Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der 3. DV KBLG BW § 9 vom 1949-07-23 bestand seit deren Inkrafttreten (1949-07-01) ein generelles Leistungsverbot für Renten nach dem KBLG nur noch für den Personenkreis, dem der Rentenanspruch durch die Spruchkammer als Sühnemaßnahme nach BefrG Art 15 Nr 4 oder Art 16 Nr 5 aberkannt worden war.
2. Wie der 10. Senat in seinem Urteil vom 1957-01-22 10 RV 865/55 = SozR Nr 12 zu § 5 BVG zu dem gleichlautenden BVG § 5 Abs 1 Buchst d entschieden hat, ist die Internierung eines Deutschen wegen seiner früheren nationalsozialistischen Betätigung auf Anordnung der Besatzungsmacht jedenfalls dann als ein Vorgang anzusehen, der infolge einer mit der militärischen Besetzung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten ist, wenn der Internierte politisch geringer belastet war als ein Hauptschuldiger oder Belasteter iS des BefrG.
Dieser Grundsatz, dem sich der erkennende Senat anschließt, muß wegen des gleiche Wortlauts und Zwecks der 3. DV KBLG BW § 2 Abs 1 Buchst d auch dann gelten, wenn darüber zu entscheiden ist, ob Internierungsfolgen eine unmittelbare Kriegseinwirkung iS des KBLG darstellen.
Normenkette
BVG § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07; KBLGDV WB 3 § 9 Fassung: 1949-07-23; KBLG WB
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 1955, soweit es den Rentenanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Juli 1949 ab abgelehnt hat, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger, der seit dem 1. Februar 1939 Angehöriger der allgemeinen SS war, wurde im Oktober 1939 zur Waffen-SS einberufen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG.) erreichte er den Rang eines Hauptsturmführers und wurde, nachdem er an der Ostfront verwundet worden war, in einem Wirtschaftsstab verwendet Nach dem Einmarsch der Amerikaner entfernte er sich im Frühjahr 1945 von seiner Truppe und arbeitete als Dolmetscher in einer Großwäscherei in München-Pasing. Im März 1946 begab er sich in das Internierungslager der amerikanischen Besatzungsmacht in G. Dort wurde er festgehalten. Am 5. April 1946 stürzt er sich aus dem Dachgeschoß der Unterkunft auf den Hof. Er erlitt dabei Knochenbrüche an beiden Füßen; ferner machte sich nach dem Sturz ein erheblicher Hirnschaden bemerkbar. Nach längerem Lazarettaufenthalt wurde der Kläger am 21. Mai 1947 aus der Internierung entlassen und in stationäre Heilanstaltsbehandlung überführt. Die Zentralspruchkammer N in K stellte das auf Grund des Württemberg-Badischen Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (BefrG) vom 5. März 1946 (Reg. Bl. 1946 S. 71) eingeleitete Verfahren nach mündlicher Verhandlung durch Spruch vom 2. November 1946 ein, weil der Kläger weder verantwortungs- noch verhandlungsfähig sei.
Der Antrag des Pflegers des Klägers auf Versorgung vom 10. Mai 1949 wurde durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Baden vom 26. September 1950 nach dem Württemberg-Badischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) vom 21. Januar 1947 (Reg. Bl. 1947 S. 7) abgelehnt, weil die Folgen des Selbsttötungsversuchs weder durch unmittelbare noch durch mittelbare Kriegseinwirkungen im Sinne der Dritten Durchführungsverordnung (DurchfVO) zum KBLG vom 23. Juli 1949 (Reg. Bl. 1949 S. 212) verursacht seien. Der Kläger sei vielmehr als politisch Belasteter von der Besatzungsmacht festgehalten worden; er gehöre deshalb nicht zu dem nach § 1 Abs. 1 KBLG anspruchsberechtigten Personenkreis.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos (Vorentscheidung des Vorsitzenden der IV. Spruchkammer des Oberversicherungsamts (OVA.) K vom 15.11.1952 und Urteil des OVA. K vom 8.1.1953).
Das LSG. Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers (§ 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) gegen das Urteil des OVA. durch Urteil vom 8. Februar 1955 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Wehrdienst des Klägers sei durch die Auflösung der Wehrmacht infolge der Kapitulation und durch die Aufnahme eines zivilen Arbeitsverhältnisses tatsächlich und rechtlich beendet worden. Im Jahre 1946 seien Verhaftungen und Internierungen ausschließlich auf Grund der Kontrollrats-Direktive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 und des BefrG erfolgt. Selbst wenn der Kläger beabsichtigt haben sollte, sich im Internierungslager nachträglich Entlassungspapiere zu besorgen, sei er doch lediglich auf Grund der Entnazifizierungsbestimmungen interniert und in Haft behalten worden. Das ergebe sich auch aus einer Mitteilung der Militärregierung an das Befreiungsministerium vom 14. Mai 1947, in welcher der Kläger als Zivilinternierter bezeichnet worden sei. Diese Internierung sei auch nicht als unmittelbare Kriegseinwirkung anzusehen. Sie sei zumindest deshalb die Folge einer Dienstleistung im Sinne des § 1 Abs. 2 KBLG gewesen, weil der Kläger als Angehöriger der allgemeinen SS zur Gruppe der Belasteten im Sinne des BefrG gehört habe. Die Einstellung des Entnazifizierungsverfahrens ändere an dieser Beurteilung nichts, weil das Verfahren nicht aus sachlichen, sondern aus formellen Gründen eingestellt worden sei. Der Kläger habe daher keinen Versorgungsanspruch nach dem KBLG.
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung der §§ 1, 2 KBLG und der §§ 2, 8 der Dritten DurchfVO zum KBLG. Er macht geltend, daß er im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses Kriegsgefangener gewesen sei, weil er zum Zwecke der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in das Internierungslager aufgenommen worden sei. Ein Leistungsausschluß nach § 1 Abs. 2 KBLG könne nicht angenommen werden, weil er nicht wegen einer unmittelbaren Dienstleistung für die NSDAP oder deren Gliederungen festgehalten worden sei. Im übrigen habe ihn die Spruchkammer nicht in die Gruppe der Belasteten eingestuft. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt im Lager und der durch den Sturz entstandenen Hirnschädigung sei gegeben.
Der Kläger hat beantragt,
unter Aufhebung der Vorentscheidungen die auf seinem Selbstmordversuch beruhenden Körperschäden als Leistungsgrund anzuerkennen und den Revisionsbeklagten zur Zahlung der entsprechenden Rente vom 1. Mai 1949 ab zu verurteilen;
hilfsweise: die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.
Die Revision des Klägers ist jedoch insoweit unbegründet, als er für die Zeit vom 1. Mai 1949 bis 30. Juni 1949 die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Rente verlangt. Das Berufungsgericht hat den Anspruch für diese Zeit ebenso wie für die Zeit vom 1. Juli 1949 ab nach § 1 Abs. 2 KBLG in Verbindung mit § 8 der Dritten DurchfVO zum KBLG beurteilt. Dabei hat es übersehen, daß die Dritte DurchfVO erst am 1. Juli 1949 in Kraft getreten ist (§ 38 Abs. 1 der Dritten DurchfVO). Da aber der Kläger seinen Anspruch auf Rente am 10. Mai 1949 angemeldet hat, richtet sich dieser für die Zeit bis 30. Juni 1949 nach dem KBLG in Verbindung mit der Ersten DurchfVO vom 27. Januar 1947 - Reg. Bl. 1947 S. 114 - und der Zweiten DurchfVO vom 12. Dezember 1947 - Reg. Bl. 1948 S. 13 - und erst vom 1. Juli 1949 ab bis zum Außerkrafttreten der materiell-rechtlichen Vorschriften dieses Gesetzes am 30. September 1950 (§ 84 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -) nach dem KBLG in Verbindung mit der vom 1. Juli 1949 ab in Kraft befindlichen Dritten DurchfVO. Nach § 6 der Ersten Durchf-VO hatten Beschädigte, die unter das BefrG - Anlage Teil A Klasse I oder II - fielen und keinen Nachweis über eine durch die Spruchkammer erfolgte Einreihung in eine günstigere Gruppe vorlegen konnten, nur einen Anspruch auf Heilbehandlung. Da der Kläger nach Art. 10 des BefrG - Anlage Teil A, E Klasse I Nr. 1 und Klasse II Nr. 2 als Hauptsturmführer der Waffen-SS und Angehöriger der allgemeinen SS als Belasteter galt und keinen Nachweis über eine durch die Spruchkammer erfolgte Einreihung in eine günstigere Gruppe vorlegen konnte, hat er deshalb für die Zeit vom 1. Mai 1949 bis 30. Juni 1949 keinen Anspruch auf Rente nach dem KBLG. Die Revision war daher insoweit zurückzuweisen, als der Kläger für diesen Zeitraum die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Rente begehrt (§ 170 Abs. 1 SGG).
Dagegen mußte die Revision Erfolg haben soweit das angefochtene Urteil einen Anspruch des Klägers auch für die Zeit vom 1. Juli 1949 bis 30. September 1950 abgelehnt hat. Die Dritte DurchfVO brachte insofern Erleichterungen, als durch sie § 6 der Ersten DurchfVO (Leistungsausschluß für Beschädigte, die unter Anlage Teil A Klasse I oder II des BefrG fielen) mit Wirkung vom 1. Juli 1949 ab aufgehoben worden ist. § 9 der Dritten DurchfVO bestimmte, daß Berechtigten, die ihre Rentenansprüche nach dem BefrG und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen verloren hatten, die übrigen Leistungen nach dem KBLG zustehen sollten. Daraus folgt, daß vom 1. Juli 1949 ab ein generelles Leistungsverbot für Renten nach dem KBLG nur noch für den Personenkreis bestand, dem der Rentenanspruch durch die Spruchkammer als Sühnenmaßnahme nach Art. 15 Nr. 4 oder Art. 16 Nr. 5 des BefrG aberkannt worden war. Da nun aber der Kläger seine Rentenansprüche nach diesen Bestimmungen nicht verloren hat, hängt sein Anspruch zunächst davon ab, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KBLG in Verbindung mit § 8 der Dritten DurchfVO erfüllt sind. Nach § 1 Abs. 1 KBLG erhalten Personen, die durch unmittelbare Kriegseinwirkungen oder anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes Gesundheitsstörungen erlitten haben, Leistungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Leistungen für Gesundheitsstörungen, die mit einem Dienst für die NSDAP, deren Gliederungen oder angeschlossene Verbände in ursächlichem Zusammenhang stehen, werden nicht gewährt, es sei denn, daß diese Gliederungen oder Verbände im Verband oder für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt waren oder deren Befehlsgewalt unterstanden, oder daß die Schädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkungen entstanden ist (§ 1 Abs. 2 KBLG, § 8 der Dritten DurchfVO). Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob der Dienst des Klägers bei der Waffen-SS militärischer Dienst gewesen ist, weil dieser Dienst im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses beendet war. Nach dem Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG.) vom 19. Februar 1957 - 10 RV 325/55 - (SozR. BVG § 1 Bl. Ca 4 Nr. 12), dem sich der Senat anschließt, endete die Zugehörigkeit zur Wehrmacht im zweiten Weltkrieg in der Zeit, in der sich die Wehrmacht in allgemeiner Auflösung befand, schon damit, daß sich ein Wehrmachtsangehöriger von der Unterordnung unter die militärische Befehlsgewalt wirksam löste. Dies gilt für den Kläger als Angehörigen der Waffen-SS, der sich in der des allgemeinen Zusammenbruchs nach dem Einmarsch der Amerikaner eigenmächtig von seiner Truppe entfernt, Zivilkleidung beschafft und etwa ein Jahr lang eine zivile Tätigkeit ausgeübt hatte. Er kam durch seine Meldung und Inhaftierung im Internierungslager Garmisch-Partenkirchen auch nicht nachträglich in Kriegsgefangenschaft. Vielmehr wurde er in dem Lager dem automatischen Arrest unterworfen, weil er zu dem Personenkreis gehörte, der nach Art. 11 der Erklärung der Alliierten vom 5. Juni 1945 und nach III. A. 5. der Potsdamer Erklärung vom 2. August 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsheft Nr. 1 S. 7 (9) und S. 13 (15)) unter dem Verdacht stand, an Kriegs- und ähnlichen Verbrechen teilgenommen zu haben und deshalb zu internieren war (III. A. 5. der Potsdamer Erklärung). Diese Internierung des Klägers ist jedoch als eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. d der Dritten DurchfVO zum KBLG anzusehen. Nach dieser Vorschrift sind unmittelbare Kriegseinwirkungen schädigende Vorgänge, die u. a. infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebietes zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Wie der 10. Senat in seinem Urteil vom 22. Januar 1957 (SozR. BVG § 5 Bl. Ca 4 Nr. 12) zu dem gleichlautenden § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG entschieden hat, ist die Internierung eines Deutschen wegen seiner früheren nationalsozialistischen Betätigung auf Anordnung der Besatzungsmacht jedenfalls dann als ein Vorgang anzusehen, der infolge einer mit der militärischen Besetzung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten ist, wenn der Internierte politisch geringer belastet war als ein Hauptschuldiger oder Belasteter im Sinne des BefrG. Dieser Grundsatz, dem sich der erkennende Senat anschließt, muß wegen des gleichen Wortlauts und Zwecks des § 2 Abs. 1 Buchst. d der Dritten DurchfVO zum KBLG auch dann gelten, wenn darüber zu entscheiden ist, ob Internierungsfolgen eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des KBLG darstellen. Aus dem Spruch der Zentralspruchkammer Nordbaden ist im Falle des Klägers zu entnehmen, daß dieser nicht als Hauptschuldiger oder Belasteter nach dem BefrG angesehen worden ist. Er ist zwar vom öffentlichen Kläger als "Belasteter" angeklagt worden, zu einer Einstufung in diese Gruppe ist es aber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht gekommen. Vielmehr ergibt sich aus dem Gang des Verfahrens und aus der getroffenen Endentscheidung, daß die Spruchkammer die von dem öffentlichen Kläger angenommene Belastung nicht für vorliegend erachtet und deshalb das Verfahren eingestellt hat. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung erfolgt ist, daß der Kläger weder verantwortungs- noch verhandlungsfähig sei. Wäre der Kläger als Belasteter angesehen worden, so hätte ihn die Spruchkammer nach Ansicht des Senats in diese Gruppe eingereiht, ebenso wie gegen Abwesende regelmäßig Verfahren durchgeführt worden sind, und mit der Auferlegung von Sühnemaßnahmen geendet haben. Deshalb handelte es sich bei der Inhaftierung des Klägers um eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. d der Dritten DurchfVO zum KBLG. Da das LSG. diese Vorschrift unrichtig angewendet hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen, weil die Frage, ob die Folgen des Selbsttötungsversuchs mit den Verhältnissen der Internierung in ursächlichem Zusammenhang stehen, mangels tatsächlicher Feststellungen vom Senat nicht entschieden werden kann (§ 170 Abs. 2 SGG). Das LSG. wird die nötigen Tatsachen festzustellen und dann über den Versorgungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Juli 1949 ab zu entscheiden haben.
Die Entscheidung über die Kosten (einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens) bleibt dem Urteil des LSG. vorbehalten.
Fundstellen