Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle der Aufhebung der neuen Ehe nach EheG § 32 Abs 1 ist das vor der Ehe liegende "alleinige oder überwiegende Verschulden" der Witwe für das Wiederaufleben der Witwenrente nach RVO § 1291 Abs 2 (= RKG § 83 Abs 3) grundsätzlich in gleicher Weise zu berücksichtigen wie das Verschulden während der Ehe im Falle der Ehescheidung.
2. Zur Frage, ob und unter welchen Umständen in den Fällen, in welchen die Parteien auf den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens an der Auflösung der Ehe verzichtet haben, die Geltendmachung des Anspruchs auf die Wiedergewährung der Witwenrente als rechtsmißbräuchlich anzusehen ist.
Normenkette
EheG § 32 Abs. 1; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 83 Abs. 3 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juni 1967 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die im Jahre 1931 geborene Klägerin war in erster Ehe, aus der zwei Kinder stammen, mit dem Grubenschlosser F. verheiratet. Nach seinem Tode bezog sie seit dem Jahre 1959 Witwenrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung. Am 10. Februar 1962 heiratete sie den Elektriker O. Die neue Ehe wurde auf Klage des Ehemannes durch Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 18. Juli 1962 nach § 32 Abs. 1 des Ehegesetzes (EheG) aufgehoben; nach dem Urteilstenor tragen beide Parteien die Schuld. Die Aufhebung der Ehe wird in dem Eheurteil damit begründet, der Ehemann habe erstmals und nur aus Zufall am 7. Mai 1962 von der Existenz eines am 9. Mai 1961 geborenen, nicht ehelichen Kindes der Klägerin erfahren und daraufhin alsbald die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben. Die Klägerin trage die Schuld an der Aufhebung, weil sie bei Eingehung der Ehe den Aufhebungsgrund gekannt und bewußt verschwiegen habe. Ihr Mitschuldantrag sei deshalb begründet, weil der Ehemann sie zuvor einmal nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit verlassen habe und, ohne sie zu benachrichtigen, mehrere Tage lang fortgeblieben sei. Dieses als schwere Eheverfehlung zu wertende lieblose und rücksichtslose Verhalten des Ehemannes müsse aus Billigkeit berücksichtigt werden, obgleich es durch nachfolgenden ehelichen Verkehr verziehen sei. Wenn auch die Ehe der Parteien letzten Endes wegen des Verhaltens der Klägerin gescheitert sei und die Eheverfehlung des Ehemannes in ihrer ehezerrüttenden Wirkung demgegenüber zurücktrete, sei doch ein beiderseits gleiches Verschulden auszusprechen. Die Parteien hätten nämlich auf eine Schuldabwägung ausdrücklich verzichtet und damit das Klagebegehren dahin beschränkt, daß eine Prüfung der Frage, ob das Verschulden der Beklagten erheblich schwerer sei als das des Klägers, nicht mehr stattfinden solle. Vor der Entscheidung haben die Ehegatten einen Vergleich über gegenseitigen Unterhaltsverzicht sowie über Kostenregelung und Hausratsverteilung geschlossen; die Ehefrau hat die gesamten Prozeßkosten - abgesehen von denen des Vergleichs - im Innenverhältnis übernommen.
Den Antrag der Klägerin vom 5. Oktober 1962 auf Wiedergewährung der Witwenrente hat die Beklagte durch Bescheid vom 14. Dezember 1962 mit der Begründung abgelehnt, die Voraussetzungen nach § 83 Abs. 3 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) seien nicht erfüllt, da sich aus den Gründen des Eheurteils ergebe, daß der Klägerin das überwiegende Verschulden an der Aufhebung der Ehe zufalle. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat die Beklagte unter Aufhebung dieser Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 1962 die Witwenrente nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, die Beklagte dürfe die Wiedergewährung der Rente deshalb nicht verweigern, weil das schuldhafte Verhalten der Klägerin vor der Ehe gelegen und gerade zur Eheschließung - und damit auch zum Wegfall der Witwenrente - geführt habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und - unter Zulassung der Revision - die Klage abgewiesen. Das LSG vertritt die Auffassung, grundsätzlich sei zwar der Versicherungsträger an den Schuldausspruch des Eheurteils gebunden, jedoch sei eine eigene Schuldfeststellung im Rentenverfahren dann erforderlich, wenn in dem Eheurteil - wie im vorliegenden Fall - über das Verschulden der Eheleute bewußt nur unvollständig entschieden worden sei. Aus dem Aufhebungsurteil ergebe sich aber, daß die Klägerin die Auflösung der Ehe überwiegend verschuldet habe. Sie habe dem Ehemann die nur 9 Monate vor der Eheschließung liegende Geburt eines nicht ehelichen Kindes verschwiegen und dadurch einen schweren Vertrauensbruch begangen. Demgegenüber sei die Eheverfehlung des Mannes wesentlich weniger schwerwiegend; sie habe die Ehe nicht unheilbar zerstört und sei auch verziehen worden. Dabei sei es im Gegensatz zur Auffassung des SG ohne Bedeutung, ob das Verschulden zeitlich vor oder nach der Eheschließung liege.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, dem Eheaufhebungsurteil könne nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, daß ihr die überwiegende Schuld zufalle. Nachdem es zu einer Einigung über die beiderseits gleiche Schuldverteilung gekommen sei, hätte für die Parteien des Eheverfahrens kein Anlaß bestanden, weiteren Prozeßstoff vorzutragen. Diese bewußte Beschränkung des Prozeßstoffes lasse eine objektiv gerechte Schuldabwägung nach dem Prozeßergebnis nicht zu. Davon abgesehen, sei aber auch ihr Verschulden nicht schwerer zu bewerten als das ihres Ehemannes. Sie habe die Existenz des damals bereits zur Adoption vorgesehenen Kindes verschwiegen, um den Mann, den sie liebte, nicht zu verlieren; sie habe ihn nicht mit Pflichten, Sorgen und dem Wissen um dieses Kind belasten wollen. Daß der Ehemann für ihre Lage kein Verständnis gezeigt habe, entspreche seiner harten und rücksichtslosen Einstellung, die er durch sein schweigendes Fernbleiben von Karfreitag bis Ostermontag zu einer Zeit bewiesen habe, in der er von der Existenz des Kindes noch nichts gewußt habe. Überdies könne ihr gerade die Beklagte nicht zur Last legen, daß sie durch Verschweigen des Kindes die Eheschließung ermöglicht habe, da es ja in deren Interesse gelegen habe, daß hierdurch die Witwenrente wegfiel.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Februar 1966 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Für das Wiederaufleben der Witwenrente nach § 83 Abs. 3 RKG gehöre das Nichtverschulden der Witwe zum gesetzlichen Tatbestand. Der Schuldspruch des Scheidungsrichters könne den Versicherungsträger aber dann nicht binden, wenn beide Ehegatten deshalb in gleichem Maße für schuldig erklärt worden seien, weil sie auf die Feststellung einer überwiegenden Schuld ausdrücklich verzichtet hätten. In diesem Falle müsse der Versicherungsträger in eigener Zuständigkeit prüfen, wessen Verschulden überwiege, da er sonst in seiner Entscheidung über die Rentengewährung durch eine Manipulation der Eheleute von vornherein gebunden sei. Es müsse hier das gleiche gelten wie für eine nach ausländischem Recht ohne Schuldausspruch aufgelöste Ehe (BSG 26, 1). Das LSG habe auch zutreffend erkannt, daß die Klägerin die überwiegende Schuld an der Auflösung der Ehe treffe. Die Aufhebung der Ehe sei allein durch ihr Verhalten begründet; sie selbst hätte keine Scheidung verlangen können, weil die von ihr behauptete Verfehlung des Ehemannes bereits verziehen sei. Dementsprechend habe die Klägerin auch die gesamten Kosten des Verfahrens übernommen. Bei dem vorliegenden Sachverhalt sei davon auszugehen, daß die Eheleute rechtsmißbräuchlich auf die Feststellung des überwiegenden Verschuldens verzichtet hätten, um das Wiederaufleben der Witwenrente zu erreichen.
II
Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als die Feststellungen des LSG nicht ausreichen, das klagabweisende Urteil zu rechtfertigen, es vielmehr für die Entscheidung über den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Wiedergewährung der Witwenrente weiterer Feststellungen bedarf.
Nach § 83 Abs. 3 RKG (= § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) lebt der Anspruch einer Witwe auf Hinterbliebenenrente wieder auf, wenn eine neue Ehe, durch deren Eingehung die Rente weggefallen war, ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. Die Einschränkung des Wiederauflebens hinsichtlich des Verschuldens gilt grundsätzlich für jeden Fall der Auflösung der Ehe, also auch für den der Eheaufhebung. Der Umstand, daß die Aufhebungsgründe im Gegensatz zu den Scheidungsgründen bereits im Zeitpunkt der Eheschließung vorgelegen haben müssen, steht dem nicht entgegen. Zwar verfolgt die Regelung, wonach die Witwenrente bei Auflösung der neuen Ehe grundsätzlich wiederauflebt, vor allem den Zweck, den Entschluß der Witwe zur Wiederverheiratung zu erleichtern, während die Einschränkung aus dem Bestreben zu erklären ist, die neue Ehe zu erhalten; die Aussicht auf das Wiederaufleben der Rente soll nicht dazu verleiten, den Bestand dieser Ehe leichtfertig zu gefährden. Diese Erwägungen würden allerdings auf den vorliegenden Fall einer Eheaufhebung nicht passen. Hier ist vielmehr davon auszugehen, daß der Gesetzgeber die Eingehung der Ehe unter bestimmten Umständen mißbilligt; die Aussicht auf das Wiederaufleben der Rente soll nicht dazu verleiten, leichtfertig eine von vorneherein mit der Aufhebung bedrohte Ehe einzugehen. Das zeitlich vor der Eheschließung liegende Verschulden an der Aufhebung der Ehe ist aus dieser Sicht einer die Scheidung begründenden ehelichen Verfehlung grundsätzlich gleichzustellen.
Hinsichtlich der Frage, ob die Ehe "ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden" der Witwe aufgelöst worden ist, ist der Versicherungsträger an den Schuldausspruch des Eheurteils gebunden. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 15. Dezember 1967 (BSG 27, 256) entschieden hat, gilt das grundsätzlich auch für den Fall, daß der Scheidungsrichter zu der Frage, ob das Verschulden eines der Ehegatten das des anderen überwiegt, keine Feststellung treffen konnte, weil die Parteien - wie zulässig - auf eine solche Feststellung verzichtet hatten. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, daß auch in einem solchen Fall die Ehe im Sinne des § 83 Abs. 3 RKG ohne überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst ist, daß also im Rentenverfahren grundsätzlich nicht mehr nachgeprüft werden kann, ob die Witwe nicht etwa doch ein überwiegendes Verschulden trifft (vgl. Urteil vom 19. Dezember 1968 - 5 RKn 17/67). Wortlaut und Sinn der Einschränkungsregelung des § 83 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 RKG lassen erkennen, daß es dem Gesetzgeber, der hier von dem geltenden bundesdeutschen Eherecht ausgegangen ist, für das Wiederaufleben der Witwenrente auf das im Eheurteil ausgesprochene Verschulden ankommt. Das hat aber notwendig zur Folge, daß die Versicherungsträger insoweit an den Schuldausspruch eines solchen Eheurteils gebunden sind. Da im geltenden bundesdeutschen Eherecht die Schuldfrage untrennbar mit der Frage der Eheauflösung selbst verbunden ist, wäre es auch sinnwidrig, wenn der Versicherungsträger die Auflösung der Ehe als bindende Tatsache anzuerkennen, die Schuldfrage aber in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls anders als der Eherichter zu entscheiden hätte. Diese Auslegung führt auch nicht zu einer leichtfertigen Gefährdung der zweiten Ehe; denn die Ehefrau kann sich durch die Möglichkeit eines beiderseitigen Verzichts auf die Feststellung des überwiegenden Verschuldens in einem zukünftigen Ehescheidungsprozeß nicht veranlaßt sehen, ihre zweite Ehe leichtfertig aufs Spiel zu setzen, weil sie nicht wissen kann, ob ihr Ehemann später diesen Verzicht aus. Diese Auslegung des § 83 Abs. 3 RKG ist auch aus praktischen Gründen geboten. Das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung erfordert klare objektive Tatbestände, die sich regelmäßig aus vorliegenden schriftlichen Unterlagen ergeben; insbesondere sind ihm moralisch wertende Beurteilungen, wie sie nach geltendem Eherecht der Eherichter zu treffen hat, grundsätzlich fremd. Die Versicherungsträger wären zudem eindeutig überfordert, wenn sie im Rentenverfahren solche Entscheidungen zu treffen hätten. Das gilt auch für die nachträgliche "Ergänzung" eines - infolge Einigung der Eheleute - auf den Ausspruch beiderseits gleichen Verschuldens beschränkten Eheurteils hinsichtlich der Schuldabwägung. Eine solche ergänzende Beurteilung wäre schon deshalb bedenklich, weil die eine konventionelle Scheidung erstrebenden Eheleute sich ja im Eheverfahren bewußt auf das für eine beiderseitige Verurteilung notwendige Vorbringen zu beschränken pflegen und die in solchen Fällen ohnehin meist knapp und allgemein gehaltenen Urteilsgründe demgemäß hierfür keine ausreichende Grundlage bieten. Der Versicherungsträger müßte also im formlosen Rentenverfahren den Eheprozeß - und zwar ohne Mitwirkung der Gegenpartei - gewissermaßen so konstruieren und entscheiden, wie er verlaufen wäre, wenn die Parteien, anstatt sich darüber zu einigen, um die Schuldfrage ernsthaft gestritten hätten.
Die Beklagte bezieht sich demgegenüber zu Unrecht auf das Urteil des 4. Senats (BSG 26, 1), in dem es um die Ehescheidung nach einem ausländischen Recht ohne Prüfung und Entscheidung der Schuldfrage überhaupt ging. Der Gesetzgeber des § 83 Abs. 3 RKG ist natürlich allein von dem bundesdeutschen Eherecht ausgegangen, so daß ausländische Ehescheidungsurteile einer besonderen Beurteilung zugänglich sind. Eine Auflösung der Ehe in dem o.a. Fall entspricht aber insoweit nicht dem bundesdeutschen Eherecht, da es eine Prüfung und Entscheidung der Schuldfrage nicht kennt; eine besondere Beurteilung ist daher zulässig und geboten. Man kann aber diese Entscheidung nicht auf die Ausnahmefälle, in welchen über die Scheidung nach bundesdeutschem Recht entschieden worden ist, übertragen.
Auch der Einwand der Beklagten, der Verzicht der Eheparteien auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens sei ihr gegenüber für die Anwendung des § 83 Abs. 3 RKG ebenso unbeachtlich wie beispielsweise der Unterhaltsverzicht einer Witwe auf die Höhe der wiederaufgelebten Witwenrente, greift nicht durch. Es handelt sich zunächst dabei nicht um den Verzicht auf einen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern um eine Einigung über die Art der Prozeßführung. Will man darin aber den Verzicht auf einen konkreten prozessualen Anspruch erblicken, so hätte hier nur der Verzicht des anderen Ehegatten Bedeutung, da der Verzicht der Witwe auf Feststellung der überwiegenden Schuld des Ehemannes für das Wiederaufleben des Rentenanspruchs ohne Bedeutung ist. Auf einen Verzicht des Ehemannes hat die Witwe aber - jedenfalls unmittelbar - keinen Einfluß; sie könnte ihn gar nicht verhindern. Das wäre ihr außerdem, da sie sich damit gewissermaßen selbst belasten und auf ihre eigene Verurteilung hinwirken müßte, auch nicht zuzumuten, zumal der Schuldausspruch regelmäßig auch sonstige rechtliche und soziale Nachteile zur Folge hat. Den Verzicht des anderen Ehegatten auf die Feststellung des überwiegenden Verschuldens der Witwe muß der Versicherungsträger als Tatsache genauso hinnehmen, wie etwa dessen Entschließung, gewisse ihm bekannte Verfehlungen seiner Ehefrau überhaupt nicht zum Gegenstand des Eheauflösungsverfahrens zu machen, eine höchstpersönliche Entscheidung, die nicht nur vom Richter im Eheverfahren, sondern auch von Dritten zu respektieren ist.
Hiernach stände der Klägerin der Anspruch auf Wiedergewährung ihrer früheren Witwenrente zu, da ihre neue Ehe, wegen deren Eingehung diese Rente weggefallen war, nach dem Urteil des Landgerichts ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgehoben worden ist. Zu prüfen bleibt indessen noch, ob sich ihr Rentenbegehren nicht, wie die Beklagte geltend macht, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Rechtsmißbrauch darstellt. Die sogenannte konventionelle Scheidung bzw. Aufhebung der Ehe entspricht dem Anliegen der zur Trennung berechtigten und entschlossenen Eheleute, daß ihre Ehe unter möglichst geringer Preisgabe ihrer persönlichen Intimsphäre und unter Vermeidung nachteiliger Folgen für beide Parteien aufgelöst werden soll. Ist aber ein solches Verfahren, wie es auch im vorliegenden Fall praktiziert wurde, anerkannt, so kann es grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich sein, wenn die Witwe auf Grund einer auf diese Weise herbeigeführten Auflösung der Ehe die Wiedergewährung ihrer Witwenrente begehrt. Ausnahmsweise könnte es sich um einen Rechtsmißbrauch handeln, wenn die Gegenpartei in unlauterer Weise dazu veranlaßt worden wäre, diesen Verzicht auszusprechen, und zwar im wesentlichen in der Absicht, die Rente - sachlich zu Unrecht - wiederaufleben zu lassen. Das setzt aber voraus, daß objektiv ein zumindest überwiegendes Verschulden der Witwe eindeutig vorgelegen hat und daß sich die Parteien dessen bewußt waren. Das LSG hat nach seinen Urteilsgründen die Überzeugung gewonnen, die Klägerin habe die Auflösung der Ehe überwiegend verschuldet. Diese Beurteilung ist insofern bedenklich, als sie ausschließlich auf dem Tatbestand und den Gründen des Eheurteils beruht; es hätte dazu aber der Prüfung bedurft, ob dieses Urteil selbst auf einem die Ehesituation erschöpfend klärenden Verfahren beruhte, was bei einer sogenannten konventionellen Eheauflösung keineswegs unterstellt werden kann. Es entspricht nicht der Billigkeit, einerseits den Schuldausspruch des Eheurteils deshalb für unvollständig und überprüfungsbedürftig anzusehen, weil er auf einer Vereinbarung der Parteien beruht, andererseits aber bei dieser Überprüfung den konventionellen Charakter des ganzen Verfahrens - mit dem regelmäßig auf das Notwendigste beschränkten Parteivorbringen - völlig außer Betracht zu lassen. Auch hat das LSG es bei seiner Schuldabwägung offenbar zu sehr auf die rechtliche Bedeutung des Verhaltens der Eheleute abgestellt. Der Umstand, daß das Verhalten der Klägerin den gesetzlichen Aufhebungsgrund darstellt, besagt noch nichts über das relative Maß ihrer Schuld am Scheitern der Ehe; nach § 37 Abs. 2 EheG war die Klägerin nämlich schon deshalb "als schuldig anzusehen", weil sie den Aufhebungsgrund bei Eingehung der Ehe kannte. Auch kann der Umstand, daß die Klägerin von sich aus deshalb keine Scheidung hätte verlangen können, weil die festgestellte Eheverfehlung ihres Mannes bereits durch nachfolgenden ehelichen Verkehr als verziehen galt, nicht dazu führen, die Schuld des Mannes bei der Abwägung geringer zu bewerten. Es darf der Klägerin nicht angelastet werden, daß sie an der Ehe festhalten wollte und daher verzeihungsbereit war. Ob sich hiernach bei sorgfältiger Prüfung und Abwägung des beiderseitigen Verschuldens am endgültigen Scheitern der Ehe - unter Berücksichtigung der Situation vor und in der Ehe - ein eindeutiges, auch den Parteien klar erkennbares Überwiegen der Schuld der Klägerin ergibt, ist hiernach noch nicht genügend geklärt. Sollte sich das ergeben, so bedürfte es weiter noch der Feststellung, daß die Klägerin in der Absicht, sich die Witwenrente - sachlich zu Unrecht - zu verschaffen, ihren Ehemann zum Verzicht auf die Feststellung ihres überwiegenden Verschuldens veranlaßt hätte. Hierzu könnte allein ihre Kenntnis von den rentenrechtlichen Folgen der Schuldfeststellung nicht genügen, wenn sie sich mit ihrem Ehemann ohnehin darüber einig war, "in Frieden", d.h. ohne Streit über die Schuldfrage, auseinanderzugehen. Ein dem Versicherungsträger gegenüber unredliches Verhalten könnte aber darin gesehen werden, daß eine eindeutig überwiegend schuldige, das Wiederaufleben einer Hinterbliebenenrente sachlich zu Unrecht erstrebende Partei den Verzicht der Gegenseite auf einen entsprechenden Schuldausspruch durch Gewährung besonderer Vorteile erkauft und damit die Schuldfrage zum Gegenstand eines unlauteren Handels macht. Ein gewisser Verdacht in dieser Richtung könnte sich, worauf die Beklagte hingewiesen hat, im vorliegenden Fall daraus ergeben, daß die Klägerin in dem vor der Entscheidung abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich die ganzen Prozeßkosten - abgesehen von den Vergleichskosten -, unabhängig von der Kostenentscheidung, im Innenverhältnis auf sich genommen hat. Wenn dieser Regelung auch durchaus redliche Erwägungen zu Grunde liegen mögen, so rechtfertigt sie doch eine Überprüfung der wirtschaftlichen Auseinandersetzung der Parteien dahin, ob nicht etwa dem Ehemann dabei insgesamt übermäßige materielle Vorteile als Preis für den Verzicht auf eine Feststellung des überwiegenden Verschuldens der Klägerin - und zwar gerade im Hinblick auf das Wiederaufleben ihrer Rente - gewährt worden sind. Der in solchen Fällen übliche gegenseitige Unterhaltsverzicht ist allerdings regelmäßig noch nicht als besondere Vorteilsgewährung in diesem Sinne anzusehen. Die objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ein Rechtsmißbrauch der Klägerin ergeben könnte, trägt nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Beklagte, die daraus das Recht herleitet, die Wiedergewährung der Rente zu versagen. Der Umstand, daß die Parteien des Eheverfahrens auf die Feststellung eines überwiegenden Verschuldens verzichtet haben, begründet für sich allein noch keine Vermutung für ein rechtsmißbräuchliches Verhalten.
Da es hiernach für die Entscheidung über den Anspruch der Klägerin noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2284706 |
BSGE, 81 |
MDR 1969, 426 |