Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält an der Auffassung fest, daß die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an den Schuldausspruch im Ehescheidungsurteil grundsätzlich auch dann gebunden sind, wenn die Parteien des Ehescheidungsverfahrens auf den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des einen oder anderen Ehegatten verzichtet haben.

 

Normenkette

RKG § 83 Abs. 3 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 128

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Januar 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin, die seit dem Jahre 1949 Witwenrente aus der knappschaftlichen Versicherung ihres im Kriege verschollenen Ehemannes K. bezog, hat im Jahre 1953 wieder geheiratet. Mit Urteil vom 20. Juli 1961 wurde die neue Ehe durch das Landgericht Traunstein auf die Klage der Klägerin und die Widerklage des Ehemannes aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Das Landgericht erblickte beiderseitige schwere Eheverfehlungen der Parteien darin, daß der Ehemann die Klägerin wiederholt schwer beschimpft und daß die Klägerin ihm seit zwei Jahren den ehelichen Verkehr ohne rechtfertigenden Grund verweigert habe. Darüber - so heißt es in dem Scheidungsurteil - ob das Verschulden eines der Ehegatten erheblich schwerer wiege als das des anderen, sei nicht zu entscheiden, weil beide Parteien in zulässiger Weise auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens verzichtet hätten.

Nach Rechtskraft des Scheidungsurteils beantragte die Klägerin am 30. August 1961 bei der Beklagten die Wiedergewährung der Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 1. März 1962 mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine Nachweise dafür erbringen können, daß sie nicht die überwiegende Schuld an der Scheidung treffe. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1963 wird ausgeführt, nach den Gründen des Ehescheidungsurteils treffe die überwiegende Schuld an der Scheidung die Klägerin; hierfür spreche auch, daß sie zur Führung des Gegenbeweises nicht bereit sei.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Wiedergewährung der Witwenrente vom 1. September 1961 an verurteilt. Es hielt sich zwar für befugt, die Frage zu prüfen, ob die Klägerin das überwiegende Verschulden an der Scheidung treffe, fand jedoch in den Entscheidungsgründen des Scheidungsurteils keinen Anhalt für ein solches überwiegendes Verschulden der Klägerin.

Im Berufungsverfahren hat die Beklagte noch geltend gemacht, die Klägerin habe in Übereinkunft mit ihrem Ehemann eine konventionelle Scheidung betrieben, um eine Schuldverteilung zu erreichen, die ein Wiederaufleben ihrer Witwenrente ermögliche und so den Ehemann von Unterhaltsverpflichtungen zum Nachteil des Versicherungsträgers entlaste; ein solches Verhalten sei als Rechtsmißbrauch anzusehen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat - unter Zulassung der Revision - die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien nicht befugt, den nach § 52 des Ehegesetzes (EheG) obligatorischen Schuldausspruch des Scheidungsurteils zu modifizieren. Der Verzicht der Parteien auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens bedeute eine Beschränkung des Gerichts durch die Verfügung der Parteien über die Schuldfrage; das Gericht dürfe ehefeindliche Tatsachen nicht gegen den Willen der Parteien berücksichtigen (§ 622 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Wenn also im Scheidungsverfahren dem Gericht im Interesse der Erhaltung der Ehe und zum Schutze der Intimsphäre der Eheleute Beschränkungen auferlegt seien, könne es nicht zulässig sein, in einem anderen Verfahren unter Außerachtlassung dieser Rücksicht die Schuldfrage erneut aufzurollen und sie anders zu beurteilen, als es das Scheidungsgericht gekonnt habe. Vielmehr sei grundsätzlich von dem Schuldausspruch des Scheidungsurteils auszugehen, der an dessen rechtsgestaltender Wirkung teilnehme.

Tatsachen, aus denen sich ein Rechtsmißbrauch der Klägerin ergebe, seien nicht ersichtlich. Zwar hätten die Eheleute eine sogenannte konventionelle Scheidung betrieben und sich gegenseitig nur belastet, soweit dies zur Erzielung einer Scheidung aus beiderseitigem Verschulden erforderlich gewesen sei. Das sei aber zulässig, da ihnen nicht zugemutet werden könne, sich darüber hinaus im Interesse Dritter gegenseitig weitergehend zu beschuldigen. Auch lägen keine Anhaltspunkte für die Berechtigung solcher Anschuldigungen vor. Die Rente könne in einem solchen Falle nur verweigert werden, wenn Scheidungsurteil und Schuldausspruch durch betrügerisches Komplott, also ein gemeinsames, die zur Scheidung führenden Tatsachen in grober Weise entstellendes oder verschleierndes Verhalten der Ehegatten erschlichen worden wäre. Hierfür fehle es im vorliegenden Verfahren an jeglichem Anhalt oder Vorbringen der Beklagten; es verstieße aber gegen allgemeine Grundsätze des Verfahrensrechts, wollte man, wie hier die Beklagte, ohne einen begründeten Vorwurf erheben zu können, von der Klägerin den Nachweis verlangen, daß sie und ihr geschiedener Ehemann sich nicht in dieser Weise unredlich verhalten hätten.

Mit der Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 83 Abs. 3 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sei es jeweils erforderlich, festzustellen, wen die Schuld an der Auflösung der Ehe trifft. Der Anspruch auf Witwenrente lebe nur dann wieder auf, wenn die Witwe weder allein noch überwiegend die Schuld treffe; dieses Nichtverschulden gehöre zum gesetzlichen Tatbestand. Der Grundsatz, daß ein alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe an der Auflösung ihrer zweiten Ehe nur berücksichtigt werden könne, wenn das Scheidungsurteil im Tenor oder in den Entscheidungsgründen einen entsprechenden Schuldausspruch enthalte, könne dann nicht gelten, wenn nur deshalb beide Ehegatten ohne Unterschied für schuldig erklärt worden seien, weil sie - wie hier - auf die Feststellung einer überwiegenden Schuld verzichtet hätten. In diesem Falle könne der Versicherungsträger den für die Frage des Verschuldens indifferenten Urteilsausspruch nicht verwerten, müsse vielmehr in eigener Zuständigkeit feststellen, wen die Schuld an der Auflösung der Ehe trifft; anderenfalls wäre er durch eine Manipulation der Eheleute in seiner Entscheidung über das Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs gebunden. Dieser Anspruch könne als Anspruch öffentlichen Rechts nicht Gegenstand privater Vereinbarungen sein. So könnten auch zwischen den geschiedenen Eheleuten getroffene Vereinbarungen, zB ein Verzicht auf Unterhalt, die Höhe einer wiederaufgelebten Witwenrente nicht beeinflussen; entsprechendes müsse für den Verzicht auf Feststellung des überwiegenden Verschuldens an der Scheidung gelten. Schließlich sei ein Verzicht immer dann unzulässig, wenn er der Umgehung einer gesetzlichen Vorschrift dienen solle.

Im vorliegenden Falle habe die Klägerin bei ihrer Vernehmung durch das Landratsamt in L erklärt, es sei auf die Feststellung des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens eines der beiden Ehegatten verzichtet worden, damit ihre frühere Witwenrente wiederaufleben könne. Dasselbe ergebe sich aus dem Schreiben ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten vom 22. Februar 1961. Hiernach sei das Begehren der Klägerin rechtsmißbräuchlich.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. April 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Die Sozialversicherungsträger seien an den Schuldausspruch im Scheidungsurteil gebunden. Sei hiernach keiner der beiden Ehegatten für allein oder überwiegend schuldig befunden, so lebe der Witwenrentenanspruch wieder auf. Der Verzicht auf die Feststellung einer überwiegenden Schuld ändere hieran nichts, weil für den Bereich der Sozialversicherung nicht sittenwidrig sein könne, was von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für das Scheidungsrecht ausdrücklich gebilligt werde.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Die Vordergerichte haben zu Recht erkannt, daß die durch die neue Ehe der Klägerin weggefallene Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes nach § 83 Abs. 3 RKG (= § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) wiederzugewähren ist. Nach dieser Vorschrift lebt der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn die zweite Ehe "ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst wird". Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die zweite Ehe der Klägerin ist durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20. Juli 1961 aus dem Verschulden beider Ehegatten rechtskräftig geschieden worden; ein überwiegendes Verschulden des einen oder des anderen Ehegatten ist im Scheidungsurteil nicht ausgesprochen worden. Hierbei ist es ohne Bedeutung, daß das Landgericht zu der Frage, ob das Verschulden eines der Ehegatten das des anderen überwogen hat, keine Feststellung treffen konnte, weil die Parteien - wie zulässig - auf eine solche Feststellung verzichtet hatten. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 15. Dezember 1967 (BSG 27, 256 = SozR Nr. 21 zu § 1291 RVO) entschieden hat, ist in einem solchen Falle die Ehe - bindend für Versicherungsträger und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - im Sinne des § 83 Abs. 3 RKG ohne überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst. Es kann daher im Rentenverfahren grundsätzlich nicht nachgeprüft werden, ob die Witwe nicht doch ein überwiegendes Verschulden an der Auflösung der Ehe trifft. Der Senat hält an dieser Auffassung auch angesichts der Kritik, die das oa Urteil aus zivilprozeß-rechtlicher Sicht erfahren hat (s. Grunsky in NJW 1968, 1982 ff), fest. Zuzustimmen ist Grunsky darin, daß er es ablehnt, die Rechtskraftwirkung des Scheidungsurteils auf das Rentenurteil zu erstrecken. Dies ist aber in dem o.a. Urteil des erkennenden Senats auch nicht angenommen worden. Der Auffassung Grunskys, der Schuldausspruch nehme entgegen Rosenberg (Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl. § 161 V 1 a; s. a. BSG 10, 171/172) nicht an der Gestaltungswirkung des Scheidungsurteils teil, sondern sei insoweit nur den Urteilsgründen gleichzustellen, kann nicht beigetreten werden. Einer weiteren Ausführung hierzu bedarf es nicht. Denn selbst wenn man Grunsky insoweit folgen würde, könnte das an der oa grundsätzlichen Entscheidung nichts ändern. Diese gründet sich nämlich letztlich auf die Tatbestandswirkung des Ehescheidungsurteils bei Anwendung des § 83 Abs. 3 RKG. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sind der Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an den Schuldausspruch des Scheidungsurteils gebunden; denn es wird eindeutig auch hinsichtlich des Verschuldens auf das Eheurteil abgestellt, weil die Auflösung der Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden maßgebend ist, die Auflösung der Ehe aber nur durch den Scheidungsrichter ausgesprochen werden kann. Bei der Häufigkeit dieser Art von Scheidungsurteilen kann auch nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber an diese Fälle nicht gedacht habe. Aber auch der Zweck dieser Vorschrift spricht für diese Ansicht.

War für den Gesetzgeber bei Einführung der Wiedergewährung einer Witwenrente nach Auflösung der neuen Ehe vor allem der Gedanke maßgebend, den Entschluß der Witwe zur Wiederverheiratung zu erleichtern, indem ihr für den Fall der Eingehung der zweiten Ehe das Wiederaufleben ihrer Rente bei Auflösung der zweiten Ehe versprochen wurde, so erklärt sich die Einschränkung der Wiedergewährung aus dem Bestreben des Gesetzgebers, die neue Ehe, falls sie geschlossen würde, möglichst zu erhalten. Die Aussicht auf das Wiederaufleben der Rente sollte nicht dazu verleiten, den Bestand dieser Ehe leichtfertig zu gefährden oder gar die Scheidung durch offenes Fehlverhalten zu provozieren. Diese Gefahr aber wird bei dieser Auslegung nicht hervorgerufen. Denn die Ehefrau kann während der zweiten Ehe nicht damit rechnen, daß ihr Ehemann in einem eventuellen Ehescheidungsprozeß auf die Feststellung ihres überwiegenden Verschuldens verzichtet. Besteht eine solche Gefährdung der zweiten Ehe aber insofern nicht, so sind keine Gründe ersichtlich, das gesetzgeberische Versprechen des Wiederauflebens der Rente nach Auflösung der zweiten Ehe nicht uneingeschränkt zu erfüllen. Sowohl Wortlaut wie Zweck der Einschränkungsregelung lassen also darauf schließen, daß es für das Wiederaufleben der Witwenrente auf das im Scheidungsurteil festgestellte Verschulden ankommt. Das hat aber notwendig zur Folge, daß die Versicherungsträger und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch insoweit an die Schuldfeststellung eines nach bundesdeutschem Eherecht ergangenen Scheidungsurteils gebunden sind. Sie sind also grundsätzlich daran gebunden, ob es einen Schuldausspruch enthält und wie dieser Schuldausspruch lautet (vgl. BSG-Urteil vom 23.6.1964 - 11 RA 352/63 -). Da im geltenden Scheidungsrecht die Frage der Schuld untrennbar zur Frage der Eheauflösung selbst gehört, über beide daher in einem Urteil erkannt werden muß, wäre es auch sinnwidrig, wenn der Versicherungsträger die Auflösung der Ehe als bindende Tatsache anzuerkennen, die Frage des Verschuldens aber in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls anders als der Scheidungsrichter zu entscheiden hätte.

Diese Auslegung des § 83 Abs. 3 RKG ist auch aus praktischen Gründen allein vertretbar. Das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung erfordert klare objektive Tatbestände, die sich regelmäßig aus vorhandenen schriftlichen Unterlagen ergeben, insbesondere sind ihm moralisch wertende Beurteilungen, wie sie nach geltendem Ehescheidungsrecht der Scheidungsrichter zu treffen hat, grundsätzlich fremd. Die Versicherungsträger wären auch eindeutig überfordert, wenn sie im Rentenverfahren solche Entscheidungen zu treffen hätten. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß der Gesetzgeber bei dem für ihn maßgeblichen Regelfall eines nach unserem geltenden Recht ergangenen Scheidungsurteils allein den Schuldausspruch dieses Urteils im Auge gehabt hat, wenn er für das Wiederaufleben des Rentenanspruchs der Witwe zur Voraussetzung machte, die neue Ehe müsse ohne deren alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst worden sein. Das muß auch für den Fall gelten, daß bei einer sogenannten konventionellen Scheidung die Parteien auf die Feststellung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten verzichtet haben. Es wäre hier schon deshalb praktisch kaum möglich, den auf beiderseitiges Verschulden lautenden Spruch nachträglich im und für das Rentenverfahren dahin zu ergänzen, daß das Verschulden des einen Ehegatten überwiegt, weil die eine konventionelle Scheidung erstrebenden Ehegatten sich ja bewußt auf das für eine beiderseitige Verurteilung notwendige Vorbringen beschränkt haben und die in solchen Fällen ohnehin meist knapp und allgemein gehaltenen Urteilsgründe daher keine Grundlage für eine solche Beurteilung bieten. Erst recht aber kann es nicht Sinn des Gesetzes sein, daß der Versicherungsträger in einem solchen Fall den Scheidungsprozeß - noch dazu ohne Mitwirkung der Gegenpartei und ohne Bindung an das für Ehesachen geltende Verfahrensrecht - so zu konstruieren versuchte, wie er verlaufen wäre, wenn die Parteien, anstatt sich auf eine konventionelle Scheidung zu einigen, um die Verschuldensfrage ernsthaft gestritten hätten, und dann anstelle des Scheidungsrichters über die Schuldfrage neu entscheidet.

Das Urteil des 4. Senats (BSG 26, 1), in dem es um die Ehescheidung nach einem ausländischen Recht ohne Prüfung der Schuldfrage ging, steht dem nicht entgegen. Der Gesetzgeber ist natürlich von dem bundesdeutschen Eherecht ausgegangen, so daß ausländisches Eherecht, soweit es von dem bundesdeutschen Eherecht abweicht, andere Lösungen zuläßt und gegebenenfalls auch erfordert.

Der Einwand der Beklagten, der Verzicht der Scheidungsparteien auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens könne ihr gegenüber bei Anwendung des § 83 Abs. 3 RKG ebensowenig Bedeutung haben wie der Unterhaltsverzicht auf die Höhe einer wiederaufgelebten Witwenrente, ist unbegründet. Zunächst einmal handelt es sich hier gar nicht um den Verzicht auf einen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern um eine Einigung über die Art der Prozeßführung. Will man darin aber den Verzicht auf einen konkreten prozessualen Anspruch erblicken, so kann es sich dabei nur um einen Verzicht des anderen Ehegatten, nicht aber der Frau selbst handeln, da deren Verzicht auf Feststellung der überwiegenden Schuld des Ehemanns für das Rentenverfahren ja ohnehin ohne Bedeutung ist. Auf einen solchen Verzicht der Gegenseite hat die Witwe aber - jedenfalls unmittelbar - keinen Einfluß, sie könnte ihn gar nicht verhindern. Außerdem würde das bedeuten, daß sie sich im Scheidungsverfahren gewissermaßen selbst belasten und auf ihre eigene Verurteilung hinwirken müßte; das wäre ihr aber nicht zuzumuten, zumal der Schuldausspruch auch sonstige rechtliche und soziale Nachteile zur Folge haben kann. Den Verzicht des anderen Ehegatten auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens der Witwe muß der Versicherungsträger genau so hinnehmen wie etwa dessen höchstpersönliche Entscheidung, ihm bekannte Verfehlungen seiner Ehefrau überhaupt nicht zum Gegenstand des Scheidungsverfahrens zu machen, eine Entscheidung, die nicht nur vom Scheidungsrichter, sondern auch von Dritten zu respektieren ist.

Schließlich kann das Rentenbegehren der Klägerin im vorliegenden Fall auch nicht als rechtsmißbräuchlich abgelehnt werden. Die konventionelle Scheidung entspricht dem Anliegen scheidungswilliger Eheleute, unter möglichst geringer Preisgabe ihrer persönlichen Intimsphäre und unter Vermeidung nachteiliger Folgen für beide Parteien geschieden zu werden. Ist aber ein solches Verfahren, wie es im vorliegenden Fall praktiziert wurde, anerkannt, so kann es nicht rechtsmißbräuchlich sein, wenn die Klägerin auf Grund der so erlangten Scheidung die Wiedergewährung ihrer Witwenrente begehrt. Anders könnte es nur sein, wenn die Parteien in der klaren Erkenntnis, daß das Scheidungsverfahren den Umständen nach zur Feststellung des zumindest überwiegenden Verschuldens der Witwe führen müsse, und in der Absicht, ihr - sachlich zu Unrecht - die Witwenrente zu verschaffen, den Schuldausspruch zum Gegenstand eines unlauteren Handel s gemacht hätten, indem zB die Witwe den Verzicht des Ehemanns auf eine entsprechende Feststellung mit materiellen Gegenleistungen erkauft oder mit Drohungen erpreßt hätte. Die objektive Beweislast für das Vorliegen eines solchen Tatbestandes trifft nach allgemeinen Grundsätzen den Versicherungsträger, der sich auf den Rechtsmißbrauch beruft; der Umstand, daß die Parteien des Ehescheidungsverfahrens auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens verzichtet haben, begründet für sich allein noch keine Vermutung für ein unlauteres Verhalten.

Im vorliegenden Fall kommt ein rechtsmißbräuchliches Begehren der Klägerin schon deshalb nicht in Betracht, weil weder die tatsächlichen Feststellungen des Scheidungsurteils erkennen lassen, daß das Verschulden der Klägerin das des Ehemanns überwiegt, noch irgendein Anhalt für ein sonstiges Fehlverhalten der Klägerin, das die Annahme ihres überwiegenden Verschuldens begründen könnte, ersichtlich ist. Darüber hinaus hat das LSG zutreffend festgestellt, daß hier auch kein Anhalt für ein - wie es im Urteil heißt - "betrügerisches Komplott" der Eheleute zum Nachteil der Beklagten vorliegt. Der Umstand, daß die Einigung der Parteien über eine konventionelle Scheidung ohne Feststellung eines überwiegenden Verschuldens von der Erwägung beeinflußt war, einerseits den Anspruch der Klägerin auf Wiedergewährung der Witwenrente zu erhalten, andererseits den Ehemann möglichst nicht mit Unterhaltspflichten zu belasten, genügt hierzu nach den vorstehenden Ausführungen nicht. Es ist dabei zu beachten, daß die materiellen Interessen der Parteien insoweit keineswegs übereinstimmten. Hätte der Ehemann nämlich erreichen können, daß die Klägerin für überwiegend schuldig erklärt worden wäre, so wäre er ihr gegenüber schon dem Grunde nach überhaupt nicht unterhaltspflichtig geworden. Der Verzicht auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens der Klägerin mit der Folge, daß ihr Rentenanspruch wiederauflebt, konnte ihn daher auch nicht hinsichtlich der Unterhaltspflicht entlasten. Es handelt sich also nicht - wie die Beklagte wohl meint - um eine Vereinbarung, die beiden Beteiligten unmittelbar Vorteile auf Kosten eines Dritten verschafft.

Hiernach bestand weder Anlaß, das angefochtene Urteil inhaltlich abzuändern, noch die Sache zu weiteren Ermittlungen an das LSG zurückzuverweisen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

MDR 1969, 425

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