Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg bei Erstattungsstreitigkeit. Herausgabe- oder Erstattungsanspruch. Zulässigkeit der Rückforderung

 

Orientierungssatz

1. Das Begehren der Witwe eines Beschädigten auf Herausgabe (Erstattung) der nach BVG § 71b an das Versorgungsamt ausgezahlten Nachzahlung aus der Rentenversicherung des Ehemannes ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit der KOV iS des SGG § 51 Abs 1, über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und speziell die Fachkörper für die KOV zu entscheiden haben.

2. Zur Frage der wegen wirtschaftlicher Verhältnisse vertretbaren Rückerstattungspflicht (KOVVfG § 47 Abs 1 Nr 1 Buchst b) wenn der Versorgungsberechtigte als Rechtsnachfolger die Herausgabe einer an die Versorgungsverwaltung ausbezahlten Rentenversicherungsrente verlangen kann.

 

Normenkette

BVG § 71b Fassung: 1960-06-27; KOVVfG § 47 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1975-06-09; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.01.1978; Aktenzeichen L 7 V 21/76)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 18.11.1975; Aktenzeichen S 12 V 71/71)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 1978 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Bei der Festsetzung der Elternrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für die Klägerin wurde berücksichtigt, daß ihr Ehemann, dem keine Elternrente zustand, kein Einkommen hatte (Bescheid vom 28. Dezember 1955). 1961 bewilligte die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Ehemann rückwirkend vom 1. Januar 1975 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus seiner Rentenversicherung. Der Beklagte berechnete deswegen die Elternrente der Klägerin neu und stellte fest, daß mangels Bedürftigkeit ab 1. Februar 1957 kein Anspruch mehr bestand. Die Überzahlung bis einschließlich Januar 1961 betrug 4.139,- DM (Bescheid vom 13. Januar 1961). Die LVA befriedigte aus der Nachzahlung für den Ehemann einen entsprechenden "Ersatzanspruch", den das Versorgungsamt nach § 71 a BVG aF geltend gemacht hatte. Die Klägerin focht als Pflegerin ihres Ehemannes die Nachricht der LVA über Ersatzleistungen, ua auch an das Ausgleichsamt und an das Sozialamt (Bescheid vom 17. Februar 1971), erfolglos an (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 9. Januar 1964; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 28. April 1966). Das Landesversorgungsamt, das in diesem Rechtsstreit als Vertreter des jetzigen Beklagten beigeladen war, wurde entlassen, nachdem die jetzige Klägerin erklärt hatte, 4.139,- DM seien zu Recht an das Versorgungsamt abgeführt worden und sie nehme die Versorgungsverwaltung nicht mehr in Anspruch. In weiteren Streitverfahren wegen der Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente und der Witwenrente sagte die LVA eine Überprüfung der Auszahlung von 4.139,- DM zu. Diese führte zu einem negativen Erfolg (Bescheid vom 5. Mai 1971). Nachdem der Ehemann der Klägerin 1968 verstorben war, beantragte sie 1970 beim Versorgungsamt die Rückerstattung des Betrages, der aus der Rentenversicherung ihres Ehemannes zur Tilgung zuviel gezahlter Elternrente für sie an die Versorgungsverwaltung ausgezahlt worden war. Das als Antrag auf einen Zugunstenbescheid gedeutete Begehren lehnte das Versorgungsamt ab, weil der Bescheid vom 13. Januar 1961 rechtsverbindlich sei (Bescheid vom 16. September 1970, Widerspruchsbescheid vom 23. März 1971). Klage und Berufung, die auf Auszahlung von 4.139,- DM an die Klägerin und an die übrigen Erben des Ehemannes gerichtet waren, sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 18. November 1975, Urteil des LSG vom 26. Januar 1978). Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel als zulässig angesehen. Der aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend gemachte Anspruch sei öffentlich-rechtlicher Art und betreffe eine Angelegenheit der Kriegsopferversorgung (KOV). Die Klage sei aber nicht begründet. Allerdings stehe dem Anspruch, den die Rechtsnachfolgerin des rentenversicherten Ehemannes geltend mache, nicht entgegen, daß ein Zugunstenbescheid nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) nach dem Tod des Berechtigten nicht mehr verlangt und erteilt werden könne; der Zahlungsvorgang, den die Klägerin rückgängig gemacht haben wolle, sei bisher noch nicht durch einen Verwaltungsakt rechtsverbindlich geregelt worden. Der Zugriff des Beklagten auf die Nachzahlung der Rente aus der Rentenversicherung des Ehemannes sei indes nicht grundlos, sondern nach § 71 b BVG idF des seit dem 1. Juni 1960 geltenden Ersten Neuordnungsgesetzes (NOG) berechtigt gewesen. Der Forderungsübergang kraft Gesetzes nach dieser Vorschrift, der einen Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung gegen die Empfängerin der überzahlten Versorgungsleistung nach § 47 KOVVfG nicht voraussetze, sei deshalb rechtmäßig eingetreten, weil der Anspruch des Ehemannes aus seiner Rentenversicherung in Höhe von 4.139,- DM die Elternrente der Klägerin rückwirkend entsprechend gemindert habe, wie rechtsverbindlich entschieden sei. Falls demgegenüber ein Zugunstenbescheid als beantragt anzusehen sei, habe der Beklagte auch diesen zutreffend abgelehnt. Zwar sei der Anspruch nach dem Wortlaut des § 71 b BVG nur übergegangen, falls derselbe Versorgungsberechtigte zugleich die andere Leistung beanspruchen könnte. Der Begriff des "Berechtigten" in der Vorschrift sei jedoch wirtschaftlich zu verstehen; es komme vom Zweck der Bestimmung her allein auf eine unmittelbare Minderung des einkommensabhängigen BVG-Anspruchs durch die übergehende Leistung an, wie dies hier gegeben gewesen sei. Gerade die Elternrente sei auch dann, wenn sie nur einem Elternteil zustehe, als wirtschaftliche Einheit für den Lebensunterhalt beider Ehegatten, der Eltern, bestimmt, so daß der nicht anspruchsberechtigte Elternteil im weiteren Sinn als Bezieher der Elternrente zu verstehen sei.

Die Klägerin wendet sich mit der - vom LSG zugelassenen - Revision gegen die wirtschaftliche Auslegung des § 71 b BVG. Ihr stehe der Wortlaut der Vorschrift zwingend entgegen. Die Gläubiger-Schuldner-Beziehung, von der der Forderungsübergang kraft Gesetzes abhänge, dürfe nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abweichend davon verstanden werden. Außerdem sei eine Erstattungspflicht der Klägerin durch ihren guten Glauben ausgeschlossen gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie die Bescheide vom 16. September 1970 und vom 23. März 1971 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin und die übrigen Erben des verstorbenen Ehemannes 4.139,- DM zu zahlen.

Der Beklagte und die beigeladene LVA beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie treten der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung bei.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Die Vorinstanzen haben zu Recht diese öffentlich-rechtliche Streitigkeit als eine solche der KOV iS des § 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angesehen, so daß hierüber die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und speziell die Fachspruchkörper für KOV (§ 40 Satz 1 SGG) zu entscheiden haben. Die Klägerin verfolgt den Klageanspruch als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes - sei es kraft Sonderrechtsnachfolge (§ 1288 Reichsversicherungsordnung - RVO -), sei es kraft allgemeinen Erbrechts (entsprechend § 1922 BGB; Henning/Tegtmeyer, Erbfolge und Sonderrechtsnachfolge im Sozialversicherungsrecht, Dissertation Göttingen 1974, S 79 ff, 165 ff). Sie stützt die Klage auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß derjenige, zu dessen Lasten ein anderer etwas ohne rechtfertigenden Grund erlangt hat, diesen Gegenstand oder diese Leistung von dem anderen erstattet oder ersetzt verlangen kann. Dieser Rechtssatz, der weitgehend dem zivilrechtlichen Institut der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff BGB) entspricht, gilt auch im Sozialrecht in verschiedenen Beziehungen (vgl zB BSGE 32, 52, 53 ff; 32, 145, 147 f; 39, 137, 138 f; 39, 255, 258 f; 39, 260, 262, 266; 47, 109, 110). Der Anspruch ist im gegenwärtigen Fall der KOV zuzuordnen; denn seine rechtlichen Voraussetzungen bestimmen sich im wesentlichen nach diesem Rechtsgebiet (BSGE 35, 188, 190 = SozR Nr 61 zu § 51 SGG), was sich aus den folgenden Ausführungen über die sachlich-rechtliche Rechtslage ergibt.

Die Berufung war, was von Amts wegen zu prüfen ist (BSGE 2, 225, 226), statthaft. Sie war nicht nach § 146 SGG ausgeschlossen, da es sich nicht um eine Streitigkeit aus der Rentenversicherung handelt. Der geltend gemachte Anspruch geht auch nicht auf Versorgungsleistungen für bereits abgelaufene Zeit mit der Folge, daß die Berufung nach § 148 Nr 2 SGG unstatthaft gewesen wäre. Ob es sich um eine "Rückerstattung von Leistungen" iS des § 149 SGG handelt, kann dahingestellt bleiben; denn der Beschwerdewert von 1.000,- DM wäre überschritten.

Die Klage ist nicht begründet. Dies haben die Vorinstanzen im Ergebnis mit Recht entschieden. Die beigeladene LVA zahlte 4.139 DM aus der Rentenversicherung des Ehemannes an den Beklagten in der Annahme, der Anspruch auf Versichertenrente sei nach § 71 b Satz 1 BVG in der seit dem 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) geltenden Fassung insoweit auf den Kostenträger der KOV übergegangen, als er zur Minderung oder zum Wegfall von Versorgungsleistungen, die für dieselbe Zeit gezahlt worden war, geführt hat. Daß der Anspruch der Klägerin auf Elternrente durch den Rentenversicherungsanspruch ihres Ehemannes in der Höhe des umstrittenen Betrages beseitigt wurde (§§ 50, 51, 62 BVG), ist rechtsverbindlich durch den Bescheid vom 13. Januar 1961 festgestellt (§ 77 SGG; BSG SozR Nrn 17 und 26 zu § 47 VerwVG). Dies greift die Klägerin nicht an. Falls die Klägerin, abweichend von den verbindlichen Feststellungen im Rentenversicherungsverfahren (Bescheid vom 17. Februar 1961, Urteil des SG vom 9.1.1964 - S 5 J 29/61 -, Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1966 - L 4 J 90/64 -), durch einen Zugunstenakt nach § 1300 RVO doch noch die Versichertenrente ihres Ehemannes nachgezahlt erhalten hätte, würde dies ausschließen, daß der Beklagte auf Kosten, dh zum Nachteil der Klägerin bereichert wäre. Das ist aber nicht mehr zu erwarten. Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob der Versichertenrentenanspruch deshalb auf den Beklagten wirksam übergegangen ist, weil § 71 b BVG wegen des Sinnzusammenhangs mit § 51 Abs 5 BVG - Gedanke der wirtschaftlichen Familieneinheit (dazu BSG SozR Nr 2 zu § 290 LAG vom 14.8.1952; BSGE 33, 222 = SozR Nr 32 zu § 1531 RVO) - mit dem LSG weit auszulegen ist und auch Rentenversicherungsforderungen des Ehegatten eines Versorgungsberechtigten umfaßt. Eine solche Rechtswirkung würde ebenfalls einem Anspruch wegen rechtsgrundloser Vermögensverschiebung entgegenstehen.

Selbst wenn § 71 b BVG nicht derart zu verstehen wäre, der Beklagte also den umstrittenen Betrag zu Unrecht erhalten hätte und deshalb ein Anspruch der geltend gemachten Art überhaupt entstehen könnte, bliebe die Klage dennoch wegen der Rechtsstellung, die die Klägerin als Versorgungsberechtigte einnimmt, unbegründet. In diesem Rechtsverhältnis zum Beklagten müßte die Klägerin die erhaltenen Versorgungsbezüge, soweit ihr diese infolge der rechtsverbindlichen Neufeststellung rückwirkend nicht mehr zustehen, nach § 47 Abs 2 Buchstabe b) KOVVfG idF des 1. NOG (jetzt § 47 Abs 1 Nr 1 Buchstabe b) idF des Siebenten Anpassungsgesetzes-KOV vom 9. Juni 1975 - BGBl I 1321 -) an den Beklagten zurückerstatten. Die Rückforderung wäre allein wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin, wie sie durch die Entstehung des Anspruches auf Auszahlung desselben Betrages aus ungerechtfertigter Vermögensverschiebung und durch einen Rechtsübergang auf die Klägerin vorübergehend gestaltet worden wären, vertretbar (BSGE 11, 44, 49 f; BSG SozR Nr 8 zu § 47 VerwVG; BSGE 21, 27, 30 f = SozR Nr 15 zu § 47 VerwVG). Die Rückerstattungspflicht bestände selbst dann, wenn der Rechtsübergang nach § 71 b BVG wirksam wäre (BSGE 26, 106, 108 = SozR Nr 21 zu § 47 VerwVG). Der Klägerin käme, da sie inzwischen Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes geworden ist, der volle Betrag von 4.139,- DM zugute, nicht bloß - wie zu Lebzeiten des Ehemannes - ein entsprechend geringerer Unterhaltsanspruch, der ua von der Höhe der Nachzahlung beeinflußt wäre. Da der Ehemann einen Auszahlungsanspruch gegen den Beklagten nicht erfolgreich durchgesetzt und das Geld nicht ganz oder teilweise verbraucht hat, stände der Nachzahlungsbetrag der Klägerin uneingeschränkt zur Verfügung. Dies bestimmte ihre wirtschaftlichen Verhältnisse, die nach § 47 Abs 2 KOVVfG maßgebend sind, unabhängig von ihrer sonstigen wirtschaftlichen Lage. Sie müßte mithin als Versorgungsberechtigte an den Beklagten sogleich zurückzahlen, was sie als Rechtsnachfolgerin ihres rentenberechtigten Ehemannes von ihm verlangen könnte. Nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz kann aber ein Gläubiger von seinem Schuldner nicht das herausverlangen, was er diesem als seinem Gläubiger aus einem anderen Rechtsgrund unmittelbar wieder herausgeben müßte; jenes Begehren stände im Widerspruch zu diesem und wäre rechtsmißbräuchlich (Staudinger/Weber, Kommentar zum BGB, 11. Auflage 1961, § 242, Anmerkung D 49, D 54, D 520 f). Dieser Grundsatz ist hier uneingeschränkt und ohne Rücksicht darauf anzuwenden, ob eine Aufrechnung gegenseitiger Forderungen in solchen Fällen im Sozialrecht berechtigt wäre. Formal hätten beide Ansprüche unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Aber der Beklagte kann im Ergebnis von der Klägerin die zu Unrecht gezahlten Versorgungsbezüge zurückverlangen, falls er zur Abdeckung dieser Aufwendung die Rentenversicherungsrente nicht rechtmäßig erhalten hätte und den empfangenen Betrag an die Klägerin herausgeben müßte. Das Rückforderungsrecht aus § 47 KOVVfG könnte nicht mit Rücksicht auf einen Zeitablauf in Verbindung mit sonstigen Umständen verwirkt sein (vgl dazu BSG SozR 3900 § 47 Nrn 3 und 4); denn der Beklagte hatte zuvor keinen Anlaß, ein solches geltend zu machen, solange er sich durch die Zahlung der beigeladenen LVA unangefochten als befriedigt ansehen mußte, mag auch der Forderungsübergang einen Anspruch nach § 47 KOVVfG rechtlich nicht ausgeschlossen haben (BSGE 26, 106, 108 ff = SozR Nr 21 zu § 47 VerwVG).

Da mithin die Klägerin den umstrittenen Betrag nicht vom Beklagten verlangen kann, ist ihre Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653833

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge