Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung von Arbeitnehmer und Bundesanstalt für Arbeit. Notwendige Beiladung. Verfahrensfehler
Leitsatz (redaktionell)
Enthält der angefochtene Bescheid der beklagten Krankenkasse die Feststellung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung eines Arbeitnehmers, dann werden dadurch unmittelbar auch der Arbeitgeber und die Bundesanstalt für Arbeit betroffen. Beide müssen daher gemäß SGG § 75 Abs 2 notwendig zum Rechtsstreit beigeladen werden.
Orientierungssatz
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (vergleiche Beschluß des BSG vom 1974-03-12 2 S 1/74 = SozR 1500 § 75 Nr 1).
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 17.01.1978; Aktenzeichen S 18 Kr 175/76) |
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger in der Zeit von Dezember 1975 bis März 1976 für den Bereitschaftsdienst als Medizinalassistent gezahlten Zulagen auf den für die Krankenversicherungspflicht der Angestellten maßgeblichen Jahresarbeitsverdienst (JAV) anzurechnen sind.
Der Kläger war vom 1. Dezember 1975 bis 31. März 1976 als Medizinalassistent und ab 1. April 1976 als Assistenzarzt beim E. Regensburg beschäftigt. Bis einschließlich März 1976 überstieg sein monatliches Bruttoeinkommen nicht 75 vH der in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessungsgrenze. Zusammen mit den neben dem Bruttoarbeitsentgelt bezogenen monatlichen Bereitschaftsdienstzulagen wurde diese Grenze und damit die Grenze der Versicherungspflicht jedoch überschritten. Die Beklagte stellte unter Außerachtlassung der Bereitschaftsdienstzulagen die Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung nach § 165 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) nach § 168 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) für die Zeit vom 1. Dezember 1975 bis 31. Dezember 1976 fest (Bescheid vom 12. Mai 1976, Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1976). Das Sozialgericht (SG) München hat der Klage stattgegeben und die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 17. Januar 1978). Es hat die Bereitschaftdienstzulagen den Bruttobezügen hinzugerechnet und wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers verneint. Die Anwendung des noch in Kraft befindlichen Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 24. Oktober 1944 über die Nichtanrechnung von Mehrarbeitsvergütungen auf den JAV hat das SG verneint, weil ärztliche Bereitschaftsdienstvergütungen nicht die Merkmale von Überstundenvergütungen trägen. Der genannte Erlaß stelle eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, wonach im Sozialversicherungsrecht der gleiche Entgeltbegriff gelte wie im Steuerrecht. Als Ausnahmeregelung sei er einer ausdehnenden Auslegung nicht zugänglich.
Mit der vom SG im Urteil zugelassenen Sprungrevision wendet sich die Beklagte gegen diese Rechtsauffassung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des SG muß aufgehoben werden. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das SG notwendige Beiladungen Dritter, die durch die Entscheidung in ihrer Rechtssphäre unmittelbar betroffen werden, unterlassen hat und diese Beiladungen in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden können (§ 168 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte als Einzugsstelle (§ 1399 Abs 3 RVO = § 121 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) gemäß § 182 Abs 1 AFG auch über die Beitragspflicht des Klägers zur BA entschieden. Dieser Verwaltungsakt wirkt auch für und gegen die BA als der Trägerin der Arbeitslosenversicherung. Wird ein solcher Verwaltungsakt von einem anderen Betroffenen angefochten, so ist der mitbetroffene Versicherungsträger nach § 75 Abs 2, 1. Alternative SGG notwendig beizuladen (BSGE 15, 118, 125 = SozR Nr 2 zu § 1399 RVO). Da mit dem Bescheid der Beklagten über die Versicherungspflicht des Klägers gleichzeitig auch über die Beitragspflicht des Arbeitgebers (§ 381 Abs 1 Satz 1 RVO, § 172 Abs 1 AFG) entschieden wurde, ist auch der Arbeitgeber notwendig beizuladen (vgl BSG SozR Nr 32 zu § 75 SGG). Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1).
Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des SG muß demnach aufgehoben werden. Da nicht alle vom Ausgang des Verfahrens Betroffenen am Prozeß beteiligt worden sind, kann der Senat keine Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreits machen. Die Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht, das für die Berufung zuständig gewesen wäre, erscheint dem Senat zur Beschleunigung des Verfahrens zweckmäßig und geboten (§ 170 Abs 4 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen