Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung des Ersatzanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch der originäre Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach RVO § 1531 unterliegt derselben Verjährungsfrist wie der entsprechende Leistungsanspruch.
Überleitung des Leistungsanspruchs nach BSHG § 90 sowie Zeitpunkt der Entstehung der Verjährung des Ersatzanspruchs des Sozialhilfeträgers nach RVO § 1531:
2. Eine Anzeige nach BSHG § 90 kann den Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialhilfe nicht bewirken, wenn die KK den überzuleitenden Anspruch gegenüber dem Versicherten bereits bindend abgelehnt hat.
3. Dem Ersatzanspruch nach RVO § 1531 steht nicht entgegen, daß die KK den Anspruch dem Versicherten gegenüber bindend abgelehnt hat.
4. Die Neuregelung der Verjährung durch SGB 1 § 45, nach der Ansprüche auf Sozialleistungen in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, verjähren, findet keine Anwendung, wenn der Anspruch bereits vor Inkrafttreten dieser Vorschrift (am 1976-01-01) verjährt war; der Ersatzanspruch nach RVO § 1531 unterlag nach dem bis zum 1975-12-31 geltenden Recht einer Verjährungsfrist von 2 Jahren.
5. Der Ersatzanspruch nach RVO § 1531 für ein Hilfsmittel (RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst c iVm RVO § 182b) entsteht mit dem Tage der Zahlung des Kaufpreises.
6. Ein Hoyer-Lifter ist ein Hilfsmittel iS der gesetzlichen Krankenversicherung.
Normenkette
RVO § 1531 Fassung: 1931-06-05; SGB 1 § 45 Abs. 1 Fassung: 1975-12-11; RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1924-12-15, § 223 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 1543a Fassung: 1925-07-14; BSHG § 90; RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 182b Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Münster (Entscheidung vom 13.12.1977; Aktenzeichen S 14 Kr 9/77) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13. Dezember 1977 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger (überörtlicher Sozialhilfeträger) fordert von der beklagten Ersatzkasse Ersatz der Kosten, die er bei der Beschaffung eines Krankenhebe- und Transportgerätes (Hoyer-Lifter) für ein Mitglied der Beklagten aufgewandt hat.
Die Beigeladene zu 2) ist über ihren pflichtversicherten Ehemann, den Beigeladenen zu 1), bei der Beklagten im Rahmen der Familienhilfe versichert. Sie benötigt wegen der Folgen einer spinalen Kinderlähmung einen Hoyer-Lifter. Für die Beschaffung dieses Gerätes beantragte ihr Ehemann am 17. Januar 1973 bei der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Februar 1973 ab, weil das Gerät weder ein Heil- noch ein Hilfsmittel sei. Nunmehr beschaffte der Kläger das Gerät im Rahmen der Eingliederungshilfe. Er erteilte der Beklagten am 12. März 1973 Überleitungsanzeige und bezahlte am 16. April 1973 den Kaufpreis von 1.123,88 DM.
Mit der am 1. Februar 1977 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, diesen Betrag an ihn zu zahlen. Die Beklagte hat jetzt bestätigt, daß der Hoyer-Lifter ein Hilfsmittel iS ihrer Satzung und der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei. Sie hat aber geltend gemacht, der Klageanspruch sei verjährt. Das Sozialgericht (SG) hat sie antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Ersatzanspruch nach § 1531 RVO seien gegeben. Der Anspruch sei bei Klageerhebung nicht verjährt gewesen; denn für ihn habe die vier Jahre betragende Verjährungsfrist des § 29 Abs 3 RVO aF (= alte Fassung) gegolten.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 29 Abs 3, 223 Abs 1 RVO aF. Sie meint, der Ersatzanspruch sei bei Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB I) nach § 223 Abs 1 RVO aF bereits verjährt gewesen. Die Verjährungsvorschrift des Art I § 45 SGB finde deshalb keine Anwendung.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger den für die Beschaffung des Hoyer-Lifters aufgewandten Betrag zu ersetzen.
Es kann dahinstehen, ob es sich bei diesem Gerät schon zZt seiner Anschaffung durch den Kläger sowohl iS der RVO (§ 187 Nr 3 in der bis zum 30.9.1974 gültig gewesenen Fassung; vgl § 21 Nr 13 iVm § 45 Abs 1 RehaAnglG vom 7.8.1974, BGBl I 1881) als auch der Versicherungsbedingungen (VB) der Beklagten um ein Hilfsmittel gehandelt hat (vgl BSG SozR 2200 § 187 Nr 3). Sofern dies der Fall war, hätte der Beigeladene zu 1) als Versicherter im Rahmen der Familienhilfe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zu dessen Anschaffungskosten gehabt; die VB der Beklagten in ihrer damals gültig gewesenen Fassung sahen bei der Beschaffung von Hilfsmitteln die Beteiligung an den Anschaffungskosten durch die Gewährung von Zuschüssen vor (§ 14 Abs 1, 2, 8 VB; Stand: 1.4.1972). Einen derartigen Anspruch eines Versicherten gegen seine Krankenkasse konnte und kann ein Sozialhilfeträger, der gleich dem Kläger dem Versicherten Hilfe gewährt hat, zwar durch schriftliche Anzeige an die Krankenkasse bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf sich überleiten (§ 90 Abs 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz -BSHG- idF vom 18.9.1969, BGBl I 1688; unverändert idF vom 13.2.1976, BGBl I 289). Die Überleitungsanzeige des Klägers vom 12. März 1973 konnte einen Anspruchsübergang jedoch nicht bewirken; denn die Beklagte hatte den Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung des Hoyer-Lifters mit Bescheid vom 20. Februar 1973 dem Beigeladenen zu 1) gegenüber bereits abgelehnt und ein Rechtsbehelf ist gegen diesen Bescheid nicht eingelegt worden. Der Bescheid ist mithin bindend geworden (§ 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Diese Bindungswirkung steht dem Anspruchsübergang entgegen.
Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs kommt deshalb lediglich § 1531 RVO in Betracht. Nach dieser auch für Ersatzkassen geltenden Vorschrift (§ 1543a Abs 1 RVO) kann ein Sozialhilfeträger, der nach gesetzlicher Pflicht einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit unterstützt, für die dieser einen Anspruch gegen einen Versicherungsträger hatte oder noch hat, bis zur Höhe des versicherungsrechtlichen Anspruchs nach den §§ 1532 bis 1537 RVO Ersatz beanspruchen. Dem Ersatzanspruch steht nicht entgegen, daß die Beklagte den Anspruch des Beigeladenen zu 1) auf Gewährung eines Zuschusses mit Bescheid vom 20. Februar 1973 diesem gegenüber bindend abgelehnt hat; denn im Gegensatz zu einem nach § 90 BSHG übergeleiteten Anspruch des Versicherten handelt es sich bei dem Ersatzanspruch nach § 1531 RVO um einen selbständigen - originären - gesetzlichen Anspruch, der neben den Leistungsanspruch des Versicherten tritt (BSG SozR Nr 26 zu § 1531 RVO; Nr 11 zu § 216 RVO; SozR 2200 § 187 RVO Nr 3). Entgegen der Auffassung des SG ist dieser Ersatzanspruch hier aber verjährt.
Die Neuregelung der Verjährung durch § 45 SGB I vom 11. Dezember 1975 (BGBl I 3015), nach der Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, verjähren, findet keine Anwendung, weil der Ersatzanspruch bereits vor dem am 1. Januar 1976 erfolgten Inkrafttreten dieser Vorschrift verjährt war (Art II §§ 17, 23 Abs 1 Satz 1 SGB I); denn ein Ersatzanspruch unterliegt derselben Verjährungsfrist wie der entsprechende Leistungsanspruch. Ersatzansprüche sind die Kehrseite der Ansprüche auf die entsprechenden Leistungen. Ein Versicherungsträger darf deshalb hinsichtlich der Verjährung eines gegen ihn gerichteten Anspruchs nicht schlechter gestellt werden, wenn er statt von dem Versicherten von einem anderen Versicherungsträger in Anspruch genommen wird; sein Schutzbedürfnis ist in beiden Fällen gleich groß (BSGE 24, 260, 262 = SozR Nr 2 zu § 223 RVO; SozR Nr 21 zu § 29 RVO; Nr 6 zu § 223 RVO; auch Urteil des Senats in BKK 1974, 146 und BKK 1977, 160).
Der Ersatzanspruch des Klägers unterlag deshalb entgegen der Auffassung des SG einer Verjährungsfrist von nur zwei Jahren; denn nach der hier entsprechend anwendbaren (vgl BSG SozR Nr 64 zu § 183 RVO; Nr 6 zu § 223 RVO), den Bereich der Krankenversicherung betreffenden und bis zum 31. Dezember 1975 gültig gewesenen (Art II § 4 Abs 1, § 23 Abs 1 Satz 1 SGB I) Vorschrift des § 223 Abs 1 RVO aF, mit der § 25 der VB der Beklagten in der damals gültig gewesenen Fassung übereinstimmt, verjährten Ansprüche auf Kassenleistungen in zwei Jahren nach dem Tage der Entstehung. Diese Frist war bereits am 17. April 1975, also sowohl vor dem Inkrafttreten des SGB I, als auch vor der erst am 1. Februar 1977 mit der Klage erfolgten Geltendmachung des Ersatzanspruchs abgelaufen; denn der Kläger hat den Kaufpreis des Hoyer-Lifters unstreitig am 16. April 1973 bezahlt und damit den Ersatzanspruch an diesem Tage zur Entstehung gebracht (vgl BSG BKK 1974, 146, 147). Anhaltspunkte dafür aber, daß der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen könnte, sind nicht gegeben.
Der Revision der Beklagten ist nach alledem in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen