Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Unterbrechung. eigenwirtschaftlicher Grund. betrieblicher Grund. notwendige Arbeitsunterbrechung. Abendessen in Gaststätte

 

Orientierungssatz

Ein Versicherter, der eine aus betrieblichen Gründen notwendige Arbeitsunterbrechung von ca 3 Stunden mit einem Abendessen in einem Gasthaus überbrückt, steht gem § 550 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Normenkette

RVO § 550

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 22.01.1974)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. Januar 1974 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der damals in B wohnhafte, 1942 geborene, geschiedene Kläger, der als kaufmännischer (technischer) Angestellter bei der Firma T GmbH beschäftigt war, erlitt in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1970 einen Autounfall, als er mit seinem Pkw auf dem Wege zum H-weg in der O-T-Straße in B-Z gegen einen Baum prallte. Im Durchgangsarztbericht vom 15. Oktober 1970 ist vermerkt, daß der Kläger auf dem Wege von einem Kunden nach Hause (Tankschutzüberwachung; Pat. ist nach Angaben der Firma des öfteren nachts unterwegs) verunglückt sei. 14 Tage später gab der Kläger im Krankenhaus u.a. an:

"Für unsere Betriebsinspektoren sollten Räume in B, Q Str., gestrichen und tapeziert sowie neu eingerichtet werden. Unser Chef war damit einverstanden, daß mein Kollege L und ich gegen Entgelt die Renovierungsarbeiten ausführten. Diese sollten bis zum Freitag, dem 16.10.70 beendet sein. Die Arbeiten führten wir nach Feierabend aus. Wir hatten verabredet, in der Nacht vom Mittwoch, dem 14.10.70 zum Donnerstag, dem 15.10.70 die Tapezierarbeiten fertig zu machen.

Am Mittwoch, dem 14.10.70 verließ ich den Betrieb zwischenzeitlich etwa in der Zeit von 21.00 bis 22.00 Uhr. Ich fuhr nicht nach Hause. sondern zu einer Bekannten, Frau Gerlinde T in B, P Str. ..., um dort zu Abend zu essen. Ich traf Frau T nicht an und ging in ein Lokal in der P Str. und bestellte mir dort ein Abendessen" ... Dort "hielt ich mich etwa 1/2 bis 3/4 Stunde auf." Sodann "bestieg ich mein Fahrzeug, um in die Q Str. zu fahren mit der Absicht, wie verabredet, die Tapezierarbeiten zu beenden." - Auf diesem Weg sei er verunglückt. Wenn in der Krankengeschichte stehe, von einem Noteinsatz kommend auf der Fahrt zum Büro verunglückt, so liege hier ein Mißverständnis vor.

Der Mitarbeiter L bestätigte gegenüber der Beklagten im wesentlichen die Angaben hinsichtlich der Tapezierarbeiten. Die Räume hätten in der Zeit vom 13. bis 15. Oktober 1970 fertig werden müssen, da sie am Freitag, dem 16. Oktober 1970, benötigt worden seien. Mit der Firma sei ein Honorar von 600 DM vereinbart worden. Er selbst habe mit dem Kläger am 14. Oktober 1970 bis gegen 22 Uhr in der Q Straße Tapezierarbeiten ausgeführt und sei dann nach Hause gefahren, während sich der Kläger verpflichtet habe, nachdem er zum Essen zu einer Bekannten gefahren sei, die Arbeiten in der Nacht allein fortzuführen; zu der Frage der Zeit habe sich der Kläger ihm gegenüber nicht festgelegt. Die Firma T GmbH gab an, daß die Arbeiten, für die eine Lohnpauschale von je 500 DM vereinbart gewesen sei, außerhalb der normalen Arbeitszeit hätten ausgeführt werden sollen. Durch Bescheid vom 26. März 1971 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab, da durch den mehrstündigen auswärtigen Aufenthalt - der Unfall habe sich gegen 1.30 Uhr ereignet - der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gelöst gewesen sei. Die Gaststätte sei über 20 km entfernt gewesen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 16. März 1972 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Anhörung mehrerer Zeugen das SG-Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26. März 1971 verurteilt, dem Kläger aus Anlaß seines Arbeitsunfalls vom 15. Oktober 1970 die gesetzliche Entschädigung zu gewähren. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, aus den Aussagen des Zeugen L ergebe sich, daß die Tapezierarbeiten, die beide gemeinsam ausgeführt hätten, am 14. Oktober 1970 gegen 22.00 Uhr beendet gewesen seien und daß sich der Kläger verpflichtet habe, in der gleichen Nacht die Tapeten, nachdem sie ein Heizapparat getrocknet hätte, mit Farbe zu überstreichen. Diese Nachtarbeit sei erforderlich gewesen, weil am 15. Oktober 1970 andere Handwerker in dem Raum eine Decke einziehen sollten, so daß dieser dem Betrieb am 16. Oktober 1970 wieder voll zur Verfügung stand. Der Kläger sowie der Zeuge L seien davon ausgegangen, daß der Trockenvorgang der Tapete etwa drei Stunden in Anspruch nehmen würde. Das habe für den Kläger bedeutet, daß ihm eine Arbeitspause von etwa drei Stunden zur Verfügung gestanden hätte, die er zum Ausruhen und zum Einnehmen einer Mahlzeit hätte ausnutzen können. Eine fristgemäße Rückkehr sei schon deswegen geboten gewesen, weil der Heizapparat in Betrieb gewesen sei. Aus dem Unfallort und der Fahrtrichtung sei zu schließen, daß der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem Wege zu seiner Dienststelle in der Q Straße gewesen sei, denn über den H-weg, die A und die Stadtautobahn hätte er auf schnellstem Wege die Arbeitsstelle erreichen können. Es stehe demnach für den Senat fest, daß der Kläger auf dem Wege zu seiner Arbeitsstelle verunglückt sei. Auf diesem Weg sei der Kläger nach den §§ 539 Abs. 1 Nr. 1, 548 Reichsversicherungsordnung (RVO) bei der Beklagten gegen Unfall versichert gewesen. Da der Kläger alleinstehend sei, habe für ihn nur die Möglichkeit bestanden, entweder bei Bekannten oder in der Gastwirtschaft eine Mahlzeit einzunehmen, um dann das Bestreichen der Tapete, das ca. drei Stunden in Anspruch genommen hätte, durchzuführen. Es habe sich also um eine zwangsläufige Arbeitspause von drei Stunden gehandelt, die der Kläger habe überbrücken müssen. Wenn er auch von der Gaststätte bis zur Arbeitsstelle einen Weg hätte zurücklegen müssen, der um etwa 10 km länger gewesen wäre als der Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstelle, so sei doch dadurch das Versicherungsrisiko nicht wesentlich vergrößert worden; im übrigen lasse sich die mangelnde Reaktionsfähigkeit des Klägers, die zu dem Autounfall geführt habe, zwanglos auf die Ermüdung durch 14stündige Arbeit zurückführen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 548, 550 RVO sowie sinngemäß Verstöße gegen die §§ 103 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie führt u.a. aus, die vom LSG nicht ausreichend festgestellte Uhrzeit des Unfalls dürfte zwischen 0.30 und 1.00 Uhr gelegen haben. Da die vorangegangene Betriebstätigkeit gegen 22.00 Uhr geendet habe, seien die Grenzen des Unfallversicherungsschutzes weit überschritten; das LSG habe den Begriff sowohl des Betriebsweges wie des Weges zur Arbeitsstelle zu extensiv ausgedehnt; die mindestens zweistündige, wenn nicht gar fast dreistündige Zwischenzeit zwischen dem Ende der Betriebstätigkeit und dem Unfall erlaube dessen Einordnung weder nach § 548 Abs. 1 noch nach § 550 Satz 1 RVO. Ferner begegne die Annahme des LSG, daß der Kläger, der nach einem offenbar anstrengenden Arbeitstag bereits bis 22.00 Uhr nachts gearbeitet habe und seiner Arbeit auch dann noch die wenigen Stunden bis zum nächsten Morgen habe opfern wollen, um weitere drei Stunden mitten in der Nacht oder am beginnenden Morgen weiterzuarbeiten, sehr erheblichen Bedenken. Die Fahrtrichtung im Unfallzeitpunkt zwinge nicht zu dem Schluß, daß der Kläger damals nicht auch noch woandershin hätte fahren können oder wollen; über den H-weg, die A und die Stadtautobahn hätte er genauso gut wie an seine Arbeitsstätte in der Q Straße auch noch zu allen möglichen Straßen und Häusern fahren können. Angesichts des Fehlens genauer Zeitangaben in der Aussage des Geschäftsführers H hätte das LSG diesen und auch den Zeugen L zumindest nach der Uhrzeit fragen sollen, zu welcher die beabsichtigten weiteren Installationen der tapezierten Räume vorgesehen gewesen seien. Der Zeuge L habe hierzu nur ausgesagt, sie hätten bis zum nächsten Morgen, also dem 15. Oktober 1970, die Tapete auch gestrichen haben müssen, der Ausdruck "bis zum nächsten Morgen" sei doch recht vage. Die Lebenserfahrung spreche dafür, daß der Kläger, der am 14. Oktober bis gegen 22.00 Uhr gearbeitet habe, sicher nicht vor 8.00 Uhr des nächsten Morgens, also erst nach ausreichender Nachtruhe, seine Arbeit fortgesetzt und sie bis gegen 11.00 Uhr am Vormittag des 15. Oktober 1970 beendet haben würde, so daß dann immer noch der von dem Zeugen L betonten Notwendigkeit der Fertigstellung der gesamten Arbeit "zum nächsten Morgen" Rechnung getragen worden wäre. Abgesehen davon sei die Essenseinnahme eine rein eigenwirtschaftliche und unversicherte Tätigkeit gewesen. Die Art der Überbrückung des dreistündigen Zeitraums bzw. der beabsichtigte Besuch bei der Zeugin T sei Sache des Klägers und die unfallbringende Fahrt der Rückweg von einem unversicherten Tun gewesen.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung des Klägers,

hilfsweise

die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend, bemerkt jedoch, daß der Kläger keineswegs einen um etwa 10 km längeren Weg zurückgelegt habe. Insoweit handele es sich offenbar um einen Irrtum des LSG, weil der Kläger zwischenzeitlich von S nach B umgezogen sei. Der Weg zwischen der Arbeitsstelle und S, wo der Kläger im Unfallzeitpunkt gewohnt habe, dürfte beinahe gleich weit sein wie der Weg von der Arbeitsstelle nach Z.

 

Entscheidungsgründe

Dem Antrag des Klägers auf Vertagung des Termins vom 19. Dezember 1974 war nicht zu entsprechen, weil nach der Überzeugung des vollbesetzten Senats in den Schreiben des Klägers vom 4. und 9. Dezember 1974 kein erheblicher Hinderungsgrund dargetan worden war. Das Schreiben vom 16. Dezember 1974 erreichte den Senat erst nach Urteilsverkündung.

Die Revision der Beklagten ist i.S. einer Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

In materiell-rechtlicher Hinsicht hat der Senat die Auffassung des LSG gebilligt. Geht man von den tatsächlichen Feststellungen des LSG aus, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, so begegnet seine Auffassung, daß im Unfallzeitpunkt eine Lösung vom Betrieb nicht eingetreten gewesen sei, weil die Fahrt bzw. der Aufenthalt in der Gastwirtschaft dazu gedient habe, die notwendige Arbeitsunterbrechung von drei Stunden zu überbrücken, keinen rechtlichen Bedenken. Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat sich in den Urteilen vom 30. Juni 1960 und 30. Januar 1963 (vgl. SozR Nr. 26 und 40 zu § 543 RVO aF) zur Vorschrift des § 543 RVO aF, die dem hier - iVm § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO - anzuwendenden § 550 RVO im wesentlichen entspricht, mit rechtsähnlichen Fällen befaßt. In SozR Nr. 26 aaO hat er u.a. ausgeführt, das Essen sei in der Regel eine dem persönlichen und daher unversicherten Bereich zuzurechnende Betätigung, es könne jedoch, wenn es zur Wiedererlangung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit unumgänglich sei, unter bestimmten Voraussetzungen den ursächlichen Zusammenhang mit der nachfolgenden Arbeitstätigkeit begründen. In dem dortigen Fall standen dem Kläger zwischen der beendeten und der nächsten Arbeitsschicht ein freier Abend und eine Nacht zur Wiedererlangung seiner Arbeitskraft zur Verfügung. Er mußte nach der Rückkehr zum Flugplatz nicht sofort mit der Arbeit beginnen, sondern konnte noch für mehrere Stunden eine Schlafstelle aufsuchen. Da der Kläger zur Wiedererlangung seiner Arbeitskraft bis zum nächsten Morgen sowohl der Nahrung als auch des Schlafes bedurfte, ohne daß er Gelegenheit gehabt hätte, für die Beschaffung der Nahrung rechtzeitig Vorsorge zu treffen, blieb ihm daher nach der Auffassung des BSG aus Gründen, die seinem Arbeitsverhältnis entsprangen, keine andere Möglichkeit, als in den späten Abendstunden außerhalb des Flugplatzes ein Essen zu sich zu nehmen, zumal er auch in den frühen Morgenstunden vor 6.00 Uhr in keiner Kantine oder Gastwirtschaft eine Mahlzeit hätte erhalten können. Es lag daher in dem dortigen Fall in seinem Arbeitsverhältnis begründet, daß er zur Unfallzeit an den Unfallort geführt wurde und dort verunglückte, womit der vom Gesetz geforderte Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit zu bejahen war. In SozR Nr. 40 aaO hat der 2. Senat des BSG ausgesprochen, daß ein Beschäftigter, der unvorhergesehen aus betrieblichen Gründen verhindert war, seine Arbeit zur üblichen Zeit aufzunehmen und sich zur Überbrückung der Wartezeit außerhalb der Arbeitsstätte besuchsweise bei Angehörigen aufhielt, auf dem Rückweg zur Arbeitsstätte jedenfalls dann unter Versicherungsschutz stehe, wenn nach Art und Dauer des Aufenthalts nicht anzunehmen sei, daß dieser ausschließlich der Verfolgung rein privater Zwecke diente. Der 2. Senat hat dort ausgeführt: Zwar sei nicht jeder Weg geschützt, der nach der Arbeitsstätte führe oder von ihr aus angetreten werde, er müsse vielmehr mit der Tätigkeit in dem Unternehmen in einem rechtlich-wesentlichen, ursächlichen Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang sei gegeben, obwohl sich die Verletzte vor Antritt des unfallbringenden Weges ungefähr fünf Stunden in der Wohnung ihres Sohnes aufgehalten hatte und diese Wohnung, von der Arbeitsstätte aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu der eigenen Wohnung der Verletzten lag. Diese Rechtsprechung des 2. Senats wird auch vom erkennenden Senat gebilligt. Auch nach seiner Auffassung ist in solchen Fällen grundsätzlich Unfallversicherungsschutz gegeben, sofern für die Überbrückung dieser Wartezeit nicht noch andere als betriebliche Gründe den Verletzten bewogen haben, nicht nach Hause zu gehen, sondern die Arbeitsunterbrechung anderswo zu überbrücken (vgl. dazu auch die genannte Entscheidung des 2. Senats). Da der Kläger einerseits geschieden und alleinstehend war, also in seiner Wohnung in S nicht mit der Zubereitung eines Abendessens durch einen Angehörigen rechnen konnte und andererseits einen Zeitraum von drei Stunden angeblich aus betrieblichen Gründen zu überbrücken hatte, wären diese betrieblichen Gründe durch den während der Wartezeit geplanten Besuch der Freundin bzw. durch die Einnahme des Abendessens in der Nähe ihrer Wohnung nicht derart in den Hintergrund getreten, daß der Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit verneint werden müßte. Der Rechtsauffassung des LSG ist somit grundsätzlich zuzustimmen.

Die Revision hat jedoch die tatsächlichen Feststellungen des LSG mit wesentlichen Verfahrensrügen angegriffen, die auch vorliegen. Zutreffend rügt die Beklagte, das LSG hätte nicht ohne weitere Sachaufklärung annehmen dürfen, daß der Kläger sich im Unfallzeitpunkt nach einem derart anstrengenden Arbeitstag tatsächlich noch auf dem Weg zur Betriebsstätte in der Q Straße befand, um dort mitten in der Nacht noch weitere drei Stunden lang die Arbeit fortzusetzen. Ein zwingender Anlaß zu einer solchen unzumutbaren Überanstrengung wäre allenfalls dann gegeben gewesen, wenn die "anderen Handwerker", die nach den Feststellungen des LSG am 15. Oktober 1970, und zwar "im Laufe des Tages in dem Raum eine Decke einziehen sollten", schon morgens - etwa um 8.00 Uhr - mit ihrer Arbeit hätten beginnen sollen. Dazu hat das LSG nichts festgestellt, vielmehr durch die Worte "im Laufe des Tages" eher angedeutet, daß deren Arbeit erst später beginnen sollte oder konnte. Das Vorbringen der Revision, die Lebenserfahrung spreche dafür, daß der Kläger unter den gegebenen Umständen sicher nicht vor 8.00 Uhr des nächsten Morgens, also erst nach ausreichender Nachtruhe, seine Arbeit fortgesetzt und sie bis gegen 11.00 Uhr des Vormittags vom 15. Oktober 1970 beendet haben würde, so daß dann immer noch die gesamte Arbeit "zum nächsten Morgen" fertiggestellt gewesen wäre, ist daher beachtlich und macht deutlich, daß dieser Punkt vom LSG noch näher hätte geklärt werden müssen (§ 103 SGG), und zwar - wie die Revision ebenso mit Recht vorträgt - durch Befragung des Geschäftsführers H und des Zeugen L Dies war vor allem deswegen geboten, weil der Geschäftsführer H bei seiner Vernehmung vor dem LSG nicht bekundet hat, daß der Kläger noch im Laufe der Nacht die Arbeit hätte erledigen müssen; vielmehr hat er nur ganz allgemein gesagt: "Die Arbeit war terminbestimmt, weil nach der Tapezierung weitere Installationen vorgenommen werden mußten." Ebenso hat der Zeuge L außer den Worten "bis zum nächsten Morgen" keine entsprechenden präzisen Angaben gemacht. Statt dessen hatte er, wie aus Bl. 16 der Unfallakten zu entnehmen ist, der Beklagten gegenüber am 10. November 1970 erklärt, der Kläger habe "sich ihm gegenüber in der Frage der Zeit nicht festgelegt". In gleicher Weise hat der Kläger selbst auf die Frage der Allgemeinen Ortskrankenkasse: "Wann sollte die Arbeit (bei Unfall auf dem Wege zur Arbeitsstelle) beginnen (Uhrzeit)?" am 30. November 1970 geantwortet "nicht festgelegt" (vgl. Unfallakten Bl. 40). Diese Umstände hätten das LSG zu der von der Revision vermißten Sachaufklärung drängen müssen, zumal bisher auch keine Stellungnahme der "anderen Handwerker" zu dieser Frage vorliegt. Wäre die Fertigstellung der Arbeiten wirklich so dringend gewesen, so würde es überdies nicht recht verständlich sein, weshalb sich der Zeuge ... plötzlich überhaupt nicht mehr daran beteiligt haben sollte. Seine Angabe vor dem LSG, er habe an allen Tagen mit der Arbeit eher begonnen als der Kläger, mag die gleiche Entlohnung erklären, nicht aber die angeblich dringende Gefahr der nicht rechtzeitigen Fertigstellung bei bestehenden Zweifeln wahrscheinlich machen. Im Zweifel kann vielmehr das Verhalten des Mitarbeiters L ein wichtiger Anhaltspunkt für die wahrscheinliche Absicht des Klägers im Unfallzeitpunkt sein; insoweit bedarf es daher einer erschöpfenden Beweiswürdigung. Zweifel am Ziel der unfallbringenden Fahrt waren im übrigen auch deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil der Kläger nach dem Durchgangsarztbericht zunächst einen ganz anderen Zweck seiner Unfallfahrt angegeben haben soll, nämlich die Heimfahrt von einem Kundenbesuch im Rahmen der Tankschutzüberwachung.

Dadurch, daß das LSG trotz objektiv bestehender Zweifel angenommen hat, daß sich der Kläger bei Antritt des Rückweges ("etwa Mitternacht" - vgl. Urteil S. 11) bzw. im Unfallzeitpunkt auf dem Wege zur Betriebsstätte befunden habe, ist ihm auch ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG unterlaufen, da es seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat. Bei Vermeidung der gerügten Verfahrensmängel wäre des LSG hinsichtlich des Zieles der unfallbringenden Fahrt möglicherweise zu einem anderen Ergebnis, nämlich entsprechend seiner sachlich-rechtlichen Auffassung zu einer Verneinung des Unfallversicherungsschutzes, gelangt. Denn nach der Lage des Unfallortes hätte der Kläger, wie die Revision mit Recht betont, auch ein anderes Ziel anstreben, d.h. auch zu seiner Wohnung in S zurückkehren können. Damit würde es an der vom LSG angenommenen "Überbrückung" einer betrieblich notwendigen Arbeitsunterbrechung fehlen, und der Kläger würde sich dann auf der Rückfahrt von einer eigenwirtschaftlichen, unversicherten Tätigkeit befunden haben.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache, da der Senat die fehlenden Feststellungen nicht nachholen konnte, zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung u.U. auch zu prüfen haben, wann sich der Unfall genau ereignet hat. Als Unfallzeit ist im angefochtenen Bescheid "gegen 1.30 Uhr" und in der Verkehrsunfallanzeige "gegen 01.25 Uhr" angegeben. Im Durchgangsarztbericht heißt es "130 Uhr", im Ergänzungsbericht "100 Uhr" und in der Unfallanzeige "0 Uhr 30 Min.". Nimmt man als Unfallzeitpunkt "gegen 1.30 Uhr oder 1.25 Uhr" an, so wäre noch zu klären, wo der Kläger nach Verlassen der Gaststätte, in der er sich lediglich 1/2 bis 3/4 Stunde aufgehalten haben will, gewesen ist. Das LSG wird ggf. ferner prüfen können, ob ihm ein Irrtum hinsichtlich des Wohnsitzes, den der Kläger zum Unfallzeitpunkt gehabt hat (S statt G), unterlaufen ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1749914

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