Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufsichtsklage. Unterrichtung. Rechtsaufsicht. Beratung. Ermessenserwägungen. Verpflichtungsanordnung
Leitsatz (amtlich)
Befreiungstatbestand iS von § 85 Abs 3 (und 4) Nr 3 ALG ist auch eine Kapitallebensversicherung.
Normenkette
ALG §§ 54, 58 Abs. 2 Nr. 1, § 85 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 3; SGB I § 13; SGB IV §§ 87, 89 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Juli 1995 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Aufsichtsanordnung der Beklagten, und in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob eine von der Beklagten beanstandete, vom Kläger nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) vom 29. Juli 1994 (BGBl I S 1891) seinen Mitgliedern, den landwirtschaftlichen Alterskassen (LAK), mitgeteilte Rechtsauffassung, zutrifft, die Ehefrau eines Landwirtes werde von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG – unter bestimmten Voraussetzungen – nur durch Abschluß einer Versicherung auf Rentenbasis und nicht durch eine Kapitallebensversicherung befreit.
Mit Rundschreiben vom 17. Oktober 1994 teilte der Kläger seinen Mitgliedern mit, eine Kapitallebensversicherung erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung der Ehefrau des Landwirts von der Versicherungspflicht; erforderlich sei eine Versicherung auf Rentenbasis. Dieser Auffassung widersprach das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) mit Schreiben vom 27. Oktober 1994; es wies darauf hin, es habe Verständnis für diese Auslegung, da sie eine bessere Gewähr dafür biete, daß die auszuzahlende Leistung Versorgungszwecken diene; die Auslegung widerspreche jedoch dem Wortlaut der Bestimmung; die Befreiungsregelung unterscheide sich von derjenigen in § 52 Abs 2 Nr 2 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG); dort sei nämlich Voraussetzung, daß die Leistungen aus der Versicherung jährlich mit bestimmten Steigerungsraten zu erhöhen seien.
Demgegenüber vertrat der Kläger in einem Antwortschreiben die Auffassung, Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte des § 85 ALG, insbesondere die dort vorgesehene Dynamisierung der Prämien und die Intention des Gesetzgebers, dem erfaßten Personenkreis eine ausreichende soziale Sicherung zu gewähren, sprächen für einen Versicherungsvertrag auf Rentenbasis; nur auf diese Weise könne eine Gleichartigkeit und -wertigkeit der Versorgung mit derjenigen nach dem ALG erreicht werden; die für den Befreiungstatbestand im KSVG gewählte Formulierung stehe dem nicht entgegen, die dort vorgesehene Dynamisierung der Leistungen sei nur nach vorangegangener Anpassung der Beiträge möglich.
Mit Schreiben vom 11. Januar 1995 teilte nunmehr die Beklagte dem Kläger mit, ihr sei der Schriftwechsel mit dem BMA bekannt. Trotz “respektabler Gesichtspunkte” genüge für die Befreiung von der Versicherungspflicht nach dem eindeutigen Text des § 85 Abs 3 und 4 ALG auch eine Kapitallebensversicherung; sie bitte, dies im nächsten Rundschreiben an die Mitglieder klarzustellen.
Am 20. Januar 1995 wiederholte der Kläger seine Auffassung und bat um “dedizierte” Stellungnahme; er vertrat in diesem Zusammenhang die Ansicht, das Schreiben vom 11. Januar 1995 stelle weder eine aufsichtsrechtliche Beratung dar noch sei es eine rechtsbehelfsfähige Beanstandung. Am 6. Februar 1995 erwiderte daraufhin die Beklagte, der Kläger werde gemäß § 89 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ausdrücklich gebeten, seine bisher verlautbarte Auffassung, der Abschluß einer Kapitallebensversicherung genüge nicht den Anforderungen an eine Befreiung von der Versicherungspflicht, durch Mitteilung an seine Mitglieder aufzugeben; sollte der Kläger sich hierzu nicht bereitfinden, sei mit einer Verpflichtungsanordnung gemäß § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV zu rechnen und – im Hinblick auf den Fristablauf für die Befreiung zum 31. Dezember 1995 – mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung; materiell-rechtlich sei nach dem Wortlaut des § 85 Abs 3 Nr 3 ALG als Befreiungstatbestand auch eine Kapitallebensversicherung nicht ausgeschlossen; die gegenteilige Empfehlung sei rechtsfehlerhaft und müsse schnell behoben werden.
Mit Schreiben vom 16. Februar 1995 fragte der Kläger bei der Beklagten ua an, in welcher Weise die Risiken von Invalidität und Tod abzusichern seien, ob insoweit ebenfalls eine Kapitalabfindung ausreichend sei; er stellte ferner die Frage, ob Kapitallebensversicherungen beliehen oder verpfändet werden könnten. Hierauf erwiderte die Beklagte unter Bezugnahme auf ihr Beratungsschreiben am 20. März 1995, sie bitte um “sofortige Bestätigung”, daß der Kläger seine bisherige Auffassung, eine Kapitallebensversicherung genüge nicht den Anforderungen, aufgegeben habe; auf die Fragen vom 16. Februar 1995 zur weiteren Ausgestaltung der Verträge werde sie sodann – soweit in diesem Zusammenhang erforderlich – zurückkommen.
Das – weitere – Rundschreiben des Klägers an seine Mitglieder vom 20. März 1995 enthielt sodann ua folgende Hinweise: Für den Fall des Todes des Versicherten muß an seine Hinterbliebenen eine Rentenleistung entsprechend den Grundsätzen des ALG gewährt werden; durch ein Abtretungs- und Verpfändungsverbot sei sicherzustellen, daß die zugesagte Leistung an die Hinterbliebenen zur Auszahlung gelange; der Invaliditätsschutz sei durch Kopplung der Kapitallebensversicherung mit einer Erwerbsunfähigkeitszusatzversicherung zu gewährleisten; im übrigen sei nunmehr auch eine “befreiende Rentenversicherung” anzuerkennen, die dem Versicherten selbst ein Kapitalwahlrecht einräume; diesbezüglich müsse aber ein Abtretungs-/Verpfändungsverbot in den Vertrag aufgenommen werden. Am 27. März 1995 teilte der Kläger – unter Beifügung des Rundschreibens – der Beklagten mit, es seien nunmehr auch Kapitallebensversicherungen anzuerkennen, sofern sie bestimmte Anforderungen erfüllten.
Mit Bescheid vom 4. April 1995 verpflichtete die Beklagte unter Anordnung des sofortigen Vollzugs den Kläger, seinen Mitgliedern sofort schriftlich mitzuteilen, daß er seine Auffassung, eine Kapitallebensversicherung genüge für den Versicherungsfall des Todes sowie für den der Invalidität nicht den Anforderungen des § 85 Abs 3 ALG, nicht mehr vertrete. Sofern das Schreiben nicht bis zum 20. April 1995 vorliege, werde sie dies anstelle des Klägers selbst veranlassen. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Durch das letzte Rundschreiben vom 20. März 1995 habe der Kläger zwar die Kapitallebensversicherung als befreiende Lebensversicherung für den Erlebensfall anerkannt, jedoch für den Fall des Todes und der Invalidität – entgegen dem Wortlaut des § 85 Abs 3 (und 4) Nr 3 ALG – eine Kapitallebensversicherung für nicht ausreichend erachtet. Diese Empfehlung sei rechtsfehlerhaft und müsse “schnell beseitigt” werden. Hierfür sei das Schreiben an die Mitglieder das erforderliche Mittel zur Richtigstellung. Die sofortige Vollziehung sei geboten, weil die im Ergebnis betroffenen Versicherten ihre weitere Wirtschafts- und Lebensplanung bis zum 31. Dezember 1995 vorzunehmen hätten. Hieraus ergebe sich auch der “angekündigte Selbsteintritt”.
Das Sozialgericht Kassel (SG) hat durch Urteil vom 10. Juli 1995 die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die Rechtsauffassung des Klägers widerspreche der Rechtslage. Für den Befreiungstatbestand sei eine Kapitallebensversicherung ausreichend. Die Kopplung der Prämie an die Höhe der für die Altersversorgung der Landwirte zu zahlenden Beiträge lasse nicht den Schluß auf das Erfordernis einer Gleichwertigkeit von Versicherungs- und Rentenleistungen nach dem ALG zu. Die Beklagte habe auch ausreichend beraten. Der Kläger selbst habe durch sein Vorgehen den Anschein erweckt, vollendete Tatsachen zu schaffen. Ein Dialog sei im Hinblick auf die nicht miteinander zu vereinbarenden Meinungen der Beteiligten nicht mehr möglich gewesen. In dieser Situation noch mehr Beratung zu verlangen sei überspannt. Die Beklagte habe auch den Zustand nicht auf sich beruhen lassen dürfen; eine Korrektur sei nur durch ein entsprechendes Rundschreiben an die Mitglieder der Alterskassen möglich gewesen.
Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten die (Sprung-)Revision eingelegt; er rügt eine Verletzung von § 85 Abs 3 und 4 jeweils Nr 3 ALG, § 54 ALG iVm §§ 87 und 89 SGB IV sowie von § 35 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und trägt vor:
Seine Rechtsauffassung sei zutreffend. Dem Wortlaut von § 85 Abs 3 Nr 3 und Abs 4 Nr 3 ALG sei nicht zu entnehmen, daß auch eine Kapitallebensversicherung als befreiende Lebensversicherung anerkannt werden müsse. Vorgegeben werde lediglich, daß bestimmte Risiken bei einem öffentlichen oder privaten Versicherungsunternehmen zu einem bestimmten Beitragssatz abzusichern seien. Die Einbeziehung von Invalidität, Tod und Erleben des 60. oder eines höheren Lebensjahres spreche für eine Absicherung durch einen gleichwertigen Rentenvertrag. Auch die Entstehungsgeschichte bestätige die Auslegung. Denn als Kernstück der Reform sei im Gesetzgebungsverfahren die soziale Absicherung der Bäuerin hervorgehoben worden. Eine Kapitalversicherung stelle jedoch keine soziale Absicherung dar. Dementsprechend werde im KSVG die Kapitallebensversicherung auch nicht als befreiende Lebensversicherung anerkannt. Sinn und Zweck der Regelung sprächen ebenfalls für diese Art der Sicherung; das Übergangsrecht sehe nur dann eine Befreiung vor, wenn die Betroffenen das 50. Lebensjahr vollendet hätten und daher für die neue Sicherungsform kein Bedarf mehr bestünde, oder aber eine entsprechende Anwartschaft in einem gleichwertigen Sicherungssystem erworben hätten; infolgedessen komme als Befreiungstatbestand nur ein gleichartiger Schutz in Betracht.
Darüber hinaus sei er nicht der richtige Adressat der Aufsichtsmaßnahme gewesen. Die unverbindliche Meinungsäußerung in dem Rundschreiben stelle keine Rechtsverletzung iS von § 89 SGB IV dar, da seine Auffassung vertretbar sei. Im übrigen sei die Auslegung für die Mitglieder nicht bindend. Schließlich sei die Beklagte auch ihrer Beratungspflicht nicht nachgekommen. Sie habe ohne nähere Begründung an ihrer Rechtsauffassung festgehalten, ohne erkennen zu lassen, daß sie sich ihres Beurteilungsspielraums bewußt sei. Letztlich sei der Bescheid auch nicht hinreichend begründet. Opportunitäts- und Ermessenserwägungen seien insoweit nicht angestellt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Juli 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. April 1995 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Bescheid vom 4. April 1995 sei formell und materiell rechtmäßig. Es könne dahinstehen, ob – was bisher vom Bundessozialgericht (BSG) noch nicht entschieden worden sei – Opportunitäts- und Ermessenserwägungen bei einer Verpflichtungsanordnung anzustellen seien. Denn diese seien – wie dem Bescheid zu entnehmen sei – von ihr erörtert worden. Der Kläger habe trotz Beratung seine mit dem Wortlaut nicht zu vereinbarende Auffassung nur teilweise aufgegeben. Aus Gründen der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung, und um Rechtssicherheit für die Betroffenen zu schaffen, habe sie nach pflichtgemäßem Ermessen diese rechtsfehlerhafte, dem Wortlaut des Gesetzes entgegenstehende Aufklärung an die Mitglieder nicht hinnehmen dürfen. Da sie nicht habe damit rechnen können, daß der Kläger seine Auffassung aufgebe, sei der Erlaß der Verpflichtungsanordnung erforderlich gewesen.
Sie habe auch ordnungsgemäß – individuell – beraten. Nachdem der Kläger seine Rechtsauffassung im Rundschreiben vom 20. März 1995 im wesentlichen aufrechterhalten habe, sei für eine weitere Beratung kein Raum gewesen. Der Kläger verkenne im übrigen, daß die Nichtanerkennung einer Kapitallebensversicherung als Befreiungstatbestand einer ausdrücklichen Regelung bedurft hätte. Um einen unbestimmten Rechtsbegriff habe es sich insoweit nicht gehandelt. Die andersartige Befreiungsregelung im KSVG enthalte gerade den Hinweis auf eine Leistung auf Rentenbasis. Schließlich werde das Ziel des Gesetzgebers, einer eigenständigen Sicherung der Bäuerin, auch durch einen Kapitallebensversicherungsvertrag erreicht. Eine weitergehende inhaltliche Gestaltung sei der Eigenverantwortung der Bäuerin überlassen.
Der Kläger hat zwischenzeitlich in einem Rundschreiben die Rechtsauffassung der Beklagten weitergegeben.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige (Sprung-)Revision des Klägers ist unbegründet.
Das SG hat zu Recht die “Anfechtungs-Aufsichtsklage” (§ 54 Abs 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 1995 entspricht der Rechtslage. Zutreffend hat die Beklagte im Rahmen der ihr kraft Gesetzes gegenüber dem Kläger – einer selbständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 53 ALG) mit Selbstverwaltung (§ 55 Abs 1 ALG) – zustehenden Rechtsaufsicht (§ 54 Abs 1 ALG iVm § 87 SGB IV) eine Verpflichtungsanordnung gemäß § 89 Abs 1 SGB IV (mit Androhung der Ersatzvornahme und der sofortigen Vollziehung) erlassen. Denn der Kläger hat die ihm gegenüber seinen Mitgliedern obliegende Pflicht zur “fehlerfreien” Unterrichtung (§ 58 Abs 2 Nr 1 ALG iVm § 13 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫) verletzt, als er seine Mitglieder davon in Kenntnis setzte, daß für eine Befreiung der Bäuerin von der Versicherungspflicht – unter bestimmten Voraussetzungen – nur ein Versicherungsvertrag mit Leistungen auf Rentenbasis in Betracht komme. Diese Rechtsverletzung hat er innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist nach Beratung nicht behoben.
Der Rechtsstreit hat sich durch das “inzwischen” vom Kläger an seine Mitglieder gerichtete Rundschreiben, in dem er die Rechtsauffassung der Beklagten weitergegeben hat, im übrigen auch nicht erledigt; denn die Beteiligten streiten nach wie vor um die Rechtmäßigkeit der einmal erteilten Verpflichtungsanordnung und damit über die Richtigkeit der Unterrichtung und mithin über die Anordnung zugrundeliegende Rechtsauffassung des Klägers.
Hierzu im einzelnen:
1. Der Kläger hat durch eine fehlerhafte Aufklärung seiner Mitglieder über die Voraussetzungen einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 iVm Abs 1 ALG das Recht iS von § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV verletzt. Denn seine Unterrichtung beruhte auf einer unzutreffenden Auslegung des § 85 Abs 3 Nr 3 (und Abs 4 Nr 3) ALG. Damit hat er gegen die ihm durch Gesetz gemäß § 58 Abs 2 Nr 1 ALG iVm § 13 SGB I übertragene Aufgabe einer ordnungsgemäßen, dh fehlerfreien, der Rechtslage entsprechenden “Unterrichtung” seiner Mitglieder verstoßen.
Die im Rundschreiben vom 20. März 1995 mitgeteilte – modifizierte – Auffassung über die Voraussetzungen einer Befreiung von der Versicherungspflicht der Ehegatten von Landwirten ist zu Recht beanstandet worden. Eine Lebensversicherung kann nicht nur dann zur Befreiung von der Versicherungspflicht ausreichen, wenn der Versicherungsvertrag für den Fall des Todes und der Invalidität Leistungen auf Rentenbasis vorsieht; weder Wortlaut, noch Entstehungsgeschichte, noch Gesetzessystematik gebieten eine derartige Auslegung.
Nach § 85 Abs 3 Nr 1 und 3 (sowie Abs 4 Nr 1 und 3) ALG sind Versicherte nach § 1 Abs 3 iVm Abs 1 ALG ab 1. Januar 1995 unter weiteren Voraussetzungen von der Versicherungspflicht befreit, wenn sie ua entweder vor dem 2. Januar 1945 geboren sind (Nr 1 aaO) oder vor dem 1. Januar 1996 mit einem öffentlichen oder privaten Versicherungsunternehmen für sich und ihre Hinterbliebenen einen Versicherungsvertrag für den Fall der Invalidität, des Todes und des Erlebens des 60. oder eines höheren Lebensjahres abgeschlossen haben und die Aufwendungen für diese Versicherung der Höhe des Beitrags zur Alterssicherung der Landwirte ohne Berücksichtigung von Zuschüssen zum Beitrag entsprechen (Nr 3 aaO).
a) Der Wortlaut der Vorschrift enthält keinen Anhalt, der befreiende Versicherungsvertrag müsse für den Fall des Todes (oder des Erlebens eines bestimmten Alters) oder der Invalidität eine der Alterssicherung der Landwirte im wesentlichen gleichwertige Sicherung gewährleisten. In welcher Weise die Leistungen aus dem Vertrag zu erbringen sind, ist dem Text nicht zu entnehmen. Es fehlen jegliche Hinweise, daß der Versicherungsvertrag wiederkehrende Leistungen vorsehen müsse. Hiergegen spricht nicht etwa, daß die Prämien für die Versicherung mindestens ebenso hoch sein müssen, wie die Beiträge für die Alterssicherung. Durch diese “Beitragsabhängigkeit” wird lediglich eine untere Grenze der Prämienhöhe festgelegt. Die Fallgestaltung in Nr 1 aaO, wonach die Ehegatten von Landwirten, die bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1995 das 50. Lebensjahr vollendet hatten, ohne jede Einschränkung sich auf Antrag von der Versicherungspflicht befreien zu lassen können, zeigt im übrigen, daß jedenfalls nicht stets Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht eine dem ALG vergleichbare Sicherung ist.
b) Die Auslegung – auch eine Kapitallebensversicherung genügt als Befreiungstatbestand – entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern auch der Entstehungsgeschichte des § 85 Abs 3 (und 4) ALG. Zwar war – wie der Kläger zu Recht hervorgehoben hat – eines der gesetzgeberischen Ziele der Ausbau der sozialen Sicherung der Bäuerin gegen die Wechselfälle des Lebens; die Bäuerin sollte nicht weiterhin ohne eigenen Sicherungsanspruch bleiben (vgl BR-Drucks 508/93 S 62). Dennoch war zunächst eine befristete generelle Befreiungsmöglichkeit für alle Bäuerinnen vorgesehen, sofern sie bis zum 31. Dezember 1994 versicherungsfrei waren; denn die finanzielle Stabilität des Sicherungssystems sollte nicht gefährdet, bestimmte Risikogruppen sollten aus diesem Grunde herausgenommen werden (vgl hierzu entsprechend BT-Drucks 12/7599 S 5 f). Nachdem durch die Ausschußmitglieder der SPD-Fraktion die soziale Absicherung als unzureichend gerügt worden war, wurde als Kompromiß die befristete Befreiungsmöglichkeit auf solche Frauen beschränkt, die bei Inkrafttreten des Gesetzes das 50. Lebensjahr vollendet, eine anderweitige Alterssicherung bereits aufgebaut oder bis Ende 1995 einen gleichwertigen privaten Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen haben (BT-Drucks 12/7599 S 7). Damit wurde erreicht, daß langfristig gesehen alle Bäuerinnen unter den sozialen Schutz des Gesetzes fallen, für eine Übergangsphase jedoch eine abgestufte – je nach Lebensplanung – aus der Perspektive der Betroffenen für notwendig angesehene Sicherung als ausreichend erachtet wurde. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, daß die Bäuerin grundsätzlich einen – wenn auch unselbständigen – Schutz durch ihren Ehemann hat (hatte); entsprechend ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung im Betrieb sollte sie jedoch nunmehr eine eigenständige Sicherung erhalten (vgl BR-Drucks 508/93 S 62). Von einem Lebensversicherungsvertrag auf Rentenbasis war in dem Kompromißvorschlag nicht die Rede. Eine annähernde “Gleichwertigkeit” sollte durch die Kopplung der Prämien an die Beitragshöhe erreicht werden.
c) Mit dieser (Wort-)Auslegung im Einklang stehen Formulierungen, wie sie der Gesetzgeber bei Befreiungstatbeständen in vergleichbaren gesetzlichen Regelungen gewählt hat. Sollten allein Lebensversicherungen auf Rentenbasis als Befreiungstatbestand in Betracht kommen, hat der Gesetzgeber dies unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. So konnte gemäß § 26 des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte (GAL) 1957 sowie nach § 37 GAL 1965 allein der Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages auf Rentenbasis von der Versicherungspflicht nach dem GAL befreien. § 52 Abs 2 Nr 2 KSVG enthält ebenfalls einen deutlichen Hinweis darauf, daß eine Kapitallebensversicherung mit einem einmalig auszuzahlenden Betrag nicht ausreichen sollte. Denn danach war neben der Kopplung der Prämien an die Beitragshöhe Voraussetzung für die Befreiung, daß die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag sich jährlich mit bestimmten Steigerungsraten erhöhen. In diesen Fällen wurde im übrigen der betroffene Personenkreis als besonders schutzwürdig angesehen (vgl entsprechend BSG SozR Nr 6 zu § 8 aF GAL; BSGE 75, 11, 18 = SozR 3-5425 § 1 Nr 2 S 8).
Im Gegensatz zu den Befreiungstatbeständen in GAL und KSVG hat der Gesetzgeber in Art 2 § 1 Abs 1 Buchst b Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) ebenso wie in § 85 Abs 3 und 4 (jeweils Nr 3) ALG weder den Begriff Rente genannt noch gefordert, daß die Leistungen nach dem Versicherungsvertrag sich jährlich erhöhen. Eine Wahlmöglichkeit war nur denjenigen eingeräumt, die wegen ihrer wirtschaftlichen Lage eines Schutzes gegen die Wechselfälle des Lebens – ebenso wie die Bäuerin – nicht bedurften; diesem Personenkreis war entsprechend dem freiheitlichen Charakter des sozialen Rechtsstaats die individuelle Eigenverantwortung und ein Spielraum für eine private Eigeninitiative zuerkannt worden (vgl BSGE 23, 241, 246 = SozR Nr 3 zu Art 2 § 1 AnVNG; SozR 5755 Art 2 § 1 Nr 6 S 22).
Berücksichtigt man also zudem, daß bei der Kodifikation des ALG bereits eine gefestigte Rechtsprechung zur Auslegung des im Vergleich zu § 85 Abs 3 (und 4) Nr 3 ALG im wesentlichen gleichlautenden Befreiungstatbestandes in Art 2 § 1 Abs 1 Buchst b AnVNG bestand (vgl ua BSGE 23, 241 ff = SozR Nr 3 zu Art 2 § 1 AnVNG und Beschluß des BSG vom 7. Februar 1990 – 1 BA 213/89 –), so wird deutlich, daß der Gesetzgeber eine andere Formulierung gewählt hätte, wenn er eine über eine Kapitallebensversicherung hinausgehende Sicherung der Bäuerin in § 85 Abs 3 Nr 3 bzw Abs 4 Nr 3 ALG gewollt hätte.
d) Die Auslegung der Vorschrift ist auch mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Sie entspricht der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Neueinführung von Sozialleistungen, wie hier derjenigen für die Bäuerin. Dem Gesetzgeber gebührt auch im Hinblick auf die finanziellen Aufwendungen insoweit eine ausreichende Anpassungszeit (vgl hierzu BVerfGE 87, 1, 41 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 10 f); er kann dabei den Mitgliederkreis so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (vgl hierzu BSGE 75, 11, 15 = SozR 3-5425 § 1 Nr 2 S 5). Wenn der Gesetzgeber Bäuerinnen, die entweder eine Altersgrenze bereits überschritten haben (§ 85 Abs 3 Nr 1 ALG), oder die bereits über Rentenanwartschaften für eine Alterssicherung verfügen (Nr 2 aaO) oder aber eine befreiende Lebensversicherung bis zum 31. Dezember 1995 abgeschlossen haben (Nr 3 aaO) nicht zwangsweise in das Sicherungssystem einbezieht oder für sie eine gleichwertige Sicherung vorsieht, so kann darin auch keine gleichheitswidrige Regelung gesehen werden. Der Gesetzgeber brauchte im Rahmen seines freien Ermessens unter den denkbaren und möglichen Lösungen nicht die gerechteste, vernünftigste und zweckmäßigste zu wählen, sofern – wie hier – ein sachgerechter Grund für die gesetzliche Regelung gegeben ist (vgl hierzu BVerfGE 55, 114, 128; 55, 72, 88; 71, 39, 58; 75, 382, 393). Er konnte bei einer typisierenden Betrachtung grundsätzlich davon ausgehen, daß die Bäuerin durch ihren Ehemann ausreichend gesichert ist; wenn er deshalb einen umfassenden Schutz erst für die Zeit ab 1. Januar 1996 gewähren will und für den zurückliegenden Zeitraum es der eigenverantwortlichen Entscheidung der Bäuerin überläßt, ob und in welcher Weise sie einen eigenen Schutz erlangen will, so ist diese Entscheidung weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des GG unvereinbar (vgl hierzu entsprechend BSG SozR 3-5750 Art 2 § 62 Nr 1 S 2 f; BVerfG SozR 3-2500 § 53 Nr 3 S 16).
Mithin ist die Auffassung des Klägers, nach § 85 Abs 3 Nr 3 (bzw Abs 4 Nr 3) ALG sei Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 1 Abs 3 ALG eine Lebensversicherung auf Rentenbasis (im Falle des Todes bzw der Invalidität) nicht zu teilen; die in dem Rundschreiben vom 20. März 1995 geäußerte Rechtsauffassung verstößt demnach gegen geltendes Recht. Dabei kann dahinstehen, ob etwas anderes dann gelten würde, wenn die Aufsichtsbehörde eine in die Konkretisierungsbefugnis des Klägers gestellte Gesetzesauslegung beanstandet und der Selbstverwaltungsträger in diesem Zusammenhang seinen Mitgliedern eine vertretbare Auffassung mitgeteilt hätte (vgl hierzu Funk, VSSR 1990 S 261, 262 f, 265). Denn das ALG hat dem Käger im Blick auf die hier streitige Frage nicht die Rechtsmacht eingeräumt, das Gesetz in eigener Verantwortung näher auszugestalten.
2. Die weiteren Voraussetzungen für den Erlaß der Verpflichtungsanordnung nach § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV liegen ebenfalls vor.
Die Beklagte hat zunächst beratend darauf hingewirkt, daß der Kläger seine Mitglieder, die LAK, “richtig” unterrichtet, und ihn erst nach Ablauf der ihm gesetzten angemessenen Frist hierzu verpflichtet.
a) Vor Erlaß der Verpflichtungsanordnung hat die Beklagte den Kläger in diesem Sinne ausreichend beraten.
Die Beratung ist Ausdruck einer partnerschaftlichen Kooperation zwischen der Selbstverwaltung und der Aufsicht; sie ist Teil einer ernsthaften Auseinandersetzung zwischen den um eine optimale Lösung für die versicherte Bevölkerung bemühten Partnern (vgl BSGE 61, 254, 257 f = SozR 7223 Art 8 § 2 Nr 3 S 5; BSGE 67, 85, 87 = SozR 3-2400 § 89 Nr 1 S 3) und soll zunächst eine Überprüfung der gegensätzlichen Standpunkte sicherstellen. Durch sie soll die Anordnung von Aufsichtsmaßnahmen vermieden werden (vgl BSGE 67, 85, 87 = SozR 3-2400 § 89 Nr 1 S 3). Dementsprechend genügt ein bloßer Hinweis der Aufsichtsbehörde auf die – ggf vermeintliche – Rechtsverletzung grundsätzlich nicht; vielmehr sollen dem Versicherungsträger Maßnahmen aufgezeigt werden, wie er sie beheben kann (vgl hierzu Funk, aaO, S 266 f). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze genügten die Schreiben der Beklagten vom 6. Februar und vom 20. März 1995 den Anforderungen der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Beratung. Die Beklagte hat den Kläger in Kenntnis der Vorkorrespondenz mit dem BMA, in der der Kläger seine Rechtsauffassung bereits ausführlich dargelegt hatte, mitgeteilt, diese sei nach dem Wortlaut der Bestimmung fehlerhaft; das hat die Beklagte auch noch nach erneuter Stellungnahme des Klägers wiederholt und den Erlaß einer Verpflichtungsanordnung angedroht. Der Kläger hat dennoch seine Meinung in einem weiteren Rundschreiben an seine Mitglieder vom März 1995 – zumindest teilweise – aufrechterhalten, obwohl aufgrund der seit Oktober 1994 geführten Korrespondenz erkennbar war, daß die Beklagte eine gegenteilige Rechtsauffassung vertrat. Im Hinblick darauf, daß – wie bereits das SG ausgeführt hat – sich beide Auffassungen unvereinbar gegenüberstanden, und daher kein Raum für eine übereinstimmende Auslegung des Gesetzes durch die Beteiligten nach Austausch der gegenteiligen Standpunkte war, war eine über das Schreiben vom 6. Februar 1995 hinausgehende Beratung der Beklagten nicht erforderlich.
b) Die Beklagte durfte den Kläger auch verpflichten, ihre Rechtsauffassung seinen Mitgliedern schriftlich mitzuteilen. Die von ihr im Schreiben vom 20. März 1995 erbetene “sofortige Bestätigung” (erkennbar iS von unverzüglich – § 121 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch –) des Klägers, er halte nicht mehr an seiner Rechtsauffassung fest, genügte unter Berücksichtigung des gesamten Ablaufs der Verhandlungen als “angemessene” Fristsetzung. Wie gerade das Rundschreiben vom 20. März 1995, das dem Antwortschreiben des Klägers vom 27. März 1995 beigefügt war, zeigte, wollte der Kläger seine Rechtsauffassung gegenüber seinen Mitgliedern im wesentlichen nicht widerrufen. Eine “schnelle” Richtigstellung war jedoch zur Orientierung und Entscheidungshilfe des betroffenen Personenkreises im Hinblick auf den Ablauf der Frist für die Befreiung zum 31. Dezember 1995 erforderlich.
Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich auch, weshalb die Beklagte die Verpflichtungsanordnung erlassen und den Kläger zur Richtigstellung gegenüber seinen Mitgliedern verpflichten hat. Sie hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die fehlerhafte Gesetzesauslegung “schnell” zu korrigieren sei; eine sofortige Klarstellung gegenüber den Mitgliedern des Klägers sei notwendig, da die Bäuerinnen bis zum 31. Dezember 1995 ihre weitere Wirtschafts- und Lebensplanung vorzunehmen hätten; eine andere Entscheidung habe aus Zeitnot nicht mehr ergehen können. Diese Begründung hat die Beklagte zwar teilweise im Zusammenhang mit der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung gegeben. Sie ist jedoch Inhalt des angefochtenen Bescheides insgesamt und ist daher auch zur Begründung der Verpflichtungsanordnung im übrigen mit heranzuziehen. Da die Beklagte somit Ermessenserwägungen iS der Alternativlosigkeit der gewählten Rechtsfolge (Ermessensreduktion) mitgeteilt hat, kann offenbleiben, ob – falls (wie hier) die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verpflichtungsanordnung vorliegen – für die Festsetzung der Rechtsfolge nach § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV aus dem Bescheid erkennbare Ermessenserwägungen notwendig sind (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X; vgl im übrigen BSGE 71, 108 f = SozR 3-2400 § 69 Nr 1 S 2; hierzu entsprechend Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl, S 376; eine Interventionspflicht wohl ablehnend: Stößner, Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, 2. Aufl, S 45).
Die Beklagte hat somit zu Recht den streitigen Bescheid erlassen. Keiner Darlegung bedarf, daß die Androhung der Ersatzvornahme wegen der Weigerung des Klägers rechtmäßig war. Der Antrag des Klägers auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 4. April 1995 hat sich durch die Entscheidung in der Hauptsache erledigt, so daß nicht auszuführen ist, daß wegen des drohenden Zeitablaufs ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung bestand.
Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 946325 |
Breith. 1996, 314 |