445 RVO gegebene Auslegung für irrig. Nur wenn die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt seien, begründe das Markenbild eine Vermutung, die dem Versicherungsträger eine Beweislast auferlege. Da diese Voraussetzungen hier jedoch fehlten, gehe die Unmöglichkeit einer sicheren Feststellung zu Lasten der Klägerin, die diese Unmöglichkeit durch Verstoß gegen die Vorschriften der RVO herbeigeführt habe.
Schließlich will die Beklagte darin einen Verstoß gegen die allgemeinen Erfahrungssätze bzw. Denkgesetze erblicken, daß das Landessozialgericht die streitigen Beitragsmarken als im Januar 1948 entrichtet ansieht, weil damit gleichzeitig unterstellt werde, daß die Klägerin zu dieser Zeit schon die Währungsreform vorausgesehen habe.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Entscheidung des Sozialgerichts Köln vom 1. Dezember 1954 und ihren eigenen Bescheid wiederherzustellen.
Die Klägerin beantragt demgegenüber, die Revision kostenpflichtig als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor, vielmehr habe das Landessozialgericht seiner Amtsaufklärungspflicht in ausreichendem Maße genügt und bei seiner Beweiswürdigung die ihm gesetzten Grenzen nicht verletzt. In der Revisionsinstanz sei daher von der tatsächlichen Feststellung, daß die fraglichen Beiträge im Januar 1948 entrichtet seien, auszugehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist auch begründet.
I Zwar greifen die von der Beklagten gerügten Verfahrensmängel nicht durch. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 25. August 1955 (BSG. 1 S. 198) ausgeführt hat, kann auch im Rahmen des Amtsermittlungsverfahrens nicht gefordert werden, daß das Gericht ohne Anhalt jeden denkbaren Beweis erhebt (vgl. auch Urteil vom 1. März 1956 - 4 RJ 120/55). Es stellt eine Überforderung des Landessozialgerichts dar, von diesem ohne ausdrücklichen entsprechenden Hinweis zu verlangen, zur weiteren Aufklärung der Frage, ob und wann die Klägerin der Invalidenversicherung angehört hat, die Invalidenakte ihres Ehemannes herbeizuziehen, da im allgemeinen nicht davon ausgegangen werden kann, daß aus solchen, die Versicherungsverhältnisse dritter Personen betreffenden Unterlagen beweiserhebliche Tatsachen für den jeweils zu entscheidenden Rechtsstreit zu entnehmen sind. Dahingestellt bleiben kann unter diesen Umständen, ob eine summarische Angabe darüber, wann der Ehegatte versichert gewesen ist, überhaupt von wesentlicher Bedeutung für die Feststellung jenes Versicherungsverhältnisses sein kann. Auch zu einer von Amts wegen vorzunehmenden Zeugenvernehmung des Oberinspektor B. brauchte sich das Landessozialgericht nicht veranlasst zu sehen, sondern durfte ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß die Akten alle für das Versicherungsverhältnis der Klägerin erheblichen Ermittlungen enthielten. Ohne einen entsprechenden Hinweis seitens der Beklagten brauchte das Landessozialgericht daher auch in dieser Richtung keine weiteren Beweise zu erheben.
II Der materiell-rechtlichen Rüge konnte der Erfolg dagegen nicht versagt werden. Zwar geht das Landessozialgericht zutreffend davon aus, daß die Vermutung des § 1445 Abs. 1 RVO a. F. im vorliegenden Falle nicht zu Gunsten der Klägerin anzuwenden ist, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt sind. Aus der Bestimmung folgt auch nicht eine Änderung der "Beweislast" dahin, daß nunmehr die Klägerin die ordnungsmäßige Entrichtung der Beiträge nachzuweisen hätte. Von einer Beweislast im prozessualen Sinne (Beweisführungslast) kann im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens überhaupt nicht gesprochen werden; das Gericht hat vielmehr von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln. Soweit der Gesetzgeber zu Gunsten irgendwelcher Beteiligten Vermutungen aufstellt, ist diese Amtsermittlung dadurch erleichtert, daß es ausreicht, wenn das Gericht die Tatsachen feststellt, die gesetzliche Voraussetzungen der Vermutung sind, um alsdann auch den vermuteten Sachverhalt als wahr unterstellen zu können.
Soweit dagegen - wie dies im allgemeinen der Fall ist - keine derartige Vermutung Platz greift, muß der gesamte Sachverhalt vom Gericht in eigener Würdigung festgestellt werden. Soweit diese Feststellung nicht eindeutig gelingt, bei dem Gericht vielmehr noch eine Ungewißheit verbleibt, muß der Beteiligte, zu dessen Gunsten sich die Feststellung ausgewirkt hätte, die Folgen gegen sich gelten lassen, die sich aus dem Fehlen jener Feststellungen für ihn ergeben (Objektive Beweislast). Das in diesen Fällen verständliche Bemühen des Betreffenden, dem Gericht doch noch Gewißheit über die fraglichen Tatsachen zu verschaffen, wird allerdings häufig fälschlich als "Beweislast" bezeichnet.
Hat das Landessozialgericht somit die Bedeutung des § 1445 Abs. 1 RVO a. F. für die Feststellung des Sachverhalts richtig erkannt, so verstößt es bei dessen Anwendung selbst gegen diese Auffassung. Es legt nämlich seinen gesamten weiteren Überlegungen den Gedanken zugrunde, der "Rechtsschein" spreche zu Gunsten der Klägerin für die rechtswirksame Entrichtung der Beiträge im Jahre 1948, da diese nach dem Beitragsbild der Quittungskarte 12 damals entrichtet seien. Mit diesen Ausführungen hat das Landessozialgericht jedoch die von ihm zu Recht nicht für anwendbar erklärte Vermutung des § 1445 Abs. 1 RVO a. F. tatsächlich doch angewandt. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 1445 Abs. 1 gegeben sind, vermutet werden, daß während der belegten Beitragswochen ein Versicherungsverhältnis bestanden hat. Liegen dagegen die Voraussetzungen jener Bestimmung nicht vor, so bedarf es stets einer Feststellung auf andere Weise, ob während irgendwelcher belegter Beitragswochen tatsächlich ein Versicherungsverhältnis bestanden hat. Die Tatsache der Belegung allein kann dann nicht zum Ausgangspunkt einer Vermutung genommen werden.
Wenn das Landessozialgericht meint, der Rechtsschein spreche zugunsten der Klägerin für die rechtswirksame Entrichtung der Beiträge im Jahre 1948, da diese nach dem Beitragsbild der Quittungskarte 12 damals entrichtet worden seien, so kann dieser Auffassung gerade nach dem äußeren Beitragsbild der Quittungskarte nicht beigetreten werden. Nur wenn dieses äußere Bild auf einen normalen ordnungsmäßigen Ablauf des Vorgangs der Beitragsentrichtung schließen ließe, könnte von einem Rechtsschein gesprochen werden. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, da die Marken nicht ordnungsmäßig entwertet worden sind und noch dazu falsche Entwertungsdaten aufweisen, die nur um eine Woche auseinanderliegen, obwohl es sich um Zweiwochenmarken handelt. Es ist zwar richtig, daß die gültige Entrichtung von Beiträgen nicht dadurch in Frage gestellt wird, daß sie nicht oder nicht vorschriftsmäßig entwertet worden sind, jedoch handelt es sich hier darum, wann die Beiträge entrichtet worden sind; nur bei einer ordnungsmäßigen Entwertung kann man davon ausgehen, die Beiträge seien zu einer bestimmten Zeit entrichtet. Das Landessozialgericht hätte bei der Würdigung der für und gegen die gültige Beitragsentrichtung sprechenden Tatsachen nicht darüber hinweggehen dürfen, daß es nach der Rechtslage Anfang 1948 an jedem erkennbaren Motiv für die Entrichtung von einigen wenigen Beiträgen fehlte, und daß weiterhin die Glaubwürdigkeit des Ehemannes der Klägerin aufs Schwerste erschüttert wird durch die Feststellung der Verwendung von zwei verschiedenen Klebstoffen. Wenn das Landessozialgericht zu dem Schluß kommt, daß trotz aller Bedenken gegen die ordnungsmäßige Beitragsentrichtung diese doch angenommen werden müsse, wenn es aber andererseits nicht die notwendigen Feststellungen trifft, die für ordnungsmäßige Beitragsentrichtung sprechen, so konnte seine Entscheidung nicht aufrechterhalten bleiben. Das Urteil war vielmehr aufzuheben.
Da die getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu einer eigenen Entscheidung des Revisionsgerichts nicht ausreichten, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch hinsichtlich der Anwendung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen