Leitsatz (amtlich)
Die nach FRG § 23 Abs 1 vorgeschriebene Berücksichtigung der Beitragsleistung darf auch dann nicht unterbleiben, wenn der Versicherte auf deren Höhe keinen Einfluß hatte; auf die Ursachen einer geringen (oder hohen) Beitragsleistung kommt es nicht an.
Normenkette
FRG § 23 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 1962 dahin abgeändert, daß die Beklagte verpflichtet wird, der Rentenberechnung für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 31. Dezember 1949 die Brutto-Jahresarbeitsentgelte der Leistungsgruppe 4 der Anlage 1 Abschnitt B zu § 22 FRG zugrunde zu legen. Im übrigen wird ihre Revision zurückgewiesen.
Die Anschlußrevision des Klägers wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
In diesem Rechtsstreit geht es darum, wie Versicherungszeiten, die in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zurückgelegt wurden, bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen sind.
Der 1897 geborene Kläger, der eine landwirtschaftliche und eine kaufmännische Lehre durchgemacht und früher u. a. auch als landwirtschaftlicher Beamter gearbeitet hat, hat in der Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 3. Mai 1952 die Städtische Teichwirtschaft in Wernigerode (SBZ) bewirtschaftet, und zwar in der Zeit bis zum 31. Dezember 1950 in einem pachtähnlichen Verhältnis als pflichtversicherter Selbständiger und sodann als Arbeitnehmer. Seine Beitragsleistung zur sowjetzonalen Rentenversicherung ist nachgewiesen.
Der Kläger bezieht von der Beklagten seit Februar 1960 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die mit Bescheid vom 14. November 1960 nach den Vorschriften des Fremdrentengesetzes (FRG) in der Fassung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 neu berechnet wurde. Dabei legte die Beklagte in Anbetracht der niedrigen Beitragsleistung des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 31. Dezember 1949 die Bruttojahresarbeitsentgelte der Leistungsgruppe 5 und für die Zeit vom 1. Januar 1950 bis zum 3. Mai 1952 die der Leistungsgruppe 4 der Anlage 1 Abschnitt B zu § 22 FRG zugrunde.
Der Kläger erstrebt eine höhere Versichertenrente. Er macht - jetzt noch - geltend, daß er für die Zeit seiner Tätigkeit vom 1. Januar 1948 bis zum 3. Mai 1952 nach deren Merkmalen in die Leistungsgruppe B 2 einzustufen sei. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten entschied das Landessozialgericht (LSG), daß die Beklagte verpflichtet sei, der Rentenberechnung die Bruttojahresarbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 3 zugrunde zu legen. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 10. Juli 1962).
Nach der Auffassung des LSG sind Beitragsleistung und Einkommensverhältnisse des Klägers bei der Ermittlung der Bruttojahresarbeitsentgelte nicht zu berücksichtigen. Das gelte auch für die Zeit der Selbständigkeit des Klägers; denn die Höhe seines Einkommens könne Art, Umfang und Bedeutung seiner Arbeit wegen der damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse in der SBZ nicht wirklichkeitsnah widerspiegeln. Nach den Beschäftigungsmerkmalen ergebe sich für die Zeit, in der der Kläger die Teichwirtschaft als Arbeitnehmer geleitet habe (Januar 1951 bis Mai 1952), die Einstufung in die Leistungsgruppe B 3. Für die Zeit der Selbständigkeit (Januar 1948 bis Dezember 1950), die nach § 23 Abs. 1 FRG zu beurteilen sei, könne nichts anderes gelten, weil die Arbeit in beiden Zeiträumen gleichartig gewesen sei.
Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag,
unter Abänderung der vorinstanzlichen Urteile die Klage insoweit abzuweisen, als für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 31. Dezember 1949 die Einstufung in eine höhere Leistungsgruppe als 5 und für die Zeit vom 1. Januar 1950 bis zum 31. Dezember 1950 die Einstufung in eine höhere Leistungsgruppe als 4 für männliche Versicherte der Rentenversicherung der Angestellten nach der Anlage 1 zu § 22 FRG begehrt wird.
Sie rügte die unrichtige Anwendung des § 23 Abs. 1 FRG. Das LSG habe zu Unrecht die geringen Beitragsleistungen des Klägers nicht berücksichtigt. Die Besonderheiten des vorliegenden Falles rechtfertigten diese Außerachtlassung nicht, zumal das Urteil insoweit keine ausreichenden Feststellungen enthalte.
Der Kläger beantragte die Zurückweisung der Revision. Mit einem am 29. März 1963 eingegangenen Schriftsatz legte er Anschlußrevision ein mit dem Antrag (sinngemäß),
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen, soweit es die für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 3. Mai 1952 zu berücksichtigenden Bruttojahresarbeitsentgelte betrifft.
Der Kläger rügte die rechtsirrige Anwendung des § 22 FRG und seiner Anlagen. Das LSG habe zu Unrecht die Einstufung in die Leistungsgruppe von der Betriebsgröße und von dem Umstand abhängig gemacht, ob dem Kläger Angestellte oder Arbeiter unterstellt gewesen seien.
Wegen der verspäteten Einlegung der Anschlußrevision beantragte der Kläger, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Unter Bezugnahme auf einen Schriftwechsel mit der Bundesrechtsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbundes gab er an, er habe ohne sein Verschulden erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist einen Prozeßbevollmächtigten finden können.
Die Beklagte beantragte,
die Anschlußrevision des Klägers als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Die Anschlußrevision dagegen muß als unzulässig verworfen werden, weil sie nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist eingelegt worden ist (§ 164 Abs. 1, 202 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - i. V. m. § 556 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt worden. Zwar sind die Vorschriften über die Wiedereinsetzung auch bei Versäumung der Frist für die Anschlußrevision anzuwenden (vgl. BSG 8, 24). Die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen aber nicht vor, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, daß er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war (§ 67 SGG). Seine Behauptung, er habe unverschuldet nicht rechtzeitig einen geeigneten Prozeßbevollmächtigten finden können, ist nicht überzeugend. Sein Auftrag an die Bundesrechtsstelle des DGB, die Prozeßvertretung zu übernehmen, war kein ausreichendes Bemühen um einen geeigneten Prozeßvertreter; denn der Kläger konnte von Anfang an nicht damit rechnen, daß ihn - weil er kein Gewerkschaftsmitglied ist - der DGB vor dem Bundessozialgericht (BSG) vertreten werde. Daß der Kläger insoweit auch tatsächlich Bedenken hatte, ergibt seine wegen der Anwaltskosten an den erkennenden Senat gerichtete Anfrage vom 16. Februar 1963. Nach den Umständen konnte er auch nicht annehmen, daß die Bundesrechtsstelle des DGB über seine Nicht-Mitgliedschaft hinwegsehen werde. Der Kläger hätte deshalb bei gewissenhafter Prozeßführung sogleich einen Rechtsanwalt beauftragen müssen; das wäre ihm möglich und zumutbar gewesen.
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das LSG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, daß die Eingruppierung eines Berechtigten in eine der Leistungsgruppen der Anlage 1 zu § 22 FRG der Nachprüfung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unterliegt. Das gilt auch, soweit es sich um die Auslegung und Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe handelt, die den einzelnen Leistungsgruppen und ihrer Abgrenzung gegeneinander zugrunde liegen. Das LSG hat jedoch zu Unrecht bei der Eingruppierung des Klägers für die Zeit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit in der SBZ (1948 bis 1950) allein auf diese Merkmale abgestellt, ohne auch die Höhe seiner Beitragsleistung in dieser Zeit zu berücksichtigen.
Nach § 23 FRG ist bei einem pflichtversicherten Selbständigen bei der Zuordnung der Tabellenwerte § 22 FRG unter Berücksichtigung der Beitragsleistung entsprechend anzuwenden (§ 23 Abs. 1 FRG), oder es sind, falls die Höhe der Beitragsleistung nicht nachgewiesen ist, an deren Stelle die Berufstätigkeit und Einkommensverhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen (§ 23 Abs. 2 Satz 1 FRG). In dem angefochtenen Urteil ist die Höhe der Beitragsleistung des Klägers im einzelnen nicht ausdrücklich festgestellt; sie kann jedoch mit Hilfe der in der SBZ geltenden Vorschriften den Angaben über die Arbeitsverdienste des Klägers entnommen werden, die im Versichertenausweis Nr. 1 verzeichnet und im angefochtenen Urteil wiedergegeben sind. Aus ihnen läßt sich entnehmen, daß der Kläger in der streitigen Zeit teilweise nur niedrige Beiträge geleistet hat. So ist für das Kalenderjahr 1948 ein Arbeitsverdienst von 1.076,- RM/DM-Ost und für 1949 ein Arbeitsverdienst von 720,- DM-Ost eingetragen, während für 1950 der Arbeitsverdienst mit 3.521,- DM-Ost angegeben ist. Da sich hieraus die Höhe der Beitragsleistung des Klägers errechnen läßt, hat das LSG zutreffend § 23 Abs. 1 FRG angewendet.
Nach dem Sinn und Wortlaut dieser Vorschrift ist allerdings die Höhe der Beitragsleistung nicht allein entscheidend für die Eingruppierung des Klägers; das Gesetz verlangt nur eine "Berücksichtigung" der Beitragsleistung und schreibt im übrigen die entsprechende Anwendung von § 22 FRG bei der Zuordnung der Tabellenwerte vor. Der Senat ist deshalb mit dem LSG der Meinung, daß es nach § 23 Abs. 1 FRG - jedenfalls bei einem versicherten Selbständigen - in erster Linie auf die Merkmale der von ihm ausgeübten Tätigkeit ankommt, die Eingruppierung nach diesen Merkmalen aber dann eine Berichtigung (nach oben oder nach unten) erfährt, wenn hierzu die Höhe der Beitragsleistung Anlaß gibt (vgl. auch Gesamtkommentar 2. Band, S. 195, Anm. 5 zu § 23 FRG sowie Urteil des 11. Senats v. 16.9.1965 - 11/1 RA 204/63 -). Von dieser Auffassung ausgehend hat das LSG die Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1948 bis 1952 geprüft; es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger nach den Merkmalen seiner Tätigkeit als - zunächst selbständiger, später abhängiger - Teichwirt einem Gutsinspektor oder Gutsverwalter gleichzustellen sei, wie er in der Gruppe 3 der Anlage 1 zu § 22 FRG verzeichnet ist. Der Senat hält diese Auffassung, soweit allein die Tätigkeitsmerkmale betrachtet werden, für zutreffend. Insbesondere ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das LSG für die Eingruppierung auch die Größe und Bedeutung des Betriebes berücksichtigt hat, in dem der Kläger tätig gewesen ist. Denn für die richtige Eingruppierung kommt es auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der von ihm verrichteten Tätigkeit an. Eine Einstufung in die Leistungsgruppe 2, wie sie der Kläger für angemessen hält, läßt sich aus den Tätigkeitsmerkmalen nicht rechtfertigen; sie läßt sich für die Zeit der Selbständigkeit insbesondere nicht auf die Tätigkeitsmerkmale stützen, die bei unselbständiger Tätigkeit nach dem Maße relativer Selbständigkeit differieren; denn die unbeschränkte Selbständigkeit ist ja gerade nach § 23 FRG eine notwendige Voraussetzung für die entsprechende Anwendung des § 22 FRG. Auch die Beklagte hat in ihrer Revision die Auffassung des LSG insoweit nicht angegriffen; weder für die Zeit, in der der Kläger nach den Feststellungen des LSG in abhängiger Arbeit stand (1951 und 1952) - hierauf erstreckt sich die Revision der Beklagten überhaupt nicht - noch für die Zeit, in der er selbständig erwerbstätig war (1948 bis 1950), enthält die Revisionsbegründung der Beklagten Ausführungen, in denen die vom LSG festgestellten Merkmale der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit bestritten oder als einer anderen als der Leistungsgruppe 3 zugehörig bezeichnet wurden. Die Revision der Beklagten wendet sich vielmehr ausschließlich gegen die Auffassung des LSG, der Kläger sei auch für die Zeit, in der er selbständig tätig war (1948 bis 1950), hinsichtlich der Eingruppierung in die richtige Leistungsgruppe allein nach den Merkmalen jener Tätigkeit zu beurteilen, ohne daß es auf die Beitragsleistung in dieser Zeit ankäme. Die Beklagte sieht mit Recht darin eine unzutreffende Auslegung des § 23 Abs. 1. FRG durch das Berufungsgericht.
Das LSG hat zwar nicht verkannt, daß bei pflichtversicherten Selbständigen die Beitragsleistung in der Regel zu berücksichtigen ist; es meint jedoch, dies sei nicht in allen Fällen erforderlich und gerade beim Kläger würde die Berücksichtigung der Beitragsleistung zu unbilligen Ergebnissen führen; denn dieser habe in der gesamten Zeit von 1948 bis 1952 dieselbe Tätigkeit ausgeübt, nur hätten seine Einkünfte in diesen Jahren erheblich geschwankt, ohne daß er aber hierauf irgendwelchen Einfluß gehabt hätte. Der Senat kann dieser Begründung, die nach Ansicht des LSG im vorliegenden Fall eine Nicht-Berücksichtigung der Beitragsleistung rechtfertigen soll, nicht folgen, Das Berufungsgericht verkennt, daß es auf die Ursachen der geringen (oder hohen) Beitragsleistung nach dem Gesetz nicht ankommt und auch nicht ankommen kann; die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit wären zudem überfordert, wenn sie auch noch dahingehende Ermittlungen durchzuführen hätten. Aber auch die gleichbleibende Tätigkeit des Klägers während der Zeit von 1948 bis 1952 ist kein entscheidender Gesichtspunkt, war er doch in der Zeit von 1948 bis 1950 als pflichtversicherter Selbständiger tätig und ist gerade deshalb § 23 Abs. 1 anzuwenden. Ist aber demnach beim Kläger die Beitragsleistung zu berücksichtigen, so ergibt sich aus ihrer geringen Höhe für die Jahre 1948 und 1949, daß es für diese Zeit nicht bei der Eingruppierung in die Leistungsgruppe 3 verbleiben kann; denn die Beitragsleistung des Klägers in diesen Jahren unterschreitet die eines in der Leistungsgruppe 3 einzustufenden Arbeitnehmers so erheblich, daß eine Gleichstellung mit diesem nicht gerechtfertigt wäre. Andererseits kommt aber auch nicht die Leistungsgruppe 5 in Betracht, wie es die Beklagte für diese Zeit anstrebt; denn in diese Gruppe sind nur Angestellte in einfacher, schematischer oder mechanischer Tätigkeit, die keine Berufsausbildung erfordert, einzustufen. Der Kläger ist somit für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1949 in die Leistungsgruppe B 4 einzustufen; dagegen hat es für die anschließende Zeit bis zum 31. Dezember 1950 - für die eine höhere Beitragsleistung nachgewiesen ist - bei der Einstufung in die Leistungsgruppe B 3 zu verbleiben.
Der Senat mißt auch dem Einwand, daß infolge der Berücksichtigung der Beitragsleistung ein Versicherter, bei dem ihre Höhe nachgewiesen ist, gegenüber demjenigen, bei dem ein solcher Nachweis nicht erbracht ist (§ 23 Abs. 2 FRG), möglicherweise benachteiligt sein könnte, keine besondere Bedeutung zu; denn es darf nicht übersehen werden, daß auch im Falle des § 23 Abs. 2 FRG neben der Berufstätigkeit die Einkommensverhältnisse des Versicherten zu berücksichtigen sind, und somit auch bei solchen Versicherten in der Regel ein billiges Ergebnis erzielt werden kann.
Die Revision der Beklagten konnte daher nur insoweit Erfolg haben, als der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1949 in die Leistungsgruppe 4 einzustufen ist; im übrigen mußte ihre Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen